Arda Fanfiction

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Die Rückkehr der Starren

von Ethelfara Ceorlred

Kapitel #1 Das Leben im Auenland

Für ein besseres Verständnis der hier beschriebenen Handlungen empfiehlt der Autor, den ersten Teil, "Die Gründung des Auenlands" zuerst zu lesen.


Die kalten Februartage waren vorüber, und mit den ersten wärmeren Sonnenstrahlen der erstarkenden Frühlingssonne reckten sich erste grüne Knospen in den blaßblauen Märzhimmel. Marcho Tuk war gerade auf dem Heimweg von Königsnorburg, wo der König von Arnor die jährliche Ratsversammlung abgehalten hatte. Viele Angelegenheiten, kleine und große Dinge waren dort erwähnt und erörtert worden; und seit die Hobbits im Auenland lebten, hatte ihr Wort Gewicht.

Es waren nun schon an die dreißig Jahre vergangen, seit sie aus dem Breeland fortgezogen waren, und seitdem war ihr Wohlstand beträchtlich gewachsen. Die Hobbits hatten eine glückliche Hand, was Aussaat und Ernte betraf, und sie waren geschickte Handwerker, die vortreffliche Erzeugnisse erschufen. So kam es, daß niemand im Auenland Not leiden mußte (und das war wahrlich selten in jenen Tagen) und die Zahl der Hobbits wuchs beträchtlich.
Auch bei Marcho, Blanco, Fredegar und Otho hatte sich Nachwuchs eingestellt. Marcho hatte eine reizende Tochter, die er Rosie genannt hatte, weil sie ihrem Wesen nach der Mutter seiner Frau Elena kam (Rosie Geißblatt, die wohl beste Weberin des Breelands). Blanco hatte einen Sohn, der Bucca hieß. Er war schon alt genug, seinem Vater zur Hand zu gehen. Fredegars Sohn Friedrich hatte gerade zu laufen gelernt und trieb mit seinen zweieinhalb Jahren schon jede Menge Unfug. Und Othos Sohn Bodo war mit drei Monaten der jüngste im Bunde.
Ab und zu trafen sich Marcho, Blanco, Fredegar und Otho, und die Oberhäupter der vier Viertel beredeten dann ihre Angelegenheiten bis tief in die Nacht. Einmal im Jahr mußte einer von ihnen zur großen Ratsversammlung von Arnor, die immer im Februar in Königsnorburg, der Hauptstadt des Nördlichen Königreichs stattfand. Jeder Abgesandte der Provinzen des Reichs (von denen das Auenland eine war) hatte dem König vom vergangenen Jahr zu berichten, und an Hand der Ernten und Erträge wurden die Steuern festgesetzt. Und da sich das Auenland zu einer wohlhabenden Provinz entwickelt hatte (seit zwei Jahren hatten sie sogar das Breeland überflügelt) wurden den Anliegen der Hobbits besonderes Gehör geschenkt. In der Tat war es so, daß weite Teile Arnors jetzt von den Abgaben und Lieferungen aus dem Auenland abhängig geworden waren, denn in den Menschenlanden am Abendrotsee waren die Ackerböden ausgelaugt, und die Fischer des Abendrotsees hatten immer weniger in ihren Netzen. Auch war das Klima dort oben wieder kälter geworden, was viele der Dùnedain als übles Vorzeichen sahen.
Aber im Auenland war das Wetter meistens schön, der Regen fiel in Maßen zur rechten Zeit, es war mild (es war schon eine kleine Sensation, wenn im Winter der Schnee über den Knöchel eines Hobbitfußes reichte) und alles wuchs und gedieh. Wenig Gedanken machten sich die Hobbits über das, was außerhalb Arnors vor sich ging; ja selbst die Vorgänge in den anderen Provinzen interessierten sie nicht besonders, von Bree einmal abgesehen. Nur wenige Hobbits hatten Waffen (außer denen, die nahe am Alten Wald oder an der Südgrenze lebten) und wenn, dann hingen sie über dem Kamin oder verstaubten im Schrank. Ruhe und Frieden sahen sie als etwas Selbstverständliches, was der König ihnen im Gegenzug für ihre Steuern gab, und es war für sie ebenso selbstverständlich, in die ärmeren Provinzen von Arnor Lebensmittel und Handwerkszeug zu senden, ohne nach einer Gegenleistung zu fragen. Man erinnerte ich noch zu gut an die Hilfen, die die Hobbits erhalten hatten, als sie noch in Bree lebten. Und jetzt war es so, daß der König genug von dem erhielt, was er brauchte, um die größte Not in den Nordprovinzen zu lindern, und die Räte nannten es einen weisen Entschluß, den Hobbits das Siedeln westlich des Baranduin gestattet zu haben.
Marcho hatte zum Schluß der Ratsversammlung die neue Steuerfestsetzung des Königs erhalten. Es war zwar so, daß das Auenland im kommenden Jahr wieder höhere Abgaben an Königsnorburg zu entrichten hatte, aber da der Wohlstand der Hobbits wuchs, wurde dies noch von den meisten als halb so schlimm aufgefaßt. Doch Marcho und Blanco machten sich Sorgen, daß dieses stetige Wachstum eines Tages ein Ende haben könnte, und dann würden steigende Steuern nicht mehr so bereitwillig entrichtet.
Gedankenverloren ritt Marcho auf der Oststraße durch den Alten Wald. Er ließ sein Pony die Straße entlangtrotten, und er dachten an die Sommertage vor dreißig Jahren, als ihr gewaltiger Troß auf eben dieser Straße gen Westen zog, um eine neue Heimstatt zu finden. Viel Wasser war seither den Brandywein heruntergeflossen, und nach den ersten aufregenden Wochen und Monaten war bald so etwas wie Ruhe und Beschaulichkeit in ihr kleines Ländchen eingekehrt. Sie hatten sogar Besuch aus dem fernen Süden gehabt, aber das war nun schon lange her. Nur der Graue Wanderer besuchte dann und wann die Hobbits, und meistens kam (und ging) er zu unmöglichen Zeiten.
Marcho lächelte, als er an ihre erste Begegnung mit Gandalf drüben im Brückengasthaus zurückdachte. Der alte Zauberer hatte nicht schlecht gestaunt, als er ein wohlbebautes Land an der Stelle vorfand, an der bei seiner letzten Wanderung ein paar Jahre zuvor noch eine hauslose und ungastliche Wildnis gewesen war. Jetzt war das ganze Land zwischen dem Brandywein und den Turmbergen weit im Westen wohlgeordnet und wohlbestellt, auch wenn es noch viel Platz für Einwanderer bot.

Die Nacht brach über das Nördliche Königreich herein, als Marcho endlich die Brandyweinbrücke erreichte. Drüben am anderen Ufer des Flusses blinkten die Lichter von Balgfurt herüber, und von der Küche der Brückenstube stieg ein herrlicher Duft nach Sauerbraten mit Klößen (Marchos Leibspeise, für die er sogar die Marmeladengläser seiner Frau in Frieden ließ) in Marchos Nase. Er trieb sein Pony an, und ein paar Minuten später war er zu Hause. Seine Frau stand schon am Hoftor und erwartete ihn. Marcho sprang vom Pony und fiel ihr in die Arme.

„Bin ich froh, daß du endlich zurück bist“ sagte Elena. Marcho meinte, einen Seufzer der Erleichterung herauszuhören.

„Wieso? Ist etwas passiert?“ fragte er.

„Abgesehen davon, daß dein Herr Bruder seit Tagen unser Haus auf den Kopf stellt und auf deine Rückkehr wartet war alles ruhig. Er scheint etwas Wichtiges zu haben; etwas, das ihm unter den Nägeln brennt. Du fragst ihn am besten gleich selbst.“

Mit diesen Worten gingen sie ins Haus. In der Wohnstube saß Blanco am großen Tisch. Vor ihm waren Karten und Papiere ausgebreitet.

„Hallo Bruderherz“ sagte Marcho. „Sieht nach Arbeit aus.“

„Ist es auch“ antwortete Blanco. „Ich sitze an einer Aufstellung, die der König angefordert hat. Er will wissen, wo wie viele Hobbits wohnen, und ich mache daraus gerade eine Landkarte. Ich glaube, bis jetzt ist noch niemand auf die Idee gekommen, eine Landkarte vom Auenland anzufertigen.“

„Aha. Und wozu das Ganze?“

„Das weiß ich nicht genau. Offenbar will der König eine Aufstellung für die Landesverteidigung haben oder er will wissen, welche Lande in seinem Reich die fruchtbarsten sind oder es ist etwas anderes. Das konnte mir bis jetzt niemand sagen. Ich hoffte, du wüßtest Genaueres.“

„Beim Rat wurde darüber nicht gesprochen. Das scheint wohl etwas zu sein, was nicht für aller Augen und Ohren bestimmt ist.“

„Ich habe mich bei meinen Befragungen so bedeckt wie möglich gehalten, aber einige Fragen mußte ich doch beantworten. Einige Hobbits fragten, ob denn ein Krieg drohe, andere glaubten zu wissen, daß wir wieder umziehen müßten, weil Menschen aus dem Norden hier angesiedelt werden sollten. In letzter Zeit gehen seltsame Gerüchte um.“

„Ich halte das für Quatsch“ sagte Marcho. „Bei der Ratsversammlung wäre dies mit Sicherheit angesprochen worden. Nein, der König hat die Steuern schon wieder erhöht. Ich vermute, er will schlicht und ergreifend wissen, wie viel wir noch geben können. Außerdem wurden  vor zwei Jahren doch unter den Dùnedain Freiwillige gesucht, die in Isildurs Land, drüben am Ostufer siedeln sollten, und nicht ein einziger wollte dorthin umziehen.“

„Das habe ich den Zweiflern auch gesagt. Nun, Auenlandgerüchte halten sich hartnäckig, sagt man, und je länger sie in Ruhe gelassen werden, desto eher werden sie verstummen. Nun, jedenfalls bin ich jetzt dabei, die erste Karte vom Auenland anzufertigen, und sie ist fast fertig. Komm, sieh sie dir an.“

Marcho trat an den Tisch und betrachtete die Landkarte. Blanco hatte sie auf einen großen Pergamentbogen gezeichnet. Die Orte, Flüsse und Berge hatte er in schwarz und die Straßen und Wege in rot eingezeichnet. Ihm fiel auf, wie viele Flecken im Süden weiß waren.

„Bist du da noch nicht fertig oder lebt dort unten wirklich niemand?“ fragte Marcho.

„Dort unten wohnt niemand“ antwortete Blanco. „So nahe an der Südgrenze wollen nicht viele Hobbits leben. Den meisten ist die Luft dort im Sommer zu schwül und stickig, und überdies fürchten sie die Gefahr von Orküberfällen.“

„Hat es sie denn gegeben?“

„Natürlich nicht, wie du sehr wohl weißt. Aber viele fürchten sich eben davor, und sie fühlen sich weiter nördlich sicherer. Da werden wir wohl nicht viel dagegen tun können.“

„Wahrscheinlich nicht.“ Marcho betrachtete wieder die Karte. „Eines will mir nicht aus dem Kopf. Der König läßt Aufstellungen über unser Land anfertigen, sagt mir aber nichts davon. Aber andererseits hat er diese Karte ja auch nicht angefordert. Hat er gesagt, bis wann die Aufstellungen fertig sein sollen?“

„Der König sprach in seiner Botschaft vom Mai, deswegen halte ich mich ja ran. Er wird keinen Boten entsenden, sondern einen von uns anweisen, sie persönlich zu übergeben und zu erläutern.“

„Das solltest du tun, Blanco. Du hast ja diese Aufstellungen zusammengetragen, außerdem kennst du die Hintergründe besser. Und zudem war ich ja gerade erst am Hof.“

„Na gut. Ich hätte mich aber schon über etwas Begleitung gefreut. Ich sehe aber auch ein, daß du jetzt tu tun hast. Dann werde ich wohl alleine reisen.“

„Nimm doch deinen Sohn mit. Er ist alt genug für diese Reise, glaube ich; und er kann ruhig auch mal die Wunder des Nördlichen Königreichs bestaunen. Vielleicht habe ich bis Mai ja alles geregelt, was zu regeln ist, und dann komme ich gern mit.“

Die beiden redeten noch eine Zeitlang über Marchos Erlebnisse beim Rat (abgesehen von der Steuerfestsetzung gab es nichts, was die Hobbits besonders betraf) und die Dinge, die seit seiner Abreise im Auenland passiert waren (ebenfalls nichts Besonderes). Nach einem kurzen Abendessen beschlossen die beiden, ins Brückengasthaus zu gehen. Marcho fand, für ihn sei es an der Zeit wieder unter Hobbits zu kommen.

„Am Hof ist es ja ganz schön, und es ist eine Ehre, dort verweilen zu dürfen, aber zu Hause unter den Seinen zu sein, das ist etwas, was noch viel schöner ist“ sagte er, als sie sich auf den Weg machten.

„Da hast du wohl recht“ antwortete Blanco.

Die Nacht war schon lange über dem Auenland hereingebrochen, als sie zum Gasthof gingen. Die Lampen schimmerten fahl in der wolkenverhangenen Nacht, und ein kühler, Regen verheißender Wind blies den beiden in den Rücken. Der Wind fuhr durch die Zweige des nahen Waldes, und der Fluß murmelte träge vor sich hin. In der Ferne rief irgendwo ein Käuzchen.

„Wie friedlich und ruhig es hier doch ist“ dachte Marcho. Nachts war in Königsnorburg immer irgendwo irgendwas los. Karren knirschten durch die engen Gassen, Wachen streiften durch die Stadt und irgendwo wurde immer irgendwas gehämmert, gebohrt oder gesägt. Marcho hatte dort des Nachts keine Ruhe gefunden. Der einzige Lärm, den man des Nachts in Balgfurt an der Brücke hören konnte kam aus dem Brückengasthaus, und Marcho und Blanco waren froh, endlich drinnen zu sein und die kalte Nacht aussperren zu können.

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