Arda Fanfiction

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Jahrestag

von Tehta

Chapter #1

"Schau mal, ich habe dir ein Geschenk mitgebracht."

"Dankeschön, Glorfindel." Ecthelion betrachtete verwundert die Schachtel in Glorfindels Hand. Gewiß, sie hatten sich auch früher schon gegenseitig Geschenke gemacht, aber nur zu bestimmten Anlässen, bei denen es unter Freunden allgemein üblich war, und dann waren es Waffen gewesen. Diese Schachtel aber war zu klein, um etwas derartiges zu enthalten. "Aus, äh, irgendeinem bestimmten Grund?"

"Naja, ich war gerade bei Turgon, und er war mal wieder in einer dieser Stimmungen, und Idril erklärte mir, es sei wegen seiner Schwester, die er sehr vermisst und die Gondolin vor genau zwölf Jahren verlassen hat. Und da dachte ich, du weißt schon, an Jahrestage, leidvolle und andere, und jedenfalls, hier bitteschön." Er hielt ihm sein Geschenk entgegen.

Ecthelion nahm es; es fühlte sich leicht in seiner Hand an. Jahrestage? Aredhels Fortgang hatte sie beide zusammengebracht, das stimmte schon, aber ein Begriff wie 'Jahrestag' war wohl kaum angebracht. Jahrestage waren für rechtmäßig verheiratete Paare, die sich gegenseitig mit Schmuck und Blumen beschenkten, und manchmal auch mit Süßigkeiten...

Süßigkeiten. Oh Eru. Es war eine Konfektschachtel. Gar keine Frage: als er sie schüttelte, raschelte und bewegte sich der Inhalt in der für Pralinen so typischen Weise. Aber Glorfindel konnte doch wohl kaum annehmen, er werde eine solche Verhöhnung rechtmäßiger Bindungen gutheißen? Dazu noch eine so geschmacklose Parodie? Nein, diese Schachtel diente sicher nur als Behältnis für etwas ganz anderes; zum Beispiel in Papier eingewickelte Harfensaiten. Der Jahrestag irgendeines Konzerts vielleicht.

Ecthelion hob den Deckel an und schaute hinein. Keine Harfensaiten. Aber was die Süßigkeiten betraf...

"Glorfindel... diese Pralinenschachtel ist ja halb leer."

"Ja, ich weiß. Meine Lieblingspralinen habe ich schon weggegessen. Ich dachte, du würdest es wahrscheinlich unangemessen für uns finden, solchen Traditionen zu folgen und uns zu unserem Jahrestag mit Süßigkeiten zu beschenken. Daher habe ich es so eingerichtet, dass du es keinesfalls als eine traditionelle Gabe ansehen kannst."

"Ah. Wie wohlüberlegt." Ecthelion hatte das vage, beunruhigende Gefühl, dass es das tatsächlich war. "Um so besser. Da ich ohnehin nichts für dich als Gegengabe habe, traditionell oder nicht"

"Du kannst es auf andere Art und Weise wiedergutmachen." Glorfindel warf ihm einen beziehungsreichen Blick zu, während er herüberlangte und eine der verbliebenen Pralinen in seinen Mund schob.

Ecthelion betrachtete dieses Schauspiel mit größtem Interesse.

"Was ist?" Glorfindel rieb sich den Mundwinkel. "Hab ich was im Gesicht?"

"Nein, nein, ich versuche lediglich herauszufinden, welche 'andere Art und Weise' du andeuten willst, indem du mich anzüglich anstarrst, während du dich gleichzeitig durch mein Geschenk frisst."

"Ist das nicht offensichtlich?" Glorfindel aß ein weiteres Stück Konfekt mit übertriebenem Genuss.

"Nein. Also, ich kann es mir schon denken, aber ich finde dein enthusiastisches Kauen irgendwie beunruhigend, und außerdem sind diese Pralinen geradezu beleidigend winzig."

"Nun häng dich doch nicht so an den Einzelheiten auf. Mein anzügliches Starren war allgemeiner Natur, nicht spezifisch."

"Ah. 'Andere Art und Weise' im allgemeinen also? Aber nach allem, was ich gehört habe, ist diese 'andere Art' ebenfalls sehr gebräuchlich, um einen solchen Jahrestag zu feiern. Fürchtest du nicht, dass ich das ebenfalls zu traditionell und unpassend für uns finden könnte?"

"Ich finde, das wäre inkonsequent von dir." Glorfindel langte wieder in die Schachtel. "Es kann doch nicht an einem Tag ein unnatürlicher Akt und am nächsten Tag allzu traditionell sein."

Sie schauten einander einen Moment lang an. Ecthelion hatte das unbestimmte Gefühl, daß es einen Schwachpunkt in Glorfindels Logik gab, aber er mochte nicht allzu genau darüber nachdenken. Diese lachhafte Schachtel.... sie war konventionell, unpassend, und nun auch schon bald leer, aber sie hatte ihn irgendwie trotzdem angerührt. Auch darüber wollte er nicht allzu genau nachdenken. Nun, es gab einen sehr einfachen Weg, alle Gedanken zu vertreiben..

"Ich nehme an, ein unnatürlicher Akt ist die beste Antwort auf ein unnatürliches Geschenk." Er schloss die Schachtel fest zu und entfernte sie aus Glorfindels Reichweite. "Aber ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich dem Beispiel des Spenders folge und mir das Beste für mich selbst herauspicke."


Ende
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