Arda Fanfiction

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Ich will das Licht sein in deiner Finsternis

von Anarya

Kapitel 2

Ein Sommertag ersteht vor meinen Augen.

Schon immer zog es mich an solchen warmen Tagen auf den Hügel hinter dem Haus, dass ich mit meiner Mutter bewohnte.

Kühle empfing mich am Saum des Laubwaldes, und die starken Buchen schienen mich einzuladen, in ihrem Schatten zu ruhen.

Doch nach Ruhe stand mir nicht der Sinn.

Ich lief durch das Gehölz, folgte einem schmalen Pfad, einzig begleitet vom Flüstern des Laubes, das sich im unmerklichen Luftzug bewegte. Die hochstehende Sonne malte Bilder auf den weichen Waldboden, und es herrschte eine atemlose Stille. Selbst die Vögel, die den Forst in großer Anzahl bevölkerten, waren verstummt.

Meine Füße strebten von selbst bergan, und endlich, als mir der Atem knapp wurde, erreichte ich mein Ziel.


Im Zentrum einer Lichtung, deren hinteren Teil eine Hecke dornigen Gesträuchs begrenzte, stand ein Stein. Er ragte mannshoch empor wie eine Säule. Wind und Wetter hatten ihre Spuren hinterlassen. Seine Oberfläche fühlte sich rau und schrundig an. Moos und Flechten bedeckten die nach Norden gewandte Seite, und doch war es mir möglich, fremdartige Runen zu erkennen, die vor langer Zeit von der kundigen Hand eines längst vergessenen Steinmetzen in den Fels gehauen worden waren. Ich konnte sie nicht entschlüsseln, aber ich ahnte, dass sie eine Botschaft enthielten, die für mein Leben von Bedeutung war.


Schon mehrere Male hatte ich diese Lichtung besucht, um das Geheimnis des Steines zu ergründen, doch ich kam zu keinem Ergebnis.

Lediglich in einer alten Schrift fand ich den Hinweis, der Stein wäre ein Grenzstein, und hier verliefe einst die Südgrenze zu einem Land, in dem in grauer Vorzeit ein äußerst erbarmungsloser König herrschte. Der Stein wäre somit der letzte Zeuge eines untergegangenen Reiches.

Mit dieser Erklärung musste ich mich zunächst zufrieden geben, doch ich spürte, wie mich etwas mit Macht an diesen Ort zog.


An jenem Sommertag nun hatte ich dem Druck nachgegeben und war seinem Rufen gefolgt.

Ich trat dicht an den Stein heran und legte beide Hände flach auf die rauhe Oberfläche. Sie war eiskalt, und unwillkürlich zog ich eine Hand zurück, doch mit der anderen spürte ich, wie der Fels in seinem Inneren pulsierte und bebte. Unter meiner Berührung erwärmte sich der Stein merklich, so dass ich ihn wieder mit beiden Händen betastete. Mit den Fingern strich ich über die verwitterten Runen und spürte, wie sich das Vibrieren verstärkte. In Sekundenschnelle blitzen Bilder in meinen Gedanken auf, die ebenso schnell verschwanden, wie sie kamen: Ein stattlicher Mann in einem mittelalterlichern Gewand, dunkelhaarig und grauäugig, mit edlem Antlitz. Wer war er?

Welche Botschaft sollte mir übermittelt werden? Nur allzu gern hätte ich dieses Rätsel gelöst, doch solange ich nicht in der Lage war, die Bedeutung der Runen zu entschlüsseln, war jede Mutmaßung nutzlos.


Ich erhielt schneller Antwort, als ich erwartet hatte...

Zunächst glaubte ich an eine Sinnestäuschung, denn ein leichter Schwindel ließ die Umgebung flackern und verschwimmen.

Als ich aufblickte, sah ich die Bäume und Hecken, die sich im Rücken des Steines befanden, nur noch undeutlich, denn die Luft schwirrte und waberte, so dass alles in Bewegung und zu zerfließen schien. Ich glaubte zu sehen, dass sich Bäume und Sträucher in völliger Lautlosigkeit nach den Seiten voneinander weg bewegten, so dass ein Durchlass, einem Tunnel gleich, entstand.

Der Stein erkaltete unter meinen Händen, und das nahm ich als das Zeichen, meinen Griff zu lösen. Ich tat es nur widerwillig, denn das Beben des Steines hatte sich auf meinen Körper übertragen, und ein angenehmes, erregendes Gefühl erwartungsvoller Wärme durchströmte mich.


Noch bevor ich begriff, was nun geschah, begab ich mich auf den schmalen Pfad, der durch ein Tor aus Ästen, Zweigen und Blattwerk ins Dämmerlicht führte.

Ich schien von nun an ein Spielzeug einer fremden Macht zu sein, denn mein Körper gehorchte nicht mehr meinem Willen. Meine Füße trugen mich davon, ohne dass ich etwas hätte unternehmen können. Überdies wollte ich es nicht, denn alles, was sich ereignete, erschien mir… RICHTIG.


Dämmerung herrschte auf meinem Weg. Die Sonne schaffte es nicht, das Dickicht der Bäume und Hecken zu durchdringen.

Mit jedem Schritt würde es kühler, und bald fröstelte ich in meinem dünnen Sommerkleid. Und nach wie vor fand ich alles RICHTIG.

Es war RICHTIG, dass ich diesen unbekannten Pfad beschritt, von dem ich nicht wusste, wohin er mich führte.

Es war RICHTIG, dass ich fror und ich mir nicht einmal Gedanken darüber machte, was hier mit mir geschah.

Es war RICHTIG, dass ich dem Ruf einer fremden Autorität folgte, ohne darüber nachzudenken, wer solche Macht über mich besaß, dass er es vermochte, meine Schritte zu lenken.


Ich lief und lief, stolperte über hervorstehende Wurzeln und hielt nicht inne.

Die Kronen der Bäume zu beiden Seiten des Pfades schienen sich einander zuzuneigen, dass sich ihre Wipfel ineinander verflochten und dem Licht der Sonne den Weg versperrten.

Die Luft kühlte sich weiter ab, und im Laufen schlang ich meine bloßen Arme um mich, als könnten sie mich wärmen.


Mir war, als liefe ich durch die Jahreszeiten. Das Laub der Bäume hatte sich herbstlich verfärbt, und wo eben noch Sommer war, hielt der Herbst seinen Einzug.

Nichts verwunderte mich. Alles war RICHTIG.

Tausend Schritte weiter hatten die Bäume und Sträucher alles Blattwerk abgeworfen, und kahle Äste und Zweige reckten sich in den Himmel und waren vor einem blassblauen Hintergrund ineinander verflochten.

Frostig war die Luft. Meine Füße in den leichten Sommerschuhen spürte ich nicht mehr.


Der Pfad endete abrupt. Der Wald trat zurück, und ich fand mich wieder vor einem gähnenden Abgrund.

Berge lagen vor mir, schneebedeckt, zerklüftet, abweisend, eine Wüste aus Eis und Schnee. Drohende Wolken zogen am Himmel dahin, vorangetrieben von einem eisigen Wind.

In der Ferne, weit im Norden, zu weit entfernt, um sie erreichen zu können, sah ich auf der Höhe eines schroffen Berges eine Festung, die mir, selbst auf diese ungeheure Distanz, düster und unheimlich vorkam. Zinnen, die wie scharfe Dornen in den Himmel stachen, schienen selbst den Blick abweisen zu wollen.


Nun beherrschte mich ein einziger Wunsch: Ich wollte zurück nach Hause in die warme Geborgenheit des lieblichen Landstrichs, der meine Heimat war. Vorbei war es mit der Wärme, die mir die Nähe des Steines vermittelt hatte, und vorbei war es mit Neugierde, Abenteuerlust und dem sicheren Gefühl, dass alles RICHTIG sei. Meine anfängliche Zuversicht war beklemmender Furcht gewichen. Dazu gesellte sich die schreckliche Kälte, die mich zunehmend erstarren ließ.

Als ich mich umwandte zum Saum des Waldes, genügte ein Blick, um festzustellen, dass eine Umkehr nicht mehr möglich war: Das Tor war verschlossen. Dicht bei dicht standen die kahlen Bäume, und zwischen den Stämmen wucherte dorniges Unterholz. Ich sah nicht den geringsten Zwischenraum, durch den ich schlüpfen konnte, um den Pfad zu erreichen.

In meiner Verzweiflung schritt ich wieder und wieder den Rand des Waldes ab und hielt alles für einen bösen Traum.

Die grauenvolle Kälte belehrte mich eines Besseren.

Meiner Kehle entwichen verzweifelte Schreie. Der eisige Wind riss sie von meinen Lippen und trug sie davon über die frostklirrenden Täler, und nur ein entferntes Echo antwortete mir.


Meine Lage schien hoffnungslos.

Nach den ersten bitteren Tränen siegte meine praktische Veranlagung: Ich zwang mich zur Ruhe, denn ich war es gewohnt, jede Situation zu meistern und mich nicht unterkriegen zu lassen.

Ganz gleich, wo ich hier war, ich musste eine Ansiedlung finden, musste Menschen suchen, die mir weiterhalfen, denn lange würde ich in dieser eisigen Wildnis nicht überleben können. Ich wäre verloren.


Unvermittelt wurde in meinen Gedanke trotz Furcht und Bedrängnis ein Wunsch laut: Ich musste diese Festung erreichen, denn es zog mich mit Macht dorthin. Das gleiche Gefühl, das ich während der Durchquerung des Waldes spürte, beherrschte mich erneut: Alles ist RICHTIG, und die Festung ist mein Ziel, denn dort werde ich Antworten finden.


Ein schmaler Pfad führte nach rechts weg vom Abgrund. Ich folgte ihm, was nicht ohne Gefahr möglich war. Zu meiner Rechten hatte ich eine steil aufragende Felswand und zu meiner Linken gähnte eine tiefe Schlucht.

Stetig bergab führte mich der Weg, und der felsige Untergrund wich bald unberührtem Schnee.

Noch heute weiß ich nicht, wie ich diesen Marsch überstand. Meine dünne Kleidung schützte mich nicht vor der Kälte. Während meine Zähne in einem Trommelwirbel aufeinander schlugen, verlor ich jedes Gefühl für meinen Körper. Meine Beine taten automatisch ihren Dienst, doch ich rechnete fest damit, dass sie innerhalb kürzester Zeit versagen würden.


Taumelnd vor Erschöpfung erreichte ich ein schneebedecktes Plateau, von dem aus ich die Landschaft überblicken konnte.

Menschen!... Tief unter mir sah ich dunkle, sich bewegende Punkte...

Dort waren Menschen! Ich war gerettet, wenn ich sie erreichte!

Also lief ich mit meinen erfrorenen Füßen los, so schnell ich konnte - fast vergaß ich die Schmerzen - und erreichte ein Lager, in dessen Mitte ein Feuer loderte.

Ach, wie erschrak ich, als ich in die Gesichter dieser Menschen blickte! Sie waren wild, roh und hässlich, von wirrem dunklen Haar umrahmt.

Die Kleidung bestand aus zotteligen, schmutzigen Fellen, und alle trugen altertümliche Waffen bei sich.

Ich sah noch, wie sie verblüfft innehielten, als sie mich erblickten, und dann mit wildem Geheul auf mich zu stürmten. Augenblicke später sank ich in den Schnee und spürte nichts mehr. Warme Dunkelheit umfing mich, die Schmerzen und Kälte zudeckte, und ich glaubte, der Tod sei gekommen...


Wie lange ich ohne Bewusstsein war, kann ich nicht sagen.

Als ich für kurze Zeit erwachte, fand ich mich wieder im zertrampelten Schnee im Innenhof der Festung. Ein riesenhafter Mann war über mich gebeugt und betrachtete mich.

Die wilden Menschen hatten mich ihm vor die Füße geworfen.

Ich war starr vor Kälte und konnte nicht einmal mehr Furcht empfinden. Bevor ich erneut das Bewusstsein verlor, spürte ich, wie ER mich in einen pelzgefütterten Umhang hüllte, und ich glaubte geflüsterte Worte zu vernehmen: Endlich bist du da ...

Auf seinen Armen trug er mich ins Haus.
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