Arda Fanfiction

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Geradewegs ins Verderben

von Dairyû

Chapter #3

Die nächsten beiden Tage blieb die Umgebung karg und unwirtlich, aber der harte Boden wurde allmählich weicher, bis er sich schließlich in einen Morast verwandelt hatte, der Gollum weit über die Knöchel reichte. Das Fortkommen war mit jeder Stunde schwerer und Gollum spürte Müdigkeit von seinen Gliedern Besitz ergreifen. Sie verstärkte seine Schwäche und er schleppte sich nur noch dahin. Die blasse Sonne über ihm schien spöttisch zuzusehen, und durch ihre Strahlen sein Elend noch zu verstärken. Dann und wann sah er hinauf, aber er fand nicht mehr die Kraft, die gelbe Scheibe zu verfluchen; er ertrug ihr Licht, das ihm gleißender erschien als jemals zuvor.
Gegen Nachmittag verdunkelten Wolken ihr helles Antlitz und den bleiernen Himmel, Donner begann zu grollen und bald zuckten unzählige Blitze durch die schwüle Luft. Regen fiel – erst sanft und in vereinzelten Tropfen, dann in einem wahren Sturzbach.

Gollum hielt inne, er begrüßte den Regen, brachte er doch Erfrischung mit sich und löschte den Durst, kühlte seine bleiche Haut, die von der Sonne verbrannt worden war und schmerzte, als fresse sich ein Feuer in das geschundene Fleisch.
Wie von einem fremden Willen beherrscht tasteten Gollums schlanke Finger über die nässenden Wunden auf seinem Körper, der daraufhin Wellen des Schmerzes aussandte.
Gollum zog die Hand zurück, er wimmerte und klagte leise. Früher war er stark gewesen, hatte keinen Schmerz gekannt und die Wunden, die er sich in seinem düsteren Unterschlupf unter dem Nebelgebirge unweigerlich zugezogen hatte, waren verheilt, kaum dass sie sein Fleisch versehrt hatten.

Nun war alles anders, und er hasste seine jämmerliche Gestalt, die ihm Pein bereitete.
Nach einiger Zeit belebte das Wasser Gollums Geist ein wenig, so dass er sich zum ersten Mal seit langem bewusst umsah. Um ihn herum war das Land nicht mehr braun, sondern grau geworden – noch trostloser und feindseliger, als bisher. Und vor ihm lag eine Ebene in der trübe Tümpel das dumpfe Tageslicht spiegelten, aufgewühlt von schweren Regentropfen und heftigen Böen eines gnadenlosen Ostwindes. Sie waren wie Tausende von Augen in der ausgemergelten Erde, niemals ruhend und alles sehend. Verkümmerte Sumpfgräser säumten die Wasserlöcher, hier und da ein Strauch; aber es gab nicht einen einzigen Baum oder eine einzige Blume, auch keine Erhebung oder gar Fels. Das Land atmete einen Geruch von Fäulnis und Verwesung aus, so als habe der Tod seine Klauen auf es gelegt und würde es qualvoll zugrunde richten.

Gollum setzte sich langsam in Bewegung, es widerstrebte ihm, den Sumpf zu betreten; aber dies war der einzige Weg für ihn, mit dem sich weitere Tage der Verzögerung vermeiden ließen. Er war zu sehr von seiner ursprünglichen Richtung abgewichen, nur um den Orks nicht zu begegnen – nun musste er dieses Zugeständnis an die Vorsicht mit den Unannehmlichkeiten seiner Umgebung bezahlen.
Vorsichtig kroch Gollum zu einem der Tümpel und starrte hinein. Zuerst sah er nichts, aber dann beruhigte sich das Wasser und er konnte bis auf den Grund blicken, der sehr nah sein musste. Metall glitzerte ihm entgegen; ein Schwert war es, schartig und uralt, doch ließ sich seine Schärfe und Schönheit immer noch erahnen.

Neugierig streckte Gollum die Hand aus. Das Wasser war von einer seltsamen Wärme und Beschaffenheit. Es teilte sich nur widerwillig und war weich, fast als streiche ein feines Tuch über die Haut, und überrascht stellte Gollum fest, wie tief der Tümpel tatsächlich war, denn er konnte das Schwert nicht erreichen, so sehr er sich auch bemühte.
Missmutig gab er nach einer Weile auf. Es war Zeit, sich wieder auf den Weg zu machen – er wollte zurück nach Süden gelangen, auf die Bergkette zu, die in weiter Ferne lag, durch die Regenschleier kaum noch zu erkennen.
Gollum suchte sich sorgfältig einen Pfad zwischen den Tümpeln hindurch, denn der Boden wurde mit jeder Meile trügerischer; wo er fest schien, versank der Fuß in einem einzigen Augenblick und der Körper wurde hinabgezogen, wo er unpassierbar aussah, gab es festen Halt.

Gollum merkte sich jeden Schritt, den er tat, denn vielleicht war er gezwungen, den gefährlichen Pfad durch die Sümpfe ein zweites Mal zu beschreiten. Die Nacht brach herein, und Gollum wurde noch langsamer, teils aus Vorsicht, teils auch, weil sein Magen nach Nahrung verlangte und der Hunger seine Glieder wieder schwer werden ließ.
Von Zeit zu Zeit zwang ihn ein stechender Schmerz in den Eingeweiden zum Halten, mühsam rang er dann nach Luft und konnte sich nur unter Qualen weiter schleppen.
Aus dem Osten kroch die Dunkelheit mit Macht heran und auf den wolkenverhangenen Tag folgte eine sternenlose Nacht. Aber die Lichter am Himmel, die sich hinter einer tiefen Schwärze verbargen, fanden ihr Spiegelbild auf Erden!
Überall züngelten unzählige kleine Flämmchen auf, und bald war aus den Sümpfen ein Meer aus sanfter Helligkeit geworden.

Verwirrt verfolgte Gollum dieses Schauspiel und nicht wenig verwundert bemerkte er, dass die Flammen, wie von Kerzen ausgestrahlt, direkt aus den Tümpeln schienen. Vorsichtig näherte er sich dem Wasser, und wie schon einmal sah er hinein.
Er blickte in das Antlitz eines Menschen! Bleiche Augen betrachteten ihn aufmerksam und ein schmaler Mund verzog sich zu einem Lächeln.
Mit einem Aufschrei sprang Gollum zurück
. Es gab nicht mehr viel auf der Welt, das sein Herz mit Angst zu erfüllen vermochte; aber der Mensch im Wasser gehörte dazu. Er weckte in Gollum eine tief vergrabene Furcht, obwohl sein Anblick nicht im Geringsten beängstigend war. Aber er schien eine Warnung zu sein, ein untrügliches Zeichen dafür, den eingeschlagenen Weg zu verlassen und umzukehren, solange es noch möglich war.

Aufgeregt taumelte Gollum zwischen den Tümpeln hin und her, ohne ihnen zu nahe zu kommen. Er wusste nicht, was er tun sollte, und das Gefühl der Angst begann ihm die Kehle zuzuschnüren. Er war hilflos und allein. Wenn sein Schatz doch bei ihm wäre! Der Ring hätte ihn nicht im Stich gelassen. Er hätte ihn einfach auf einen Finger gleiten lassen und wäre unbehelligt durch den Sumpf gewandert.
Unwillkürlich streckte Gollum die Hand aus, an der er den Ring getragen hatte, wenn es notwendig war, und plötzlich durchströmte Wärme seine Finger. Er fühlte den schnellen Schlag seines Herzen langsamer und seinen hastigen Atem ruhiger werden. Seine Furcht verschwand und Gollum lächelte. Sein Schatz mochte weit weg sein, aber der Ring hatte ihn nicht vergessen; nicht einmal an einem Ort wie diesem.

Gollums Lebensgeister erwachten und erstarkten in dem Maße, wie seine Angst verebbte und die Macht über ihn verlor. Er fühlte sich zunehmend sicherer und Faszination und Neugier ergriffen von ihm Besitz. Sie ließen Gollum langsam an den Rand des Tümpels zurückkehren, in den er vor kurzem geblickt hatte. Schauer der Erwartung rieselten ihm über den mageren Rücken, während er einen Fuß vor den anderen setzte – aber auch ein erhebendes Gefühl stellte sich ein, ein verwirrendes Verlangen hinter das Geheimnis der Gestalt im Wasser zu kommen.
Gollum wusste, dass sie noch dort war, als er sich hinab beugte und wieder in den Tümpel sah.
Sie hatte auf ihn gewartet, und nun begann sie sich zu bewegen, eine knochige Hand hob sich und bedeutete Gollum mit einer Geste, zu ihr hinunterzusteigen. Sie lud ihn ein, und Gollum spürte, wie ein Zauber zu wirken begann, der seinen Verstand vernebeln würde.
Das konnte und durfte er nicht zulassen! Nur sein Schatz hatte das Recht ihn zu verführen ...
Wütend riss er sich vom Anblick des menschlichen Bildes los, ergriff ein Büschel Sumpfgras und warf es mit einem zornigen Schrei nach vorne. Wasser spritzte in einer Fontäne aus dem Tümpel, ein hässliches Zischen ertönte und ein übelriechender Dunst erfüllte die Luft, dann war es still wie zuvor.

Gollums Wut verrauchte, und mit ihr jedes andere Gefühl, das ihn vor wenigen Augenblicken noch beherrscht hatte. Als er ein drittes Mal in den Tümpel hineinsah, konnte er dem Gesicht im Wasser mit Gleichmut begegnen. Enttäuscht musste er jedoch feststellen, dass dort unten nur ein halb zerschmetterter Totenschädel war, durch dessen leere Augenhöhlen sich Schlingpflanzen wanden. Von Schlick fast verborgen lagen die Knochen eines Mannes, dessen Rippen noch von einem Brustpanzer verhüllt wurden, auf dem Grund des Tümpels. Die alten Gebeine ruhten schon lange hier, so wie ungezählte andere, die in der Großen Schlacht des Letzten Bündnisses und den Kämpfen danach auf der Dagorlad gefallen waren.

Die Seelen der Krieger waren hier gefangen und lockten Arglose und Unvorsichtige hinab in die ewige Nacht des Todes, denn den kurzen Moment, in dem die warmen Körper der Lebenden noch die Flamme des Seins in sich trugen, wenn das Wasser sie aufnahm, waren die Verdammten eins mit ihnen, und der grausamen und unerbittlichen Einsamkeit entrissen, die sie seit Menschenaltern umfing.
"Kein Zauber mehr", murmelte Gollum nach einer Weile, und zum ersten Mal seit vielen Tagen verfiel er in die alte Gewohnheit mit sich selbst zu sprechen. "Garstige Menschen, schaden wollen sie uns. Aber wir werden es ihnen vergelten! Ja, vergelten. Jetzt ..." Mit diesen Worten sprang Gollum schnell und geschickt in das Wasser des Tümpels, er wirbelte Morast auf und tastete sich blind bis an den Grund. Dort fanden seine Hände, was er suchte – und wenige Augenblicke später tauchte er wieder auf. Zufrieden besah er sich den langen Knochen, den er erhascht hatte und der vollkommen glatt war. Auch war er weich durch das Wasser, so dass Gollum nicht die geringste Mühe hatte, ihn entzweizubrechen und mit seinen scharfen Zähnen zu zernagen.

Sein karges Mahl nahm wenig Zeit in Anspruch und gestärkt machte Gollum sich schließlich wieder auf, er kümmerte sich nicht mehr um die Lichter und die Gesichter von Elben und Menschen, und die Hände, die ihm in flehenden Gesten entgegengestreckt wurden. All das hatte keine Gewalt mehr über ihn. Er wusste um das Nichtsein der Gestalten und konnte ihre Jämmerlichkeit verlachen. Was waren sie denn weiter als bleiche Knochen, beseelt von den Geistern der Verdammten? Sie bettelten nach einem Fünkchen Leben und Wärme und würden beides doch niemals erlangen können.
Mit Sorgfalt setzte Gollum seinen Weg fort. Die Lichter der Toten waren von da an jede Nacht bei ihm, doch versuchte keiner mehr ihn zu locken. Nur ihre traurigen Augen verfolgten ihn, doch er kümmerte sich nicht um ihr Elend. Kalten Blutes holte er sich Knochen, wenn der Hunger ihn überkam, und in der Tiefe seines verdorbenen Herzens glühte ein winziges Licht der Freude, gespeist aus dem Wissen, dass auch andere Wesen auf der Welt leiden mussten.
Nach dem Verlust des Ringes hatte Gollum geglaubt, es gäbe niemanden, der eine größere Pein zu erdulden habe, als er selber – dankbar ließ er sich eines Besseren belehren.

Die Tage vergingen wie die Nächte, ereignislos und eintönig; einzig die Kette der Berge rückte näher und nach einem langen Marsch stand Gollum endlich im Morgengrauen eines Tages, der schwül und unangenehm zu werden versprach, am Rande der Totensümpfe, deren Gestank ihm in der Nase hing und gegen den die Luft über der Ebene vor dem Morannon nahezu lieblich war.
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