Arda Fanfiction

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Geboren, um Held zu sein

von Feael Silmarien

Kurzgeschichte

Wenn ich es nicht mehr aushalten konnte, verließ ich einfach den Raum. Ich schlich feige hinaus, um mir das nicht mit ansehen zu müssen. Vater war sich wahrscheinlich nicht bewusst dessen, dass er auch mir wehtat. Doch derjenige, der mir in solchen Situationen den meisten Schmerz bereitete, war ich selbst. Weil ich still in der Ecke hockte und auf meine Füße starrte. Weil ich den Raum verließ.

Es ist wahr. Es gab damals Momente, in denen ich mir selbst nicht unter die Augen traute. Entweder irrte ich ziellos umher, verlor mich in der Menge, in der Hoffnung, man würde mich in meinen schlichten Kleidern nicht wiedererkennen, oder ich verschanzte mich in meinem Zimmer und versuchte verzweifelt, einzuschlafen, ganz gleich, um welche Tageszeit, versuchte, mich in Träumen vor mir selbst zu verstecken.

Dass ich mich für mich schämte, während ganz Gondor in mir einen angehenden Helden sah... Das ist mein ganz persönliches Geheimnis, das ich niemandem anvertraut habe, das ich mit ins Grab nehmen werde, obgleich Faramir wahrscheinlich etwas ahnt. Aber auch er wird schweigen. Es ist eine Sache, die keiner von uns richtig wahrhaben möchte. Faramir hat mir verziehen und gerade deswegen wird er mein Ansehen wahren. Es besteht kein Sinn darin, es zu erzählen, denn jene wenigen, die es etwas angeht, wissen bereits alles.

Es geht uns schließlich auch nichts an, ob Túrin Turambar seine kleine Schwester Lalaith vielleicht aus Eifersucht tyrannisiert hat. Es geht uns nichts an, ob Tuor vielleicht gelegentlich Streit mit seinem Ziehvater Annael hatte. Ob Beren Erchamion als Kind nicht irgendwelche Peinlichkeiten angestellt hatte. Wir wissen solche Kleinigkeiten nicht und sie gehen uns auch nichts an. Ebenso wie es niemanden etwas angeht, dass Gondors Heerführer Boromir in Wirklichkeit nicht der Held ist, für den ihn dort alle halten. Sollen sie mich doch für einen Helden halten, wenn sie unbedingt einen brauchen... Solange es ihnen Mut und Hoffnung gibt. Eine kleine Ungenauigkeit, eine Lüge... Es kommt nicht darauf an, ob das Bild, das man sich von großen Helden macht, der Wirklichkeit entspricht. Denn die Wirklichkeit ist nicht für jeden bestimmt.

Die Wirklichkeit, dass ich damals ein Feigling war, die Wirklichkeit, dass ich immer noch viel zu schwach bin, um ein Held zu sein. Die Wirklichkeit, dass die Nachwelt ein verfälschtes Bild von mir haben wird.

Dass ich einfach den Raum verließ, wenn ich es nicht mehr aushalten konnte.

Fürst Imrahil, der Bruder meiner Mutter, hatte mir einmal gesagt, dass es sehr oft vorkommt, dass es Streitigkeiten zwischen Vater und Sohn gibt, insbesondere wenn sie sich so ähnlich sind wie Vater und Faramir. "Der Vater sieht sich in seinem Sohn gespiegelt und er sieht in ihm nicht nur seine Stärken, sondern auch seine Schwächen, die er vielleicht nicht sehen möchte. Indem Denethor Faramir ausschimpft, schimpft er in Wirklichkeit sich selbst aus. Und unbewusst erschafft er für Faramir dieselbe Situation, in der er selbst gewesen war. Vielleicht ist es gut, wenn Ihr wisst, Boromir, dass auch Euer Vater die Rolle des ungeliebten Sohnes innegehabt hatte. Er war der einzige Sohn in der Familie, daher hatte der damalige Truchseß Ecthelion bestimmte Ansprüche an ihn... Euer Großvater hat sich einen Sohn gewünscht wie Ihr es seid. Stark, kühn, tapfer, stolz, kämpferisch, feurig, heldenhaft... Wie Ihr selbst wisst, war es keineswegs so, dass Denethor diese Kriterien nicht erfüllte, aber er hatte andere Prioritäten und verbrachte seine Tage lieber in der Bibliothek als mit dem Exerzieren. Das missfiel Ecthelion ungemein, denn schließlich hatte er immer einen Heerführer haben wollen und keinen Gelehrten, der irgendwo im Kellergewölbe verstaubte statt zu handeln. Und dann tauchte auch noch dieser Thorongil wie aus dem Nichts auf, wurde Heerführer Gondors und Truchseß Ecthelion war furchtbar hingerissen von ihm. Immer wieder hielt er Denethor Thorongil als Ideal vor, erklärte, wie wenig er diesem Ideal entsprach... Denethor hatte Thorongil dafür gehasst. Ohne es zu beabsichtigen, hatte Thorongil ihm den Vater weggenommen. Und irgendwann war Denethor überzeugt davon, dass er tatsächlich so schlecht war wie Ecthelion immer sagte. Langsam, aber sicher begann er, sich zu hassen.

Und nun sieht er das, was er zu hassen gelernt hat, in Faramir. Es schmerzt ihn, das, was er für seine Makel hält, bei seinem Sohn zu sehen, aber er liebt Faramir auch und will nicht, dass er 'versagt', wie er selbst es einst getan hatte. Ihr dagegen verkörpert alles, was Euer Vater durch Ecthelion als Tugenden zu schätzen gelernt hat. Ihr seid das, was er selbst nie geworden ist, und möglicherweise sieht er Euch als eine Art 'Entschädigung' an seinen eigenen Vater für sein Versagen. Ihr mildert seine Schuldgefühle und das dürfte der Grund dafür sein, dass er Euch so abgöttisch liebt."

Imrahil weiß das, weil meine Mutter es ihm einmal anvertraut hatte. Ich schätze mal, dass Vater mit ihr sehr offen gesprochen hat. Vielleicht ist sie ja daran gestorben... Sie war ein zerbrechlicher Mensch mit der Gabe, sich in andere einfühlen zu können. Vielleicht hat sie sich in ihre Mitmenschen zu sehr eingefühlt. Sie selbst hatte wahrscheinlich niemanden, dem sie sich hätte anvertrauen können. Und dann ist es nur logisch, dass der Kessel eines Tages übergelaufen ist. Minas Tirith war nie ihr Zuhause gewesen.

Auch mir gegenüber hat sie einmal etwas gesagt, das man auf Vater und Faramir beziehen könnte. "Väterliche Liebe ist an Bedingungen geknüpft", sagte sie, glaube ich. "Väter und Männer allgemein lieben in erster Linie für etwas. Man muss sich ihre Liebe verdienen. Sie brauchen einen Grund, sie wollen Verdienste sehen. Sie verstehen nicht, wie man etwas lieben kann ohne irgendwelchen Grund. Einfach so. Männer denken zu viel."

Ich weiß nicht, ob das stimmt. Das ist mir im Grunde aber auch egal. Bloß hatte ich gerade in jenen Zeiten Gedanken... Gedanken, was für ein abscheulicher Mensch ich bin. Ich zeigte es nicht nach außen, aber ich war sehr oft der Meinung, dass ich es nicht verdiente, von meinem Volk verehrt zu werden. In Wirklichkeit war Faramir für mich immer der bessere von uns beiden. Und deswegen sprach ich mir das Recht ab, geliebt zu werden. Dass man mich aber schon von Kindheit an verehrte, machte mich wütend. Es machte mich rasend. Und ich konnte nicht das Gefühl loswerden, ich würde die ganze Welt anlügen. Je mehr die Menschen mir zujubelten, desto mehr hasste ich mich. Ich weiß nicht, ob Mutters Ansichten stimmen, aber eins kann ich ganz sicher sagen: Ich war nie fähig, irgendwen bedingungslos zu lieben, und mich selbst erst recht nicht.

Fehlende Liebe zu sich selbst macht rasend. Sie tut weh. Sie tut so sehr weh, dass es irgendwann nur zwei Möglichkeiten gibt. Man steht vor einer Weggabelung, wobei der eine Weg in den Tod und der andere ins Leben führt.

Ich muss etwa fünfzehn oder sechzehn Jahre alt gewesen sein, als ich diese Weggabelung erreichte. Ich war vor lauter Wut auf mich selbst an einem Punkt angelangt, wo ich die ganze Welt hasste. Ich hasste die Menge, die mich für meine ersten militärischen Unterfangen bejubelte, ich hasste jene, die mir schon während meiner Kindheit aufgrund meines Charakters eine heldenhafte Zukunft prophezeit und mich zu einem Helden erhoben hatten, der ich mit fünf Jahren noch nicht sein konnte. Ich hasste Mutter dafür, dass sie uns alle im Stich gelassen hatte, dass sie Faramir nicht mehr tröstete, dass sie mir mit ihrer mütterlichen Liebe nicht das Gefühl gab, doch etwas wert zu sein. Ich hasste Faramir, weil er Vaters Wünschen nicht entsprach und deswegen eine Teilschuld an all ihren Konflikten hatte. Ich hasste Vater für seine mangelnde Liebe Faramir gegenüber und die abgöttische Liebe zu mir. Und ich hasste mich selbst, weil ich so abscheulich und feige war.

Ich überlegte, ob Vater Faramir mehr geliebt hätte, wenn ich nicht da gewesen wäre. Sicher war, dass das Volk Gondors dann keine Lüge verehren würde, einen Helden, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Auf verschiedenen Denkwegen gelangte ich schließlich zu dem Schluss, dass es wohl am besten wäre, wenn ich gar nicht existieren würde. Und ich konnte mich auch nicht erinnern, jemals um meine Geburt gebeten zu haben. Ich stand vor der Weggabelung und war allein.

Es war in genau jener Zeit, dass Vater einmal so weit ging, dass er Faramir beim Abendmahl eine Ohrfeige verpasste. Das tat er eigentlich nie, da er genau wusste, dass seine Worte oft genug waren, um den Sieg über Faramir davonzutragen. Den Sieg über Faramir, ein Kind von zehn Jahren! Und dann ausgerechnet eine Ohrfeige! Damit hatte er eigentlich nicht nur Faramirs Körper, sondern auch Ehre angegriffen. Und Faramir durfte sich natürlich nicht wehren, denn schließlich erheben nur Wilde die Hand gegen die eigenen Eltern. Für Faramir war die Lage eigentlich schon immer ausweglos gewesen. Es war stets ein abscheulicher, ehrloser Kampf mit ungleichen Gegnern. Ich konnte das nicht mit ansehen, also starrte ich auf meine Füße. Und dann, als ich die Ohrfeige hörte, erhob ich mich und verließ prompt das Speisezimmer. Draußen beschleunigte ich meine Schritte und stürmte in meine Schreibstube, die ich blind vor Wut und Hass zu verwüsten begann. Es war mir egal, wie viele wertvolle Dokumente und Landkarten ich dabei zerstörte. Ich hasste sie alle! Ich habe zwar nie begriffen, was bedingungslose Liebe ist, habe sie nie empfunden, aber dafür kenne ich bedingungslosen Hass umso besser. Es war mir egal, was ich hasste, ich hasste schlicht und einfach und es kümmerte mich nicht, wie viele Verletzungen ich mir selbst dabei zufügte. Mein ganzes Dasein bestand nur noch aus blankem Hass. Ich hasste Dinge und Menschen, die keinen Hass verdienten, ich hasste die gesamte Welt und wünschte mir, nie geboren worden zu sein. Es ist gut, dass ich das Zimmer von innen abgeschlossen hatte, denn wäre einer hereingekommen, hätte ich ihn in meiner Raserei wahrscheinlich noch umgebracht.

Irgendwann hatte ich genug. Ich saß auf dem Boden inmitten der Überreste meines Schreibpults und zog mir die Splitter eines Tintenfasses aus der Hand. Keine Ahnung, wie lange ich so gesessen habe, aber als ich wieder herauskam, war schon der nächste Tag angebrochen. Doch das war mir natürlich egal. Abgrundtiefer Hass hatte sich in komplette Resignation verwandelt. Ich hasste die Welt nicht mehr, sondern sie war mir völlig egal. Es war mir egal, ob die Sonne je wieder aufging, ob Mordor ganz Mittelerde in Schutt und Asche legte... Ich glaube, an jenem Morgen hätte ich den Weltuntergang beobachten können, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

Resigniert ließ ich die Diener meine Schreibstube wieder in Ordnung bringen, resigniert ließ ich mir die Hand verbinden, resigniert aß ich das Frühstück, das man mir ins Schlafzimmer brachte, ohne es überhaupt zu schmecken, resigniert starrte ich an die Decke meines Zimmers, resigniert nahm ich zur Kenntnis, dass dies der letzte Tag meines Urlaubs war und dass ich am nächsten Tag nach Harondor aufbrechen würde, wo wir mit den Haradrim ewige Territorialkämpfe führten.

Und ebenso resigniert ließ ich mir von einem Diener zaghaft anmerken, dass ich schlecht aussähe und ein Aufenthalt in den Gärten mir gut tun würde. Ich dachte gar nicht nach, sondern ging, irrte ziellos durch die Gärten der Zitadelle, fand einen abgelegenen Winkel und kletterte auf eine etwa schulterhohe Mauer, um zeit- und sinnlos auf den Kiesweg zu starren, bis mir in der krummen Haltung der Rücken schmerzte und lange darüber hinaus, ohne auch nur den kleinsten Finger zu rühren. Ich war schon fast glücklich vor lauter stumpfer Resignation, als auf dem Weg unter mir Faramirs Gestalt auftauchte, die zu mir besorgt aufschaute. Er sah mich an mit dem Blick meiner Mutter, den sie immer aufgesetzt hatte, wenn sie merkte, dass es mir nicht gut ging. Faramir schaute mich mit diesem selbstlosen Blick einer Mutter an, dieses zehnjährige Kind. Ich weiß nicht, wieso, aber ich hatte schon immer das Gefühl gehabt, dass Faramir etwas Weibliches an sich hatte, weshalb ich ihn früher mit der Betitelung "kleines Mädchen" geneckt habe. "Kleine Mädchen reiten keine großen Schlachtrösser. Kleine Mädchen spielen nicht mit den Schwertern ihrer großen Brüder. Kleine Mädchen gehen nicht alleine in der Stadt spazieren. Kleine Mädchen müssen immer auf ihre Kinderfrau hören. Kleine Mädchen..." Und so weiter. Wenn es etwas geben konnte, das Faramir aus seiner nahezu unerschütterlichen Seelenruhe bringen konnte, dann das. Doch obwohl ich es niemals ernst gemeint hatte, verursachte diese Szene später, als ich über das Ganze noch einmal nachdachte, in mir den Gedanken, dass Faramir tatsächlich etwas von einer Frau hatte.

An jenem Tag jedoch fühlte ich nur. Ich fühlte zum ersten Mal seit der Zerstörung meiner Schreibstube. Ich fühlte diesen Blick und er tat fürchterlich weh. Und als ob das nicht schon genug wäre, begann Faramir auch noch zu sprechen.

"Boromir...", begann er zögerlich. "Ich habe gehört, dass du deine Schreibstube... Ist etwas -" Er bemerkte den Verband an meiner Hand. "Boromir, du bist verletzt!"

Ich starrte ihn nur düster an. Zumindest empfand ich meinen Blick als düster, denn in diesem Moment kehrte mein Hass wieder und ich hasste Faramir dafür, dass er mich gefunden hatte und nun solche Dinge zu mir sagte, mich so mütterlich anblickte, sich Sorgen machte. Es tat so weh!

"Was ist mit dir? Boromir, wenn es dir schlecht geht, musst du es sagen! Es hilft doch nicht, wenn du alles in dir trägst! Sie alle machen sich große Sorgen. Sie fragen sich, was mit dem zukünftigen Heerführer Gondors los ist. Dir geht es schon lange so, nicht wahr?" Er streckte die Hand aus, um mich mitfühlend zu berühren, aber ich saß viel zu hoch für seinen Kinderarm. "Boromir, wir alle wollen, dass es dir wieder besser geht. Deswegen musst du uns sagen, was los ist. Und... Ich möchte es auch wissen. Ich will nicht, dass du dich so schlecht fühlst!"

Ich sprang von der Mauer und stand vor ihm, unschlüssig, was ich tun sollte. Ihn anschreien? Weglaufen? Ignorieren?

"Kleine Mädchen sollten sich nicht in die Angelegenheiten Erwachsener einmischen", sagte ich schließlich so ruhig, kühl und verhalten wie ich nur konnte und ging den Kiesweg entlang.

Ich ging, obwohl mir nach Rennen zumute war. Ich hielt meine Gefühle zurück, schließlich konnte ich im Gegensatz zum vergangenen Abend klar denken und war mir bewusst dessen, dass Faramir es eigentlich nur gut meinte. Ich ging und ich wusste genau, dass er mir nicht folgte. Er stand nur da wie angewurzelt und schaute mir hinterher. Das spürte ich und bevor ich abbog, sah ich in seine Richtung und begegnete wieder diesem mütterlichen Blick, der mich durchdrang, ich begegnete diesem fürchterlich besorgten Blick, der so selbstlos war, erfüllt von dieser bedingungslosen Liebe, zu der ich nie fähig war. Faramir stand nur da und schaute, er blieb dort, wo ich ihn zurückgelassen hatte, er war besorgt und ich wusste, dass sich an diesem Blick nichts ändern würde, wenn ich ihm erzählte, wie abartig ich doch bin. Ich habe diesen Blick nie verstanden, aber ich denke, es ist das, was Mutter uns Männern abgesprochen hat. Ich bin mir sicher, dass dieser Blick die bedingungslose Liebe war. Wenn Mutters Worte tatsächlich stimmen, dann hat Faramir eine wirklich starke weibliche Seite an sich. Eine weibliche Seite, die mir allen Ernstes in dieser und auch in einigen anderen Situationen meines Lebens die Mutter ersetzte.

Doch das alles dachte ich erst später, damals hatte ich nur begriffen, dass mein Gemütszustand Faramir viel mehr sorgte als alle Tiraden unseres Vaters zusammengenommen, dass er mit mir litt, dass er alles tun würde, um mein Leid zu lindern. Und das obwohl ich ihn doch immer wieder verriet, indem ich auf meine Füße starrte und den Raum verließ. Außerdem weckte er in mir Erinnerungen an unsere Mutter und ich dachte daran, dass sie sich für einen Sohn wie mich schämen würde. Ich erkannte mal wieder, wie gut Faramir war und wie schlecht ich. Ich fühlte mich schlechter denn je. Ich wurde nicht rasend, ich zerstörte nichts, ich war nur felsenfest davon überzeugt, dass ich das Abscheulichste sei, was in Mittelerde je gelebt hat. Ich hasste nichts mehr. Nur noch mich selbst. Nur noch mein elendes, wertloses Dasein.

Zunächst hatte ich das Gefühl, dass die Schmerzen sich gelegt hätten, schließlich hatte ich mich mit der Rolle des schmutzigsten Wesens der Welt abgefunden. Ich war nun mal so schlecht und daran konnte man nichts ändern. Das war meine Überzeugung. Dachte ich. Bis ich mich wieder an den Blick erinnerte und daran, dass ich geliebt wurde. Von Faramir, von Vater, vom Volk, von so vielen Menschen, die mich kannten und nicht kannten, dass meine Mutter mich geliebt hatte... Ihnen allen geschah ein so furchtbar großes Unrecht! Sie alle liebten jemanden, der ihre Liebe gar nicht verdiente. Zwar liebten sie alle eine Illusion, aber sie gaben der Illusion meinen Namen. Und Faramir... Er liebte mich. Und meine Mutter würde sich schämen. Nein! Nein, das würde sie nicht und das war noch schlimmer. Ich wünschte mir fast, daran glauben zu können, dass sie sich schämen würde. Doch ich wusste genau, dass sie das nicht tun würde. Sie würde nicht deswegen leiden, weil ihr Sohn das Abscheulichste ist, was in Mittelerde je gelebt hat, sondern sie würde leiden, weil ich leide. Ich, den sie so sehr geliebt hat.

Wieder schämte ich mich für mein Dasein, wünschte mir, sie alle würden mir die Strafe geben, die ich verdiente, wünschte mir, ich würde bei meinem nächsten Feldzug möglichst ruhmlos fallen... Ich nahm mir ganz fest vor, ihre Illusionen zu zerstören. Ich wusste noch nicht, wie, aber ich wollte es tun. Und mit dieser festen Einstellung betrat ich am Abend die Schreibstube meines Vaters.

"Ich hoffe, es geht dir ein wenig besser", leitete er das Gespräch ein. "Mir wurde gesagt, du hättest letzte Nacht getobt. Soll ich dich vom Feldzug befreien, damit du dich erholen kannst?"

"Nein, ich fühle mich inzwischen ganz gut", erwiderte ich ehrlich, denn mit meinem festen Vorhaben ging es mir tatsächlich wesentlich besser.

"Gut, dann werden wir jetzt den Feldzug besprechen", sagte er sichtlich erleichtert. "Du hast in den letzten Einsätzen gute Leistungen gezeigt, daher denke ich, dass ich dir jetzt das Kommando über einen größeren Truppenteil anvertrauen kann. Bis zum Heermeister ist es nicht mehr sehr weit, Boromir." Ich hasste die Art, wie mich gönnerisch angrinste.

"Vielleicht...", versuchte ich zu protestieren. "Ich meine, bei den letzten Einsätzen habe ich eigentlich nur Glück gehabt."

Er zog verwundert die Brauen hoch. "Na na, wo ist denn dein Ehrgeiz geblieben? Geht es dir vielleicht doch nicht so gut? Ich werde deinen Urlaub gerne verlängern, du musst es nur sagen..."

"Nein, Vater, es geht mir wirklich sehr gut!"

"Dann zeig doch ein wenig Einsatzbereitschaft! Sonst hast du immer einen glühenden Blick, wenn du dich auf einen Feldzug vorbereitest!"

"Ich bin heute nur etwas benommen, das ist alles. Das Zerstören der Schreibstube ist immerhin eine sowohl körperliche als auch seelische Anstrengung." Ich versuchte über meinen aus den Fingern gesaugten Witz zu lächeln, was mir wahrscheinlich aber nicht wirklich gelang.

"Boromir, ein Feldzug ist eine ernsthafte Angelegenheit und ich kann dich nicht in den Kampf schicken, wenn du -"

Es klopfte. Vater bat herein. Und mein Herz krampfte sich zusammen, als Faramir den Raum betrat.

"Ich muss mit deinem Bruder auch noch etwas besprechen", wandte sich Vater an mich. "Bitte entschuldige uns."

Ich nickte und setzte mich auf die Fensterbank, da es in der Schreibstube außer dem großen Sessel, auf dem Vater thronte, keine anderen Sitzgelegenheiten gab.

Vaters scharfer Raubvogelblick durchbohrte währenddessen Faramir.

"Wie ich höre, bist du heute gar nicht zu deiner Schwertkampfstunde erschienen."

Faramir nickte schuldbewusst und ohne den geringsten Zweifel, was ihn erwartete. Und mein Herz krampfte sich erneut zusammen, als ich mich daran erinnerte, dass Faramirs Schwertkampfstunde genau zu der Zeit stattgefunden hatte, als er mich in den Gärten fand. Er hatte seinen Unterricht geschwänzt, um nach mir zu suchen, weil er sich Sorgen machte. Und ausgerechnet eins der Fächer, deren Schwänzen Vater ihm wohl kaum verzeihen würde.

"Darf ich erfahren, wieso?", fuhr Vater streng fort.

Faramir öffnete leicht den Mund, sagte jedoch nichts. Entweder er traute sich nicht oder er konnte darüber vor lauter Gefühlen nicht reden. Jedenfalls schwieg er.

Vater seufzte. "Faramir, wenn das so weitergeht, dann wird aus dir nie ein Mann. Ein Heerführer muss Verantwortung tragen können und das beginnt schon bei kleinen und scheinbar unwesentlichen Dingen. Das Volk Gondors setzt sein Vertrauen in dich und wenn du ihm nicht entsprechen kannst, blamierst du uns alle!"

"Ich-", stotterte Faramir. "Ich kann Verantwortung tragen."

Widerspruch. Das kann Vater ganz und gar nicht leiden.

"So so." Er senkte seine Stimme auf eine sehr gefährliche Ebene. "Du sagst, du kannst Verantwortung tragen. Warum weiß ich das denn nicht? Warum zeigst du deine Tugenden nicht? So schüchtern bist du doch gar nicht, wenn du deinem Vater widersprechen kannst. Faramir, ich weiß nicht, was du dir in deinem Kopf alles einbildest und herbeifantasierst, aber Tatsache ist, dass du mit deinem Verhalten unsere ganze Familie bloßstellst. Ein Truchseßsohn, der nicht einmal über Verantwortung und Disziplin verfügt! Was soll ich mit dir denn machen, wenn du dich nicht änderst? Es fehlt nur noch, dass du anfängst, in Frauenkleidern herumzulaufen, dann wäre das Bild vollkommen."

Ich sah, wie Faramir rot anlief. Er schwieg zwar, aber er hatte seinen Stolz, der gerade zutiefst verletzt wurde.

"Ich werde nicht in Frauenkleidern herumlaufen", knirschte er. "Es ist in Ordnung, Vater, wenn du mich kritisierst, das ist dein gutes Recht und deine Pflicht. Aber bitte lass das gerade außen vor."

"Da ist sie wieder, Faramir, deine Disziplinlosigkeit. Ich glaube, deine Mutter hat dich zu sehr verwöhnt. Denn du benimmst dich nahezu wie eine zarte, verwöhnte Göre. Tust und lässt, was dir gerade passt, kümmerst dich nicht um deine Bildung, schaust auf wichtige Dinge wie deine Zukunft verächtlich herab. Ich verstehe nicht... Hältst du dich vielleicht für etwas Besseres als wir alle?"

"Nein."

"Wofür dann? Woher nimmst du die Frechheit, deinen Unterricht zu schwänzen? Wer hat dir erlaubt, so dreiste Dinge zu deinem Vater zu sagen? Faramir, ich schäme mich für dich!"

"Wann hast du es nicht getan?", rutschte es Faramir vor Wut heraus.

"Bitte? Du merkst nicht, wie unverschämt du bist, oder? Faramir, du bist mein Sohn und bekommst alle Liebe, die ich dir geben kann, und das trittst du mit Füßen!" Denethor erhob sich und seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter. "Du trittst mit Füßen, dass du hier ein freies und sorgloses Leben genießen kannst, dass dir viele Ehren zu Teil werden, dass du zahlreiche Privilegien genießt, dass ich euch zwei alleine aufziehe, dass ich das wenige bisschen meiner freien Zeit für dich aufopfere, dass ich mir um dich Sorgen mache? Warum bist du nur so undankbar? Deine Mutter würde sich schämen, wenn sie dich jetzt so sähe! Manchmal - manchmal glaube ich schon fast, dass es besser wäre, wenn du gar nicht geboren wärst!"

Es folgte eine Stille und ich merkte, dass ich die Szene nicht mehr beobachtete, sondern die Beine angezogen und mein Gesicht gegen die Knie gepresst hatte.

"Ja, vielleicht wäre es am besten gewesen! Du bist eine Bürde!"

Ich umschlang meine Beine noch fester mit den Armen und traute mich nicht, aufzusehen. Vater sagte furchtbare Dinge zu Faramir, Dinge, die er eigentlich mir sagen sollte! Worte, die ich verdiente! Und es war meine Schuld, dass es zu diesem Streit überhaupt gekommen war. Faramir war doch der Gute und ich der Böse, aber bei Vater war es genau umgekehrt. Es tat weh! Ich genoss so viel Liebe, die ich gar nicht verdiente, ich hatte das Gefühl, Faramir um das zu berauben, was ihm gehören sollte, und er liebte mich, er liebte mich mit einer Liebe, von der wahrscheinlich nicht einmal er selbst wusste, wo sie herkam! Dieser Streit war ein Selbstopfer. Indem Faramir geschwänzt hatte, hatte er sich für mich geopfert, er hatte gewusst, dass es zu diesem Streit kommen würde. Er hatte sich geopfert und ich habe ihn kalt abgewiesen, ich habe sein Selbstopfer mit Füßen getreten, ich habe ihn als "kleines Mädchen" beschimpft...

Aber was konnte ich tun? Was konnte ich denn tun? Ich kauerte auf der Fensterbank und merkte nur erst spät, dass ich weinte. Ich war so schwach, der zukünftige Heermeister Gondors war schwach und fürchtete sich vor etwas, das er nicht benennen konnte. Er kauerte kläglich und hoffte, dass er nicht gefunden, nicht gesehen wurde, er kauerte wie ein verängstigtes, kleines Kind. Es gab etwas, wovor ich mich immer gefürchtet hatte, diese Angst kroch durch meinen gesamten Körper, eine Angst, die mich schon mein ganzes Leben lang begleitet hatte. Ich saß da wie ein verängstigtes, kleines Kind und wusste nicht, was ich tun sollte.

Ich war allein, umgeben von einer undurchdringlichen Dunkelheit, ich war allein und der Schwärze ausgesetzt, die von allen Seiten auf mich eindrang. Zum ersten Mal begriff ich, wie allein ich war, obwohl ich von ganz Gondor geliebt wurde. Ich war allein und je mehr Vater Faramir anschrie, desto bewusster wurde ich mir dessen. Ich war allein, ich war kläglich und elend. Und je mehr ich geliebt wurde, desto einsamer war ich, desto verlorener...

"Warum tust du uns allen deine Existenz an? Wer braucht sie? Wem nützt sie? Was hast du in deinem Leben denn getan? Dein Leben ist komplett sinnlos!"

Es tat so weh! Ich wollte um Hilfe schreien, aber ich wusste, dass niemand kommen würde. Schließlich war ich vollkommen allein.

Und allmählich stieg in mir ein bekannteres Gefühl wieder hoch, ich spürte, wie meine Tränen aufhörten, ich spürte die Wut und den Hass vom Abend zuvor. Nur mit dem Unterschied, dass ich nun einzig und allein mich selbst hasste. Natürlich war ich einsam, natürlich, das war meine Strafe, weil ich das schmutzigste Geschöpf der Welt bin. Aber warum Faramir? Warum konnte Vater nicht mich anschreien? Warum Faramir?!

"Hör auf", wollte ich rufen, doch meiner Kehle entwich nur ein klägliches Piepsen, das im Geschrei meines Vaters unterging. Nicht einmal zum Schreien war ich fähig. Ich kauerte und konnte nichts tun, während Faramir die Strafe erlitt, die eigentlich mir zustand!

"Deswegen würde es auch niemand bemerken, wenn du plötzlich nicht mehr da wärst! Und mir wäre es auch nur recht! Verschwinde doch einfach und lass uns alle in Ruhe! Verschwinde, tu alles, was du willst, aber tu mir nicht mehr länger deine Existenz an! Geh, verschwinde, stirb, wenn du möchtest! Es -"

"Vater, das reicht!!"

Ich weiß nicht, wie es dazu gekommen ist. Ich weiß nur, dass ich plötzlich mit geballten Fäusten dastand und schwer atmete. Mein Herz raste, es tat weh und ich zitterte am ganzen Leib. Ich spürte Kraft durch meine Adern pulsieren, ich war bereit, alles zu tun, nur damit es endlich aufhörte! Es hat so weh! Es war wahrscheinlich der Schmerz, der mir Kraft verlieh.

Vater starrte mich an, als würde er mich nicht wiedererkennen. Doch er war ruhig. Mit einem Mal war er plötzlich ruhig, ja nahezu gelassen.

"Wenn du meist...", meinte er nur mit einer so alltäglichen Stimme, als hätte es die Szene zwischen ihm und Faramir gar nicht gegeben. Mit einem Wink ließ er ihn gehen.

Faramir hatte mich währenddessen mit geweiteten Augen angestarrt, ansonsten blieb seine Miene jedoch unbewegt und er sagte nichts, sondern wandte sich starr zur Tür und verließ das Zimmer.

"Dann zurück zu unserem Gespräch", sagte Vater und setzte sich wieder. "Ich bin ja immer noch der Meinung, dass du noch ein wenig Urlaub brauchst, aber wenn du dir zutraust, in einem solchen Zustand deine Pflichten zu erfüllen, lasse ich dich gehen. Und, wie gesagt, dein Truppenteil wird größer. Du wirst das Oberkommando über einen unserer Stützpunkte in Harondor übernehmen. Ich werde dir erfahrene Offiziere mitgeben, die dich nach bestem Wissen und Gewissen beraten werden. Ein Teil deiner Männer erwartet dich bereits, einen Teil wirst du noch von hier mitnehmen und in Pelargir einsammeln. Ja, richtig, ihr werdet den Anduin bei Pelargir überqueren, diese Straße ist in einem besseren Zustand und es ist einfach sicherer. Achte besonders gut darauf, mit den anderen Stützpunkten in Kontakt zu bleiben, denn sonst wird dir im Falle einer Belagerung niemand zu Hilfe kommen. Ansonsten -"

"Warum..." Ich hörte ihm schon längst nicht mehr zu. Die Kraft pulsierte noch immer in mir und wollte wieder ausbrechen. Ich spürte einen fürchterlichen Druck von innen, als müsste ich vor lauter Energie platzen. Mit meinem Schrei war es noch nicht getan, etwas drängte mich weiterzumachen, ich wollte noch etwas tun, ich wollte unbedingt noch etwas tun, etwas sagen...

Als ich aufschaute, begegnete ich Vaters fragendem Blick.

"Warum kannst du Faramir nicht so nehmen, wie er ist?", murmelte ich heiser. "Merkst du denn nicht, wie sehr du ihm wehtust? Begreifst du nicht, wie er sich dabei fühlt? Und überhaupt... Bedenkst du, was du ihm da auf den Weg ins Leben mitgibst? Wie soll aus ihm ein Heerführer werden, wenn du alles daran setzt, ihm ein so schreckliches Selbstbild zu geben? Sich als schlechten Menschen zu sehen ist furchtbar, Vater. Es ist ein schreckliches Gefühl. Und Faramir verdient es nicht, diese Erfahrung zu machen. Er ist ein viel besserer Mensch als ich."

Er schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein. "Es ist ja sehr nett von dir, deinen kleinen Bruder zu verteidigen, aber eine verdiente Strafe -"

"Die Strafe war nicht verdient!", rief ich, durch meine leise Rede kurz zuvor etwas ermuntert. "Ja, Vater, es geht mir schlecht! Sehr schlecht sogar! Und Faramir hat sich Sorgen gemacht, deswegen ist er heute nicht zur Schwertkampfstunde gegangen! Er war besorgt und wollte sich um mich kümmern! Wenn also jemand schuld ist, dann ich!"

"Du?" Vaters Miene nahm plötzlich einen merkwürdigen Ausdruck an, der mir alles Selbstvertrauen raubte. "So ist das? Hast du mir noch mehr zu sagen? Ich weiß, da gibt es noch viel mehr. Du willst mir schon die ganze Zeit etwas sagen. Also los, wenn wir schon mal dabei sind. Nur her damit."

Er war keineswegs bedrohlich, er wollte ganz ehrlich hören, was ich ihm zu sagen hatte, und ich wusste genau, dass mir nichts passieren würde, selbst wenn ich ihm sagte, dass die gesamte Schuld bei ihm lag, dass ich manchmal wünschte, nicht geboren worden zu sein, dass ich es hasste, von ihm geliebt zu werden... All die Dinge, die einen Vater zutiefst verletzen müssen. Ich wusste genau, dass er sich alles still anhören und zur Kenntnis nehmen würde. Er würde mich nicht fressen, er würde mich nicht auspeitschen, nicht von der Klippe werfen...

Und dennoch.

In diesem Moment begriff ich, dass das, wovor ich mich mein ganzes Leben lang gefürchtet hatte, mein eigener Vater war. Er ist sehr herrisch, deswegen hatte ich schon von meinen frühesten Erinnerungen an Angst davor, ihm zu missfallen. Ich sah, was er mit anderen Menschen tun konnte, wenn er unzufrieden war, und später beobachtete ich, wie er Faramir mit seiner Art buchstäblich erdrückte. Ich beobachtete und ich hatte Angst. Ich hatte ihm nie widersprochen, ich tat mit größter Begeisterung alles, was er mir auftrug, aus irgendeinem Grunde wusste ich immer instinktiv, wie ich ihm am meisten gefallen konnte, und ich tat es gerne, ohne lange nachzudenken, ich dachte, ich würde es aus meiner Natur heraus tun, aber ich tat es aus Furcht vor meinem Vater.

Faramir dagegen, Faramir, der seinen Zorn regelmäßig zu spüren bekam... Er fürchtete sich kein bisschen. Er wurde nicht durch Angst verdorben, er blieb er selbst, er hasste sich nicht und niemanden auf der Welt. So ist er auch noch heute. Er war schon immer ein viel stärkerer Mensch als ich. Dafür habe ich ihn mein Leben lang bewundert und beneidet. Es kostete mich manchmal sehr viel Kraft, von Faramir nicht schlecht zu denken, wenn ich mich bei seinem Anblick schlecht und schmutzig fühlte, aber ich tat mein Bestes, um ihm von meiner Seite den Respekt zukommen zu lassen, den er verdient. Als eine Art Gegenleistung sah ich in ihm insgeheim eine Mutterfigur, ich sagte es nicht einmal ihm selbst, aber möglicherweise ahnt er auch das. Faramir weiß und versteht vieles. Er versteht mich vielleicht sogar besser als ich selbst, aber er behält es für sich, sogar mir gegenüber, wofür ich ihm ausgesprochen dankbar bin. Manche Dinge sollen nicht ausgesprochen werden und es reicht, wenn jene, die es betrifft, es einfach nur wissen, jeder für sich.

Während ich nun meine Angst begriff, begriff ich plötzlich auch mein ganzes Leben, etwas klärte sich, die Furcht verflog mit einem Mal wie ein schlimmer Albtraum und ich stand da, ruhig, aber stark.

"Nun gut. Wisse also, dass ich mein Leben lang vor dir Angst hatte, dass es mir deswegen sehr schlecht geht, dass ich ein schwacher Mensch bin und Faramir ein starker. Du kannst es sehen, wie du willst, es ist mir im Moment egal, was du denkst. Ich will nur, dass du weißt, dass ich nur deswegen dein Lieblingssohn bin, weil ich dir gefallen wollte. Was für ein Mensch ich in Wirklichkeit bin, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht der bin, den du so abgöttisch liebst."

Die Kraft, die mich jetzt durchströmte, war ganz anderer Natur als jene, mit der alles begonnen hatte. Jene war die Kraft der Schwäche gewesen, diese war die der Stärke. Ich wartete nicht auf eine Antwort von ihm, sondern marschierte einfach aus seiner Schreibstube und war unendlich glücklich. Ich war erleichtert, erlöst, die Welt war plötzlich gut und sonnig und es ging mir so gut wie noch nie zuvor.

Ich hatte es geschafft. Ich hatte es ihm gesagt. Ich hatte es begriffen. Zum ersten Mal im Leben war ich stolz auf mich selbst. Und ich glaube, von diesem Moment an erst begann Vater, mich richtig, wirklich zu respektieren und zu lieben. Davor hatte er nur diese Illusion geliebt, den perfekten Sohn, aber nun, da ich ihm einen Teil meiner wahren Persönlichkeit offenbart hatte, begann er, mich zu lieben. Sicherlich hatten ihn meine Worte verletzt, aber das hatte sein müssen. Manchmal ist Schmerz ein Heilmittel.

Weder an meinem noch an Vaters noch an Faramirs Leben hatte sich durch diesen Vorfall etwas geändert. Dieselben Streitigkeiten, dieselbe Ungerechtigkeit, bloß hatte ich den Mut, mich einzumischen. Natürlich gab es nach wie vor Momente, in denen ich mich elend fühlte, ich verwüstete noch viele Male meine Schreibstube, aber diese eine Angst vor meinem Vater hatte ich überwunden. Ich hatte etwas, worauf ich stolz sein konnte, ich wusste, dass ich auch stark sein konnte und dass ich längst nicht das Abscheulichste war, was in Mittelerde je gelebt hat. Es schmerzte nicht mehr, wenn die Menschen mir zujubelten, ich war froh, von Vater geliebt zu werden, da ich begriffen hatte, dass auch ich Liebe verdiene.

An der Weggabelung hatte ich mich für den Weg des Lebens entschieden, einen Weg mit vielen Steinen und Löchern, mit vielen Enttäuschungen, mit viel Versagen, aber es ist der einzige Weg, auf dem man glücklich sein kann. Man kann nie perfekt sein und ich war nie perfekt. Schließlich habe ich nun auch Frodo verraten und mit ihm alle freien Völker von Mittelerde. Ich war schwach, ich habe versucht, ihm den Ring abzunehmen, ich habe mich von den Einflüsterungen des Bösen verführen lassen, eigentlich sollte mir dafür der Hass der ganzen Welt gelten.

"Leb wohl, Aragorn! Geh nach Minas Tirith und rette mein Volk! Ich habe versagt."

"Nein! Du hast gesiegt. Wenige haben einen solchen Sieg errungen. Sei beruhigt! Minas Tirith soll nicht fallen!"

Es ist nicht vorbei. Minas Tirith wird nicht fallen. Aragorn hat mir verziehen. Er hat mir das schlimmste Verbrechen verziehen, zu dem ein Mitglied der Ringgemeinschaft fähig ist. Also kann selbst das verziehen werden. Ich bin ein Verräter, aber ich bin kein schlechter Mensch. Mein Leben war keine Verschwendung!

Ich war nie der Held, den ganz Gondor anhimmelte, aber darauf kommt es nicht an. Ein Volk braucht jemanden, an den es glauben kann, also sucht es sich irgendwen aus. Nein, vielmehr kommt es darauf an, welchen Weg letztendlich jeder für sich wählt. Eine Entscheidung für das Leben bedeutet keine Fehlerlosigkeit, deswegen muss man lernen zu verzeihen, sich selbst in seiner wahren Gestalt zu akzeptieren, so abscheulich diese wahre Gestalt auch sein mag, sich selbst zu respektieren und im Glauben an sich weiterzuleben. Denn der Weg des Lebens bedeutet Leben, Leben in jeder Faser des Körpers, mit der ganzen Kraft des Geistes, in jedem Moment des Lebens. Leben, selbst im Augenblick des Todes.


ENDE


Okay, das wäre schon die dritte Story, in der ich auf einen möglichen Grund für Denethors mangelne Liebe zu Faramir eingehe, wenn auch nur kurz. Irgendwie bietet das Thema schön viel Dramastoff. *g* Aber wenn ich ehrlich bin, sehe ich die Theorie am Anfang dieser Story momentan als die realistischste.

Aber na ja, das absolute Hauptthema ist ja eh nicht das Dene-Fari-Verhältnis, nur irgendwie fällt mir auf, dass die Thematiken meiner FFs sich ständig wiederholen. So fallen mir bei dieser FF auch ein paar dicke Parallelen zu "Das Eis der Wintersonne" auf.

Wie dem auch sei... Ich bedanke mich hiermit ganz herzlich fürs Lesen, hoffe, dass das Ficlet euch gefallen hat, und wenn ihr mögt, wäre ich für Reviews sehr dankbar. :)

Eure Feael

PS: Der kurze Wortwechsel zwischen Boromir und Aragorn stammt aus der Carroux-Übersetzung von "Die Zwei Türme", Buch 3, Kapitel 1 ("Boromirs Tod").

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