Arda Fanfiction

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Das Ende der Kindheit

von Anarya

Chapter #1

Ich bin Eowyn, Gemahlin Faramirs und Fürstin von Ithilien.

Acht Jahre sind seit dem Fall von Barad-dur vergangen und beinahe ebenso lange haben wir unseren Wohnsitz auf dem Emyn Arnen in Sichtweite der Weißen Stadt.

Neben dem Titel des Fürsten von Ithilien erhielt Faramir, mein Gemahl, von König Elessar die Würde des Truchsess’, doch das war nur eine symbolische, freundschaftliche Geste, denn Gondor wird vom König regiert.

Wir sind dem Königspaar in tiefer Freundschaft und Eintracht verbunden, denn auch in Friedenszeiten ist es gut, Freunde zu haben.

Hin und wieder besucht uns mein Bruder Eomer, der König von Rohan wurde, nachdem unser Onkel Theoden auf dem Schlachtfeld von Minas Tirith gefallen war, mit seiner Gemahlin Lothiriel und seinem Sohn Elfwine.


Wir leben ein einfaches Leben, denn jeder Prunk ist mir zuwider.

Nachdem ich durch Faramirs Liebe meinen Lebensmut wiedererlangt hatte, wandelte sich mein Leben. Ich widme mich der Heilkunst und allem, was wächst, blüht und lebt.

Waffen werdet Ihr in meinem Haus nicht sichtbar finden, denn ich habe sie verbannt in die tiefen Gewölbe der Keller.

Nur Unglück geht von ihnen aus, weil ihr ureigenster Zweck darin besteht, zu verstümmeln und zu töten. Ich bete, dass wir niemals wieder gezwungen sein werden, sie zu unserer Verteidigung hervorzuholen.


Zu manchen Zeiten plagen mich beschämende Erinnerungen, denn auch ich habe getötet, als ich noch die Schildmaid Rohans war. Doch zu meiner Entlastung sei gesagt: Es waren schwere Zeiten, denn eine böse Macht versuchte, Mittelerde unter ihr Joch zu zwingen und der Gebrauch der Waffen war nötig zum Schutz unserer Freiheit.


Nun sitze ich hier mit einer Handarbeit am Fenster und schaue in den milden Frühlingstag. Hier im Süden sind die Tage wärmer und sonniger, als ich es aus meiner Heimat kenne. Die Luft duftet nach Blumen und Kräutern und ist wie Seide.

Es geht mir gut, und mein Leben ist schöner und ausgefüllter denn je.

Ich erwarte wieder ein Kind und glaube, dass es ein Sohn sein wird. Wir werden ihn Eomund nennen nach meinem Vater.

Wenn ich die Näharbeit ruhen lasse und meinen Blick hebe, sehe ich zwei ausgelassene Kinder über das Gras des Gartens tollen. Es sind unsere Kinder, die dort so fröhlich und unbeschwert hinter einander her jagen und voller Leben sind.

Unser Sohn zählt schon sieben Jahre. Er kam zur Welt, kaum dass das erste Jahr unserer Ehe vergangen war. Wir nennen ihn Boromir nach Faramirs geliebtem Bruder.


Finduilas, unsere Tochter, ist zwei Jahre jünger. Sie heißt nach Faramirs Mutter, die so jung gestorben ist.

Den Namen haben wir gut gewählt, denn schon jetzt wird mit jedem Tag deutlicher, dass sie durch Faramirs Abstammung von den Fürsten von Dol Amrodt einen Anteil elbischen Blutes in sich trägt. Man sagt, sie gleiche mit ihrem dunklen Haar und den grauen, klaren Augen ihrer Großmutter Finduilas.

Auch wenn sie, so wie jetzt, mit ihrem Bruder umhertollt, so ist sie doch ein nachdenkliches, stilles Kind, das allen Geheimnissen in der Natur auf den Grund gehen will. Sie spricht mit den Tieren und Blumen und ich sehe schon jetzt viel Weisheit in ihren Augen.

Finduilas, kleine Finduilas, mein besonderes Kind, verletzlich und doch stark...


Boromir ist meinem Bruder sehr ähnlich: Blond mit blauen Augen und für sein Alter großgewachsen und stark. Er liebt nichts mehr, als über die Ebene am Großen Strom zu reiten. Natürlich wird er von seinem Vater und vom Schwertmeister im Gebrauch der Waffen unterwiesen, doch das ist mir nicht recht. Ich versuche, ihn zu lehren, dass Waffen nur das äußerste Mittel der Verteidigung sein können.

Doch ins Haus kommen mir die Waffen nicht!

Dagegen ist es schön zu sehen, wie innig Boromirs Zuneigung zu seiner jüngeren Schwester ist. Das Herz geht mir auf, wenn ich die Kinder in ihrer geschwisterlichen Eintracht sehe.


Ich bete zu den Göttern, dass ihnen niemals das widerfährt, was ich durchlebte...

Immer wieder spüre ich Sorge in mir: Wir leben im Frieden. Doch was, wenn nicht alles Böse von der Welt verbannt ist und sich eines Tages aufs neues regt?

Dann werde auch ich, entgegen aller meiner Vorsätze, zu den verhassten Waffen greifen, um meine Kinder zu beschützen!


Unser Sohn bewegt sich energisch in meinem Leib. Nur noch einige Tage werden vergehen, dann wird er zur Welt kommen. Ich wünsche mir, dass er seinem Vater ähnlich wird und sein Leben mit Stärke, Sanftmut, Güte und Weisheit lebt.


Wie von selbst gehen meine Gedanken zurück in die Vergangenheit. Ich versuche, mich dagegen zu wehren, denn zu schmerzlich sind die Erinnerungen...


***


Meine Mutter war Theodwyn, die jüngste Tochter Thengels, des Königs von Rohan. Sie heiratete Eomund, den Obersten Marschall der Riddermark, der mit seinen Truppen die Ostgrenzen der Ostfold bewachte.

Ich sehe sie noch vor mir: Eine anmutige junge Frau, voller Sanftmut und Herzenswärme.


Mein Vater, ein großer, starker, blonder Recke, liebte die edlen Pferde Rohans. Er war geradezu vernarrt in diese wunderbaren Geschöpfe und verbrachte viel Zeit in den Ställen und auf den Koppeln. Diese Liebe vererbte er seinem Sohn Eomer und gemeinsam sah man sie oft über das Grasland reiten. Schon als Kind erwies sich mein Bruder als ausgezeichneter Reiter. Furchtlos und verwegen folgte er dem Vater auch durch unwegsames Gebiet.

Auch ich liebte die Pferde. Sie waren für mich die schönsten und edelsten Wesen. Zu reiten verstand ich nach einigen Schwierigkeiten ebenso gut wie mein Bruder, doch war ich nicht im entferntesten so waghalsig wie er.


So verlebten wir eine wunderbare Kindheit in Edoras. Wir waren sicher vor umherstreifenden Orks und anderem Gesindel und fühlten uns von unserem Vater gut beschützt.


Als ich ein Kind war, bat ich meine Kinderfrau Mari oft, mir von der Zeit zu erzählen, in der ich noch klein war.

Und so gebe ich hier Maris Erzählung wieder:


„Du wurdest geboren in einer warmen Sommernacht, als der samtblaue Himmel übersät war von unzähligen funkelnden Sternen. In der klaren Luft schienen sie zum Greifen nah und so war das ein gutes Zeichen.

Deine Mutter lag seit Stunden in den Wehen und ihre schmerzvollen Schreie gellten durch die Korridore des Hauses und alle litten mit ihr.

Dein Vater lief vor dem Zimmer hin und her, doch es war damals nicht üblich, dass die Männer der Entbindung beiwohnten. Er hätte deiner Mutter so gern beigestanden, aber das war Frauensache.

Bei deinem ersten Schrei gab es für ihn kein Halten mehr. Er stürmte in das Zimmer, wo deine Mutter dich, die ersehnte Tochter, in den Armen hielt.

Er konnte sich nicht satt sehen an diesem winzigen goldhaarigen Mädchen, das mit geballten Fäustchen in den Armen der Mutter lag.

Dein Bruder stand ein wenig verschüchtert dabei, betrachtete das kleine Wunder und berührte nur sanft deine Wange mit dem Finger, doch es lag eine große Zärtlichkeit in dieser rührenden Geste.“


Meine Erinnerung setzt ein, als ich etwa drei Jahre alt war. Zu dieser Zeit beabsichtigte mein Vater, mir das Reiten beizubringen. Ich weiß noch, dass ich wie am Spieß schrie, als das Pferd in den Galopp überging. Ich schrie und schrie, bis mein Vater mich nach Hause zur Mutter brachte und meinte, alle Mühe wäre hier vergebens.

Dass ich trotzdem eine gute Reiterin wurde, verdanke ich meinem Bruder, der es mit unendlicher Geduld schaffte, dass ich meine Angst überwand. Er erreichte sogar, dass ich mich zu Pferden hingezogen fühlte und in der Folge viel Zeit mit ihnen verbrachte. Ich erkannte ihr freundliches Wesen und ihren edlen Charakter.

Noch heute bin ich oft in den Ställen und auf den Weiden und spüre die Sanftmut dieser starken Tiere und es verwundert mich immer aufs Neue, dass sie sich ihrer Kraft nicht bewusst sind.


Ich war ein stilles, schüchternes Kind, das sich vor vielen Dingen ängstigte. Am meisten fürchtete ich mich vor fremden Menschen und ich sehe mich heute noch hinter Maris Röcken oder denen meiner Mutter hervorlugen, wenn Unbekannte bei uns weilten.

Kaum zu glauben, dass aus diesem verhuschten Kind einmal die Schildmaid Rohans werden sollte...

Meinem Vater war ich recht so und er liebte mich, wie ich war. Ich war ein kleines Mädchen, dem bestimmte Freiheiten zugestanden wurden und außerdem erfüllte mein Bruder alle seine Erwartungen, so dass er durch ihn für dieses furchtsame Kind entschädigt wurde.

Wie fröhlich lachte er, wenn er mich auf seinen Knien reiten ließ und wenn ich kicherte und kreischte!


Sieben Jahre zählte ich, als jener schreckliche Tag kam, an dem sein Lachen verstummte...


***


Mein ungeborener Sohn regt sich wieder in meinem Leib, als wolle er mich aufrichten. Unberührt liegt die Näharbeit in meinem Schoß und mein tränennasser Blick sucht Trost, indem ich in den Garten sehe und nach meinen Kindern Ausschau halte.

Es ist still geworden. Ich entdecke sie aneinandergeschmiegt auf einer Bank aus Stein. Mari ist bei ihnen und liest ihnen aus einem Buch vor.

Die Kinder lieben Mari sehr und folgen ihr, wie ich es wünschte.

Meine liebe Mari... Alt ist sie geworden, und ich trage großen Anteil daran, dass sie vor der Zeit ergraute...


***


An einem trübgrauen Herbsttag vernahmen wir Hufgetrappel auf der Straße, die zu unserem Haus hinaufführte. Das war ungewöhnlich, denn wir erwarteten niemand um diese Zeit.

Eine böse Vorahnung ließ meine Mutter vor das Haus treten.

Es war der klägliche Rest von meines Vaters Eored, der herangeritten kam.

Ein Trauerzug war es, denn die Reiter brachten den toten Körper ihres Marschalls nach Haus.

Die Eored war in einen Hinterhalt von Orks geraten und fast vollständig aufgerieben worden. So zog Leid nicht nur in unsere Familie ein.


Erneute Tränen rinnen über meine Wangen, wenn sich in meinen Gedanken das Bild meines Bruders zeigt. Tapfer ertrug er den Verlust, und mannhaft verbarg er seinen Schmerz. Ich sah ihn nicht weinen.

So reifte er viel zu früh zum Mann.


Meine Mutter welkte von Stund an dahin. Sie wurde trauriger von Tag zu Tag und auch die Liebe zu uns, ihren Kindern, konnte ihre zunehmende Schwermut nicht aufhalten.

Es verging nicht einmal ein Jahr und sie starb. Sie schlief einfach ein, ging still aus diesem Leben, das sie ohne den geliebten Gefährten nicht mehr leben wollte.


Als wäre es gestern gewesen, erinnere ich mich, wie man mich zu ihrem Lager führte und wie ich in ihr bleiches, makelloses Antlitz blickte.

Die Frauen hatten sie gebettet und zurechtgemacht. Sie war so schön, selbst im Tod, und ich wollte glauben, dass sie nur schliefe. Ich war ja noch ein kleines Mädchen!

„Mama?... Mama?“, sagte ich fragend und fasste zaghaft nach ihrer Schulter.

„Wach auf, Mama!“...

Doch sie erwachte nicht.

Ich brachte die ganze Nacht an ihrem Totenbett zu und war nicht zu bewegen, sie zu verlassen.

Erst gegen Morgen gelang es Eomer, mich fortzubringen.


***


Bin ich es, deren Brust sich verzweifeltes Schluchzen entringt? Ja, ich bin es, denn die Erinnerung ist allzu nah.

Mein ungeborener Sohn scheint meinen Schmerz zu spüren. Ich lege die Hand auf meinen Leib.

„Sei beruhigt, mein Kind, es ist alles gut, nur schwere Erinnerungen holen mich ein.“

Schnell wische ich die Tränen fort. Warum soll ich die unbeschwerten Herzen der Kinder bekümmern?


***


Mari brachte uns fort ins Haus meines Onkels, des Königs von Rohan. Immer wieder blickte ich zurück, ob sich nicht plötzlich die Tür unseres Hauses öffnete und meine Mutter mit ausgebreiteten Armen dort stände und riefe: „Eowyn, komm ins Haus! Es ist Schlafenszeit!“


An diesem Tag endete meine Kindheit...


Ich sprach nicht mehr, nur ab und zu ließ ich ein fragendes „Mama?“ hören.

Ich schwieg, und alle glaubten, ich hätte den Verstand verloren. Man ließ mich meine stillen Spiele spielen und niemand störte mich, wenn ich zurückgezogen in einem Winkel saß und blicklos in eine ferne Welt starrte. Selbst meine geliebte Kinderfrau fand keinen Durchlass in den Mauern, die ich um mich errichtet hatte.


Es verging geraume Zeit, bis ich bereit war, in die Welt zurückzukehren, doch hatte mich der Schmerz völlig verwandelt.

Die ersten Worte nach Monaten sprach ich zu meinem Bruder, als er sich anschickte, mit unserem Vetter Theodred in wildem Ritt durch das Grasland zu streifen:

„Nehmt mich mit euch!“


Von nun an war mein ganzes Sein nur auf eines ausgerichtet: Ich wollte eine Kriegerin sein, die Heldentaten wie ein Mann vollbringt. Alle bösen Kreaturen sollten vor mir zittern und mein Mut sollte noch in fernen Zeitaltern besungen werden: Hört das Lied von Eowyn, der Heldenmütigen!

Ich nahm Unterricht im Schwertkampf und im Umgang mit dem Bogen und bald stand ich den jungen Männern nicht nach.

Während die Frauen und die Mädchen meines Alters sittsam zu Hause ihre Arbeiten verrichteten, ritt ich in wildem Galopp über die Steppe.

Wenn die Mädchen tuschelnd und kichernd die Köpfe zusammensteckten und ihre Wangen sich röteten, wenn ein junger Krieger vorüberging, lächelte ich nur verständnislos und ging meines Weges.

Ich verspürte eine andere Bestimmung.

Der König ließ mich gewähren, denn er liebte mich wie eine Tochter und er hätte alles getan, dass ich glücklich war.


Wo war das furchtsame Kind von einst?

Es war fort, vertrieben durch Kummer und übermäßigen Schmerz. Nichts schreckte mich mehr, ich war einzig von einem Wunsch beseelt: Rache!

Wo seid ihr, schwarze Kreaturen, die ihr mir Vater, Mutter und Kindheit raubtet?

So lebte ich, ein geschlechtsloses Wesen fast, das sich seiner Weiblichkeit erst sehr viel später bewusst wurde.


Die SCHILDMAID von Rohan war geboren, die ihre Kindheit viel zu früh hinter sich ließ und die nichts mehr fürchtete, als in einen Käfig gesperrt zu werden.


***


So viele Jahre sind seitdem vergangen, und doch holt mich die Erinnerung auch heute, da ich glücklich bin, ein.

Schnell trockne ich die letzten Tränen, denn ich höre die Kinder kommen.

Möge ihnen niemals gleiches widerfahren!


Lebt, meine Kinder!

Lacht, tollt umher und fühlt das Leben!

Seid unbeschwert!

Seid Kinder, bis ihr spürt: Es ist an der Zeit, die Kindheit hinter sich zu lassen! Euer Vater und ich, wir werden Sorge dafür tragen...
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