Arda Fanfiction

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Nichts übereilt

von Gwynnyd

Chapter #1

Heiße trockene Luft strömte durch die Terrassentür in Elronds Arbeitszimmer und hüllte den Raum in eine schläfrig-nachmittägliche Spätsommerhitze. Das Summen der Bienen in den Blumen auf der Terrasse bildete einen einschläfernden Gegensatz zu dem sanften Kratzen der Federspitze auf dem Papier, als der Herr von Bruchtal die Ereignisse des letzten Monats notierte.

Der Eintrag war nicht ermutigend.

Obwohl Elrond selten seinen Zufluchtsort verließ, zogen seine Söhne fern und weit durch den Norden. Dieser geschützte Platz, das Letzte Heimelige Haus, war noch immer eine willkommene Einkehr auf der Großen Ost-West-Straße für die wenigen, die die Gefahren einer Reise wagten. Neuigkeiten erreichten ihn und er wusste, das Zeitalter wurde dunkler. Vor vierzig Jahren, als der Drachen vernichtet und der Hexenmeister von Dol Guldur vertrieben war, hatte er sich mit einer schwachen Hoffnung getragen, doch die Grundmauern von Barad-dûr waren tief. Die Berichte erzählten, dass der Turm wieder aufgebaut wurde. Das Böse lauerte noch immer im Düsterwald und die Berge wimmelten von Orks und anderen üblen Gestalten.

Ein stärkerer Windstoß brachte den Duft von Geißblatt mit sich, der verfrüht auf der Terrasse blühte. Elronds Feder zögerte. Der blaue Stein des Ringes an seiner Hand glitzerte. Seine Hand lag nur leicht auf dem Papier, doch der Ring lastete schwer auf seinem Herzen. Er wandte den Kopf, um den Duft besser wahrzunehmen, und die goldenen und weißen Blumen, die durch das verschlungene Blattwerk lugten, fesselten Elronds Blick. Eine Vision von Celebrían erschien vor ihm. Er seufzte schwermütig. Seine Gedanken wanderten zurück zu den Jahren am Beginn des Zeitalters, als er gehofft hatte, dass das Böse aus Mittelerde vertrieben worden war. Seine Frau stand auf der Terrasse, schwanger mit ihren Söhnen, ihr lachendes Gesicht in diesen blühenden Ranken vergraben, die dort noch immer blühten, und schnupperte ihren reichen Duft. Ihr blassgoldenes Haar hatte sich in den Blättern verfangen und er war hingegangen und hatte sie sanft befreit. Als er die eigensinnigen Strähnen aus ihrem Gesicht zurückstrich, war er noch immer verwundert, dass diese leuchtende goldene Frau ihn mit Liebe, die in ihren tiefen kornblumenblauen Augen glänzte, betrachtete. Es herrschte Frieden im Land und die Städte der Menschen wuchsen und gediehen. Mit diesem neuen Zeitalter konnten sie ihre Kinder in Freude großziehen, sicher hier an diesem zeitlosen Ort, den er bewahrte.

Wieder glitzerte es blau am Rande seines Blickfeldes und er fühlte den Druck des Bösen an den Grenzen seines Machtbereiches. Das Abbild von Celebríans Gesicht vor ihm verblasste, die Farbe wich aus ihren Wangen, die Lider dunkel und beschattet über ihren eingesunkenen Augen, deren Funkeln verschwunden war. Er hatte sie auf das Schiff getragen und sicher in ihr Bett gebracht, doch kein antwortendes Zerren des Meeres hatte an seinem Herzen gezogen. Er hatte sich nach Bruchtal gesehnt, selbst als das Boot, ungeduldig abzulegen, auf den kleinen Wellen des Hafens schaukelte. Ihre Söhne waren noch nicht so weit, die endgültige Wahl zu treffen, zu bleiben oder zu gehen; Rache verzehrte sie. Was Arwen betraf – der Gedanke, dass sie noch immer den Gefahren Mittelerdes ausgesetzt sein würde, verfolgte Celebrían: sie hatten ihre Tochter eindringlich gebeten, ihre Mutter auf der Reise in den Westen zu begleiten. Arwen hatte gezaudert und erst im letzten Moment ihre Entscheidung hinausgeschoben.

„Versprich mir, dass dieser Abschied nicht für immer sein wird“, hatte Celebrían ihn angefleht. „Versprich mir, dass wir alle wieder zusammen sein werden.“

„Ich kann unsere Kinder nicht zwingen, doch ich werde tun, was ich kann“, hatte er versucht, sie zu beruhigen. Sie hatte ihr Gesicht abgewandt und er sah eine langsame Träne ihre Wange hinabrollen, als die Zeit der Trennung für sie gekommen war.

Das leichte Kitzeln einer Biene, die eine merkwürdige Linie auf seinem Finger lief, lenkte seine Aufmerksamkeit zurück in die Gegenwart. Elrond wedelte sie vorsichtig zurück zur Tür. Als er sich seinem Tagebuch wieder zuwandte, bemerkte er, dass seine Feder mitten in der Luft verharrte und die Tinte an ihrer Spitze festgetrocknet war. Er schüttelte leicht seinen Kopf und schalt sich dafür, in Erinnerungen umherzuwandern, als er sich anschickte, sie zu reinigen.

Die Worte flossen wieder leicht auf das Papier, als er das Klicken des Türriegels hörte. Er runzelte die Stirn. Dass diese Zeit heilig war, war im Haushalt wohl bekannt. Er mochte es nicht, gestört zu werden. Die Tür öffnete sich langsam. Ein dunkler Kopf, umwunden mit Zöpfen und leicht mit dem Staub der Straße überpudert, spähte an der Tür vorbei. Zwielicht-graue Augen funkelten ihn lachend aus einem unerwarteten, aber vertrauten Gesicht heraus an.

„Vater, darf ich stören?“, fragte seine Tochter, als sie gänzlich in den Raum trat.

„Arwen!“ Elrond ließ die Feder achtlos auf den Tisch fallen und eilte, sie zu umarmen. Er drückte sein Gesicht gegen ihr Haar und atmete den Duft von Lagerfeuer, Pferd und unbestimmbarer Frische, die Arwen war. Er hielt sie auf Armeslänge von sich und betrachtete sie vorsichtig von Kopf bis Fuß, und stellte zufrieden fest, dass sie, obwohl sie aussah, als ob sie rasch gereist war, voller Leben und offenkundig unversehrt war. „Ich wähnte dich noch in Lórien. Welcher von meinen Kundschaftern muss getadelt werden, da er dich vorbei schleichen ließ, ohne es zu melden?“

„Keiner, denn ich habe es rundheraus verboten. Ich wollte dich überraschen.“ Ihr erfreutes Lachen erfüllte seine Ohren und linderte einen Kern von Einsamkeit, den er häufig zu ignorieren versuchte. Sie schlüpfte aus seinen Armen, die sie festgehalten hatten, in die Mitte des Raumes und hielt inne, um ihn anzusehen.

Er betrachtete ihre leuchtende Schönheit und ihren eifrigen, geheimnisvollen Ausdruck. Obwohl ihr dunkles Haar und ihre Abendgrauen Augen anders als die Celebríans waren, hatte er immer ihre Mutter in der Form ihres Gesichtes und wie sie ihren Kopf hielt sehen können. Er hatte denselben strahlenden Blick im Gesicht ihrer Mutter gesehen, doch da hatte es ihm gegolten.

„Wünsche mir Glück, Vater.“

Elrond sah sie fragend an. Hatte seine Tochter, die so lange den Schmeicheleien von Bewunderern widerstanden und es abgelehnt hatte, in der Blütezeit des Friedens und der Pracht dieses Zeitalters eine Heirat zu erwägen, in diesen dunklen Zeiten die Liebe gefunden? Sie nickte, ihr Gesicht von Freude erhellt.

„Du bist verliebt? Du hast endlich die Liebe gefunden?“, fragte er sie. Sie nickte wieder.

Hinter seiner auafkeimenden Freude ermaß er bereits die politischen Bedeutungen dieser Verbindung. Aragorn musste gefunden und endlich davon überzeugt werden, eine Frau unter den Dúnedain zu nehmen, nun, da die kleine Hoffnung, die er gehabt hatte, Arwen zu gewinnen, verloren war. Ungeduldig mit sich selbst, denn er wusste noch nicht einmal, wer die Liebe seiner Tochter gewonnen hatte, schob Elrond diesen Gedanken beiseite und wandte Arwen wieder seine volle Aufmerksamkeit zu. Plötzliches Bedenken befiel ihn. „In Lórien?“, fragte er und brauchte die Versicherung ihrer Antwort.

„Ja! Ich habe nicht erwartet, überhaupt zu lieben, noch ihn zu lieben. Doch als ich ihn nach so langer Zeit wieder sah… war ich überwältigt.“ Ihr breites Lächeln wurde erneut geheimnisvoll. „Es scheint unmöglich, dass ich ihn zuvor auf diese Weise noch nicht betrachtet habe.“

In seinen Gedanken überflog Elrond eine Anzahl möglicher Kandidaten für die Position des Ehemanns seiner Tochter, doch er konnte sich keinen denken, den sie bevorzugt hätte. Arwen lachte und kam auf ihn zu. Er streckte die Hand nach ihr aus und zog sie an sich. Als er in ihre Augen hinabblickte, sah er sie zufrieden und sicher in der Liebe, die sie empfand.

„Ich habe nichts übereilt, Vater, wirklich. Jeder Tag, den ich mit ihm verbrachte, hat mein Glück größer werden lassen und an Mittsommer haben wir uns auf dem Cerin Amroth einander versprochen.“

Er lächelte, und mit einer in liebevoller Erinnerung verwurzelten Geste und einem eigenen Lachen strich er eine widerspenstige Haarsträhne von ihren Augen zurück. „Ich sehe, dass du glücklich bist, aber du hast mir noch nicht erzählt, wer dein Herz erobert hat. Kenne ich ihn? Hast du ihn hergebracht oder hast du ihn in Lórien zurückgelassen?“

„Du kennst ihn gut und, ja, er ist hier. Ich sagte ihm, wir sollten erst den Staub der Reise abschütteln, bevor wir dich sehen. Ich habe ihn zu den Bädern geschickt, doch ich kam schon vorher, um dir die guten Nachrichten vertraulich zu erzählen.“ Zum ersten Mal sah Arwen unbehaglich aus. Ihr Blick glitt für einen Moment fort und dann ernst zurück zu seinem. „ Ich wünsche mir, dass du ihn so siehst wie er ist, wie ich ihn sehe… ein König der Menschen, und nicht ein Waldläufer, schmutzig von der Wildnis.“

Er erstarrte und atmete aus. „Aragorn.“

Einst, in seiner Jugend, hatte Elrond mit seinem Bruder in einem Boot gesessen. Elros hatte etwas Amüsantes gesagt und hatte sich zurückgebogen, um mit ihm zu lachen und hatte dabei das Paddel aus dem Wasser gezogen. In der nächsten Sekunde waren eisige Wasser über seinem Kopf zusammengeschlagen und nur der Schock des Untertauchens hielt ihn davon ab. Wasser einzuatmen, bevor er plötzlich wieder an der Oberfläche auftauchte. Er fühlte das gleiche jetzt, seine Welt kippte auf den Kopf.

Arwen streckte die Hand aus und berührte zögernd seine Schulter, ihr Gesicht war ernst, doch ihre Augen leuchteten noch immer. „Vor Jahren sagte Großmutter von mir, ich sei Lúthien sehr ähnlich und dass mein Schicksal vielleicht dem ihren nicht unähnlich sein würde. Wenn mich das beunruhigte, sagte Mutter immer, dass es nur bedeutete, ich würde eine große Liebe finden. Das habe ich. Ich habe eine große Liebe gefunden. Ich werde die gleiche Wahl treffen wie Lúthien und ebenso freudig.“

‚Dann werden wir getrennt werden. Celebrían wird umsonst nach Arwen Ausschau halten, wenn ich letztendlich Mittelerdes müde und wieder mit ihr vereint sein werde. Nein!’

„Er ist ein Mensch“, brachte er endlich durch seinen Schock hindurch heraus.

„Ich habe nicht danach gestrebt, dieses Kind der Menschen zu lieben.“ Arwen klang verärgert und schlüpfte aus seiner plötzlich lockeren Umarmung und ging unruhig hinüber zum Schreibtisch. „Ich hielt ihn – ich wollte ihn nur für ein weiteres deiner Pflegekinder halten. Ich fand sie alle arrogant, von sich überzeugt, kurz angebunden. Und doch, Aragorn… er brachte Unruhe in meine Träume. Ich weiß jetzt, dass ich nach Lórien floh aus Angst ihn wiederzutreffen.“ Sie kam zurück und blieb vor ihm stehen und er sah in ihren Augen sowohl die Sicherheit ihrer Liebe als auch ihre Furcht, ihm Kummer zu bereiten. „Du kennst ihn, Vater. Du weißt, dass er verständnisvoll, freundlich, wissend, sanft und umwerfend attraktiv ist…“ Sie verstummte und ließ ein unsicheres Lachen hören und lächelte zittrig. „Vielleicht würde ein Vater das nicht sehen. Ich liebe ihn. Ich möchte seine Kinder bekommen. Ich möchte Söhne, die aussehen wie er und sich bewegen wie er. Wir werden hübsche Töchter haben. Unsere Liebe wird ewig dauern.“

Ewig… ewig… Auch er hatte eine geliebte Hand gehalten und geschworen, sie auf ewig zu lieben. Elrond ging hinaus auf die Terrasse, berührte sanft ein Blatt des Geißblatts und atmete den Duft der Süße ein, die ihn stets an Celebrían erinnerte. Ihm war bewusst, dass Arwen ihm gefolgt war und nahe neben ihm stand, noch immer eine innere Freude und Gewissheit ausstrahlend, die er nie zuvor an ihr gespürt hatte.

„Aragorn wird dich sein ganzes Leben lang lieben. Doch das ist nur der winzige Schimmer eines Augenblicks.“ Elrond hörte seine Stimme harsch werden von seinem eigenen Kummer. Vorsichtig pflückte er eine zarte goldene Blüte des Geißblatts und hielt sie an sein Gesicht. Er ließ sie fallen und streckte die Hand aus, um über ein weiches, grünes Blatt zu streichen. „Du verstehst das Geschenk der Menschen nicht. Selbst jetzt“, er zögerte, „selbst jetzt muss es nicht dein Schicksal sein.“

„Nein.“ Sie trat neben ihn und ihre Hand berührte sanft die seine, die auf den Ranken lag. „Ich dachte, meine Wurzeln ruhten nur leicht in Ardas Boden. Ich dachte, ich könnte mich los reißen und sie mit wenig Verlust und ohne Schmerz abschütteln.“ Sie hielt inne und er hörte sie tief einatmen. „Doch es ist nicht so. Meine Wurzeln sind tief. Meine Liebe ist hier. Und am Ende“, sie brach ab und ihr Nachtigall-gleiches Lachen erklang. „Ich habe estel. Du selbst hast ihn so genannt.“

Ihre Freude schmeckte wie Asche in seinem Mund. Estel: das Vertrauen und die Hoffnung in Ilúvatars Gnade, das sagte, etwas würde für die Menschen jenseits der Grenzen von Arda existieren. Es schien ein passender Name für den Waisenjungen zu sein, den er als sein eigen aufgezogen hatte. Er wusste mit einer Sicherheit, die er nicht in Frage stellen konnte, dass für Arwen wahre estel nicht leicht zu gewinnen sein würde. Er fürchtete, sie würde bitter sein und schwinden am Ende ihres viel zu kurzen Lebens, wenn sie an diesem Weg festhielt, selbst mit den kurzlebigen Freuden ihrer Liebe für diesen Mann als Unterstützung.

Er spürte, wie ihre Hand die seine drückte.

„Verbiete dies nicht, Vater“, sagte sie ängstlich. Er blickte Arwen an und sah ihre sorgenvollen Augen, doch ihr hoffnungsvolles Lächeln trotzte der Trauer, die sein Herz umklammert hielt.

„Wirst du dann eine der Avari sein und diesem Wanderer heimatlos durch die Wildnis folgen, deine Stellung und deine Abstammung vergessend?“

Wieder erfüllte ihr Lachen die Terrasse. „Das würde ich, aber er will es nicht dulden. Er soll dir all seine Pläne erzählen. Aragorn sagt, dass das Auge sich auf Gondor gerichtet hat und dass es ihm jetzt möglich sein wird, seinen Platz als Hauptmann der Dúnedain einzunehmen. Er träumt davon, Annúminas wieder aufzubauen. Er ist ein König und seine Sorge gilt seinem Volk.“

Seufzend wandte er sich ihr zu. „Ich werde diese Verbindung nicht verbieten, doch werde ich auch dich, Herrin von Imladris und Lórien, nicht leichtfertig diesem Menschen geben.“

Sie hob ihre Arme und umarmte ihn und er spürte die federleichte Berührung ihrer Lippen auf seiner Wange. „Danke, Vater. Da ist nichts Leichtes an unserer Liebe, außer der Freude, die sie uns beiden gibt.“ Sie ließ ihn los und ihre Hand berührte ihr Haar, wo es noch immer in Zöpfen für die Reise hochgebunden war. Sie keuchte alarmiert. „Ich muss gehen. Wenn er ohne mich herkommt…“

Elrond brachte ein Lächeln zustande. „Fürchte nicht, dass ich unfreundlich sein könnte. Ist er nicht ebenso mein Sohn und herzlich geliebt? Geh. Du kannst nicht schöner sein, aber du könntest weniger staubig sein.“

Sie hob die Hand, um seine Wange in leichter Liebkosung zu berühren. Er beobachtete, wie sie zurück in den Raum tanzte und in den Flur spähte, bevor sie ging.

Elrond kehrte zu seinem Schreibtisch zurück. Verdrießlich untersuchte er die Seite seines Tagebuchs, das von dem Tintenklecks seiner achtlos fallengelassenen Feder verunstaltet war. Er blätterte durch die Seiten zurück und sah erneut die lange Liste von Verlusten und kleinen Siegen. Während das Auge des Feindes jetzt vom Norden abgewendet sein mochte, würde ein erneut aufgebautes Arnor, mit Isildurs Erben offen als seinem König, es rasch anziehen, mit genügend Stärke, um ein junges Königreich zu überwältigen.

Es war über zehn Jahre her, dass Aragorn im Norden gewesen war. Elrond fragte sich nicht, ob er sich verändert hatte, da alle Menschen dies mussten, sondern wie. Estel hatte immer die Aura von Königtum um sich gehabt und die Berichte sagten, dass die Männer ihm noch immer bereitwillig folgten. Wenn seine Arwen nicht von ihm geblendet war, dann musste Aragorn sich tatsächlich entwickelt haben.

Ein weiteres Mal machte er sich daran, die getrocknete Tinte von seiner Federspitze zu entfernen, doch seine Gedanken waren bei dem letzten der Erben seines Bruders. Er hielt in seinem Schaben inne und starrte auf die über das Blatt verstreuten Flocken von Tinte. Elros’ Kinder hatten weit entfernt von ihm gelebt und waren dort gestorben. Zu der Zeit, als ihre Erben vom untergegangenen Númenor zurück nach Mittelerde kamen, konnte er nur noch ein entferntes Echo von Verwandtschaft spüren. Sie waren Menschen und er akzeptierte ihre Schicksale. Selbst Estel, den er ebenso sehr liebte wie seine leiblichen Söhne, hatte er immer als Mensch, mit dem Schicksal der Menschen behaftet, betrachtet. Doch Arwen… seine Finger verkrampften sich und die Spitze seiner Feder brach in seinem Griff.

Er untersuchte die Spitze, um zu sehen, ob sie gerettet werden konnte und ergriff ein silbernes Messer, das auf dem Schreibtisch lag. Vorsichtig schnitt er die gebrochene Ecke fort und begann eine neue Spitze zu formen. Er könnte diese Heirat unterstützen, Arwens Söhnen einen sicheren Zufluchtsort bieten und auf sie achten, während sie alt wurden und starben, oder starben, indem sie den sinnlosen Kampf gegen ein Übel aufnahmen, von dem er wusste, dass es von keiner Macht, die Elben oder Menschen jetzt besaßen, überwunden werden konnte. Er wusste, diese Heirat zu verbieten, wäre töricht. Aragorn und Arwen waren beide erwachsen und ihre Liebe war aufrichtig und tief. Es wäre sehr viel wahrscheinlicher, dass sie sich ihm schließlich widersetzten, und er würde von ihnen entfremdet werden. Arwens Kinder hätten dann nicht einmal den geringen Schutz, den er ihnen geben konnte. In dem einen wie dem anderen Fall würde er zusehen, wie Arwen – seine schöne, lebensfrohe Arwen – müde wurde und die Kreise der Welt verließ, für ihn auf immer verloren. Wenn er einen dritten Weg wählte, war es möglich, dass die Linie der Könige, die von seinem Bruder herabreichte, aussterben würde. Aragorn liebte Arwen, seit er das Mannesalter erreicht hatte. Nun, da sie seine Liebe erwiderte, war Elrond sicher, dass er keine andere Frau nehmen würde, nicht einmal, um einen Erben für die Dúnedain zu zeugen.

Er legte die neu ausgebesserte Feder vorsichtig auf den Tisch und wandte sich um, um erneut auf die Terrasse hinauszusehen. Die Sonne die jetzt im Westen niedersank, legte eine tiefgoldene Färbung über die zügellos blühenden Ranken. Seine Hände zitterten und ein Kloß saß ihm in der Kehle, als er auf die Schönheit, die er bewahrte, starrte. Er schluckte, traf eine Entscheidung und gewann die Selbstbeherrschung zurück.

Er würde sich Aragrons Pläne anhören und sie unterstützen, wo sie durchführbar schienen. Er fürchtete, dass Aragorn, schwindlig von Arwens Liebe, seine Pläne auf Träumen und nicht auf der Realität aufgebaut haben könnte. Tausend Jahre waren vergangen, seit Arnor stark genug gewesen war, ein Königreich zu sein. Das Volk, nicht allein das Land machte ein Reich aus; und die annähernd fünfzig Jahre, seit Arathorn gefallen war, hatten ihren Tribut von den Dúnedain gefordert. Elrond selbst hätte sich, nachdem Gil-galad gefallen war, zum Hohekönig der Noldor ernennen können, doch er hatte gewusst, dass ein solcher Anspruch töricht gewesen wäre. Die Eldar, die in Mittelerde geblieben waren, waren von geringer Zahl, doch Arwens Abstammung war noch immer königlich. Seine Tochter würde die Gnade ihres Lebens für niemand geringeren als einen zweifach gekrönten König aufgeben. Wenn Aragorn sicher die Krone Gondors tragen und das Zepter Annúminas’ halten konnte, dann wäre er ihrer würdig. Wenn er diese nicht in der ihm gegebenen Spanne der Jahre tun konnte, dann würde Celebrían ihre Tochter wieder sehen.

Er tauchte seine Feder in das Tintenfass und begann ein weiteres Mal zu schreiben.
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