Arda Fanfiction

Das neue Archiv für Geschichten rund um Tolkiens fabelhafte Welt!

Auf das alles dem besten diene

von Dairyû

Chapter #1

Als der Himmel über dem Schlachtfeld sich jäh verdunkelte, war sie bereit. Bereit, dem namenlosen Schrecken zu begegnen, der in Gestalt einer abscheulichen Kreatur auf die Erde niederglitt. Doch auch wenn es ihr gelang, ihre Furcht zu bezähmen, so galt dies nicht für ihr getreues Ross. Windfola stieg auf die Hinterhand, kannte keinen anderen Gedanken, als die Flucht vor dem Entsetzen, das Menschen und Tiere ergriffen hatte ... Die Rohirrim wurden von ihren Pferden davon getragen oder lagen erschlagen in ihrem Blut, und auch sie fand sich einen Lidschlag später auf dem zertrampelten und besudelten Boden wieder.

Das Rauschen gewaltiger Schwingen erklang über ihr und dann senkte sich ein Schatten herab. Mit Entsetzen sah sie, wie sich scharfe Klauen in den Leib eines weißen Pferdes gruben, das nur wenige Schritte von ihr entfernt lag. Schneemähne, das Ross des Königs! Und noch etwas sah sie. Das Tier hatte seinen Reiter unter sich begraben, es wand sich im Todeskampf und besiegelte so das Schicksal seines Herrn.

Mühsam erhob sie sich, Tränen begannen ihren Blick zu verschleiern. Tränen der Wut und des Schmerzes, der Trauer ... die sich endlich eine Bahn suchten. Zu lange war ihr diese Erleichterung verwehrt geblieben, hatte sie gegen die Schwäche der Tränen gekämpft. Sie war immer schon stark und unbeugsam gewesen, hatte gelernt, die Waffen wie ein Mann zu führen, die Rösser ihres Volkes so zu beherrschen, wie die Krieger es taten. Sie hatte nach einer Aufgabe in der Welt Ausschau gehalten, die ihr Mut und Tapferkeit abverlangte, sie hatte etwas bewegen wollen; und den Wind auf dem Gesicht spüren, wenn sie über die Ebenen ferner Länder ritt und fremde Sterne unter einem anderen Himmel betrachtete.

Sie war wie eines der alten Rösser – sie brauchte die Freiheit des Körpers und der Seele, fühlte eine brennende Sehnsucht in sich, nach dem Unbekannten, das sie wie ein strahlendes Licht lockte und ihr Zufriedenheit versprach. Doch ihre Fesseln waren zu mächtig gewesen. Die Fesseln von Ritus und Recht, dem Althergebrachten und dem Beständigen. Denn sie war von einem entscheidenden Makel behaftet: dem, eine Frau zu sein. Ihre Bestimmung lag darin, Leben zu geben und nicht es zu nehmen, zu lieben und nicht zu hassen, demütig zu dienen und nicht zu herrschen ... Ja, man nannte sie Herrin und hielt sie in Ehren, aber man verweigerte ihr die Verantwortung eines Mannes in den Zeiten der Not.

Sie wusste, dass es nur ihrem Besten dienen sollte, und sie war dankbar für die Fürsorge des Königs, der sie liebte wie eine Tochter, für die Besorgnis ihres Bruders, der ihr Sicherheit und Geborgenheit schenken wollte. Sie alle handelten aus lauteren Motiven; aber es blieb ein unsichtbarer Käfig, der sie an Edoras und Rohan gebunden hatte. Einstmals hatte sie sich damit getröstet, dass ihr Leben leichter werden würde, wenn sie einen geliebten Gefährten an ihrer Seite wusste. Doch kein Mann hatte ihr Interesse geweckt. Umworben hatten sie viele, aber ihr Herz vermochte sie keinem zu schenken.

Bis ... Bis er kam. Aragorn. Vom ersten Augenblick an hatte er sie verzaubert. Mit seiner ruhigen Art, der gelassenen Würde seiner Worte und der Stattlichkeit seiner Gestalt. Mit dem Geheimnis, welches ihn umgab, der Weisheit, die aus seinem Blick sprach ... Hier war der Mann, dem sie sich bedingungslos anvertraut hätte. Der die Freiheit kannte, nach der sie sich sehnte. Der die Welt durchstreifte und ihr durch seine Taten ein neues Gesicht gab. Ihm wäre sie bis in alle Ewigkeit gefolgt; hätte sich in ihr Schicksal als Frau gefügt ...

Jedoch, das Glück war ihr nicht hold gewesen. Denn der Mann, den sie liebte, war einer anderen treu. Die Erkenntnis hatte sie getroffen wie der gnadenlose Streich eines Schwertes. Wie glühend beneidete sie diese Frau, die auch aus der Ferne vermochte, ihrem Geliebten nahe zu sein, ihm Kraft und Zuversicht zu schenken. Wie ein Stern leuchtete ihre Liebe auf dem Wege Aragorns und erhellte sein Herz.

Und so wurde ihres dunkel. Sie ergab sich dem Wissen, Aragorn niemals erreichen zu können. Es lag nicht in ihrer Art, ihm sein Glück zu missgönnen, und sie brachte es nicht über sich, Zorn für die andere zu empfinden, die dem gütigen Geschick danken konnte, welches ihr Leben derart gesegnet hatte. Sie hätte es ertragen können, wenn sie nicht auf zweifache Art abgewiesen worden wäre.

Vor wenigen Tagen erst war sie bereit gewesen, das Band der Liebe durch ein Band der Gemeinschaft zu vertauschen und sich Aragorn und seinen Gefährten auf dem gefahrvollen und ungewissen Weg zu den Pfaden der Toten anzuschließen. Aber wieder einmal war ihr bedeutet worden, dass ihre Hand für einen Schwertgriff zu zart und ihre Seele für einen Krieger zu rein sei. Dass sie die Herrin über die Goldene Halle sein müsse, während der König in die Schlacht zog. Eine ewige Litanei! So hatte sie beschlossen, ihr ein Ende zu machen, ganz gleich, was auch geschehen mochte. Und nun musste sie beweisen, dass ihre heimlichen Schwüre Bestand hatten. Unbeirrt ergriff sie das Schwert an ihrer Seite, hob ihren Schild und trat vor, um die Aufmerksamkeit ihres Feindes auf sich zu lenken.

Sie fühlte eine Woge des Zorns gegen sich branden, als der schwarzgewandete Krieger sich ihr zuwandte und mit Grabesstimme sprach. Seine Worte verschwammen in einem düsteren Nebel, der ihr die Sinne rauben wollte. Doch sie wappnete sich, vertrieb die Kälte und die Angst, die von ihr Besitz zu ergreifen trachteten. Sie war eine Schildmaid Rohans, kein furchtsames Kind, das sich mit Schauergeschichten erschrecken ließ! Entschlossen zog sie ihr Schwert. "Tu was du willst; aber ich werde es verhindern, wenn ich kann", entgegnete sie der geisterhaften Kreatur auf dem geflügelten Untier.

"Mich hindern? Du Narr. Kein lebender Mann kann mich hindern!" Worte, erfüllt von unerschütterlicher Gewissheit, drangen an ihr Ohr, getragen von der Stimme des Schwarzen Heermeisters, die aus einer anderen, finsteren und trostlosen Welt zu kommen schien. Eine Welt ohne Wärme und Mitgefühl, durchstreift von den Seelen der Verzweifelten und fremd. Doch war sie wirklich so fremd? Anders, als die Lande der Sterblichen, gewiss ... Aber auch vertraut, denn wo das Herz alle Hoffnung verloren hat, da schwebt der Geist in Dunkelheit, sehnt sich nach einem Ende des Schmerzes ... Sie lachte leise. Ihre plötzliche Erheiterung erschreckte sie selbst, aber sie konnte sich des unwirklichen und zugleich befreienden Gefühls nicht erwehren, das schauererregend durch ihre Eingeweide kroch. Hier, inmitten des Leides und des Todes und der Furcht, hatte sie ihre Bestimmung gefunden! Sie stand allein gegen einen Feind, vor dem die stärksten Streiter flohen oder mit gelähmten Gliedern zu Boden sanken. Sie allein ...

Sie spürte die böse Macht in dem verhüllten Krieger auf dem geflügelten Untier, welches mit seinem Gestank das Atmen schwer machte. Sie fühlte die erdrückende Schwärze auf ihrer Seele lasten, den stummen Befehl, sich dem Schatten zu ergeben. Doch lachend widersetzte sie sich den finsteren Künsten ihres Feindes, denn ihr Zauber war größer und älter, unerwartet ... Wie ein magischer Schild schützte er sie und die Worte kamen leicht von ihren Lippen.

"Aber kein lebender Mann bin ich! Du siehst eine Frau vor dir." Stolz und unverzagt sprach sie, und zum ersten Mal in ihrem Leben gab ihr dieses Wissen keinen Stich ins Herz, sondern stärkte sie. Es ließ sie dem Feind ins Angesicht blicken. Sie schrak nicht zurück vor der Leere, und dem Feuer, das in den funkelnden Augen ihres Gegners brannte. Sie war der Furcht entronnen, so wie sie nun ihrem früheren Leben entrinnen konnte, um ein neues zu beginnen – auch wenn es nur kurz sein sollte. Falls es nach dieser Schlacht noch Menschen gab, die einer Erzählung lauschen konnten, dann würden sie sich an die Frau auf den Pelennor-Feldern erinnern, dessen war sie sich gewiss.

Zufrieden gewahrte sie das Zögern ihres Gegners. Fast schien es, als habe die Überraschung seine Sinne für einen Lidschlag getrübt und seinen Entschluss, zu vernichten, wanken lassen. Doch der Augenblick des Bedenkens verging und unversehens erhob sich das Untier in die Höhe, um mit Klauen und zähnestarrenden Fängen anzugreifen. Sie wich nicht zurück, obwohl das Grauen greifbar nahe war. Statt dessen holte sie zu einem kraftvollen Hieb aus, der den Kopf der Bestie von ihrem langen Hals trennte.

In einem Wirbel von Flügeln und Gliedern fiel das Untier auf das Schlachtfeld hinab – und riss seinen Reiter mit sich. Ein kurzer Moment des Triumphes war ihr vergönnt, aber dann stand ihr Feind vor ihr, unversehrt und zornig über alle Maßen. So als raube dieser Zorn dem matten Tageslicht die Kraft, wurde es dunkel um sie, als der Schwarze Heermeister langsam auf sie zu schritt, eine schwere Keule in der Rechten.

Er war größer als je ein Mensch, den sie zuvor gesehen hatte. Flüchtig erinnerte sie sich an die Erzählungen von den Altvorderen, den Herren, die über das Meer gekommen waren, und Könige unter den Edain wurden. Dieser hier war ein König des Todes und des Verderbens. Er kannte kein Gnade, als er die Waffe erhob und auf sie niedersausen ließ. Ihr Schild fing die Wucht des Schlages auf, aber er zersplitterte und mit ihm brach ihr Arm. Schmerz durchflutete ihren Körper und nahm ihr den Atem.

Ihre Knie gaben nach. Mit Mühe verhinderte sie, dass sie vollends fiel. Feine Lichtblitze tanzten vor ihren Augen und verschwommen gewahrte sie den Schatten, der über ihr aufragte. Das war das Ende. Seltsamerweise war sie fast dankbar, dass ihr Feind sie nicht schonte. Welcher Krieger konnte sich schon rühmen, gegen Saurons schrecklichsten Diener gestanden zu haben und nicht zurückgewichen zu sein? Sie hob den Kopf, sah die Streikeule – und dann ging der Hieb fehl. Ihr Gegner wankte und ein unmenschlicher Schrei erklang.

Eowyn, Eowyn! hörte sie eine schwache Stimme rufen. Als breite, schwarze Schultern sich vor ihr neigten, riss sie mit letzter Kraft ihr Schwert in die Höhe. Die Klinge fuhr zwischen Krone und Mantel, dort, wo das Antlitz ihres Feindes hätte sein sollen. Sie warf sich voran, wollte ihr Werk zu Ende bringen. Ihr Schwert zerbarst mit einem hellen Klirren, Splitter streiften sie und rissen ihre Haut auf, doch sie nahm den Schmerz nicht mehr wahr, denn noch einmal erklang ein Schrei. Doch diesmal war es der Ruf eines sterbenden Wesens, dessen Seele in der Unendlichkeit verging.

Sie wollte diesem Ruf folgen. Es war ihr gutes Recht, das Leben aufzugeben und eine unbekannte Freiheit zu finden. Frieden erfasste ihr Herz, und Gelassenheit zauberte ein Lächeln auf ihre blassen Lippen. Sie ließ sich fallen. Die leeren Gewänder ihres vernichteten Feindes fingen sie auf. Der kalte und raue Stoff war das Letzte, was sie spürte und freudig ergab sie sich der Dunkelheit des Vergessens ...

***


© Heru Oktober 2004, überarbeitet 8/2019
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