Arda Fanfiction

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Geradewegs ins Verderben

von Dairyû

Chapter #2

Lange Zeit hatte Gollum die Spur desjenigen verfolgt, den er unter dem Namen Beutlin kannte.
Er war durch Landstriche gekommen, die im Lichte des Mondes ebenso lieblich waren, wie im Schein der hellen Sonne, und er hatte karge Ebenen durchstreift, die in Einsamkeit und Stille lagen, verlassen von allem Lebenden, nackt und tot. Manchmal hatte er sich menschlichen Siedlungen genähert, war vorsichtig um die Häuser geschlichen und hatte hier und da etwas Essbares gestohlen. Aber niemals hielt er sich länger als ein paar Stunden in der Nähe der Menschen auf, denn er wusste, dass sie ihn verabscheuen würden ob seiner Gestalt.

Er fürchtete sie und er hasste sie; mehr noch aber fürchtete er die Elben. Er hatte Angst vor ihrer Weisheit und ihrer Weitsicht, denn tief in seinem Inneren glomm eine winzige Flamme seines einstigen Selbst und nährte sich von Zweifeln und der Erkenntnis des Bösen, das von ihm Besitz ergriffen hatte.
So mied Gollum all jene, die in sein Herz blicken konnten oder die ihn hätten fangen können, er wollte weder den einen noch den anderen in die Hände fallen, denn dann wäre ihm die weitere Suche nach dem Ring verwehrt worden. So blieb er für die Lebenden verborgen – und die Toten hatten keinen Teil an ihm.
Eines Nachts jedoch kam er vom Weg ab.

Er ließ die Ausläufer des Nebelgebirges zu seiner Rechten und wandte sich nach Osten. Der Große Strom war kein Hindernis für Gollum, denn Schwimmen war schon immer eine seiner Leidenschaften gewesen, und nun trieb ihn etwas an, das ihm ausreichend Kräfte verlieh, um den Anduin zu durchqueren, dessen Wasser stark und reißend seinen Weg ins ferne Meer nahm.
Gollum war sich kaum bewusst, dass er die Fährte des Hobbits und seiner Begleiter schon vor mehr als einer Woche verloren hatte, denn das, was ihn zu sich zog, war dem Locken des Ringes sehr ähnlich – es vermittelte ein vertrautes Gefühl und versetzte Gollum in Hochstimmung. Sein Herz sehnte sich fast schmerzhaft nach dem Ring, und so war jeder Augenblick kostbar, der das Ende dieses Schmerzes näher brachte.
Gollum erreichte den Düsterwald, und im Schatten der mächtigen, uralten Bäume konnte er auch am Tage voran eilen, weil die Strahlen der Sonne das hohe Blätterdach kaum zu durchdringen vermochten. Und wenn ihre tastende Helligkeit sich doch einmal bis auf den mit Moos und Farnen bedeckten Boden vorwagte, dann machte Gollum einen Bogen um den Flecken aus Licht und verfluchte ihn.

Er kam im Laufe seiner Wanderung auch an einem finsteren, großen Gemäuer vorbei, dessen Wände aus schwarzem Stein waren und das auf einer Erhebung mitten in einer Lichtung stand.
Die schmalen Fenster gewährten keinen Blick in das unheimliche Haus und Gollum versuchte nicht hineinzukommen, obwohl die Neugier ihn eine hohe Treppe bis zu einer gewaltigen Tür hatte erklimmen lassen. Das blanke Holz war frei von allen Zeichen des Alters, makellos und schön. Doch ein einziges Symbol, mit reinem Gold ausgelegt, war hinein geschnitzt worden und strahlte in einem eigenen Licht. Gollums Hände hatten das dunkle Holz und das schimmernde Gold berührt; und den Geist gespürt, der über allem herrschte. Er war vertraut und doch so anders, von namenloser Boshaftigkeit erfüllt und über jedes Maß erschreckend.

Die Gier nach dem Ring war ungeheuer stark in der unmittelbaren Nähe des seltsamen Gemäuers, aber Gollums Furcht überwog den Drang, die Tür zu öffnen und hinein zu schleichen, denn etwas war falsch. Ein Hauch lag auf der Lichtung, kalt und doch angenehm – er fühlte sich an wie der Schatz wenn Gollum ihn liebkost und getragen hatte, war jedoch zugleich feindselig, so als wolle er Gollums Gegenwart nicht dulden.
Seltsame Laute hallten durch das verwitterte Mauerwerk, wie hohe und dünne Stimmen, die ein Klagelied sangen. Sie erschütterten Gollum bis ins Mark seiner zerbrechlichen Knochen und er floh von dem fremden und verdammten Ort. Dieses eine Mal widerstand er den Verlockungen, die sein Hirn und sein Herz marterten.
Doch es war nicht genug und es war zu spät ...

An der südlichen Grenze des Waldes verweilte Gollum einige Zeit. Seine Gedanken waren wirr und immer schneller kreisten sie um die Suche nach dem Ring, der sehr nah sein musste, wenn Gollum seinen Gefühlen trauen konnte. Etwas ließ ihn im Düsterwald verharren, während es ihn zugleich weiter nach Süden drängte – und dieser Drang war schließlich stärker.
Gollum schlich sich des Nachts durch die Braunen Lande.
Die bleiche Scheibe des Mondes begleitete ihn; missmutig sah er manchmal hinauf, aber nun ertrug er das Licht; war er doch ganz anderen Unbillen ausgesetzt, seit er die Dunkelheit unter dem Blätterdach des Düsterwaldes hinter sich gelassen hatte.

Es war unendlich schwer für ihn geworden, Schutz zu finden vor dem Angesicht der Sonne, die ihn selbst durch dichte Wolken zu quälen vermochte. Nur wenige Sträucher gab es, und ihre kümmerlichen Blätter warfen kaum Schatten, sie waren klein und beinahe verdorrt. Auch Felsen fand Gollum nicht, unter denen er sich hätte verbergen können. So blieb ihm nur, im Morgengrauen in der lockeren Erde ein Loch zu scharren und hinein zu kriechen und sich mit dem ausgehobenen Boden zu bedecken, so gut es ging, die Augen zu schließen und zu warten, bis die Sonne hinter dem Horizont versank. Auf diese Weise bekam er ein wenig Erholung von den Strapazen seiner Wanderung.

Die Braunen Lande trugen ihren Namen zu Recht. Das Gelände war trotz seiner Kargheit von einer ungesunden, bräunlichen Farbe – als habe einst ein Feuersturm alles Grün verbrannt und das Leben erstickt; zudem war es unwegsam und ließ einen Reisenden nur langsam vorankommen. Manchen Dorn musste Gollum sich aus seinen geschundenen Füßen ziehen und so manche Wunde trug er davon, die ein garstiger, vertrockneter Strauch ihm geschlagen hatte, wenn er nicht auf seine Schritte achtete. Aber nichts brachte ihn von seinem Weg nach Süden ab.
Selbst der Hunger nicht. Gollum hatte das letzte Mal im Düsterwald eine Mahlzeit zu sich genommen. Dort war ihm ein unachtsames Eichkätzchen in die Hände gefallen, er hatte es mit einem einzigen Griff getötet und roh verschlungen.

In den Braunen Landen waren es nur noch Käfer, deren er habhaft werden konnte. Sie schmeckten scheußlich, selbst für seinen Gaumen, weil ihre Panzer hart und bitter waren, und ihr Fleisch trocken und ekelerregend. Sie sättigten ihn nicht und er fühlte seine Kräfte schwinden.
Dennoch hastete Gollum weiter nach Süden. Die Schwäche, die ihn immer häufiger überkam, ließ ihn nur dann und wann ein wenig langsamer werden. Er gönnte sich einzig die Ruhe, die ihm das Tageslicht aufzwang; aber sie war kaum erquickend, weil er sehnsüchtig darauf wartete, dass die Stunden vergingen und er seinen Weg fortsetzen konnte.

Er fühlte sich einsam und verlassen, wie lange nicht mehr. Jahrhunderte hatte er unter dem Nebelgebirge verbracht, bar jeder Berührung mit anderen denkenden Kreaturen. Doch das war ihm gleichgültig gewesen und seine Einsamkeit war ihm nicht ins Bewusstsein gedrungen, denn er hatte seinen Schatz besessen. Der Ring hatte ihm zugehört, wenn er sprach und wenn Gollum ganz angestrengt gelauscht hatte, dann waren die Worte des Ringes für ihn so deutlich vernehmbar gewesen, das er glaubte, einen guten Freund bei sich zu haben. Er hatte den Ring berühren können und seine Wärme in der düsteren Kälte des Nebelgebirges genossen und sich geborgen gewusst.

Jetzt setzte ihm die Einsamkeit fast körperlich zu. War der Düsterwald noch von vielerlei Leben erfüllt gewesen, so zeichneten sich die Braunen Lande durch sein völliges Fehlen aus. Kein Vogel zog seine Bahnen am wolkenverhangenen Himmel, kein Reh streifte umher, nicht einmal eine Maus ließ das spärliche braune Gras rascheln.
Gollum war vollkommen allein ...
Bis er das erste Mal seit ungezählten Tagen auf andere Lebewesen traf. Schon von Weitem vernahm er die groben Stimmen einer Gruppe Orks, die unterwegs war und halbherzig ihrer Aufgabe als Patrouille nachging. Noch nie hatte es jemand gewagt über die sich weit erstreckende Ebene zu kommen, die auf die Dagorlad führte, und die am Morannon endete.

Weder Menschen noch Elben waren derart töricht. Sie verirrten sich nicht an das Schwarze Tor, denn der Pesthauch des Bösen lag über dem Land Mordor und vergiftete die, die er einhüllte.
Die Klugen mieden das Gebiet seit der Zeit des Letzten Bündnisses – vielleicht in der Hoffnung, das Land möge seinen Frieden finden, vielleicht aber auch, weil sie fürchteten, dass das Böse nur ruhte, und das es besser war, es nicht zu stören oder gar wieder zu wecken.
Ganz gleich welchen Grund sie alle hatten, sie hielten sich fern. So entging es den scharfen Augen der Elben und auch denen der Menschen, dass sich andere Wesen aufmachten, um das Verfluchte Land zu betreten ...

Finsteres Gezücht war es, aber auch Menschen aus Harad und anderen südlichen Landen, die sich von Sauron hatten verführen lassen und die furchtlose Krieger für seine wachsenden Heere stellten.
Auch Gollum zog es dorthin. Es spielte keine Rolle für ihn, dass er nicht wusste, an welchen Ort er ging. Er dachte nicht mehr über seinen Weg nach, hinterfragte nicht, ob es der richtige war ...
Nur eines schien wichtig: ein unerschütterliches Wissen – hinter den schwarzen Bergen lag die Erfüllung all seiner Wünsche! Dort würde er seinen Schatz finden.

Er wich den Orks aus, umschlich ihr Lagerfeuer so lautlos, dass ihre Ohren ihn nicht vernahmen. Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Fleisch, das über dem Feuer hing und köstlich duftete, aber er konnte nicht wagen, etwas davon zu stehlen, wenn die Orks zur Ruhe gekommen waren. Er wusste, dass es sehr wahrscheinlich war, selbst im Magen einer der schmutzigen Kreaturen zu landen, wenn sie ihn erwischten. Vielleicht würden sie ihn auch foltern ...
Gollum hatte lange in den Tiefen des Nebelgebirges verborgen gelebt, und auch als er noch unter der Sonne weilte, hatte er niemals einen Ork gesehen, aber es gab genug Geschichten über diese Wesen. Gollum kannte sie alle, denn als er jung, als er noch Smeágol gewesen war, hatte er den Erzählungen aus alten Tagen mit einem wohligen Schauer gelauscht. Keine der Geschichten hatte die Wahrheit wirklich getroffen, wie Gollum jetzt feststellen musste. Die Orks waren laut, grob und roh. Sie zankten sich untereinander, trugen zerissene Gewänder, starrten vor Schmutz und stanken erbärmlich. Sie geiferten sich an und fanden nichts dabei, in der Nähe ihres eigenen Dreckes zu verharren. Einzig die Waffen, die sie trugen, waren neu und scharf, und ihre Lederharnische eine ausgezeichnete Arbeit.

Gollum erhaschte einen Blick auf das Zeichen, das jeder Ork auf der Brustplatte seines Harnisches trug: ein rotes Auge – mit einer geschlitzten Pupille wie die einer Katze – in einem kleinen Kranz aus Flammen. Es wirkte erschreckend lebendig, fast so, als würde es sich jeden Moment regen und Ausschau halten. Gollum erschauerte, dann riss er sich von dem Anblick los und machte sich lautlos davon.
Die Spur der Orks war deutlich zu sehen, sie führte schnurstracks nach Süden, auf die große Gebirgskette zu, die Gollum sich zum Ziel gewählt hatte.
Er wollte dem zertrampelten Weg nicht folgen. Eine Gruppe Orks konnte leicht zu einer zweiten werden, und je mehr von ihnen in seiner Nähe waren, desto eher konnten sie ihn entdecken. Also beschloss Gollum, sich einige Zeit weiter gen Westen zu halten.