Arda Fanfiction

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Der Ork der Königin

von jodancingtree

Schlaflos

Der Ork war unruhig. Das alte Steinhaus hielt ihn gefangen; er verspürte einen Drang, sich gegen die Wände zu stemmen, bevor sie einstürzten und ihn zerschmetterten. Doch selbst draußen fühlte er sich eingeschränkt; der Wald war zu klein, um ihn zu halten, und die Berge rings um sein Heim, die ihm wie schützende Bollwerke erschienen waren, als er zuerst herkam, waren Gefängnismauern geworden, die er durchbrechen musste, wenn er konnte.

Die ganze Welt ist zu klein für mich, dachte Canohando übellaunig, während er erine Tagesreise von Zuhause durch die Wälder wanderte. Er war nicht auf der Jagd; er machte sich nicht die Mühe, leise zu sein, aber ein Stück vor ihm saß ein kleines Tier in voller Sicht, ohne zu flüchten, als er näherkam. Sein Blick wurde scharf; ein Kaninchen, und ein großes - kein Jungtier, zu närrisch, die Gefahr zu erkennen.

Was fehlt dir, Geschöpf? Noch während er es beobachtete, bewegte sich das Kaninchen schwerfällig - in seine Richtung, nicht von ihm weg, Seine Ohren waren angelegt, und es taumelte. Langsam legte er einen Pfeil auf und spannte den Bogen; das Kaninchen machte einen weiteren, torkelnden Schritt auf ihn zu, Er ließ los, und sein Pfeil ließ das Tier erstarren. Es fiel und lag still, das Herz durchbohrt.

Er hob es nicht auf. Er stieß es mit seinem gestiefelten Fuß an, dann suchte er herum, bis er einen kräftigen Stock gefunden hatte. Damit grub er sorgsam ein flaches Loch in den Boden. Er schob den Körper in das Loch hinein, deckte ihn zu und stampfte die Erde fest. Er brachte eine halbe Stunde damit zu, Felsbrocken zu finden, die er über dem kleinen Grab auftürmte; dann wandte er sich endlich heimwärts.

Ein kleiner Zwischenfall, wenn auch unerfreulich, Manchmal geschah es, dass eines der wilden Tiere sich eine Krankheit einfing; es war eine Vorsichtsmaßnahme, ein solches Geschöpf zu töten, bevor sich die Krankheit ausbreitete, Man musste den Kadaver begraben, damit kein Raubtier davon fraß und das Böse weitertrug. In seiner augenblicklichen Laune kam Canohando die Sache allerdings vor wie ein schlechtes Omen.

Irgendeine Krankheit der Seele liegt auf mir, dachte er. Was nun? Ich werde mich nicht selbst erschlagen und in ein Loch springen! Er zog eine Grimasse. Ein Ork lebte sein ganzes Leben hindurch dem Tod zu nahe, um ihn freiwillig zu suchen. Ich werde fortgehen müssen, ehe das Übel sich ausbreitet

Der Gedanke fortzugehen nahm ein wenig Gewicht von seinem Geist, und sein Schritt wurde leichter. Fast noche ehe er sich fragte, wohin er wohl gehen würde, wusste er es bereits; er langte in seine Tunika und seine Hand schloss sich um den Juwel, der um seinen Hals hing, Er fühlte sich vertraut an und tröstlich.

Ich werde die Elbenkönigin suchen. Er hatte sie nie gesehen - Arwen Abendstern, die in Gondor herrschte, mit Elessar, dem König. Der Juwel war durch den Ringträger zu dem Ork gekommen, der ihn seinerseits aus der Hand der Königin erhalten hatte. Nicht gerade etwas, das man weiter verschenkte, aber Frodo hatte Canohandos Not gesehen und ihn ihm gegeben.

"Orks leben länger als Hobbits - du wirst ihn länger nötig haben als ich," hatte er gesagt. Manchmal fragte sich der Ork, wieso die Königin Neunfinger den Juwel gegeben hatte. Um ihm Trost zu geben, sagte er, aber es war Canohando nicht so vorgekommen, dass der Hobbit es nötig hatte, getröstet zu werden. Frodos Gesicht stieg vor seinem inneren Auge auf, umrahmt von zerzaustem, dunklen Haar, das er sich ständig aus den Augen strich. Augen von der Farbe des Himmels, Augen, die fröhlich tanzten oder weich wurden von Mitgefühl; Augen, die manchmal dunkel waren vor Furcht.

Frodo hatte sich zu Anfang vor dem Ork gefürchtet, und aus gutem Grund. Canohando war sich selbst nicht sicher gewesen, ob er dem Halbling aus der Dunkelheit folgen, oder ob er sich im Zorn erheben und ihn vernichten sollte. Es wäre so einfach gewesen, ihn zu vernichten! Teilweise war es Neunfingers Mut gewesen, die die Hand des Orks aufhielt; Frodos Augen verrieten ihn und der Geruch der Angst, aber sein Gesicht war ruhig und er behauptete seine Stellung, auch wenn sein Herz vor Entsetzen erbebt sein mochte. Mut und Mitgefühl; in den tausend Jahren seines Lebens war Canohando eine solche Mischung noch nicht begegnet. Mitgefühl allein hätte er als Weichheit verachtet, aber Frodos Mut verlieh ihm einen stählernen Kern, und Canohandos Widerstand war davor zusammengebrochen.

Der Ork lächelte; die Erinnerung an Frodo wärmte ihm das Herz, wann immer er an ihn dachte. Neunfinger war ein einziges Mal in die Berge gekommen, mit dem alten Mann, dessen Diener er war - oder vielleicht war der alte Mann der Diener gewesen. Canohando hatte das nie zufriedenstellend heraus gefunden. Gekommen waren sie jedenfalls, und die Orks hatten Frodo auf eine Bärenjagd mitgenommen. Hinterher hatten sie zusammen das Herz des Bären gegessen; nach den Regeln der Berge hatte sie das zu Brüdern gemacht. Aber Neunfinger war diesem Ritus gefolgt, indem er sein Messer herauszog und sich in die eigene Hand schnitt, so dass sie blutete - er hatte Canohando und Lash zum Bruderschaftsritus seines eigenen Volkes eingeladen. Canohando trug die Narbe noch immer auf seiner Handfläche, dort, wo sich ein Blut mit dem des Halblings vermischt hatte.

Wie es meinem Kümmerling ähnlich sieht, dachte der Ork jetzt, dass sein Pakt der Bruderschaft von ihm verlangt, sein eigenes Blut zu vergießen. Und wie ähnlich sieht es uns, dass unser Blut vom Tod eines anderen Geschöpfes stammt.

Als er Frodo und dem alten Mann zum ersten Mal begegnete, war Canohando einer von drei Orks gewesen, die den Fall Saurons überlebt hatten. Jetzt waren sie vier, aber einer der ursprünglichen drei war in der Schlacht gefallen, erschlagen, weil er sich in den Weg warf, um Canohando mit seinem eigenen Leib abzuschirmen. Das war der Grund gewesen, weshalb Canohando Trost brauchte, weshalb Neunfinger ihm den Juwel geschenkt hatte. Die Erinnerung an Yarga, der qualvoll starb, und an einen Strom von Blut -

Canohando presste den Juwel gegen seine Stirn. Etwas, das der alte Mann gesagt hatte, gab ihm die Hoffnung, dass Yarga seinen Frieden gefunden hatte, irgendwo, irgendwie. Und Lash lebte noch, Lash und seine beiden Söhne; sie warteten zuhause auf ihn. Lashs Weib war vor Jahren gestorben; sie war eine Frau aus Núrn gewesen, mit der kurzen Lebensspanne der Menschen. Lash hatte um sie getrauert, aber nicht auf die selbe Weise, mit der Canohando noch immer um Yarga trauerte; Lashs Söhne waren ihm Trost genug gewesen.

Ungezählte Jahre hatte Arwens Juwel Canohando Frieden gebracht, aber nun nicht mehr. Seit dem Frühling schlief er schlecht, wachte nachts auf und wanderte unter den Sternen umher; er hungerte nach etwas, dem er keinen Namen geben konnte. Die Jagd bedeutete keine Freude mehr für ihn, sein Essen verlor den Geschmack - sogar die Musik hatte die Macht verloren, sein Herz zu erheben. Er trug seine Trommel aus Gewohnheit mit sich herum, und um Yargas Willen - Yarga hatte sie ihm geschenkt - aber er hatte seit Monaten nicht mehr darauf gespielt.

"Ich werde die Elbenkönigin suchen," sagte er laut, und es war, als hätte er sich in einer schwarzen Nacht in der Steppe verirrt, und der Mond wäre in all seinem Glanz aufgegangen, um ihm den Weg zu weisen. So hatte er sich in seiner Jugend gefühlt, wenn man ihn unter Schlägen und Flüchen aussandte, um eine Botschaft quer durch das Ödland zu tragen - bis er gelernt hatte, sich seinen Weg von Barad-Dûr zu den weit verstreuten Außenposten und Festungen mit Hilfe der Sonne und der Sterne zu suchen. Er wusste nicht, wo die Königin zu Hause war, aber es war in Gondor, und den Weg nach Gondor konnte er finden. Danach würde er auf sein Glück vertrauen müssen. Leih mir dein Glück noch einmal, Kümmerling, so, wie damals, als wir den Bär getötet haben.

Ohne Vorwarnung wurde er von einer großen Sehnsucht gepackt, Frodo wiederzusehen. Er war in dem Jahr, als Lashs Frau starb, nach Gorgoroth zurück gekehrt; ihr Tod erinnerte ihn daran, das diese menschlichen Geschöpfe ein betrüblich kurzes Leben hatten, und er fürchtete sich. Aber Gorgoroth hatte sich sehr verändert; die Wüste war zur Grasebene geworden, die Wasserrinnsale zwischen den Felsen waren nun strömende Flüsse, von Weiden und Brombeerbüschen gesäumt. Das Land wieder herzustellen war die Aufgabe gewesen , die Neunfinger und der alte Mann sich gestellt hatten, und sie war eindeutig beendet. Vielleicht waren sie nach Hause gegangen.

Wenn er die Elbenkönigin fand, konnte sie ihm sagen, wie er das Auenland erreichte? Und wenn er die Heimat des Halblings fand, würde Frodo dort sein?

Zuerst Gondor, und dann das Auenland. Er fiel in Trab; erst einmal würde er nach Hause zurückkehren müssen. Er konnte nicht fortgehen, ohne Lebewohl zu sagen.

Lash betrachtete ihn nüchtern von der anderen Seite des Tisches. "Hast du die Menschen von Ithilien vergessen? Sie werden dich erschlagen wegen diesem Ding um deinen Hals, wenn schon aus keinem anderen Grund."

Canohando befingerte den Juwel an seiner Kette.

"Du könntest aufhören, ihn zu tragen," sagte Lash.

"Mein Kümmerling hat ihn mir mit eigenen Händen umgehängt. Es wird nicht meine Hand sein, die ihn abnimmt. " Er stand auf, um mehr Holz auf das Feuer zu legen. "Glaubst du, Neunfinger hat dem König nicht gesagt, dass er ihn mir geschenkt hat? Er würde sein Versprechen nicht brechen."

"Es ist nicht der König, der an der Grenze Streife geht, und es ist viele Winter her, dass der Ringträger uns verlassen hat," sagte Lash. "Inzwischen mag es einen neuen König in Gondor geben."

"Vielleicht. Aber die Königin ist elbisch; sie ist sicher nicht gestorben. Ich muss gehen, Lash! Ich kann hier nicht länger bleiben, ich bin so rastlos wie eine Katze auf einem Baum! Falls die Menschen von Ithilien mich erschlagen, dann gibt es immer noch drei Orks in Mordor."

Lash seufzte. "Wenn du überlebst, kommst du dann wieder?"

Canohando starrte ins Feuer. Nach einem Moment setzte er sich auf die Bank, Schulter an Schulter mit dem anderen Ork. "Ich glaube nicht, dass ich wiederkommen werde, Lash. Wenn ich überlebe, dann gehe ich noch weiter als bis Gondor. Ich würde gern das Auenland sehen."

"Das Auenland." Lash schüttelte den Kopf. "Denkst du, dass Neunfinger immer noch dort lebt, und dass du ihn dort findest? Der Braune ist nie zuückgekehrt, um uns Nachrichten von ihm zu bringen."

"Wer kann das sagen? Ich weiß nicht, wie lange Hobbits leben. Wenigstens werde ich sein Land sehen, wenn ich es finde. Vielleicht kann mir die Königin erzählen, wo es liegt, falls ich lebendig in ihre Gegenwart gelange."

Nicht einmal Lash gegenüber würde er eingestehen, wie er sich danach sehnte, Frodo - noch immer lebendig - im Auenland zu finden; dass seine Augen aufleuchteten und ihn Willkommen hießen. Es ist die Hoffnung eines Narren, warnte er sich selbst im Stillen. Es ist zu lange her; inzwischen ist er ganz sicher tot.

Aber er konnte sich selbst nicht davon abhalten, zu hoffen.

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