Arda Fanfiction

Das neue Archiv für Geschichten rund um Tolkiens fabelhafte Welt!

Ada!

von S. Dorer

Chapter #1

„Ada!“ Kleine weiche Arme schlangen sich um Earendils Hals und ein tränenfeuchtes Gesicht drückte sich an seine Wange. „Geh nicht wieder fort! Bitte nicht! Bitte bleib hier!“

Earendil hielt den kleinen Körper seines Sohnes fest in den Armen und strich ihm beruhigend über den Rücken. Es war jedes Mal schrecklich auch für ihn, seine Familie aufs Neue zu verlassen. Er hatte ihnen zu erklären versucht, warum er gehen musste und sie hatten verständig genickt, doch er war nicht sicher, ob seine Söhne es in ihrem zarten Alter von fünf Jahren schon wirklich verstehen konnten.

„Ich muss gehen, Elros. Dafür habe ich Vingilot gebaut und mit Ulmos Segen wird sie mich schneller über die Wellen tragen, als mein altes Schiff“, erklärte er leise.

Und nicht nur das Schiff allein, auch seine unendliche Sehnsucht nach dem Meer, das Bedürfnis, eins zu sein mit den Wellen und dem Wind, ihre Macht und gleichzeitig ihre Sanftmut zu spüren, ließ ihn niemals allzu lang an Land verweilen. Tuor, sein Vater, hatte diese Sehnsucht in ihm geweckt, als Earendil noch ein Kind war. Nie würde er das Lied vergessen, das Tuor ihm in Nan-tathren von Ulmo sang, dem Herrn der Wasser, der einst in Nevrast ans Ufer gekommen war und Tuor seinen Weg gewiesen hatte. Seine Unruhe, immer wieder aufs Meer hinauszuziehen und an den Küsten entlang zu segeln, sich den Gewalten des Ozeans zu stellen und ihnen zu trotzen, ließ ihn hoffen, eines Tages seinen Eltern zu folgen und sie wiederzusehen. Und das fortwährende Leid von Elben und Menschen in Mittelerde hatten ihn schließlich den Entschluss fassen lassen, das Land der Valar zu suchen, um ihre Gnade und Hilfe zu finden. Denn allein die Valar konnten noch die Macht besitzen, gegen das Böse, das von Melkor immer weiter vorangetrieben wurde, zu besiegen.

Und nun besaß er ein Schiff, das diesen Aufgaben gewachsen war. Vingilot, die Schaumblüte! Lange hatte er von einem solchen Schiff geträumt und es endlich mit Círdans Rat und Hilfe planen und bauen können. Von Balar war der Schiffsbauer an die Mündungen des Sirion gekommen, um Earendil zu helfen. Und sie hatten ein Schiff konstruiert, das der Macht des Meeres trotzen und ihn hoffentlich endlich ans Ziel seiner langen Suche tragen würde. Er war in dieser Zeit des Baus daheim geblieben und Elwing und die Kinder hatten seine lange Anwesenheit mehr als genossen und sein Volk war erleichtert, ihren Fürsten sicher und wohl unter sich zu wissen. Doch seine Unruhe wuchs mit jedem Tag...

Die Zwillinge hatten mit Spannung und Aufregung das Entstehen des neuen Schiffes verfolgt, denn häufig waren sie mit zu den Docks gekommen und hatten den Zimmerleuten bei ihrer Arbeit zugesehen. Es dauerte nicht lange und Elros hatte selbst mit einem kleinen Hammer die weißen Planken zu vernieten versucht und Elrond war eifrig mit dem Finger über die ausgebreiteten Pläne gefahren. Aber während sein Bruder begeistert neben dem allmählich entstehenden, leuchtend weißen Rumpf Vingilots auf und ab lief oder ehrfurchtsvoll in den Hallen der Weberinnen, welche die silbern schimmernden Segel fertigten, in Entzückenslaute ausgebrochen war, blieb Elrond zurückhaltender, nachdenklicher. Tawaros, einer der Zimmerleute, fertigte zur allergrößten Freude der Kinder eine kleine Spielzeugausgabe Vingilots und fortan verbrachten sie ihre Zeit am Strand, um die Seetüchtigkeit ihres neuen Schatzes zu erproben.

Schließlich hatten Earendil und die Jungen gemeinsam eines der goldenen Ruder stolz an Board des fertigen Schiffes getragen und mit bewundernden Seufzern waren kleine Kinderhände über dieses und jenes Detail geglitten, hatten über die noch zusammengerollten Segel gestrichen und vorsichtig an den starken Tauen gezogen. Elros sprach unentwegt davon, gleich seinem Vater mit einem herrlichen Schiff die Meere zu bezwingen und neue Küsten zu entdecken. Und Elrond…

Elrond, mein kleiner Denker, dachte er mit einem leisen Seufzen angesichts der kleinen, konzentriert gerunzelten Stirn, als der Junge aufmerksam seinen Erläuterungen zu einem Sextanten lauschte. Du wirst sicher einmal ein weiser Gelehrter…

Auch Elrond war voller Ehrfurcht und Bewunderung für Vingilot, doch seine Begeisterung war gedämpft, sein noch so junger, jedoch bereits erstaunlich klarer Geist war vorausgeeilt und hatte ihm undeutlich bewusst gemacht, dass dieses Schiff eine besondere Bestimmung zu haben schien, der er nicht würde folgen können…



Sie war fertig, die Schaumblüte, die Zierde der Meere, das schönste Schiff, das die Häfen an den Mündungen des Sirion je verlassen hatte, und sie würde ihn hoffentlich dorthin tragen, wo Earendil Gnade und Hilfe zu finden hoffte – und auch seine Eltern, Idril und Tuor. War es erst gestern gewesen, dass Earendil voller Stolz und doch mit gemischten Gefühlen das Schiff unter dem Jubel des ganzen Hafens und im Beisein seiner Familie vom Stapel gelassen hatte? Er hatte Elwing, die sich ebenfalls begeistert von der Eleganz und Schönheit des Schiffes zeigte, an der Hand genommen und sie auf die weißen Planken geführt. Doch ihre Hand war kalt gewesen, die Freude über dieses einzigartige Werk hatte nicht ihr Herz berührt. Sie hatte ihm ein Banner überreicht, ein silberner Stern, gestickt auf mitternachtsblauer Seide, zwischen dessen sechs Strahlen sechs weitere kleine Sterne glitzerten. In der Mitte des Sterns war ein Abbild des Silmaril zu erkennen, jenes Edelsteins, den sie noch immer bei sich hütete und der doch eines Tages zur Gefahr werden konnte. Gerührt hatte er ihr Geschenk an dem stolz aufragenden Mast gehisst und nun flatterte es frei im Winde und die Sonne und der Mond ließen das Silber des Sternes leuchten und funkeln.



Mit Elros auf dem Arm, der den baldigen Abschied fürchtete, saß Earendil in der schattigen Laube in seinem friedlichen, verwunschenen Garten und verwünschte das Schicksal, das ihn zwang, seinen Kindern – und seiner Gemahlin – solchen Schmerz zufügen zu müssen. Elrond saß ein paar Schritte von ihm entfernt auf einem Schemel, die kleinen Hände krampfhaft im Schoß verschränkt, den dunklen Kopf gesenkt und einen stummen Kampf mit sich ausfechtend.

„Elrond“, sagte Earendil leise und streckte eine Hand nach seinem jüngsten Sohn aus. „Komm, komm zu mir!“

Mit verschwommenem Blick sah der Junge zu ihm auf. In seinen Augen lag ein Ausdruck von… Angst, erkannte Earendil erschrocken. Er hatte stets wortlos gelitten, wenn sein Vater wieder die Weiten des Meeres suchte, doch diesmal schien etwas anders zu sein. Eine Träne löste sich von seinen Lidern und rollte über die noch kindlich gerundete Wange.

„Tithen-nîn, komm in meinen Arm!“, flüsterte Earendil. „Komm!“ Und nach kurzem Zögern stürzte sein Sohn sich endlich an die Brust des Vaters und dumpfes Schluchzen war durch den Stoff des Umhangs zu hören.

„Ada, Ada, ich habe Angst!“

Earendil fühlte erneut ein heimliches Erschrecken bei dieser offensichtlichen Vorahnung seines Sohnes.

Nein, schalt er sich selbst. Er ist noch so klein, er ist einfach sensibel und die Aussicht, dass ich für lange Zeit wieder fort sein werde, ist sicher zu viel für ihn.

„Schhhh, Elrond, hab keine Angst! Erinnerst du dich noch, was ich euch erzählt habe über eure Vorfahren und ihre leidvolle Geschichte? Nie hat jemand versucht, über das Meer in den Westen zu gelangen, um die Valar um Hilfe zu bitten. Doch ich weiß, dass es einen Weg geben muss, denn meine Eltern – eure Großeltern – sie sind diesen Weg gegangen. Und Vingilot wird mir dabei helfen, ihnen zu folgen, sie und die Valar zu finden. Das Böse wird immer stärker, Elben und Menschen allein besitzen nicht die Macht, es zu besiegen – und was soll aus euch werden, wenn Morgoth endgültig obsiegt? Nur die Valar vermögen uns noch zu helfen, Elrond. Und es ist nun meine Aufgabe, sie zu finden – das verstehst du, Elrond, nicht wahr?“

Ein zögerndes Nicken war die Antwort und Earendil spürte das verzweifelte Bemühen des Fünfjährigen, die Angelegenheiten der Älteren wirklich zu verstehen.

Eine ganze Weile saßen sie dort, Earendil mit je einem Kind in jedem Arm und versuchten sich gegenseitig Trost zu spenden. Als die Dämmerung schließlich hereinbrach, fand Elwing die drei und trat leise näher. Auch in ihren Augen war Kummer und Sorge zu lesen, doch bemühte sie sich um Gleichmut – um der Kinder willen.

Die beiden sahen auf, als sie den leichten Schritt ihrer Mutter vernahmen.

„Naneth!“ Elrond streckte ihr die Arme entgegen und als sie ihn an sich zog, bemerkte sie sein tränenfeuchtes Gesicht. Sie sagte nichts, doch ihr Blick glitt zu ihrem Gemahl, der ihr wortlos von Elronds Ängsten berichtete.

Sie nickte kaum merklich. Er ist äußerst empfänglich für Ahnungen… welcher Art auch immer sie sein mögen.

Sie schob ihren Sohn ein wenig von sich und sagte mit einem Lächeln: „Habt ihr kleinen Racker denn gar keinen Hunger? Tinelle hat schon das Mahl aufgetragen.“

„Auch Honig-Pastete?“, fragte Elros vorsichtig und wand sich aus dem Arm seines Vaters.

„Auch Honig-Pastete“, nickte Elwing zustimmend. Elros zögerte nur kurz, bis die Aussicht auf diese Köstlichkeit ein Lächeln auf sein Gesicht zauberte. Er drehte sich zu seinem Bruder herum und meinte überzeugt:

„Und ich bin doch schneller als du!“ Er sprang auf, doch Elrond war bereits an ihm vorbeigejagt.

„Bist du nicht!“

Und wie ein Wirbelwind sausten die beiden Kinder, die Sorgen für den Moment vergessend, auf das Haus zu, dessen erleuchtete Fenster einen warmen goldenen Schein in den dunkler werdenden Garten warfen.



Schweigend sahen Elwing und Earendil einander an, bis Earendil ihre Hände nahm und sanft seine Lippen darauf drückte.

„Ist alles zu deiner Zufriedenheit vorbereitet?“, fragte sie leise, und das Lächeln, das sie den Kindern gegenüber gezeigt hatte, war von ihrem schönen Gesicht verschwunden.

„Ja“, antwortete er und sein Herz zog sich zusammen. Er wollte sie nicht verlassen! Sie nicht, und die Kinder nicht! „Fallathar, Erellont und Aerandir werden die Nacht bereits auf dem Schiff verbringen, wir werden zeitig bei Sonnenaufgang lossegeln.“

Er hielt ihre Hände noch fester und suchte in ihren grauen Augen nach Verständnis. Nein, sie grollte ihm nicht, sie wusste, was er tun musste.

„Der Herr der Wasser möge dich beschützen, hervenn-nîn!“, flüsterte sie und schlang die Arme um ihn.

„Das wird er! Und auch dich!“ Seine Stimme versagte, trunken vor Emotionen. Doch schließlich, einander noch immer an den Händen haltend, schlugen sie gemeinsam den Weg zum Haus zurück ein.
Rezensionen