Arda Fanfiction

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Tränen in Valinor

von Ramona

Kapitel 1

Fingolfin hielt inne. Die letzten Töne der elbischen Melodie, die seine Lippen verlassen hatten, verloren sich in der kühlen Abendluft. Er lauschte, doch er konnte nichts Ungewöhnliches hören. Alles schien normal zu sein, so makellos wie jeder Abend in Valinor es war. Doch sein Herz sagte ihm, dass etwas nicht stimmte. Die Harmonie schien trügerisch, sie schien etwas zu verbergen.

Fingolfin runzelte leicht die Stirn und setzte seinen Weg fort. Dann hörte er etwas Ungewöhnliches: Ein leises Geräusch drang an sein Ohr. Es klang wie ein Schluchzen. Ohne zu zögern ging er dem Geräusch nach, bis er schließlich den Ursprung fand.

Am Fuße eines großen Baumes hockte eine zierliche Gestalt. Sie war in sich zusammengekauert und hatte das Gesicht in der selbst geschaffenen Dunkelheit zwischen den angewinkelten Beinen und Armen verborgen. Langes rotes Haar fiel in ebenmäßigen Wellen über die Schultern.

Fingolfin kniete neben ihr nieder und legte seine Hand auf einen Arm der Elbin. „Nerdanel.“, sagte er leise und sie sah auf. Er betrachtete sie voller Mitleid. Ihre Augen waren gerötet und ihr Gesicht tränenüberströmt. Scheu wich sie seinem Blick aus. Fingolfin zog sie auf die Beine und hob ihr Kinn mit einem Finger.

„Was ist geschehen, Schwägerin? Nicht oft gibt es Tränen in Valinor.“ Nerdanel betrachtete ihn einen Moment lang. „Es ist Curufinwe.“, sagte sie schließlich. „Feanor? Was hat er dir angetan?“ Sorge stand auf Fingolfins Gesicht geschrieben.

Wieder wich Nerdanel seinem Blick aus. „Ich…ich sollte nicht mit dir darüber sprechen.“ Wieder zwang er sie, ihm in die Augen zu schauen und er begegnete ihrem Blick mit ernster Sorge.

„Ich habe einen Zwist mit Feanor, doch du bist nicht er. Du bist seine Frau und meine Schwägerin. Wenn es dir schlecht geht, so will ich dich trösten. Bitte gestatte es mir.“ Sie nickte schwach. „Er…er ist nicht mehr der Curufinwe, den ich einst geheiratet haben, den ich einst geliebt habe.“

„Wie meinst du das?“ „Jetzt ist er wahrlich Feanor der Feuergeist. Doch als ich ihn kennen lernte, war er anders. Er war einfühlsam und gutherzig. Jetzt verbringt er so viel Zeit mit seiner Arbeit. Er will immer neue Dinge erschaffen. Anfangs konnte ich seinen Eifer ein wenig bremsen und ihn ausbalancieren, doch nun geht das nicht mehr. Er hört nicht mehr auf das, was ich sage, er nimmt mich nicht mehr richtig wahr.“

„Vielleicht ist er gerade in einer wichtigen Phase seiner Arbeit.“, warf Fingolfin ein, doch im Herzen wusste er, dass dem nicht so war. Auch Nerdanel schüttelte traurig den Kopf. „Nein, Fingolfin, und du weißt das ebenso gut wie ich. Er hat mich geliebt, ja. Doch nun liebt er die Schmiede mehr als mich. Ich bin kein Werk seiner Hände, das schmälert meinen Wert in seinen Augen.“

Fingolfin legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter. „Nein, Nerdanel, nichts in Arda könnte deinen Wert schmälern.“ Sie lächelte traurig. „Das sind liebe Worte, Schwager, doch sag das deinem Bruder.“ „Das werde ich, wenn du das möchtest.“, versprach er, doch sie schüttelte den Kopf. „Nein, er darf nie erfahren, dass ich mit dir darüber gesprochen habe. Er würde furchtbar wütend werden.“

Auf einmal wirkte Fingolfin bestürzt. „Er hat dir doch keine Gewalt angetan, oder?“ „Nein, das hat er nicht. Doch wenn er wüsste, dass ich mit dir spreche, würde er böse werden.“ „Das mag sein.“ „Ja. In der letzten Zeit ist er unbeherrschter geworden. Über der ganzen Arbeit verliert er die Kontrolle über sich selbst.“

„Warum hat er sich so geändert?“ „Das weiß ich nicht zu beantworten. Ich kenne die Liebe zum Schmiedehandwerk, mein Vater war Schmied. Bei Curufinwe jedoch ist es etwas viel Stärkeres. Viele andere konnte er schon dafür begeistern.“

Fingolfin nickte. „Ja, er kann sehr überzeugend sein. Er weiß mit bloßen Worten Sehnsucht in den Herzen anderer zu wecken, wenn auch er diese Sehnsucht spürt.“ „Auf mich hatte das noch nie eine Wirkung. Doch ich habe Angst vor dem, was in Zukunft geschehen wird. Was soll ich tun, wenn es schlimmer wird? Ich könnte meinen geliebten Curufinwe verlieren. Bald ist er nur noch Feanor Feuergeist. Was soll ich tun, Fingolfin?“ Wieder lief eine Träne ihre Wange hinab.

Fingolfin fing sie mit einer Fingerkuppe auf. „Weine nicht, Schwägerin. Ich kann dir deinen Gatten nicht wiedergeben. Doch du hast deine Söhne. Dein Leben ist nicht wertlos.“ „Was rätst du mir?“ Er überlegte einen Moment.

„Versuche weiter, ihn umzustimmen, doch mache dir nicht allzu große Hoffnungen. Bewahre deine Selbstständigkeit, denn sie wird vielleicht irgendwann dein einziger Trost sein. Du hast noch deine Söhne. So lange sie noch nicht erwachsen sind, sei ihnen eine gute Mutter. Doch danach musst du sie loslassen können.“

„Ich fürchte, das wird schwer werden. Maedhros ist beinahe erwachsen. Ich glaube, ich könnte ihn nicht gehen lassen.“ „Das wirst du aber vielleicht müssen. Söhne würden ihrem Vater folgen, vor allem wenn er so ein überzeugender Redner ist wie Feanor. Behalte ein Stück Eigenständigkeit übrig.“

„Doch was soll ich tun? Wie soll ich das schaffen?“ Fingolfin lächelte. „Du bist bei uns immer herzlich willkommen, Nerdanel. Meine Frau und du, ihr würdet euch sicher gut verstehen. Besuche uns wann immer dir der Sinn danach steht. Vergiss dein Leben außerhalb der Ehe nicht.“

Sie nickte. „Vielen Dank, Fingolfin. Du bist sehr weise und hast mir wirklich geholfen.“ „Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst.“ Dankbar umarmte sie ihn und er strich ihr freundschaftlich über den Rücken. „Aber nun sollte ich zurückgehen. Curufinwe wird Fragen stellen.“

Fingolfin wurde wieder ernst. „Wirst du ihm von unserem Treffen erzählen?“ „Besser nicht. Irgendwann werde ich mit ihm darüber sprechen müssen, denn ich nehme dein Angebot gerne an. Dann werde ich mir ein Stück Freiheit zurück erkämpfen. Er kann mir den Kontakt zu dir nicht verbieten.“

„Das ist ein guter Vorsatz. Doch vielleicht wird alles auch wieder gut und er kommt zur Vernunft. Klammere dich nicht an die Hoffnung, doch verliere sie nicht ganz.“, riet er. Nerdanel nickte. „Auf Wiedersehen, Fingolfin. Und vielen Dank nochmals.“ „Das habe ich gern getan. Ich wünsche dir viel Glück.“ „Danke.“

Feanors Gattin machte sich wieder auf den Weg nach Hause. Fingolfin setzte seinen Spaziergang fort und dachte über seinen Halbbruder nach. So gern er auch glauben wollte, dass Feanor sich ändern würde, so wusste er doch tief im Herzen, dass es noch viel schlimmer kommen würde.

ENDE

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