Arda Fanfiction

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Annûn

von Valinja

Chapter #1

Wild schäumt das Wasser auf. Weiße Gischt tanzt auf den Wellen, als sie sich an den Felsen brechen und den Sand überspülen. Der kalte Wind, der über dem Meer heran weht, trägt das Rauschen der Brandung weit hinein in das Land. Die Luft ist salzig und feucht.

Am Strand steht eine einsame Person - eine Gestalt, erhaben und hochgewachsen, angespannt, einem Raubtier gleich. Doch kein Muskel rührt sich. Einer der Erstgeborenen ist es, ein Elb. Seine Haare werden vom Wind erfasst, die kalte Luft bläst über seine Haut. Er spürt die Kälte nicht. Sein Blick schweift über das weite Meer bis an den Horizont. Für Menschen nicht zu sehen ist das kleine Boot am Horizont, das auf den Wellen schaukelt. Doch seine Augen vermögen weiter zu blicken, als jeder Mensch. Auch seine Ohren hören besser und er hat bereits so vieles mit ihnen vernommen.

Wie lang wandelt er nun schon in Mittelerde? Er vermag es nicht zu sagen. Lange zurück liegt die Stunde seiner Geburt. Er hat so vieles gesehen - Grauen, Schrecken und Leid, aber auch Glück und Freude. Er war dabei in der Schlacht des letzten Bündnisses, kämpfte Seite an Seite mit Menschen und Elben und sah so viele von ihnen sterben. Es ist ein Schmerz, der nie vergeht - ein Schmerz, der noch immer in seiner Brust verweilt. Noch immer vernimmt er die wehklagenden Schreie, sieht das Schlachtfeld vor sich und erinnert sich an den Moment, an dem sie geglaubt, hatten ihn endgültig besiegt zu haben - Sauron.

Doch der Schatten ist zurückgekehrt. Mit seinen feinen Sinnen spürt er, wie die Dunkelheit wieder Besitz von Mittelerde ergreift, noch bevor die Menschen es bemerken. Es ist ein Schatten, der ihn wieder einengt, der seinen Schmerz noch verstärkt. Denn wofür sind sie damals gestorben, wenn er nicht besiegt wurde? Es ist ihm bewusst, dass die Schlacht neu geschlagen werden muss, alleine diesmal von den Menschen. Er weiß, dass Mittelerde dem Untergang geweiht ist, wenn es scheitert. In Mordor sammeln sich unter dem Einblick des Orodruin und des Barad-dûrs wieder die grässlichen Armeen Saurons, ein Schrecken der nicht vergeht.

Will der Elb dies wieder erleben? Die Menschen sagen den Erstgeborenen Stärke nach. Er ist sich nicht sicher, ob er Stärke besitzt, es wieder zu durchleben. Ein Sprung zieht sich durch sein Herz, der nicht zu heilen ist. Die Rettung, die einzige Rettung liegt jenseits des Meeres.

Eine neue Welle bäumt sich auf, flutet den Strand dort, wo der Elb steht. Wasser umspült seine Füße, benetzt die Haut, bevor es sich an den Ort zurückzieht, von dem es kam. Einsame Tropfen rinnen über die baren Füße, tief vergraben im nassen Sand.

Der Blick seiner Augen, erhebt sich in die Luft. Weiße Federn, krächzende Schreie - es sind Möwen, die über seinem Kopf kreisen. Die Meeresvögel stoßen heisere Rufe aus, lassen sich auf ihren Schwingen durch die Luft tragen. Auch sie wecken die Sehnsucht. Er vermag es nicht, sich ihr zu entziehen.

Er blinzelt und sieht in die hellstrahlende Sonne. Über dem Meer senkt sie sich langsam herab. Der Tag neigt sich seinem Ende und immer noch rührt sich der Elb nicht. Immer noch steht er an der gleichen Stelle. Immer noch sieht er sich in Mittelerde herumwandeln. Es gab auch glückliche Zeiten. Einst wanderte er durch Fangorn, einen Wald, älter als er selbst. Es erfüllte sein Herz mit Freude, die Natur zu sehen, die Bäume zu berühren, den Wald zu spüren. Seine Naturverbundenheit lag schon in seinem Wesen, noch als er im Mutterleib heran wuchs.

Sein Vater, seine Mutter und seine Brüder. Wie viel haben sie nur erlitten, bevor sie in den Westen zogen - fort von Mittelerde? Doch er blieb damals zurück. Noch zu sehr gehörte sein Herz an diesen Ort. Noch zu sehr war es hier, wenngleich auch verletzt, verwurzelt.

Jetzt saugt er die frische Luft in seine Lungen. Er schmeckt das Salz auf seinen Lippen. Die Wärme, welche die untergehende Sonne ausstrahlt, verdrängt die Kälte des Windes. Er spürt es auf seinem Gesicht. Golden schimmern die letzten Sonnenstrahlen auf seiner Haut, werfen Facetten von Licht und Schatten, eng verschlungen im Tanz miteinander.

Dann versinkt die Sonne im Meer. Der glutrote Ball erhellt das Wasser, wirft eine Bahn von leuchtenden und glitzernden Strahlen auf den Ozean. Wie sehr möchte er diesen Moment festhalten, das Zucken der Lichtperlen auf der Oberfläche des Meeres, die letzten Strahlen, die den Himmel rot verfärben, doch der Moment rinnt dahin. Der helle Stern verschwindet am Horizont.

Auch jetzt kann er es noch sehen. Seine Augen sind immer noch auf den Punkt fixiert, an dem er das letzte Mal die Helle erblickte. Es wird das letzte Mal sein, dass er den Abschied der Sonne in Mittelerde erblickt. Morgen wird er diese Welt für immer verlassen. Dann wird er zu Seinesgleichen in den Westen gehen. Das Schiff wartet bereits an den Grauen Anfurten.

Die Nacht ist hereingebrochen, die Sterne erscheinen am Firmament und leuchten in der Dunkelheit. Er bräuchte sie nicht, um weit zu sehen. Immer noch hört er das Rauschen der Wellen. Immer noch erinnert er sich an den letzten Sonnenuntergang.

"Annûn", sagt er leise. Es ist nicht mehr als ein flüstern des Windes. Das Wort wird hinfort getragen - über das Meer, zu neuen Ufern. Er wird ihm folgen. Bald.

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A/N:
Annûn = Sindarin für Sonnenuntergang
Ist zeitlich noch vor dem Ringkrieg anzuordnen.
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