Arda Fanfiction

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Erste Liebe

von Celebne

Kapitel 1

Boromir rannte hastig die enge Wendeltreppe hinauf, die zum Gemach seines Bruders führte. Fast hätte er vergessen, an der Tür anzuklopfen. Dies tat er auch dann schnell, und trat, ohne auf eine Antwort zu warten, ein. Rasch strich er sich eine widerspenstige, schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht und sah sich nach Faramir um. Dieser saß an seinem Schreibpult, welches unter dem großen, bogenförmigen Fenster stand. Er hatte sein Gesicht in die Hände gestützt und blickte verträumt hinaus.
"Faramir, steh auf!" rief sein Bruder energisch. "Du weißt, dass Vater uns zum Nachtmahl erwartet."
Der fünfzehnjährige, schlacksige Junge erhob sich nun und drehte sich lächelnd zu Boromir um.
"Ich habe gerade ein Gedicht geschrieben - für Melian. Was meinst du, soll ich das Papier in ein Holzkästchen legen und eine Schleife herumbinden?"
Er deutete auf ein scharlochrotes Stoffband, das auf seinem Bett herumlag. Daneben lag eine mit Goldstaub eingefärbte Distel.
"Faramir, du bist ein hoffnungsloser Fall," seufzte Boromir kopfschüttelnd.
Sein Bruder zeigte ihm das selbstverfasste Gedicht. Seine grauen Augen leuchteten, als er das Papier Boromir gab. Dieser las es stirnerunzelnd durch.
"Ist es gut?" fragte Faramir hoffnungsvoll. "Wird es Melian gefallen?"
"Du weißt doch, dass ich mit der Poesie auf Kriegsfuß stehe," sagte sein Bruder traurig lächelnd. "Aber wenn du nicht sofort deine blaue Tunika anziehst und mitkommst, wird der Zorn unseres Vaters über uns kommen. Ein Sandsturm in Fern-Harad dürfte harmlos dagegen sein."
Faramir lachte über diesen lustigen Vergleich. Doch dann beeilte er sich. Denn auch er fürchtete den Zorn seines Vaters.

Denethor saß bereits im Speisesaal der Zitadelle und erwartete seine Söhne. Als er die Beiden erblickte,  schlug sein Herz vor Stolz schneller. Boromir war bereits ein erwachsener Mann geworden und hatte schon manche ruhmreiche Tat auf ersten Feldzügen vollbracht. Faramir war inzwischen auch kein Kind mehr. Auf Oberlippe und Kinn zeigte sich ein erster dunkler Flaum. Ein Zeichen, dass er bald zum Manne reifen würde. Wehmütig dachte der Truchseß an seine verstorbene Frau, die sicher gerne ihre Söhne heranwachsen gesehen hätte. Doch er verdrängte rasch diese bedrückenden Gedanken und wandte sich seinen Söhnen zu.
"Ich wünsche mir, dass ihr zwei heute Abend mit mit noch ein Gläschen Wein im Kaminzimmer trinkt. Faramir, du bist nun fast erwachsen und darfst zum ersten Mal von meinem edlen Rotwein kosten."
Faramir erschrak, als er das hörte: denn heute abend wollte er sich mit Melian zu einem Mondscheinspaziergang in den Gärten treffen. Er hatte sich auf diesen Abend so sehr gefreut. Hilflos blickte er seinen Bruder an. Boromir wusste,  was mit Faramir los war. Der Junge hatte ihm von seiner Verabredung mit der schönen Maid erzählt. Er räusperte sich kurz und wandte sich an seinen Vater. Diesem war bereits das Lächeln im Gesicht gefroren, denn er hatte gemerkt, dass Faramir nicht erfreut über seine Einladung war. Was fiel dem Jungen ein, sich so undankbar zu zeigen!
"Vater, vielleicht können wir den Wein auch ohne Faramir trinken," begann Boromir vorsichtig.
"So, und warum sollen wir das tun?" fragte der Truchseß finster und blickte dabei seinen Zweitgeborenen streng an.
Faramir erhob sich jetzt. Vor lauter Aufregung begann er zu schwitzen.
"Vater, ich bitte um Euere Erlaubnis, heute Abend eine Maid treffen zu dürfen, die ich seit langem verehre. Ich habe ihr ein Gedicht geschrieben, welches ich ihr gerne überreichen möchte."
Denethor sah seinen Jüngsten zunächst noch stirnerunzelnd an, doch dann begann sich sein Gesicht zu glätten und seine grauen Augen nahmen einen milden Ausdruck an. Schließlich lächelte er sogar.
"Wenn dir soviel an dieser Maid liegt, mein Sohn, dann sollst du sie auch heute abend sehen. Ich bin ja kein Unmensch. Schließlich war ich selbst auch einmal jung."
Faramir bedankte sich überschwänglich bei seinem Vater. Frohgemut wandten sich die Drei nun ihrem Mahl zu.

Melian saß bereits sittsam auf einer steinernen Bank in den Gärten. Sie war vierzehn Jahre alt und die Tochter eines Edelmannes aus Minas Tirith. Sie trug ein grünes Kleid und hatte ihr schwarzes Haar zu einem langen Zopf geflochten. Sie war schon lange in Faramir verliebt. Im Stillen fragte sie sich, wie es wohl wäre, wenn er sie küsste.
Endlich kam er den gepflasterten Weg entlang. Er lächelte schon von weitem und Melian sah, dass er ein kleines Holzkästchen mit einer Schleife bei sich hatte. Ihr Herz schlug vor Aufregung schneller und sie bebte innerlich.
Auch Faramir war recht aufgewühlt: als er Melian erblickte und ihre Augen sah, die im Mondlicht wie Bernstein schimmerten, fühlte er die Schmetterlinge in seinem Bauch herumflattern.  
Der junge Mann kniete vor seiner Angebeteten feierlich nieder:
"Darf ich Euch dieses bescheidene Geschenk überreichen, holde Maid?"
"Wie kann ich Euch nur danken, Fürst Faramir," murmelte Melian errötend.
Faramir gab ihr das Kästchen in die Hand und das junge Mädchen begann vorsichtig die Schleife zu lösen. Als sie das Kästchen öffnete, erblickte sie das Papier mit dem Gedicht. Daneben lag diee mit Goldstaub bepuderte  Distel. Die Distel war eine sehr seltene Pflanze in Gondor und daher eine Kostbarkeit. Behutsam fuhren Melians Finger über die Distel, darauf achtend, sich nicht zu verletzen.  Dann wandte sie sich wieder dem Gedicht zu. Der junge Mann hatte eine schöne, geschwungene Schrift. Gerührt nahm sie das Papier in die Hand, um das Gedicht zu lesen. Während sie las, traten ihr Tränen der Rührung in die Augen. Sie musste sich sogar zusammenreißen, um keinen Heulkrampf zu bekommen. So etwas Wunderschönes und Romantisches hatte sie noch nie zuvor gelesen.
"Oh, Faramir," flüsterte sie mit erstickter Stimme. "Ihr seid ja ein vollendeter Dichter! Was kann ich nur für eine Gegenleistung erbringen?"
Der hübsche Junge lächelte und nahm Melian an der Hand.
"Ich wäre sehr glücklich, wenn Ihr mit mir im Mondschein spazieren gehen würdet."
"Von Herzen gerne, mein Fürst," sagte sie fröhlich.
Sie erhob sich und die beiden jungen Menschen  gingen Hand in Hand durch die nächtlichen Gärten spazieren. Plötzlich erblickte Melian eine Sternschnuppe und aufjauchzend deutete sie mit beiden Händen nach oben.
"Wir dürfen uns jetzt etwas wünschen," sagte Faramir leise.
Die Beiden schlossen kurz die Augen, um im Stillen ihren Wunsch zu formulieren. Sie ahnten nicht, dass jeder von ihnen dasselbe gewünscht hatte. Als sie die Augen wieder öffneten, blickten sie sich atemlos an. Faramir blickte in Melians helle Augen und er ahnte, was in ihrem Herzen  vor sich ging. Behutsam beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie sanft. Lange standen sie so im Mundlicht und tauschten behutsam  Zärtlichkeiten aus. Doch nach einer Stunde geleitete Faramir seine Geliebte sittsam zum elterlichen Hause im sechsten Festungsring zurück.

Eine weitere romantische Begegnung war den beiden jungen Menschen nicht vergönnt . Nur wenige Tage nach ihrem ersten Kuss, begann Melian schwer  zu erkranken  und  kurz darauf verstarb sie. Viele Jahre lang lag an ihrem Todestag eine vergoldete Distel auf ihrem Grab.

ENDE

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