Arda Fanfiction

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Das Haus mit den Zedernschindeln: Ein verschollenes Prinzchen

von Cúthalion

Chapter #1

„Elboron?”

Die Kinderfrau stürmte mit flatternden Röcken aus dem Zimmer, ihr Gesicht eine Studie aus überraschtem Zorn und mehr als nur einer Spur von Schrecken.

„Elboron? Um Himmels Willen, wo bist du, Junge?”

Besagter Junge befand sich kaum 20 Meter entfernt von ihr, wohl versteckt hinter einer Säule. Er trug weiche, leichte Baumwollhosen, Wildlederstiefel und ein loses Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Er hatte die tiefgrauen Augen seines Vaters und seine regelmäßigen Züge geerbt – die schöne Struktur der Knochen lag noch unter den letzten Überresten von Babyspeck verborgen – aber sein Haar war nicht ebenholzdunkel, sondern statt dessen blond wie blasser Flachs. Sein Vater nannte es die Mähne von Rohan (was seine Frau und seinen Sohn unfehlbar zum Lachen brachte), aber gerade jetzt war der letzte Spross einer langen, edlen Reihe gondoreanischer Truchsessen ziemlich finsterer Laune.

Der König hatte die Absicht, den Hof von Ithilien zu besuchen, und die Frauen (seine Kinderfrau eingeschlossen) spielten schon seit Tagen verrückt. Elboron hatte die Chance genutzt und die Flucht ergriffen, als er herausfand, dass er drohte, gebadet, gekämmt und in feine, maßgeschneiderte Kleider aus Samt gesteckt zu werden (die Anprobe allein war für beide Seiten schon eine Tortur gewesen). Er hielt die engen Hosen, das Seidenhemd und die reich bestickte Weste für sehr unbequem und entschieden unmännlich. Seine Mutter, die Weiße Herrin, Frau des Fürsten von Ithilien, hatte versucht, ihn mit der Aussicht auf einen langen Ritt mit ihr zu trösten, sobald der König nach Minas Tirith zurückgekehrt war, aber Elboron hatte nicht die Absicht, auf eine so späte Belohnung zu warten – nicht, wenn der Preis dafür so hoch war.

Er schlich sich zum Haupteingang hinunter; die Empfangshalle erstreckte sich in ihrem mittagstillen Glanz vor ihm. Der Marmorboden war mit Regenbogen von dem klaren Sommersonnenlicht gesprenkelt, das durch die farbigen Glasfenster hereinströmte. Die Freiheit war nahe... aber dann sah er die beiden patroullierenden Männer in der grünen Tracht der Wache seines Vaters, und er erstickte einen Fluch zwischen den Zähnen (seine Kinderfrau wäre in Ohnmacht gefallen, hätte sie gewusst, dass ihr siebenjähriger Zögling ihn in der Küche aufgeschnappt und dass er tatsächlich die Stirn hatte, ihn zu benutzen).

Plötzlich hörte er von irgendwo den Korridor hinunter Schritte näher kommen, und die Stimmen von wenigstens drei Leuten, die miteinander sprachen. Wenn er blieb, wo er war, würde man ihn binnen Minuten einfangen und einem Schicksal ausliefern, das schlimmer war als der Tod. Die Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf, aber dann entspannte sich der schlanke Körper und ein Lächeln spielte um Elborons Mundwinkel. Tief dankbar für seine weich besohlten Stiefel schlüpfte er mit schnellen, lautlosen Schritten um die Ecke in einen selten benutzten Seitengang und war verschwunden.

*****

„Fürst Faramir, ich weiß nicht, was ich sagen soll...!“

Die Stimme der Kinderfrau zitterte; die arme Dame war gefährlich nahe daran, sich in einer Flut von Tränen aufzulösen.

„Wann habt Ihr Elboron das letzte Mal gesehen?“

Das war Éowyn; sie war bereits fertig angekleidet, den König zu begrüßen; schimmernde Seide floss von ihren Schultern zu ihren Füßen hinunter, um ihre schlanke Taille von einem Gürtel aus fein ziselierten, goldenen Gliedern in der Form von Seerosenblättern gehalten. Ihr Haar fiel ihr ohne Haarband oder Spange über den Rücken, von einem schmalen Diadem mit blassblauen Edelsteinen gekrönt. Sie sah lieblich aus, und trotz der Sommerhitze frisch wie eine kühle Wasserquelle, und ihr Mann fand es ziemlich mühsam, seinen Blick von ihr loszureißen und zu dem weit dringlicheren Problem zurückzufinden, das ihnen gerade Sorgen machte.

„Die Wachen haben mir gesagt, er hätte das Haus nicht durch den Haupteingang verlassen; aber es gibt zwei kleinere Tore nach Osten und nach Westen, eines davon nicht mehr als eine schmale, verborgene Pforte. Er mag sich wohl die ausgesucht haben, um zu entkommen.“ meinte er nachdenklich.

„Entkommen - vor welchem Feind?“ fragte Éowyn, nur den winzigsten Hauch von Schärfe in der Stimme. „Was könnte ihn in seinem eigenen Heim bedrohen, unter den Augen seiner Eltern?“

Der Fürst von Ithilien grinste.

„Das ist nicht so schwer, nehme ich an.“ sagte er ; er ging zum Bett seines Sohnes hinüber und hob die reich bestickte Weste hoch, die dort sauber ausgebreitet auf dem Überwurf lag. Dann wandte er sich an die Kinderfrau, die ihr Gesicht mittlerweile hinter einem riesigen weißen Taschentuch verbarg.

„Was hat er gesagt, als Ihr ihn angewiesen habt, das hier anzuziehen?“ fragte er.

„Er...“ Die Kinderfrau schnüffelte. „Er sagte bevor er das anzieht, will er lieber zwanzig Stunden Elbisch-Unterricht bei Meister Olorhel.“

„Aha.“ Faramir hörte das gerade noch rechtzeitig unterdrückte Schnauben aus der Richtung seiner Frau, und er segnete die Tatsache, dass der besagte Lehrer seines Sohnes nicht im Zimmer anwesend war. Meister Olorhel war ein Bronn des Wissens, wenn es um beide Elbensprachen, Quenya und Sindarin, ging, aber er war nicht sehr geschickt darin, den Lehrstoff für seinen jungen Schüler interessant zu machen. Elboron nannte ihn einen öden alten Langweiler, und Faramir musste ihm heimlich zustimmen. Er wagte es nicht, dem Blick seiner Frau zu begegnen.

Er wurde von einer Wache gerettet, die mit schnellen Schritten den Raum betrat. Der Mann verbeugte sich knapp.

„Ich war in den Ställen, mein Herr“, sagte er. „Sein Pony fehlt.“

Faramir seufzte.

„Dann könnte er überall sein“, sagte er. „Es ist beinahe unmöglich, ihn noch rechtzeitig zu finden. Wir müssen jetzt zur Anlegestelle hinunter reiten; der König kann jeden Moment eintreffen.“

Heute Abend würde er ein langes Gespräch mit seinem Sohn und Erben führen müssen - ein sehr langes Gespräch.

*****

Elboron war jetzt zwei Meilen von der Residenz entfernt und sehr stolz auf seine Findigkeit. Niemand hatte ihn gesehen, als er sich in die Ställe schlich und Distel herausholte, und jetzt war er sicher (und er tat sein Bestes, den Gedanken an die Konsequenzen zu ignorieren und daran, was sein Vater sagen würde, wenn sie sich wiedersahen).

Er ritt durch ein Wäldchen und genoss die grünen Schatten, die ihn von der Hitze abschirmten. Der Anduin war nah – er konnte den Strom fließen hören, nicht brüllend und ungezähmt wie im Frühling, wenn das Schmelzwasser von weit entfernten Bergen ihn anschwellen und manchmal über die Ufer treten ließ, sondern ruhig und stetig. Er konnte schwimmen, seit er fünf war; sein Vater hatte es ihm beigebracht, und seitdem war dies eine der Sommerfreuden, die er am meisten schätzte. Zuweilen nannte seine Mutter ihn mein kleiner Fisch – und wieder spürte er einen kurzen Gewissensbiss. Sie würde wahrscheinlich nicht sehr darüber erfreut sein, dass er so plötzlich ausgerissen war.

Die Bäume öffneten sich zu einer weiten Lichtung; am anderen Ende stand ein Haus, aus Steinen und Holz erbaut, das Dach mit Zedernschindeln gedeckt. Ein Garten breitete sich auf der Rückseite aus... große Beete mit Kräutern, Rosmarin und Salbei, Melisse, Frauenmantel und Lavendel, die die warme Luft mit ihrem intensiven Geruch erfüllten. Ein Stall und ein Schuppen träumten in der Sommersonne; der Schuppen war offenbar das neueste Gebäude, und er hatte große Glasfenster nach Süden und nach Westen, was ziemlich ungewöhnlich war.

Elboron stieg von seinem Pony und schlang die Zügel um den kräftigen Zweig einer Buche. Er trat ins Sonnenlicht hinaus und hatte die Lichtung halb überquert, als die Tür des Hauses plötzlich geöffnet wurde. Der Junge hörte einen Pfiff und dann eine weibliche Stimme; er schaute sich nach einem Platz zum Verstecken um und hastete dann zu dem Schuppen hinüber. Glücklicherweise war die Tür nicht abgeschlossen und er schlüpfte hinein.

Eine Frau kam aus dem Haus, einen großen, sturmgrauen Hund neben sich. Der Hund winselte, dann fing er an, freudig zu bellen. Er rannte zum Schuppen hinüber und schnüffelte an der Tür; sein Schwanz wedelte aufgeregt.

„Ah... haben wir einen Besucher?“ fragte die Frau. „Ruhig, Junge, still jetzt. Komm her.“ Sie hatte eine warme, freundliche Stimme, in der ein Lächeln mitschwang. Ihr langes, kupferrotes Haar trug sie zu einer dicken Flechte gebändigt. Die Haut ihres klaren Gesichtes war kaum gebräunt, sie hatte grüne Augen und einen vollen Mund. Der Leib unter ihrem lockeren, ärmellosen Kleid mit dem tiefen Ausschnitt war sichtlich gerundet; die Frau rieb sich abwesend den Rücken, während sie den Hund beobachtete, der endlich seine Untersuchung beendete, zu ihr zurückkam und seine kühle, feuchte Nase in ihre Hand schob.

„Guter Junge“, sagte sie. „Sollen wir mal schauen, wer da drin ist, hm?“ Sie lachte in sich hinein. „Aber du bleibst draußen, oder du gerätst zwischen meine Töpfe und bringst wieder all meine Heilpulver durcheinander.“

Die Frau ging zu der Scheune hinüber, aber bevor sie die Tür öffnen konnte, hörte sie das gedämpfte Geräusch von Hufen auf dem weichen Boden. Sie drehte sich um und sah einen großen Fuchs zwischen den Bäumen auftauchen. Ein Mann saß auf seinem Rücken, hochgewachsen und dunkelhaarig, Ihre Augen begegneten sich und beide lächelten.

„Das war ein ziemlich kurzer Streifritt, oder?“ sagte die Frau. Der Mann schwang sich aus dem Sattel und umarmte sie; er vergrub sein Gesicht in ihrem Haar und atmete den vertrauten Kräuterduft ein, der sie ständig umgab wie eine würzige Wolke... Zeugnis ihrer Arbeit als die Heilerin von Ithilien seit nunmehr fast acht Jahren.

„Ja, Geliebte.“ sagte er. „Die Residenz ist im Aufruhr. Der König ist vor einer halben Stunde angekommen, und anscheinend ist Elboron kurz vorher spurlos verschwunden. Herr Faramir ist ziemlich besorgt.“

„Besorgt – oder wütend?“

Die Frau lächelte, nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn. Er erwiderte ihren Kuss und drückte sie noch fester an sich, bevor er plötzlich zurücktrat, einen Hauch Sorge in den Augen. Sein Blick wanderte zu ihrer gerundeten Taille hinunter.

„Geht es dir gut, Liebes? Vielleicht sollte ich vorsichtiger sein...“

Die Frau seufzte mit einer Mischung aus Humor und Verzweiflung.

„Hör mir zu.“ Ihre Stimme war geduldig. „Es dauert noch fast sechs Wochen, bis das Kind geboren wird. Letzten Monat waren wir in Minas Tirith und es geht mir immer noch wunderbar. Ich bin gesund, Liebster, und das Kind ist es auch.“

„Ich weiß“, sagte der Mann und streichelte langsam ihre Wange. „Es ist nur... wir haben so lange gewartet.“ Er lachte sanft. „Vielleicht wage ich noch immer nicht richtig, daran zu glauben. Schließlich ist es ein Wunder, dass du überhaupt hier bei mir bist.“

Die Frau fing die Hand auf ihrer Wange ein und küsste die Handfläche.

Er hatte Recht. Es war ein Wunder... ein Wunder, den vertrauten Körper jeden Morgen dicht bei sich zu spüren, zu wissen, dass er vor ihr erwachte und auf den Moment wartete, in dem sie ihre Augen öffnete. Seinen Mund auf ihren Lippen zu fühlen und seine Hände in ihrem Haar, wenn sie sich umdrehte, in seine offenen Arme hinein. Es hatte fast vier Jahre gedauert, bevor er damit aufhörte, mitten in der Nacht hochzuschrecken, von der Furcht geschüttelt, dass sie wieder verschwunden sein könnte.

Plötzlich kniff sie die Augen zusammen.

„Warte, Liebster... was hast du gerade gesagt?“

Der Mann runzelte die Stirn.

„Hm... dass ich vorsichtiger sein sollte?“

„Nein. Vorher.“

„Vorher... ah. Ich habe dir erzählt, dass die Residenz in Aufruhr ist, weil Jung-Elboron wundersamerweise verschwunden ist. Und dass der König angekommen ist.“

„Meine Güte – ich sollte mein Kleid wechseln! Frau Éowyn hat mir gesagt, dass der König nachmittags meine Kräutergärten besuchen möchte, und ich habe es einfach vergessen! Niemand sollte mich in diesem Kartoffelsack sehen – streng genommen nicht einmal du.“ Sie warf ihrem Mann eine Kusshand zu und eilte in Richtung Haus, so schnell ihr schwerer Leib es zuließ.

„Du bist wunderschön.“ sagte er und warf ihr einen feurigen Blick zu.

„Und du bist blind.“ gab sie zurück. „Im Augenblick sehe ich aus wie ein Mûmak.“ Sie kam zu ihm zurück und machte eine winzige, fast unsichtbare Geste in Richtung Schuppen. „Übrigens... wenn ich mich nicht völlig irre und wenn Garaf* seinen fabelhaften Geruchssinn nicht verloren hat, dann findest du unseren verlorenen Prinzen da drinnen. Du solltest dich nach Distel umschauen; ich nehme an, Elboron hat sie irgendwo in der Nähe zurückgelassen.“

Ein langsames Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Waldläufers aus; er folgte ihr mit den Augen, bis sie im Haus verschwand, dann begann er leise vor sich hinzupfeifen und schlenderte zu dem Schuppen hinüber.

*****

Eine Stunde später war die Frau des Waldläufers wieder in den Gärten, dieses Mal anständig in ein leichtes, gelbes Kleid gehüllt; der feine Stoff wurde durch eine riesige Schürze geschützt. Sie streifte Blüten in eine kleine Schale, als sie hörte, wie ihr lang erwarteter Besucher sich näherte; ein großer Mann, sein dunkles Haar von feinen Silberfäden durchzogen, sein Gesicht noch jung. Er trug keines seiner üblichen Hoheitszeichen, und Hosen und Hemd waren von täuschender Schlichtheit. Aber sie stellte die Schale auf den Boden, schenkte ihm ein Lächeln, das von Herzen kam und knickste tief.

„Eure Majestät... Ich bin froh, Euch zu sehen, und geehrt.“

„Und ich freue mich, Euch zu sehen, Noerwen von Ithilien.“ erwiderte der König heiter. „In Eurem Zustand solltet Ihr Euch nicht bücken.“

„Oh, bitte nicht.“ Die Frau schüttelte den Kopf. „Ich sage meinem Mann immerzu, dass es mir gut geht. Und ich habe es heute Morgen nicht geschafft, alle Blüten nach dem ersten Tau einzusammeln. Es ist leichte Arbeit.“

Der König zog etwas unter seinem leichten Sommerumhang hervor.

„Ich bin sicher, Ihr habt schon darauf gewartet.“

Noerwen schaute voller Staunen auf das hinunter, was er in den Händen hielt... ein kleines Buch, in weiches, dünnes Leder von einem cremigen Weiß gebunden. Sie sah Rosmarin, Thymian und Weidenzweige, die ein verschlungenes Muster auf der Hülle bildeten, und sie nahm das Buch und drückte es an ihr Herz.

Als sie aufschaute, tanzte ein Lachen in ihren Augen.

„Also habt Ihr es endlich zustande gebracht, dass Mardil seine Notizen sortiert, mein Herr?“ fragte sie, und der König schüttelte den Kopf.

„Nein, nicht ich, denn das würde mehr als die Geduld und die Fähigkeiten eines Königs erfordern“, antwortete er, die Lippen zu einem Grinsen gekräuselt. „Es war einer von meinen jungen Schreibern, Elwin, der dieses Wunder gewirkt hat. Er hat mir erzählt, dass er mit Euren Texten und Bildern keine Schwierigkeiten hatte, aber Mardil verlor ständig entweder seine Notizen oder seine Zeichnungen, und er hat ihn damit fast in den Wahnsinn getrieben.“

Noerwen öffnete das kleine Buch und las den Titel: Heilkräuter in Nord-Gondor und Ithilien. Sie blätterte behutsam die Seiten durch, sah ein Stück Rezept hier und ein akkurat gezeichnetes Blatt da, und als sie es wieder zuklappte, leuchteten ihre Augen. Sie nahm Aragorns Hand und küsste sie.

„Ich danke Euch, mein Herr,“ sagte sie. „Nun gibt es nur noch einen Gefallen, um den ich Euch bitten möchte: dass Ihr Eure Gnade und die Geduld Eures Schreibers noch einmal mehr bemüht und ihn um eine weitere Abschrift bittet. Ich habe Merry versprochen, ihm eine zu schicken, falls wir dies jemals fertig stellen. Er arbeitet an einer Kräuterkunde des Auenlandes, und er wird das hier sicher sehr interessant finden.“

Der König hob eine Augenbraue.

„Ihr habt Verbindung mit Merry?“

„Ja, die habe ich.“ Noerwen hob das Kinn. „Ich bin ihm nach der Schlacht auf den Pellenorfeldern begegnet, und wir wurden Freunde. Und als ... als ich zurückgekommen bin, fing ich an, ihm Briefe zu schreiben, und er hat sie beantwortet. Mittlerweile ist es ein recht lebhafter Austausch.“

„Hat er irgend eine Ahnung, was in den zwei Jahren dazwischen geschehen ist?“ fragte der König, die Stirn leicht gerunzelt.

„Das hat er in der Tat.“ antwortete Noerwen; ihr Blick war sehr offen. „Er hat bereits viele Fragen gestellt, bevor ich gezwungen war, nach... Hause... zu gehen, und ich dachte, ich schulde ihm die Wahrheit. Er war überrascht, aber nicht allzu schockiert.“

„War er das?“ Der König schüttelte den Kopf. „Interessant. Aber ich sollte eigentlich schon wissen, dass Hobbits ein robustes Volk sind.“

Das Buch wurde sorgsam in Noerwens Schürze gehüllt und in ihren großen Korb gelegt. Schritte kamen näher, und als die Heilerin über Aragorns Schulter spähte, sah sie den Fürsten von Ithilien und die Weiße Herrin aus dem Wald kommen. Beide schauten besorgt drein.

„Mein Herr Faramir... Frau Éowyn“, sagte sie, „ich habe gehört, Elboron sei heute Morgen verschwunden. Er ist noch immer nicht wieder aufgetaucht, oder?“

„So ist es.“ antwortete Éowyn, sichtlich unruhig.

„Dann bin ich vielleicht in der Lage, Euch das Herz zu erleichtern, meine Herrin.“ sagte Noerwen. „Einen Moment, bitte.“ Sie wandte sich zum Haus. „Damrod?“

Die Hintertür öffnete sich und ihr Mann erschien auf der Schwelle. Er trat beiseite, und dann stand eine kleine Gestalt im Türrahmen.

„Elboron!“ Die Stimmen von Faramir und Éowyn, in einstimmigem Unglauben.

Der Junge ging die wenigen Meter zum Garten hinunter, aufrecht und mit langsamen Schritten, wie ein Verurteilter auf dem Weg zu seiner Hinrichtung. Der König sah ihn kommen, und echte Bewunderung wärmte ihm das Herz. Tapferer Bengel. dachte er.

Dann stand Elboron vor ihnen. Er verbeugte sich vor dem König und küsste ihm die Hand.

„Eure Majestät..."

Er verbeugte sich vor seinen Eltern und errötete tief, und als er sich aufrichtete, konnten die Erwachsenen sehen, dass sein Kinn bebte.

„Vater... Mutter...“

„Du hast heimlich das Haus verlassen, anstatt den König zu begrüßen, und dadurch, dass du vor deinen Pflichten geflohen bist, hat du eine Menge Ärger verursacht.“ sagte Faramir streng. „Hast du irgendetwas zu deiner Entschuldigung zu sagen?“

„Vater, es tut mir leid.“sagte Elboron; seine glühenden Wangen wurden sehr bleich. „Ich wollte dich nicht enttäuschen.“ Er hatte sichtlich Mühe, die Fassung zu wahren, und jetzt standen seine Augen voller Tränen.

„Darf ich etwas vorschlagen?“ Das war Noerwen, die sich zuvor rücksichtsvoll im Hintergrund gehalten hatte.

„Was?“ fragte Faramir, den Blick noch immer auf das zerknirschte Gesicht seines Sohnes gerichtet.

„Ich würde den Jungen gerne auf meine nächste Kräuterwanderung mitnehmen.“ sagte sie. „Damrod wird dabei sein, und Euer Sohn wird all meinen Anweisungen folgen müssen. Ich kann zwei zusätzliche Hände gebrauchen, und das könnte ihn den Gehorsam vermitteln, den er scheinbar erst noch lernen muss.“

Der gebeugte Kopf des Jungen zuckte nach oben und plötzliche Farbe strömte in seine Wangen zurück. Für einen kurzen Moment trafen graue auf grüne Augen, und er schluckte. „Aber Vater...“ Seine Stimme zitterte.

„Das ist eine hervorragende Idee“, sagte Faramir, sichtlich befriedigt. „Dies wird dich eine Menge über Demut lehren, mein Sohn. Du wirst alles tun, was die Heilerin dir befiehlt, und wenn du das nicht tust, wird sie es mir sagen.“

Noerwen nickte feierlich, und wieder trafen sich ihr Blick und der von Elboron.

„Wie du wünschst, Vater.“ murmelte der Junge.

„Ihr solltet Elboron mit zur Residenz hinaufnehmen.“ sagte der König, er hatte sowohl den Austausch von Worten als auch den von Blicken genau beobachtet, und er kannte den jungen Prinzen ziemlich gut. „Vielleicht wären ein paar Tage Hausarrest ein guter Anfang seiner Bestrafung... und ein paar zusätzliche Elbischstunden.“

Faramir hatte Mühe, das strenge Gesicht zu wahren, das er seinem Sohn zeigen wollte... vor allem, als er die wilde Panik in Elborons Augen sah, zweifellos hervorgerufen durch den Gedanken an Olorhels einschläfernde Lehrmethoden.

„Kommt ihr nicht mit uns, Majestät?“ fragte Éowyn.

„Einen Moment noch, Herrin.“ antwortete der König. „Ich muss ein paar Angelegenheiten mit der Heilerin besprechen. Geht nur schon voraus.“

Gemeinsam mit Noerwen sah er zu, wie Vater, Mutter und Sohn über die Lichtung gingen; Elborons Schultern waren gebeugt, er war ein Abbild tiefer Reue. Als sie zwischen den Bäumen verschwunden waren, kam Damrod aus dem Haus, verbeugte sich vor dem König und legte seiner Frau eine Hand auf die Schulter.

Der König drehte sich um und sah die Heilerin durchbohrend an.

„Genug jetzt von diesen Possen.“ sagte er. „Versucht nicht, mir weiszumachen, dass Ihr dem kleinen Lümmel gerade keinen großen Gefallen getan habt. Ihr habt ihm zugezwinkert, ich habe es genau gesehen!"

Damrod grinste.

„Geliebte, ich habe dir gesagt, es sei gefährlich, das in seiner Gegenwart zu tun.“ sagte er.

„Das war Pech.“ erwiderte Noerwen. „Und ich muss Euch um Vergebung bitten, Herr. Aber ich denke, er wird innerhalb der nächsten Tagen genügend harte Lektionen lernen – von den nächsten Jahren gar nicht zu reden. Und nebenbei... über den Waldboden zu krabbeln, auf der Suche nach Engelwurz und Schachtelhalm, wird ihn einiges von der Demut lehren, die sein Vater von ihm erwartet.“ Sie lächelte Aragorn an.

„Nicht, wenn er offensichtlich Spaß daran hat, mit der Nase im Unterholz über den Boden zu krabbeln.“ entgegnete der König trocken. „Ich nehme an, dies ist nicht die erste Wanderung, die er mit Euch unternimmt?“

„Nein, die dritte.” gab Noerwen in dem selben, trockenen Tonfall zurück. „Er hat eine große Gabe, seltene Gewächse zu finden. Sein Vater hat keine Ahnung davon, aber Frau Éowyn weiß es… dankbarerweise hat sie den Mund gehalten, oder wir wären aufgeflogen. Sie lügt nicht besonders gut.” Ihre Augen und die des Königs hielten einander eine ganze Weile fest, dann entspannte sich Aragorn und fing an zu lachen.

„Ihr seid unverbesserlich“, sagte er, als er wieder zu Atem gekommen war. „Aber das ist eines der Dinge, die ich an Euch schätze, Noerwen von Ithilien, Ihr seid ein glücklicher Mann, Damrod.“

„Ich weiß, Euer Majestät.“ Die Hände des Waldläufers und seiner Frau verschränkten sich auf ihrer Schulter. „Ich weiß.“

„Und nun werde ich unserem verschollenen Prinzchen und seinen Eltern folgen.“ Der König seufzte. „Und ich werde meinem Schreiber sagen, eine zweite Abschrift des Buches für Euch zu machen, sobald ich nach Minas Tirith zurückgekehrt bin.“ Er lächelte, ein Zwinkern in den Augen. „Und ich werde dem Fürsten von Ithilien nicht sagen, wie Ihr ihn an der Nase herumgeführt habt… ich nehme an, weil es eine gute Idee war.“ Sein Blick ruhte für einen Moment auf ihrem Bauch. „Ihr werdet eine gute Mutter sein, Noerwen.“

Er wandte sich ab, überquerte die Lichtung mit langen Schritten und verschwand zwischen den Bäumen.

„Was für ein Buch?“ fragte Damrod.

„Ich zeig’s dir.“ sagte sie. „Aber jetzt würde ich gern hineingehen und mich eine Weile hinlegen. Ich bin müde... und du hast endlich die Gelegenheit, mich so zu verhätscheln, wie du es schon seit Monaten tun möchtest.“

Sie schlang ihm beide Arme um den Hals.

„Nutze sie gut.“ murmelte sie dicht an seinem Mund.

Er lächelte und küsste sie, und dann sagte er, was er in der Nacht gesagt hatte, bevor er sie zum allerersten Mal liebte, vor fast zehn Jahren.

„Ich habe schon schwerere Aufgaben bewältigt.“

Und er hob sie auf die Arme, trug sie ins Haus und schloss die Tür hinter ihnen.

ENDE


Garaf – (Sindarin:) wolf
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