Arda Fanfiction

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Nicht die Einzige

von Valinja

Chapter #1

Éowyn, Schildmaid Rohans und Nichte des Königs. Dernhelm, Kriegerin Rohans, Kämpferin in der Schlacht auf den Pelennor-Feldern - ein und dieselbe Person. Eine Frau, die kämpfen wollte, aber nicht durfte. Eine Frau, die es doch tat. Doch war sie auch die Einzige?

Nein.



Denn es gab noch sie. Sie, deren Name unwichtig war, weil niemand danach fragte und es auch niemanden interessierte. Sie war nur eine einfache Rohirrim vielleicht sogar weniger - nicht mehr als eine Magd, nicht anders gekleidet - doch ihr Herz schrie nach Befreiung.

Ihr ganzes Leben war öde und eintönig gewesen, gefangen in einem tristen Alltag, schon seit sie dem Kleinkindesalter entwachsen war, eine Waise, die nicht wusste was Familie, Geborgenheit oder Vertrauen hieß. Und auch wenn sie es nicht wirklich war, kannte sie nur die Einsamkeit ihres Herzens und die Fesseln, die sie sich selbst auflegte.

Tagein, tagaus arbeitete sie mit dem Vieh, versorgte und fütterte die wenigen Schweine und Kühe, sowie das einzige Pferd, das ihr Herr besaß. Und in ihrer freien Zeit kümmerte sie sich um die bettlägerige Gattin ihres Herren, die befallen war von einer Krankheit die sie dahin schwinden ließ und gegen die es kein Heilmittel gab.
So lernte sie schon früh das Elend kennen.

Abends saß sie in ihrer winzigen Kammer, die langen Haare stumpf und störrisch, die Kleider dreckig, das Gesicht schmutzig. Ihr Blick schweifte immer aus dem kleinen Fenster, hinweg über die Wiesen und Hügel Rohans - das freie Land. Wie gerne würde sie darüber reiten, sich einmal frei fühlen. Wie gerne wäre sie eine Kriegerin, tapfer, mutig und furchtlos. Vielleicht war das die Freiheit, doch konnte sie es beurteilen?

Sie war eine Frau, schwach, schmutzig, von niedriger Abstammung. Nicht nur in den Augen der Krieger besaß sie keinen Wert. Und doch wünschte sie sich die Anerkennung, die sie nie bekam.

Dann brach der Krieg über Rohan herein. Sarumans Truppen marschierten gegen Helms Klamm - eine schicksalshafte Schlacht. Doch der Sieg lag auf Seiten Théodens.

Nur war die Bedrohung damit nicht vorbei. Saruman war geschlagen, aber Mordor war stark. Der Schatten breitete sich aus, legte sich über die Herzen der Menschen und über das ihre, das schon längst beschwert war. Und die Männer Rohans wurden einberufen für den Kampf gegen Sauron und für Gondor.

Das war der Moment, an dem sie ihren Entschluss fasste, an dem sie zum ersten Mal wagte auszubrechen aus den engen Fesseln.

Des Nachts schlich sie sich in den Stall, wo das Pferd stand. Es war kein schönes Ross, doch voller Stärke und Ausdauer.

Mit einem Messer schnitt sie ihre stumpfen Haare ab. Weibliche Rundungen hatte sie nie besessen. Sie würde nicht weiter auffallen.

Die Rüstung stahl sie vom ihren Herren, ebenso die Waffen. Er war zu alt und würde nicht kämpfen können. Sie kannte wenigstens die Grundtechniken aus den Tagen, als sie noch mit den Kindern der Straße Scheinkämpfe ausgetragen hatte.

Trotzdem schlug ihr das Herz bis zum Halse, als sie das gesattelte und aufgezäumte Pferd aus dem Stall führte. Die Freiheit lag so nahe, doch die Angst nagte an ihrem Verstand. Sie wollte nicht daran denken, was passieren würde, wenn ihre Tarnung aufflog.

Auf dem Rücken des Pferdes ritt sie hinein in die finstere Nacht.
Wolken verdeckten die Sterne und ähnliche Schatten legten sich über ihr Gemüt.
Rhythmisch klapperten die Hufe ihres Reittiers über das Gestein - ein einsames Geräusch in ihren Ohren.

Bei Morgengrauen erreichte sie den Ort, an dem die Heerschau stattfand. Niemand fiel auf, dass sie kein Mann war. Niemand fragte nach ihrem Namen. Sie brauchte keinen falschen zu nennen, wie es Éowyn tat, denn sie wurde kaum beachtet, ging unter in der großen Schar der berittenen Krieger.

Dann ritt das Heer aus. Tage saßen die Krieger auf ihren Rössern, schliefen nur wenn es nötig war.

Sie waren erfüllt von Hoffnung, dass sie nicht zu spät kamen. Angst, dass sie es doch taten. Angst, entdeckt zu werden. Und sie war mitten unter ihnen. In mitten der Reiter.

Ihr Pferd war, obgleich ausdauernd, erschöpft, und auch ihre Kraft schwand. Ihre Muskeln waren ermüdet, doch sie zwang sich durchzuhalten. Sie musste niemanden etwas beweisen, nur sich selbst - beweisen, dass sie fähig war, dies zu vollbringen - fähig auszubrechen, fähig frei zu sein.

Noch in der Nacht erreichten sie den Pelennor, umritten ihn unbemerkt.
Und als die Sonne aufging, erklangen die Hörner. Rohan war gekommen, Gondor zu unterstützen.

Still saß sie auf ihrem Pferd, umgeben von einer riesigen Streitmacht, die so klein war im Vergleich zu den Armeen Mordors. Sie rang nach Atem, schöpfte Kraft. Und sie hörte die Rufe Theodens, die letzten Worte an seine Männer.

Die Stimmung des Heeres war aufgewühlt, und als die ersten Kampfesschreie durch die Luft hallte, schrie sie auch. Das Blut pulsierte und kochte in ihren Adern, und sie wurde mitgerissen in den Strudel des Kampfes.

Wie in Trance erlebte sie, wie sich die Scharen in Bewegung setzten. Erst langsam, dann immer schneller galoppierten die Pferde. Mit ihrem Ritt fegte der gewaltige Donner der Pferdehufe über die Felder.

Und sie sah ihre Feinde: Riesige Horden von grausigen Orks, dazwischen Trolle und Warge. Wieder legte sich die Angst um ihr Herz, einer kalten Klaue gleich.

Es gab kein zurück. Mit einem letzten lauten Aufschrei zog sie ihr Schwert und stürzte sich ins Schlachtgetümmel.

Es war wie ein Rausch, als das Adrenalin durch ihre Adern pulsierte. Eine nicht enden wollende Zahl von Orks stürmte auf sie ein. Die Gesichter der Kreaturen zogen an ihr vorbei, während sie mit ihrem Schwert auf alles einhieb, was sich ihr in den Weg stellte. Schwarzes Blut haftete an der glänzenden Klinge, spritzte immer wieder über ihre Rüstung. Es war nicht mehr als ein einziger, nackter Kampf ums Überleben.

Sie verlor jegliches Zeitgefühl. Ihre Hand krampfte sich um den Knauf des Schwertes. Selbst wenn sie gewollt hätte, loslassen wäre ihr unmöglich gewesen. Ihre Muskeln zitterten unter der Anstrengung. Ein Pfeil hatte sie am Arm getroffen, doch sie nahm den Schmerz kaum war unter der Anspannung ihres Körpers und dem blinden Kampf zu überleben, der sie ergriffen hatte.

Ihr Pferd zitterte nicht weniger als sie selbst. Das Fell glänzte schweißnass und besudelt mit dem Blut der Orks. Von einem Pfeil getroffen, brachen seine Beine hinweg und sie wurde fast unter ihm begraben. Nur knapp entkam sie dem schweren und wuchtigen Körper, der sie unweigerlich erdrückt hätte.

Fortan musste sie vom Boden aus kämpfen. Es war weitaus anstrengender und sie zahlte den Preis dafür. Sie wirbelte ihr Schwert um ihren Kopf und schnitt einem Ork die Kehle durch, einem anderen konnte sie noch den Bauch aufschlitzen. Doch eine Chance hatte sie nicht.

Die Erschöpfung breitete sich aus. Ihre Bewegungen wurden langsamer und schwerfälliger und es dauerte nicht lange, bis sich ein weiterer Ork auf sie stürzte. Ihr fehlte die Kraft, um ihm auszuweichen, die Kraft um überhaupt zurückzuschlagen. Ihr Reaktionsvermögen hatte versagt.

So bohrte sich des Gegners Schwert in ihre Brust. Verletzt taumelte sie zurück, fiel zu Boden, dort, wo schon so viele Gefallene lagen - Krieger Rohans und Gondors, ihre Pferde, Orks, Ostlinge. Und irgendwo lag auch Theoden auf diesem Boden, begraben unter seinem Pferd Schneemähne - tot.

Sie würde auch sterben. Sie wusste es, noch bevor sie den Boden berührte. Die Augenblicke schienen wie Äonen an ihr vorbeizuziehen. Das Schmerzensfeuer brannte in ihrer Brust und zuckte durch ihren Körper. Blut gelangte in ihre Lunge und sie hustete es hervor. Qualvoll war das letzte Gefühl, das sie spürte, der letzte Gedanke, den sie dachte.

Dann umschlossen sie die dunklen Armen des Todes, befreiten sie von ihrem letzten Kampf, trugen ihre Seele hinfort von Grauen und Leid.

So fiel sie auf den Feldern des Pelennor. Niemand wusste, dass sie an ihrer Seite gefochten hatte. Niemand wusste, dass sie gestorben war, und niemand wusste, wie sie geheißen hatte.

Und so blieb Eowyn von Rohan in der Erinnerung der Menschen die einzige Frau, die gekämpft hatte in der Schlacht um Minas Tirith.


ENDE
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