Arda Fanfiction

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Frei sein!

von Anarya

Chapter #1

Die Nacht ist warm, zu schwül für diese Jahreszeit. In der dichten, zähen Luft wird jeder Atemzug zur mühevollen Qual. Eine fremde dunkle Macht scheint über dem Land zu liegen, die die Schritte der Pferde hemmt und sich dem schweigend dahinziehenden Heer in den Weg stellt.


Seit Tagen bin ich im Sattel. Nur kurze Pausen haben wir uns gegönnt, die gerade ausreichten, dass Pferde und Reiter neue Kräfte sammeln konnten für den langen Ritt, der noch vor uns liegt.

Das Ziel unseres Weges ist Gondor, mit dem wir seit langer Zeit verbündet sind.

Hilfe in der Not hatten sich die Völker Rohans und Gondors einst geschworen. Nun ist Gondor in schwerer Bedrängnis. Der rote Pfeil, das Kriegszeichen, war nach Rohan gebracht worden, und die Leuchtfeuer von Gondor brennen auf den Bergen entlang der Straße nach Süden. Das letzte freie Königreich, die letzte Bastion gegen die Bedrohung aus Mordor ruft um Hilfe.


Ich schweige. Ich spreche mit niemandem, und ich beantwortete auch die Fragen des Hobbits nicht, der unerkannt vor mir im Sattel sitzt. In aller Stille und Heimlichkeit nahm ich ihn zu mir aufs Pferd, bevor wir aufbrachen. Wie ich ist er unerwünscht auf diesem Feldzug, und wie ich wehrt er sich dagegen zurückzubleiben.

Doch meine Gründe des Widerstands sind von anderer Art als die des Hobbits.


Nicht aus Eigensinn und Trotz bin ich ungehorsam gegen meinen König und Gebieter, den ich liebe, als wäre er mein Vater, denn ich weiß, er meint es gut mit mir.

Dort vorn reitet er, und er ahnt nicht, wer sich in seinem Gefolge unter der Rüstung eines jungen Kriegers verbirgt.


Einen Käfig hatte er mir zugedacht, während das Heer auszieht, um Gondor zur Seite zu stehen im Kampf gegen dunkle Mächte.

Ich bin eine Schildmaid, eine Kriegerin! Ich kann kämpfen und stehe den Männern nicht nach! Den Tod fürchte ich nicht!

Sollte ich in Edoras bleiben als Hüterin der Frauen und Kinder, als Pflegerin für Alte, Kranke und Gebrechliche? Stets wartend auf Botschaft über den Fortgang der Ereignisse? Solches Schicksal sollte mir zugedacht sein? Ausharren mit gebundenen Händen, derweil mein Schwert nutzlos in der Scheide steckt und rostet?

So verließ ich den Käfig, die Befehle meines Königs missachtend, doch entfloh ich diesem Käfig, ohne frei zu sein. Fesseln trage ich, die mir ein anderer Mann anlegte. Fesseln um mein Herz und meine Seele.

Ich reite, um diese bitteren Ketten zu sprengen und abzustreifen.


Warum kann er mich nicht lieben, dieser andere Mann?

Wer ist die fremde Frau, nach der er sich verzehrt?

Schön über alle Maßen soll sie sein und von hohem Stand.

Von hohem Stand bin ich auch. Ich bin eine Tochter von Königen.


Eifersucht frisst an meiner Seele, kriecht durch meine Gedanken wie nagendes Gewürm. Warum kann er mich nicht lieben?

Alle Zeichen deutete ich falsch: Seine Blicke, das Erstrahlen seiner grauen Augen, wenn wir uns begegneten... Es war Freundlichkeit, nichts weiter.

Immer wieder tasteten seine Finger nach einem Schmuckstück, das er an seinem Hals trägt. Ein wunderschönes, strahlendes Kleinod, wie es nur die Elben arbeiten können.

„Wer ist die Frau, die euch dieses Schmuckstück schenkte?“ fragte ich ihn, doch er antwortete nicht, richtete den Blick nur in eine namenlose Ferne und schwieg. Doch dieses Schweigen war Antwort genug.

„Sie gehört dem Volk der Elben an,“ sprach er nach einer Weile, und so viel Wehmut und Sehnsucht waren in seinen Augen, dass meine Hoffnung schwand und ich nur noch Schmerz fühlte.

Und auch Trotz regte sich in mir: Bin ich ihm nicht so viel ähnlicher, als diese Frau, die solch ein zartes Schmuckstück verschenkt? Ich bin stark und stolz wie er, fürchte Schmerzen nicht und Tod, kann kämpfen wie die Krieger meines Volkes.


In mondhellen Nächten liege ich wach und empfinde zum ersten Mal in meinem Leben meine Weiblichkeit, dieses Gefühl, das viel zu lange in mir schlummerte.

Seine hochgewachsene Gestalt sehe ich in meinen Wachträumen, sehe seine Hände, schmal und zärtlich, die doch fest zupacken können, wenn sie sich um das Heft eines Schwertes schließen.

Seine Lippen flüstern innige Worte an meinem Ohr, und er gibt mir zärtliche Namen... Alles nur ein Traum...


Ich will frei sein von diesem Traum!

Wir werden uns nicht wiedersehen. Er hat sich auf die Pfade der Toten begeben, und von dort ist noch niemand zurückgekehrt. Und auch er hat wohl längst den Tod gefunden.

Fast bin ich versucht zu denken, dass ihn nun auch die andere nicht haben kann, denn er wird nicht zu ihr heimkehren. Dieser böse Gedanke wird sofort bitter, noch bevor ich ihn zuende gebracht habe. Auch sie liebt ihn, wie ich ihn liebe, und ihr Schmerz wird so unermesslich sein wie der meine. Doch der Stachel der Eifersucht quält mich ohne Unterlass, und Missgunst gibt mir böse Gedanken ein.

‚Eine Elbenhexe ist sie, die ihn bezaubert hat, die ihn umgarnt hat mit ihrem elbischen Liebreiz und die seine Seele und sein Herz mit scheinbar zarten, liebevollen Händen umfangen hält. Doch ich sehe nur abscheuliche Klauen und Krallen, die sie in ihn schlug... Nein... Nein! Sie liebt ihn wie ich... Und er liebt sie...’


Ich will frei sein von diesen quälenden Gedanken, von diesem Traum!

Darum reite ich heimlich und unerkannt mit den Kriegern meines Königs in den Kampf.

Ich fürchte nicht den Tod. Ich fürchte mich nur vor dem Sterben. Einen schnellen Tod sehne ich herbei, einen Tod, den ich nicht herbeischleichen sehe, einen Tod der mich rasch und unerwartet ereilt, ein schnelles Sterben im Kampf mit dem Schwert in meiner Hand. Doch mit dem letzten Lebenshauch werden meine Lippen seinen Namen flüstern, und sein Bild werde ich mit mir nehmen auf die Reise in die Dunkelheit.


Der Morgen graut. Aus den Niederungen steigt grauer, trostloser Nebel, grau und trostlos wie meine Gedanken.

Der Wind trägt Brandgeruch von Osten her. Ein gewaltiger Hall, ein einzelner Donnerschlag erschüttert Luft und Erde. Minas Tirith! Kommen wir zu spät? Roter Flammenschein erglüht über der Stadt.


Die Pferde werden angetrieben, galoppieren über die Ebene, und tausendfach dröhnen ihre schnellen Hufe.

Schlachtenlärm und Waffenklirren tönen bis zu uns. Wir kommen!

„Reitet, reitet für Gondor!“ höre ich die Hörner rufen.

„Voran, voran, Reiter Theodens,

Zu blutigem Tagwerk, in Tod und Brand!

Speer splittre, Schild berste!

Den Sand rötet, eh die Sonne aufgeht!

Reitet, reitet, für Gondor!“ singt mein König, und sechstausend Mann folgen ihm.


Kein anderer Gedanke hat nun Raum in mir. Ich kämpfe an der Seite meines Königs. Mein Schwert singt eine todbringende Melodie und trennt Orkköpfe von ihren Hälsen, sticht in dunkle Leiber, und ich blicke in tiefliegende Augen, in denen sich nur noch ungläubiges Erstaunen zeigt, wenn sich die toten Körper zur Seite neigen und fallen.


„Mein König!“

Ein Schrei entringt sich meiner Brust, denn ich sehe, wie mein geliebter König fällt. Unter seinem Pferd ist er begraben, das in wildem Todeskampf mit den Hufen schlägt.

„Mein König!“

Die Worte ersterben mir auf den Lippen.

Ein Schatten senkt sich nieder, verdunkelt den ohnehin rauchgeschwängerten Tag.

Ein geflügeltes Untier, gewaltig wie schwarzer, alles verdüsternder Nebel, stößt herab und lässt sich auf Schneemähne, meines Königs Pferd, nieder. Seine krallenbewehrten Klauen schlagen sich in den edlen Körper des gefallenen Tieres. Es beugt den schlangenartigen Hals, um den ersten Brocken noch dampfenden Fleisches aus dem Pferdeleib zu reißen.

Der Gestank betäubt mich. Doch nicht stark genug, um nicht die entsetzliche Gestalt wahrzunehmen, die auf dem Rücken der schuppenhäutigen Kreatur reitet: Ein riesiger, schwarz gewandeter Mann mit einer Krone aus Eisen. Rot funkeln seine Augen unter der tief herabgezogenen Kapuze hervor, doch ein Gesicht kann ich nicht sehen.

Ich erkenne ihn dennoch: Es ist der Fürst der Nazgul, dem ich gegenüberstehe!


Es bleibt mir keine Zeit, Furcht zu empfinden. Ich muss meinem König beistehen, denn der schwarze Reiter schwingt seine todbringende Keule gegen meinen geliebten Gebieter, der mir wie ein Vater war.

Tränen trüben meinen Blick; Nicht Tränen der Furcht, sondern Tränen der Trauer. Doch jetzt ist nicht die Zeit zu trauern und zu barmen!

Meine eigene Stimme weckt mich aus der Erstarrung: „Verschwinde, leichenschändendes Scheusal, Fürst der Aasgeier! Lass die Toten ruhen!“ höre ich mich rufen.

Meine Stimme erklingt dünn und zaghaft, und doch übertönt sie den Lärm der Schlacht.

Mein Körper bebt, und fast genieße ich diesen Moment, denn jedes Wort bringt mich meiner ersehnten Freiheit einen Lidschlag näher.

Ich höre eisige Worte, die unter der Kapuze seines Umhangs hervorkriechen, doch sie lassen mich nicht in Furcht erstarren:

„Tritt niemals zwischen den Nazgul und sein Opfer! „

Eine Drohung spricht er aus, die mich in ihrer Entsetzlichkeit nicht schreckt, denn ich werde ihm keine Gelegenheit bieten, sie wahr werden zu lassen. Ich werde ihn töten und... Tod und Vergessen finden!


Wie erfreut mich das silberne Klirren, als mein Schwert aus der Scheide fährt!

„Tu, was du willst; und ich tu’, was ich kann, um dich zu hindern!“

„Mich hindern? Du Narr! Kein Mann, der lebt, kann mich hindern.“

Er lacht ein hohles, böses, höhnisches Lachen, doch er verstummt, als ich während einer schnellen Bewegung den Helm verliere und mein sonnenhelles Haar sich über meine Schultern ergießt wie ein blassgoldener Wasserfall.

Trotzig sind die Worte, die ich ihm unter Tränen entgegenschleudere: „Du hast keinen Mann vor dir! Eine Schildmaid Rohans steht vor dir!“


Ich spüre für einen kleinen Augenblick, wie seine Angriffslust nachlässt. Etwas wie Nachdenklichkeit weht zu mir herüber. Gibt er schon auf? Ich will kämpfen, denn ich muss für meinen König Rache nehmen! Das wird das letzte sein, was ich in diesem Leben noch zu verrichten habe.


Das geflügelte Untier wendet seinen Schlangenhals und schlägt mit seinen schuppigen Flügeln. Gestank weht zu mir, den ich kaum ertragen kann. Verwesung, Fäulnis und alles Böse der Zeit sind in dieser Ausdünstung. Mein Schwert singt erneut sein tödliches Lied, als ich zum Streich aushole, bevor das Scheusal mich erreicht. Sein hässlicher Kopf fällt auf die blutgetränkte Erde, und mit einem letzten Zucken seiner Gliedmaßen verendet es.


Ein Schrei!... Gift ist er für meine Ohren!

Ein Schlag auf meine Seite raubt mir die Sinne... Kommt nun der Tod? Das Vergessen?

Der Schmerz bringt mich in die Wirklichkeit zurück. Mein Arm!... Zerschmettert baumelt er an meiner Seite, als würde er nicht zu mir gehören.

Doch nicht den Schwertarm hat er mir zerbrochen!

Warum schreit er, der schwarze Feldherr?

Mein Schwert erhebt sich wie von selbst und sticht zu in diesen verhassten Körper, der keiner ist.


Wer schreit so schrill und klagend? Leiser wird der Schrei und stirbt, wird vom Wind verweht...


Bin ich es, die schrie?

Nein, denn mir ist zumute, als müsste ich lächeln. Warme Dunkelheit umfängt mich und meine Gedanken. Mein Weg endet hier, denn ich bin angekommen in einer Welt außerhalb jeden Schmerzes und jeden Verlangens.


Ich bin frei, Aragorn, mein Liebster!
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