Arda Fanfiction

Das neue Archiv für Geschichten rund um Tolkiens fabelhafte Welt!

Geboren aus Feuer

von Dairyû

Chapter #1

Wie so oft in den letzten Tagen tobt ein Gewittersturm über den mächtigen Berg, der den Namen Orodruin trägt. Blitze erhellen den düsteren Nachmittagshimmel und zucken durch die aufgetürmten Wolkenmassen, die tief über dem zerklüfteten Krater des alten Vulkans hängen.
Donner grollt so laut, dass man meinen könnte, er bringe die Erde in ihren Grundfesten ins Wanken.
Ich hebe mein Gesicht und schaue in den verfinsterten Himmel, der nur ein großer, grauschwarzer Ausschnitt ist, den meine Augen erblicken können, denn der Kraterrand liegt noch ein gutes Stück über mir und verengt sich zur Spitze hin etwas.

Regentropfen beginnen zu fallen. Zischend verdampfen sie auf dem heißen Gestein ... auch auf meiner erhitzten Haut werden sie zu kleinen Rauchwölkchen; aber als der Regen stetiger strömt, durchnässt er meine Gewänder und kühlt meinen Körper.
Im Krater wird die Luft stickig und beklemmend, wo sie zuvor nur heiß war.
Ich ziehe mich in die größte der Sammath Naur zurück. Auch hier schwebt nun dichter Dampf in der Luft, weil das Regenwasser durch winzige Risse in den Berg hineinkriecht und die dunklen Felswände benetzt.

Mit einer Hand streife ich mir einige feuchte Haarsträhnen aus der Stirn, während mein Weg mich weit nach unten auf einen schmalen Felsvorsprung führt, der über den Schicksalsklüften endet, deren Flammen ihn wie ein rotes Meer umwogen.
Meine Arbeit wartet auf mich. Bis ich sie nicht getan habe, wird mein Herz voller Tatendrang sein.
Das grobe Geröll auf der Mitte des Vorsprungs, hoch aufgeschichtet und zusammengehalten durch einen mächtigen Zauber, ist mein Amboss. Das weißglühende Feuer an seinen Rändern ... eingefangen in feinen Brocken aus schwarzem Gestein ... meine Esse. Der Wind, der über ihn hinwegfegt, gespeist von den Stürmen, die um den Berg toben und immer einen Weg hinein finden, seit ich mit meinem Werk begonnen habe, die Kühle, die es braucht, um Metall zu schmieden.

Jetzt streicht ein Windhauch über meinen Körper und erfrischt meine müden Glieder, aus denen auch die Ruhepause, die ich mir vor Kurzem gestattet habe, die Schwere nicht gänzlich vertreiben konnte. Aber obwohl ich eine solche Schwäche nicht gewohnt bin, zahle ich gerne den Preis für eine Gestalt aus Fleisch und Blut; wiegen die Vorteile doch weit mehr, als jede Last, die mir dadurch auferlegt wird.
Ich ergreife einen feinen Hammer aus Mithril-Silber, der im Feuerschein des Berges schimmert, als sei er mit Blut befleckt.

Dann nehme ich die lange Zange, die in losem, glühenden Gestein steckt, ziehe sie vorsichtig hervor und betrachte den unscheinbaren Ring, dessen sanftes Leuchten und goldener Glanz meine Augen erfreut und mein Herz mit Zufriedenheit erfüllt.
Kurz überlege ich, den Hammer noch einmal zu gebrauchen, da beginnt sich der Ring zu regen.
Schnell sind Hammer und Zange beiseite gelegt und ich halte mein Kleinod in den Händen. Der Ring ist von angenehmer Wärme, aber gleichzeitig brandet roh und ungeformt böse Zauberei durch den goldenen Reif und findet Ausdruck in kleinen, weißen Flammen, die über seine feine Oberfläche züngeln.

Fast spielerisch springen sie auf meine Finger über und verharren dort, leise knisternd und zuckend. Ich spüre das weiße Feuer nicht, wie man ein Feuer spüren sollte, denn es ist nicht heiß, jedoch weich wie eine zarte Berührung.
Der Ring wartet sehnsüchtig auf mich, er schmeichelt und drängt ...
Ich führe ihn an meine Lippen und hauche einen Kuss auf das wunderschöne Gold, damit es erwacht.
Ein ohrenbetäubender Donnerschlag erschüttert den Krater.

Das Gewitter hat seinen Höhepunkt erreicht; aber nicht das bringt mich zum Wanken. Es ist der Ring, der mit einem Mal an mir zerrt wie ein lebendiges Wesen, und tatsächlich ist es Leben, das nun durch ihn fließt, denn ich gebe ihm von meiner Kraft, damit er einen eigenen Willen erhält und wie ein dunkler Zwilling für mich ist.
Meine Gedanken werden ihn erfüllen, er wird mir dienen, wie der jüngere Bruder dem älteren, der die Herrschaft innehat. Ich spüre, wie der Geist des Ringes wächst und wenige Augenblicke später ist seine Gier so stark, dass er einem Sterblichen das Fleisch von den Knochen und die Seele aus dem Körper reißen würde, um beides zu verschlingen und an Kraft zu gewinnen.
Für mich jedoch bedeutet dies, dass mein Werk ein vollkommenes sein wird ... wenn ich es gänzlich vollendet habe.

Ich betrachte den glatten Reif, der nun kühl ist, obwohl ich ihn erst vor Kurzem aus dem Feuer genommen habe. Ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht, weil ich die Einzigartigkeit des Ringes deutlich sehe.
Ich habe ihn nicht gegossen, so wie es üblicher Weise getan wird, denn keine Form ist fein genug, um seiner würdig zu sein. Er wurde geschmiedet, wie man ein Schwert schmiedet und all mein Geschick liegt in dieser Arbeit. Ich habe Tage und Nächte damit verbracht, um aus dem reinsten Stück Gold, das ich jemals erlangen konnte, diesen Ring zu erschaffen. Nur wenig fehlt noch, dann ist mein Werk vollbracht ...

Laut beginne ich zu singen und eine Melodie steigt auf. Schön und beruhigend fließt sie dahin, von großer Klarheit getragen; ein mächtiger Elbenzauber ist es, den ich webe ... doch wird er eine Wirkung zeigen, die seine Schöpfer ihm niemals zugedacht haben.
Die ahnungslosen Narren Eregions haben ihn mir verraten, und nun richtet er sich gegen sie.
Ohne Zweifel dürfen sie sich Schmiede nennen, denen in Mittelerde niemand gleich kommt, aber so groß ihre Kunstfertigkeit ist, so groß war auch ihre Verblendung, als ich mich unter sie mischte und mein Wissen in ihren Dienst stellte, nur um sie zu bewegen, mir ihres zu offenbaren. Nun kann ich es einsetzen zu ihrem und dem Verderben aller.

Mein Gesang wird allmählich leiser, bis er ganz verklingt. Durch ihn forme ich die ungebündelten Kräfte des Ringes. Sein Gold flackert für einen Moment in allen Farben des Regenbogens und ich weiß, dass er bereit ist gefüllt zu werden wie ein großer Kelch. Doch hier ist es nicht Wasser oder Wein, sondern Macht, die fließen wird.
Der Ring lauscht und ich spreche die entscheidenden Worte: "Herrschen wirst du, mein Kleinod, weil es mein Wille ist ... Herrschen über deine Brüder und Schwestern Vilya, Nenya, Narya, Mornië, Naicë, Mandë, Caurë ..." Feierlich und langsam nenne ich die Namen aller Ringe, die unter meinem Einfluss geschmiedet wurden.

Die Drei haben ihre Namen von den Elben erhalten, die Sieben und die Neun jedoch sind namenlos für die Welt ... nicht aber für mich, denn ich wählte heimlich bedeutsame Worte, um sie zu benennen. Nur mir allein sind sie bekannt; so habe ich dafür gesorgt, Herrschaft über die Ringe zu gewinnen, wenn es an der Zeit ist.
Der Eine wird sich stets an ihre Namen und das Wesen, das in ihnen wohnt, erinnern, und er und ich werden nicht eher ruhen, bis wir sie uns alle untertan gemacht haben, damit die Welt in Finsternis versinkt.

Meine Heere stehen bereit, sie füllen die große Ebene vor dem Dunklen Turm und warten nur noch auf meinen Befehl, um Krieg nach Eregion zu tragen. Dort verwahrt Celebrimbor die Ringe der Macht ... doch bald werde ich sie mein Eigen nennen können und ihrer wahren Bestimmung zuführen.
Die Herzen der Menschen, denen ich sie geben werde, sollen verderben und ihre Seelen verdorren, sie werden dem Bösen verfallen, der eine früher, der andere später; aber keiner von ihnen wird seinem Schicksal entgehen.

Auch die Zwerge, in ihrer Gier nach Reichtum, werden sich den Ringen nicht verschließen, denn durch ihre Hilfe lässt sich umso mehr Geschmeide und edles Metall aus den Tiefen der Erde reißen.
Und die Elben?
Mit ihnen wird es schwerer werden, als mit den sterblichen Wesen.
Sie sind Gesegnete, rein und weise.
Aber sie sind nicht unschuldig; nicht mehr, seit sie untereinander Blut vergossen haben närrischer Eide wegen und aus falschem Stolz.
Das ist ihre Schwäche und mein Vorteil. Denn eine schlechte Tat zieht die andere nach sich, mag sie auch noch so gering sein.

Die Elben haben von ihrem Glanz verloren, sie selber wissen es am besten. Ihre Zeit in Mittelerde neigt sich dem Ende zu.
Dennoch ... die Drei zu beherrschen wird eine große Herausforderung sein, der ich mich mit Freude stellen werde.
Schon jetzt fiebere ich dem Moment entgegen, an dem ich mich denen offenbare, die einen Ring der Macht besitzen. Die Erkenntnis und das Entsetzen in ihren Augen werden mich berauschen. Sie werden sich den Tod wünschen ... aber für sie wird es keine Erlösung geben. Ich lege den Einen auf meine Handfläche.
Er wirkt so unscheinbar und harmlos, einfach und ohne großen Wert, und doch ist er der Schlüssel zur Allmacht.

Meine Finger streicheln ihn, und wir beide genießen es.
"Geboren aus Feuer und Zauberei bist du", flüstere ich rau. "Schön und verlockend, dabei tödlich wie ein gutes Schwert. Du bist die Verdammnis für meine Feinde und du wirst die Welt in ihrem Innersten erschüttern!"
Der Ring bebt, so wie es der Berg tut, und ich höre ihn zur Antwort leise wispern. Trotzdem durchdringt seine Stimme alles, denn sie ist meine Stimme ... gewaltig, machtvoll, uralt, und in vielen Zungen kann sie reden. Aber dies ist meine eigene Sprache. Sie kündet von großen und schrecklichen Taten und einer Zukunft, die mir gehören wird.

Denn nun ist der geschaffen, der alle anderen beherrscht.
Das Wispern des Ringes wird lauter und er beginnt in meinen Fingern zu pulsieren, nimmt den Schlag meines schwarzen Herzens auf und teilt den Triumph mit mir. Wir sind eins, der Ring und ich, denn ich habe ihm einen Teil meiner Seele gegeben, auf dass er mächtig ist, wächst und Kraft sammelt, um sie mir zu schenken.
Schon spüre ich, wie er sich regt, damit er seine Aufgabe erfüllen kann.
Auf dunklen Schwingen schwebt sein böser Wille über die Länder und Völker Mittelerdes. Er sucht nach den Sterblichen, die mächtig und hochmütig sind. Gerade ihr Wille kann gebrochen werden, denn sie sind wie alle Menschen, niemals zufrieden mit dem, was sie besitzen ... nur geboren, um der Verführung zu erliegen.

Wie weise war Ilúvatar, als er die Kinder der Sonne erweckte!
Ich kann nicht umhin, laut aufzulachen, sosehr finde ich Vergnügen daran, in den Werken Ilúvatars und der Valar Unzulänglichkeiten zu entdecken, die mir zum Vorteil gereichen.
Meine Diener und Knechte sollen die Menschen sein eines Tages, und meine Armeen, und ihr Neid und ihre Gier soll sie in meine Fänge treiben.
Auch die Gesegneten unter ihnen, denen die Götter ein Heim im Westen gegeben haben, werden mir nicht entrinnen, denn schon regt sich Unmut und Unzufriedenheit unter ihnen und sie erheben sich gegen ihre Herren und Meister.

In ihrem Stolz dulden sie niemanden über sich, sie begehren auf, wollen ihres Schicksals Schmied sein und an Herrlichkeit und Weisheit den Valar gleich.
Doch nicht einmal den Elben werden sie jemals gleichen können; denn sind die Menschen auch stark an Körper und Geist und beschenkt mit einem scharfen und wissbegierigen Verstand, so sind ihre Seelen doch schwach und verwundbar.
Ein Leichtes wird es sein, die Menschen zu unterwerfen.
Ich bin ein Meister der Täuschung, des Schmeichelns und des Verlockens.
Auch die Elben erlagen meiner edlen Gestalt und meinen schönen Reden, und ließen mich Teil haben an ihren Geheimnissen. Sie gaben mir alles und ich ihnen nur wenig. Nun danke ich ihnen ihre Güte auf meine Weise.

Ein Gefühl unendlicher Befriedigung durchströmt meine Glieder, das mich trunken macht. Ich lache und der Berg antwortet, indem sein Feuer hoch auflodert und braust wie ein Sturm, der alles verschlingen will.
Wie zarte Finger liebkosen mich die Flammenzungen aus den Schicksalsklüften. Gnädig lasse ich es geschehen; kein Feuer dieser Welt vermag mich zu verbrennen, denn Zauberei schützt meinen vergänglichen Körper. Und so darf auch der Berg von meiner Erhabenheit zehren ... er hat ein Anrecht darauf, denn sein unerforschliches Feuer ist der Ort, an dem alles beginnt, nachdem ein Letztes getan worden ist.
Ich trete vor bis an den Rand des rissigen Felsvorsprungs, der weit in den Krater hineinreicht, und der mir bei meiner Arbeit so trefflich gedient hat.
Alles ist mir untertan in meinem Reich und süß ist das Wissen um meine Macht, die ich nun ins Unermessliche vergrößern kann.

Als ich die Arme hebe und die Hände ausstrecke, verklingt das Grollen des Berges, seine Flammen sinken zurück in ihren feurigen und brodelnden Ursprung tief unter mir und nur noch das Klagen des Windes ist zu vernehmen. Aber bald schweigt auch er; erstarrt in Furcht und unheiliger Erwartung.

Ich schließe meine goldenen Augen, aber dennoch sehe ich alles und blicke in das Herz der Finsternis, die immer war und immer sein wird, von der ich erhalte, was ich begehre und die mich umfängt, denn aus ihr bin ich gekommen ... nicht geboren, aber erschaffen; so wie der Ring in meinen Händen von mir erschaffen wurde.
Wir beide werden das fortführen, was seit Anbeginn der Zeit den Lauf der Welten bestimmt hat ...

Ich spreche nur ein Wort der Macht und es wird von den hohen Wänden des Berginneren tausendfach zurückgeworfen, der Laut schwillt an und verebbt nach einer Weile. Ich öffne meine Augen, die nun glühen wie der rote Abgrund unter mir. Mit ihnen sehe ich die finsteren Gewalten, die um mich herum schweben und danach lechzen, meinen Willen zu erfüllen.
So sei es denn ...
Eine einzige Flamme schießt hervor. Sie ist so heiß, dass selbst ich die Hitze auf meinem Gesicht spüre, und die Lanze aus Feuer berührt den Ring zwischen meinen langen Fingern, deren spitze Nägel zu schwelen beginnen. Laut rufe ich noch einmal ein Wort der Macht und dann formt sich Buchstabe für Buchstabe in dem glatten, schimmernden Gold des Ringes.

Schnell läuft die Schrift voran; zuerst auf der äußeren Seite, dann auf der inneren.
Schließlich ist sie vollendet, eingebrannt durch das gleißende Feuer, dessen Wärme sie in sich birgt. Sie wird niemals schwinden, solange ich den Ring trage, denn auch ich bin von Feuer erfüllt. Noch verberge ich es in der Gestalt, die ich mir gegeben habe, weil sie meinen Zwecken von Vorteil ist und es mir nur wenig Mühe bereitet, als Mensch edlen Angesichts unter die Augen der Welt zu treten, die durch schönen Schein betrogen werden will.
Elbische Zeichen sind es, die auf dem Ring leuchten in einem Rot, das glimmt wie verlöschende Asche. Ich habe sie gewählt zum Hohne der Unsterblichen; lieblich sind die Striche für das Auge in ihrer geschwungenen und feinen Art, aber hässlich ist das, was sie verkünden und allen prophezeien sollen, seien es Menschen, Elben, Zwerge, Orks ...

Meine Lippen formen Laute, die den Ohren aller freien Lebewesen weh tun ... für mich jedoch sind sie Musik und so lausche ich meiner Stimme; sie allein erfüllt den Berg, denn er schweigt noch immer ...

Ash nazg durbatulûk,
Ash nazg gimbatul,
Ash nazg thrakatulûk,
Agh burzum-ishi krimpatul

... und als Echo höre ich das Flüstern des Ringes, der diese Worte wiederholt, während ich den Felsvorsprung entlang auf die schmale Spalte zuschreite, die aus der größten Kammer des Feuers hinausführt.

Der Berg erzittert unter meinen Füßen. Er grüßt seinen Gebieter und ich freue mich darauf, sein Feuer zu sehen, wenn ich auf den Zinnen Barad-dûrs stehe, um mein Reich zu überblicken, dessen Grenze nach Westen bald nicht mehr das Schattengebirge sein wird.
Es gilt viele Länder zu erobern; Eregion ist lediglich der Anfang eines Feldzuges, der ganz Mittelerde mit Krieg und Tod überziehen wird.
Tod und Zerstörung sind meine Gefährten, so wie Schmerz und Leid ... aus ihnen lasse ich eine Welt entstehen, die ich allein beherrsche, und wer unter meinem Schatten wandelt, der wird in Verzweiflung verloren sein und sein Schicksal verfluchen.

Als ich schließlich den Berg verlasse und nahe unter seinem Gipfel auf einem ausladenden Felsmassiv stehe, lässt ein schwacher Schimmer aus rotgoldenem Licht erahnen, dass die Sonne im Westen hinter dem Schattengebirge versinkt. Das Gewitter tobt jetzt über den fernen Bergen, während am Himmel über mir einzelne graue Wolkenfetzen vorüberjagen, getrieben vom Nordostwind aus Rhûn.
Die Luft ist klar und von einem würzigen Duft erfüllt, der aber bald wieder dem beißenden Rauch weichen muss, wenn der Orodruin seinen heißen Atem ausspeit. Die ersten Sterne beginnen zu funkeln.

Die Dunkelheit bricht schnell herein und bald wird sie wie ein ewiger Schatten über meinem Reich liegen. Es wird eine Finsternis ohne Sterne sein und auch kein Mond wird scheinen. Mein Geist wird eines Tages alles Licht Mittelerdes erdrücken.
Die Kinder der Sonne werden mir dienen oder ins Verderben stürzen; die Wahl liegt bei ihnen. Die Kinder des Mondes werden ihren Weg nach Westen fortsetzen, wenn Klugheit sie leitet, denn auch sie sind dann nicht mehr stark genug, um gegen mich zu bestehen, wenn ich mit dem Einen an meiner Hand meine Heere gegen sie führen werde.
Die, die bleiben, werde ich zu meinen Sklaven machen, wohl wissend, welche Qual meine bloße Gegenwart für sie bedeutet.

Ich gestehe mir ein, auf Widerstand zu hoffen ... ein leichter Sieg über die freien Völker wäre ein schaler Sieg und meiner nicht würdig. Ich will die Erde mit dem Blut der Starken tränken, denn wer immer die Waffe gegen mich erhebt, wird der Vernichtung anheim fallen. Niemand ... weder Elb noch Mensch, noch Zwerg oder gar ein erhabeneres Wesen ... soll es ungestraft wagen, meinem endgültigen Triumph und Ziel im Wege zu stehen: Ich werde das Lied der Ainur beenden, das vor langer Zeit begonnen wurde. Dann wird das Chaos herrschen, die Ordnung, welche die Welt zusammenhält, vernichtet sein, und über allem wird meine dunkle Glorie schweben.

Als mächtigster Widersacher werde ich Eru ins Gesicht lachen können.
Ein wohliger Schauer durchdringt meine Glieder, während sich diese berauschenden Gedanken vor meinen Augen zu Bildern formen, die verlockender nicht sein können. Doch schnell verdränge ich sie. Gefühle machen schwach und verwundbar.
Ich bin beides nicht, werde es nie mehr sein, weil ich nun den Einen habe.
Noch immer flüstert der Ring die Worte der Wahrheit. Er drängt mich voller Erwartung.
"Bald, mein Schatz", antworte ich ihm mit beruhigender Stimme.

Was sind schon Jahrhunderte oder Jahrtausende für mich, dem die Zeit nichts anzuhaben vermag? Ich kann mich vieler Eigenschaften rühmen; die Geduld ist eine der wichtigsten. Spät habe ich sie gelernt, aber nun wird sie mir gute Dienste leisten.
Ich wende mich dem Dunklen Turm zu. Sein schwarzer Schatten ragt über der Ebene von Gorgoroth auf, als Zeichen meiner Macht und Größe.
Es braucht nur einen Gedanken und dann stehe ich auf der Spitze Barad-dûrs. Oftmals verweile ich hier oben, lasse meine Augen schweifen, sich am Anblick all dessen erfreuen, was mir gehört ... und was ich eines Tages besitzen werde.

Gedankenverloren spiele ich mit dem Ring in meiner rechten Hand und plötzlich gleitet er auf meinen Finger. Ein wenig überrascht bin ich über dieses unerwartete Zeichen eines eigenen Willens, aber gleichzeitig unendlich stolz. Der Ring steht seinem Meister in nichts nach.
Ich spüre seine Zufriedenheit, welche die meine ergänzt, und merke, wie er sich an meine Haut schmiegt; er kann seine Größe verändern und passt wie angegossen. Die Schrift auf ihm leuchtet. Sie übertrifft das Funkeln der Sterne, die nun wie gerade entzündete Fackeln am dunkler werdenden Himmel erscheinen.
Der Ring übertrifft alles!
Ihn das erste Mal zu tragen schafft ein Gefühl der Erhabenheit, wie ich es nie zuvor gekannt habe.
Ich genieße es mit geschlossenen Augen, bis es verebbt; aber immer werde ich mich an diesen einzigartigen Moment erinnern.
Was kann mich jetzt noch aufhalten ...?
© Heru/Dairyû März 2003, überarbeitet 11/2006, 1/2016 Tja, auch Betrüger werden manchmal betrogen. Ich gebe es zu. Ist 'ne Meise, immer auf bestimmten Aspekten des HdR herumzureiten. Aber schließlich sind die Ringe ja titelgebend und kommen im HdR ein bisschen zu kurz, wie ich finde. Und dass ich weniger mit den strahlenden Helden anfangen kann, sollte sich herumgesprochen haben ... Ich konnte meine "unds" natürlich nicht richtig im Zaume halten. Ich liebe sie einfach. ;) Sammath Naur = Kammern des Feuers Mornië = Dunkelheit Naicë = Schmerz Mandë = Verderben Caurë = Furcht
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