Arda Fanfiction

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Allein

von Dairyû

Chapter #2

Ich hatte mich gut in der Gewalt ... der Lohn für lange Jahre der Übung. So konnte ich Denethor ins Gesicht sehen, ganz ohne Groll oder Anklage. Beides halte ich tief in meinem Herzen verborgen seit ich erfassen konnte, dass mein Vater keine Liebe für mich kennt. Boromirs Augen blickten mit einem Mal sehr müde. Er hatte sich redlich bemüht mich in einem guten Licht darzustellen. Doch selbst wenn ich Osgiliath ganz allein von allen Feinden gesäubert gehabt hätte, wäre es meinem Herrn nicht genug gewesen. Ich konnte seinen Ansprüchen noch nie gerecht werden, immer wieder fand er einen Grund zu tadeln, so eifrig ich auch war, die mir aufgetragenen Aufgaben redlich zu erfüllen. Schweigen herrschte. Auch als Denethor schon lange gegangen war. Viele Männer sahen mich verlegen an. Ich befreite sie von ihrem Unbehagen indem ich mich abwendete. Zwischen den Trümmern der Häuser bin ich umher gewandert, beschämt und zugleich zornig über die Erniedrigung, die ich erdulden musste, und schließlich an den einstmals prächtigen Torbogen gekommen, der auch am heutigen Tag mein Zufluchtsort ist ...

***

Hier harre ich nun aus, ein wenig abseits, ein stiller Beobachter des heiteren Treibens, welches mir mit einem Male unpassend und wenig würdevoll erscheint. Überall liegen die Erschlagenen ... eine stumme Mahnung dessen, was einem jeden von uns widerfahren kann. Seien es die Krieger auf dem Schlachtfeld oder die Frauen und Kinder in den Häusern. Der Feind wird niemanden schonen, wenn er uns überrennt. Deshalb gilt es, alle verbliebene Kraft aufzubringen, damit das Schlimmste nicht geschieht ... oder es zumindest hinauszuzögern ... Ach, wie gerne möchte ich auf ein gutes Ende hoffen! Die Luft riecht nur ein wenig unangenehm. Wir können von Glück sagen, dass es kühl ist in diesem Sommer und dass der nahe Fluss einen frischen Hauch heran trägt, in dem sich der reine Duft seiner Quelle noch erahnen lässt. Dennoch, bald wird man die Gefallenen außerhalb der Stadt notdürftig verscharren müssen und die Orks verbrennen, damit der Tod nicht auf andere Art um sich greift. Auch als bleichen Gesellen mit eingefallenen Wangen, fiebernden Augen und einem Körper, dessen Inneres sich in Auflösung befindet habe ich ihn schon zu oft gesehen. Es zieht mich zum Fluss. Ich muss die quälenden Bilder vor meinen Augen vertreiben ... ebenso die Gedanken, die mich bedrücken. Der Anduin ist wunderschön. Manchmal wünsche ich mir, er würde mich forttragen, an das Meer, dessen Rauschen ich in meinen Träumen hören kann und an fremde Gefilde, die keine Not und kein Leid verheißen; einzig Gnade und Barmherzigkeit. In diesen Träumen habe ich meinen Frieden gefunden, mit der Welt und mit ihm. Das dunkle Wasser gleitet stetig dahin und das Licht des nahenden Abends zaubert Farbtupfer auf die kleinen Wellen, die spielerisch das manchmal flache Ufer erklimmen, wenn die steinerne Umrandung zerstört worden ist, und das helle Gestein benetzen. Kleine Pfützen bleiben zurück, in denen sich der Himmel widerspiegelt, an dem zarte Wolken hängen. Die Brücke, die beide Stadthälften miteinander verbindet, wird zu einem schattenhaften Bogen über dem Fluss. Die alte Zitadelle der Sterne erhebt sich noch immer majestätisch über dem Wasser. Ihre Kuppel ... wenn auch beschädigt in dem Sippenstreit vor langer Zeit .. fängt die letzten Strahlen der Abendsonne ein und leuchtet wie ein Juwel. Ein blasser Zwilling funkelt mir aus dem Fluss entgegen. Die Nacht kriecht sehr langsam von Osten her über das Schattengebirge heran. Ich spüre sie in meinen Gliedern wie einen kalten Hauch. Früher mochte ich die Dunkelheit über Osgiliath, wenn nur die Sterne funkelten und kein anderer Laut die Stille durchbrach als allein mein leiser Atem. Aber nun sind die Stunden der Ruhe zu einem Schrecken geworden. Allein. So allein ...

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