Arda Fanfiction

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Ein Ende und ein Anfang

von Dairyû

Chapter #1

Bedächtig schreitet die hochgewachsene Frau durch den sonnendurchfluteten Wandelgang, dessen schmale Säulen aus hellem Stein lange Schatten werfen.
Der Abend naht und das blasse Feuer der tief stehenden Wintersonne legt einen Schimmer aus flüssigem Gold über die Hauptstadt Gondors. Doch Minas Tirith erstrahlt in einem zweifachen Glanz, denn unzählige Fahnen wehen von den Dächern und schmücken die Fenster, von vielerlei Farben sind sie, hell und freundlich, fröhlich und feierlich, dem freudigen Anlass angemessen, der die Stadt in den drei Tagen vor der Sonnenwende beherrschen wird.
In den engen Gassen drängen sich die Bewohner und die Besucher gleichermaßen, viele Stimmen erschallen in den unterschiedlichsten Sprachen und auch Musik erklingt, von fahrenden Sängern und Spielleuten sehr zur Freude der Lauschenden vorgetragen. Lachen und Scherzen dringt herauf.
Die junge Frau verschließt sich dem heiteren Treiben. Sie kann und will es nicht an ihr Herz gelangen lassen, auch wenn sie damit dem Volk und den Gästen wenig Respekt zollt. Die Dienerinnen hinter ihr tuscheln leise, während sie die lange Schleppe des kostbaren Gewandes halten, das ihre Herrin umschmeichelt und mit Würde und Erhabenheit umgibt.
Eine dritte trägt den tiefroten Schleier, der das Haupt der Frau bedeckt und die Umrisse ihres Gesichtes nur erahnen lässt. Sie ist dankbar für diesen Schutz, denn so braucht sie ihre Gefühle nicht zu verbergen, die ihren schönen Mund verhärten und ihre Augen trüben.
Lange schon hat man sie vorbereitet, das zu sein, was man von ihr erwartet. Klaglos hat sie es hingenommen, weil man es ihr mit ein wenig Freiheit dankte. Der Freiheit, zu lernen, wie man ein feuriges Ross zähmte und wie man eine Klinge schwingen konnte.
Für die jungen Krieger, mit denen sie das Schwert gekreuzt hatte, war es ein Spiel gewesen, mit dem sie sich stolz brüsten konnten. Die alten Waffenmeister schwiegen, sie sahen den unbändigen Willen und die zähe Kraft, verborgen hinter der Gestalt einer Frau, bewunderten und bedauerten sie zugleich.
Denn ihr Wissen in diesen Künsten war von keinem Wert in der Welt, in die die junge Frau in nicht allzu ferner Zukunft zu gehen hatte. Dort zählt die ruhige Hand der Nähenden und die geschulte Stimme der Sängerin, der Verstand einer klugen Haushälterin und das Geschick einer Heilerin.
Einem großen Hofstaat würde sie vorstehen müssen und ihre Diener und Untertanen zu leiten verstehen. Und schließlich soll sie ihrem Gemahl eine liebende Gefährtin sein und eine unsichtbare Stütze in guten und in schweren Tagen. Mit allem hat sie sich abgefunden, denn von kleinauf lehrte man sie nichts anderes; aber das letzte Opfer zu bringen ist so, als stoße sie sich selbst einen Dolch ins Herz.
Wie kann sie lieben, wenn sie nicht mehr als den Namen des Mannes kennt, dem sie versprochen wurde? Wie kann sie ihm ihr Herz schenken, wenn es ihr vorkommt, als habe man sie verschachert wie ein Stück Vieh? Oh ja, sie weiß um ihre frevelhaften Gedanken, die sie mit niemandem teilt. Für das Reich und für den König, das war es, was sie zur Antwort bekam, wann immer sie nach dem Sinn ihres Lebens und Trachtens fragte...
Eine hohe Tür lässt die junge Frau und ihr Gefolge innehalten. Eine Dienerin tritt vor und hebt den Schleier, rasch ist er mit goldenen Nadeln befestigt und umrahmt das blasse Gesicht der Herrin. Gefasst nickt sie und die Türflügel öffnen sich mit einem leisen Knarren. "Frau Fíriel!" hallt der Ruf des Herolds durch den großen Saal und die Menge der Höflinge und Edlen aus allen Teilen des Landes erhebt sich, um ihr die Ehre zu erweisen.
Sie nimmt es kaum wahr, denn Angst und Trauer liegen wie ein eisernes Band um ihre Brust. Sie hat diesen Tag gefürchtet, der unweigerlich kommen musste, weil es ihr Schicksal ist, einem König die Hand zu reichen, den man für würdig erachtet - und dessen Bündnisstärke für Gondor in die Waagschale geworfen wird. Ihr Preis war hoch. Ein ganzes Heer, Waffen und Geschmeide, und die Zusage gegenseitiger Hilfe in der Not.
Wohl selten konnte sich die Tochter eines Königs rühmen einen solchen Brautpreis zu erzielen. Es sollte sie mit Stolz erfüllen, aber es verstärkt ihre Trauer nur. Jubelt ihr der Hof nicht nur deswegen zu, weil sie ein teures Unterpfand ist? Nein.
Sie weiß, dass sie den Männern und Frauen Unrecht tut, die ihr lachend die Hände entgegen recken, als sie an ihnen vorbei auf den Thron an der Stirnseite des Saales zuschreitet. Dort steht der König von Gondor, prächtig angetan in seinen zeremoniellen Gewändern und mit einer hohen Krone auf dem Haupt.
Neben ihm wartet ein Mann, nicht minder festlich gekleidet und dennoch von ganz anderer Art - schlank, fast hager, mit einem schmalen, ernsten Gesicht und stiller Würde. Frau Fíriel betrachtet den Fremden, den sie bald Gemahl und König nennen wird: Arvedui von Arthedain.
Die Last auf ihrem Herzen hebt sich ein wenig; was kann sie mehr verlangen als einen Mann von hoher Gestalt und schönem Angesicht, dem sie ein kostbarer Besitz sein wird, allein schon des Brautpreises wegen; auch kommt sie nicht mit leeren Händen, denn Gondor gibt seiner scheidenden Tochter viele Schätze mit auf den Weg.
Als sie die Fürsten erreicht, neigt Fíriel das Haupt und will nach höfischer Sitte niederknien, doch eine starke Hand ergreift ihren Arm und hindert sie sanft daran.
Sie hebt den Kopf und blickt in Arveduis graue Augen. "Niemals sollt Ihr vor mir knien, meine Herrin, denn wir sind einander gleichgestellt", hört sie ihn so leise sagen, dass nur sie es vernimmt, und sie glaubt ihm - aufrichtig sind diese Worte und sie kommen von Herzen.
Zum ersten Mal an diesem Abend lächelt die junge Frau, die bald die Königin Arthedains genannt werden wird, zaghaft. Vielleicht ist das Schicksal gnädiger mit ihr, als sie zu hoffen wagte. Und so sollte es sein.
Sie war die Letzte und die Erste, vereinte in sich die beiden Linien der Altvorderen, deren Stern sank, nur um dann heller zu erstrahlen als jemals zuvor, denn ein König kam, der das dräuende Dunkel vertrieb und die Reiche der Menschen zusammenführte.

Ende
Heru 9/2003
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