Arda Fanfiction

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Saradocs Reife

von Ethelfara Ceorlred

Großvater, Vater, Grenzwächter

Der Herr des Bocklands beschloss, seinen Sohn zu sich zu rufen. Gorbadoc Brandybock fand, dass es sich um eine drängende Sache handelte, immerhin war er nicht mehr der Jüngste und er hatte das Amt des Herrn vom Bockland nun schon seit fast einundfünfzig Jahren inne. Rorimac Brandybock würde sich bald daran gewöhnen müssen, sich der Verantwortung zu stellen, die seine Stellung innerhalb der Familie der Brandybocks von Bockenburg mit sich brachte.

In anderen Gegenden Mittelerdes (und nicht nur dort) war es normalerweise so, dass ein Herrscheramt beim Tode des Herrschers auf den Nachfolger (oder die Nachfolgerin) überging, aber im Bockland war das nicht so. Dort übergab der Herrscher das Amt an seinen Nachfolger, wenn er die Zeit dafür für gekommen hielt. Und meistens lebte er dann noch einige (oft etliche) Jahre in Ruhe und Frieden und überließ die ganzen Probleme des Regierens dem Nachfolger. Und Gorbadoc hatte genau dieses jetzt vor.

Gelehrte sagen, dass diese Tradition dereinst von den alten Menschenkönigen von Über dem Meer kam, aber kein Lebender konnte mehr bestätigen, ob die alten Könige die Amtsübergabe tatsächlich so handhabten, denn die alten Könige gab es schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Aber das Bockland und das Auenland war dereinst ein Teil ihres alten Königreichs gewesen. Die Könige und ihr Reich waren schon lange untergegangen, und nur wenige, verstreute Nachfahren lebten noch versteckt draußen in der Wildnis. Im Auenland hatten die Hobbits aber die alten Traditionen und Gepflogenheiten bewahrt (jedenfalls wenn es zu ihrer Lebensweise paßte) und der Herrscher des Auenlands, der Thain von Buckelstadt und dem Tukland wurde allgemein in der Tradition des Königs gesehen.

Allerdings war der Thain nicht der Herrscher des Bocklands, und das ist eine eigentümliche Sache. Das Bockland ist ein Landstrich, östlich des Auenlands gelegen und es wird von diesem durch einen breiten Fluss getrennt. Die alten Elben und Hoch-Menschen nennen ihn den Baranduin, unter den Hobbits ist er als der Brandywein bekannt (eine seltsame Namensverdrehung – fragt man Hobbits, wie es dazu kam, dann schweigen und grinsen sie) ein träger, breiter, tiefer Fluss, der an zwei Stellen überquert werden kann, ohne nass zu werden. Die Brandyweinbrücke führt die Oststraße, eine alte, von Menschen oder Elben erbaute Straße (so genau weiß das keiner mehr) über den Fluss, und diese Straße geht dann genau an der Nordgrenze des Bocklands weiter gen Osten nach Bree und noch viel weiter. Im Westen führt sie den Reisenden einmal quer durch das Auenland. Etwas weiter südlich gibt es noch eine Fähre, die auf Höhe des Brandyschlosses (der Familienresidenz der Brandybocks) über den Fluss führt und Reisenden schon so manche Wegstunde gespart hat. Sollte allerdings ein Reisender, der weiter nach Osten als bis ins Bockland reist, Wegstunden über die Fähre sparen wollen, so muss er in den meisten Fällen enttäuscht werden. Er müsste durch den weglosen und unheimlichen Alten Wald reisen (von dem nicht nur unter den Hobbits so einige gruselige Geschichten erzählt werden), und das werden die Vernünftigen nicht wollen. Sie werden sich so oder so auf die Oststraße begeben.

Das Bockland grenzt sich zum Alten Wald mit einer hohen und breiten Hecke ab. Der Hohe Hag wurde schon bald nach der Besiedlung des Landstrichs gepflanzt, um Unerwünschtes draußen zu halten. Dennoch verließen sich die Hobbits des Bocklands nicht nur auf den Hohen Hag als Schutz gegen Feinde und Räuber: es gab zudem stets eine starke Grenzwache, die sich aus Freiwilligen des Bocklands und des benachbarten Stockbruchs am Westufer des Brandywein bildete. Die Verwegeneren unter den Grenzwächtern gingen irgendwann zu den Grenzkriegern; diese reisten bis Bree, manche auch weiter, und sie schlossen sich den Nachfahren der alten Könige an und bekämpften Seite an Seite mit ihnen die Feinde, die es in den wilden Gegenden viel zu häufig gab und die eine stete Bedrohung für alle Freien Bewohner Mittelerdes waren.

Grenzwächter oder gar Grenzkrieger genossen trotz dieser Tatsachen im Inneren des Auenlands keinen besonders guten Ruf, um nicht zu sagen, sie wurden gemieden. Selbst in Buckelstadt, dem Hauptort des Auenlands (und Sitz des Thains) wurde ein Bockenburger Grenzwächter mit misstrauischen Blicken bedacht – außer von den abenteuerlustigeren Familienmitgliedern der Tuks (der Familie des Thains), die sich ihnen manchmal anschlossen. Wenn sie sich nicht schon den Nordtuks angeschlossen hatten: dieser verwegene Familienzweig lebte in und um Grünfeld und Lang- Cleeve im Nordviertel, unmittelbar an der Nordgrenze des Auenlands und ohne den Schutz, den Fluss und Hecke vor Feinden bieten konnte. Es war diesen Tatsachen geschuldet, dass „anständige“ Hobbits sich nicht mit Brandybocks, Bolgers, Tuks oder gar Nordtuks einließen! Und es war eine ebensolche Tatsache, dass Brandybocks, Bolgers, Tuks oder Nordtuks das herzlich egal war.

Jetzt wartete das Oberhaupt eben dieser Brandybocks auf seinen Sohn, der sich Zeit zu lassen schien. Gorbadoc wollte schon ungehalten werden, aber da ging die Tür, und Rorimac betrat das Arbeitszimmer. Das Kaminfeuer prasselte, und Regen schlug gegen die Fenster.

Rorimac trug seine lederne Panzerweste und war mit seinem Kurzschwert gegürtet, was seinen Vater eine Augenbraue heben ließ. Mit einer Handbewegung gebot er seinem Sohn, am Kamin Platz zu nehmen.

„Du hast mich rufen lassen, Vater?“

„Das habe ich. Ich sehe, du hast dich gerüstet? Bei diesem Wetter sehe ich aber niemanden von den Wächtern auf dem Waffenhof.“

„Ich komme gerade aus dem Alten Wald. Die Waldarbeiter wurden wieder einmal von Räubern belästigt. Wir haben die Räuber besiegt, und um den Rest der Bande kümmern sich die Krieger. Nichts, was dich allzu sehr kümmern sollte.“

„Und doch muss ich mir auch darüber so meine Gedanken machen. Und da ist noch so einiges, was dazu kommt.“

„Ich weiß“ seufzte Rorimac. „Von den Waldläufern haben wir schon länger keine Nachricht, irgendwo ist ein Räubernest und mein Sohn gibt keine Ruhe, was den Jäger betrifft.“

Gorbadoc lächelte. „Saradoc kommt nun mal nach seinem Vater. Der in seinem Alter übrigens schon auf einigen Jagden gewesen war und sich gerade den Grenzwächtern angeschlossen hatte. Die Waldläufer sind immer wieder einmal für längere Zeit unterwegs. Die paar unbedeutenden Hobbits sind bei Weitem nicht ihre einzige Sorge. Und die Räuber kannst du gerne den Kriegern überlassen. Nein, ich habe eine andere Sache, über die ich mit dir reden muss.“

„Sage nicht, dass du dein Amt aufgeben willst, Vater! Ich…“

„Doch, ich werde das in absehbarer Zeit tun. Es gibt schon Gerede in Bockenburg. Mein Nachfolger sollte sich so langsam darum kümmern, dass er die Nachfolge auch antreten kann und sich nicht bei den Grenzwachen und Grenzkriegern herumtreiben, nur um eines der Gerüchte zu nennen. Du wirst dich ab heute vermehrt im Schloss aufhalten, wo ich dich in die Feinheiten dieses Amtes unterweise, das du bald von mir übertragen bekommst. Und du kannst deinen Sohn gleich mitbringen. Für ihn wird es Zeit, sich den ernsteren Dingen des Lebens zuzuwenden. Immerhin wird er bald erwachsen (Hobbits werden das mit 33), da sollte er wenigstens bei der Grenzwache gewesen sein.“

Rorimac nickte. Früher oder später würde er sich damit auseinandersetzen müssen, der Herr des Bocklands zu werden. Würde er es früher tun, dann hätte er mehr Zeit dafür. Die Stimme seines Vaters holte ihn wieder aus seinem Gedankengang.

„Ich werde Saradoc am besten morgen schon zur Wache am Heutor schicken, denke ich. Dort sollte seine Ausbildung die wenigsten Störungen erfahren. Außerdem habe ich mit Frederic Bolger dort einen erfahrenen Hauptmann, der deinem Sohn so einiges beibringen kann.“

Rorimac und Gorbadoc sprachen noch über einige Dinge von geringerem Belang, und gegen Abend kam die Familie zum großen Abendessen zusammen. Saradoc kam völlig durchnäßt und mit einem Bogen in der Hand in den Großen Saal. Der Herr des Bocklands winkte ihn zu sich.

„Nanu? Will mein Enkel jetzt das Essen auf der Tafel erjagen? Bei einigen deiner Onkels und Kusinen könnte ich das jedenfalls gut verstehen.“

Die Umstehenden lachten. „Ich hoffe, dass ich das nicht brauche“ lachte Saradoc. „Nein, ich war noch unten auf dem Waffenhof am Üben. Es regnet, da habe ich Platz, ohne dass mich ständig jemand wegscheucht.“

„Die Wächter brauchen ihren Platz zum Üben“ erwiderte Gorbadoc. „Aber ab morgen wird dich keiner mehr vom Waffenhof wegschicken. Du meldest dich morgen früh bei der Wache am Heutor zur Ausbildung. Hauptmann Bolger weiß Bescheid. Du wirst erst einmal dort bleiben, und wir wollen doch mal sehen, wie sich mein Enkel bei der Wache so macht.“

„Ich darf endlich zur Ausbildung? Danke!“ Saradoc fiel seinem Großvater um den Hals.

Natürlich hatte der junge Hobbit schon lange den Erzählungen der Älteren gelauscht und sich mehr als nur einmal gewünscht, den langweiligen Unterricht des Hauslehrers gegen ein Abenteuer im Alten Wald oder an der Nordgrenze tauschen zu können. Und jetzt sollte es soweit sein. Saradoc konnte jedenfalls in der Nacht kaum schlafen.

Am nächsten Morgen war Saradoc früher als sonst aufgestanden und er hatte sich auf den Weg zum Heutor gemacht. Das Heutor lag im Norden des Bocklands, und Reisende zur Oststraße mußten es passieren. Ein Hobbit, der gut zu Fuß war würde zwei Stunden brauchen, aber Saradoc hatte ein gutes Pony (das er rasch gesattelt hatte) und so stand er schon nach zwanzig Minuten vor dem Wachhaus am Tor. Der diensthabende Wächter sah ihn verwundert an.

„Saradoc, nehme ich an? Du solltest doch erst um zehn Uhr hier sein? Es ist gerade mal halb fünf. Na, ich geh mal den Hauptmann wecken.“

Der Hauptmann stand in der Küche und setzte das Teewasser auf, als Saradoc zu ihm geführt wurde. Mit einem unterdrückten Grinsen sah er den jungen Hobbit an.

„Da ist er also, der junge Saradoc Brandybock. Ich bin Hauptmann Frederic Bolger.“ Er streckte seine Hand aus, die Saradoc nahm.

„Sehr erfreut“ sagte dieser. „Ich soll heute mit der Ausbildung beginnen?“

„Ganz recht. Aber bringe dein Pony in den Stall und setz dich dann. Wecken ist hier für die Wächter im Tagdienst um sieben, und der Dienst geht von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends. Der Nachtdienst geht damit von acht Uhr abends bis acht Uhr morgens. Bis zum Dienstwechsel gibt es Frühstück.“

Hauptmann Bolger stellte Saradoc den anderen Wächtern vor, als diese in den Speiseraum kamen, und viele konnten nur mit Mühe ein Grinsen unterdrücken. Der Wachälteste lachte kurz auf.

„Ich erinnere mich noch gut an den ersten Tag eines gewissen Rorimac Brandybock“ meinte er. „Um zehn sollte er da sein. Um zwölf wurde ich zum Brandyschloss geschickt. So gegen vier Uhr am Nachmittag waren wir dann da.“

„Und der Herr des Bocklands war stinksauer, Sebastian“ lachte der Hauptmann. „Das sollte heute ganz anders sein, denke ich – vorausgesetzt, du hast dich im Schloss abgemeldet, Saradoc!“

„Oh“ meinte dieser. „Das hatte ich vergessen. Na ja, es war ja auch keiner da, bei dem ich mich hätte abmelden können.“

„Wie so oft“ grinste Frederic Bolger. „Na, dann sollen die mal suchen. Wir fangen gleich nach dem Frühstück mit deiner Ausbildung an. Du kommst mit und schaust dir die Ablösung an.“

Bei der Ablösung berichteten die Ablösenden den Übernehmenden im Beisein des Hauptmanns, was in ihrer Schicht vorgefallen war und was die Ablösung noch zu beachten und zu erledigen hatte; eine Sache von wenigen Minuten. Anschließend bekam Saradoc seine Ausrüstung. Über der grauen Kleidung der Grenzwächter trug er eine verstärkte Lederweste, auf dem Kopf hatte er eine verstärkte Lederkappe und dazu bekam er einen Speer und einen Knüppel. Neugierig betrachtete Saradoc die bereitliegenden Bögen.

„Na, Interesse? Dann suche dir einen Bogen aus.“ Hauptmann Bolger betrachtete interessiert, welchen Bogen Saradoc wählen würde. Der entschied sich für einen kurzen, geschwungenen Bogen mit einem passenden Trageköcher.

„Ich sehe, ein Jäger. Du willst auch mal die Hände freihaben, ohne deinen Bogen abspannen zu müssen. Sehr gut.“

„Zur Jagd durfte ich noch nicht, das hatte mir mein Vater verboten. Aber im Brandyschloss habe ich am Liebsten mit den Kurzbögen geübt.“

„Eine gute Reichweite ohne viel Kraft aufzuwenden, dazu durchzugsstark und leise. Ich verwende die Kurzbögen auch am liebsten. Und den Umgang mit Speer und Knüppel lernst du auch noch. So, dann wollen wir mal.“

Die beiden gingen auf den Übungsplatz, der sich zwischen dem Wachhaus und der Tormauer befand. Saradoc war ein guter Schütze mit sicherer Hand, und mit dem Speer konnte er sich ebenfalls rasch anfreunden. Nur der Knüppel war reichlich ungewohnt.

Zum Mittagessen gingen sie wieder in den Speiseraum. Es war keineswegs so, dass die Wächter in ihrer Tagschicht durchgehenden Dienst hatten; vielmehr konnten sie sich gegenseitig ablösen, solange genug Leute auf Posten waren. Beim Essen erfuhr Saradoc, dass den meisten Wächtern der Knüppel als Waffe gar nicht zusagte, aber meistens reichte es, ihn am Gürtel hängen zu haben, und Reisende blieben friedlich. Viele hatten ihre Knüppel aber durch Äxte ersetzt.

Gegen Nachmittag war dann ein Bote vom Brandyschloss eingetroffen. Hauptmann Bolger berichtete lachend von der Uhrzeit, zu der sich der neue Rekrut gemeldet hatte und dass er immer noch mit den Waffenübungen zugange war. Ansonsten hatten sie sich bei der Ausbildung des neuen Rekruten nicht stören lassen.

Die Wochen vergingen, und Saradoc lernte schnell. Rasch konnten ihm immer mehr Aufgaben übertragen werden, und im Eintreiben des Handelszolls erwies er sich als gerissen genug, es im Diskutieren mit den ewig nörgelnden Zwergen aufnehmen zu können. Der Herr der Bocklands inspizierte von Zeit zu Zeit die Grenzwachen, und Gorbadoc beobachtete belustigt, wie sein Enkel wieder einmal den Zoll eintrieb. Der Zwergenhändler diskutierte reichlich laut.

„… ich sehe nicht ein, auch noch Zoll dafür zu bezahlen, in dieses kleine Ländchen fahren zu können“ schnaubte er. „Das ist doch alles dieses ‚Auenland‘ oder etwa nicht? Nicht nur, dass ich in diesem Land kaum meine Waren loswerde, eure Zölle machen mich arm!“

„Nun, Ihr müsst nicht durch dieses Land reisen“ erwiderte Saradoc ruhig. „Diese Straße führt ins Bockland, und sonst nirgendwohin. Und das Bockland ist nicht das Auenland. Anderes Land, neuer Zoll. So wie in den Tieflanden, dem Thráin-Tal und in Thorins Tor! Außerdem scheint Ihr ja doch mehr verkauft zu haben als Ihr vorgebt, ansonsten hätten Euch die Grenzer in Stock mehr vom Auenland-Zoll erstattet als es wohl der Fall war.“

„Also… das ist doch unerhört! Zoll erstatten, so ein Mumpitz! Ihr seid kleine Halsabschneider, das seid Ihr alle! Was sollte dieser Quatsch mit dem Zettel?“

„Auf dem Euer Warenbestand verzeichnet wurde, als Ihr ins Auenland einreistet? Der wurde sicher doch in Stock mit Eurem jetzigen Bestand abgeglichen. Und was Ihr wieder an Ware aus dem Auenland ausführt muss nicht verzollt werden und wird erstattet. Wenn Ihr die Quittung zur Prüfung abgegeben habt, natürlich.“

„Also das… was soll dieser Blödsinn?“

„Ich hab es dir gesagt, Skorgrím!“ lachte der Zwerg, der den folgenden Handelswagen lenkte. „Heb die Quittung auf, lass die Grenzer das bei der Ausreise abgleichen und für alles, was du nicht verkauft hast kriegst du das Geld wieder. Aber du hast deine Quittung ja nicht mehr.“

„Also, was ist jetzt?“ fragte Saradoc. „Zahlen wir den Zoll und fahren dann weiter oder machen wir Platz für diejenigen, die zum Julfest wieder zu Hause sein wollen? Ich habe Zeit. Der Händler hinter Euch nicht.“

Brummelnd zahlte Skorgrím den geforderten Zoll und fuhr weiter. Dieses Mal schien er die Quittung, die Saradoc ihm ausgehändigt hatte besser aufzubewahren. Auch der nachfolgende Zwerg entrichtete seinen Zoll (allerdings ohne Diskussion) und fuhr grinsend weiter. Gorbadoc wartete, bis die Zwerge außer Hörweite waren, dann räusperte er sich.

„Mein Herr?“

„Grenzwächter Saradoc, das eben war große Klasse“ lachte Gorbadoc. „Hauptmann Bolger lobt dich in den höchsten Tönen, die Kasse des Bocklands klingelt und ich muss mir so langsam Gedanken darüber machen, wie ich dich weiterhin einsetze. Die Ausbildung zum Grenzwächter hast du hiermit abgeschlossen, jetzt geht es weiter. Wirst du ein Jäger des Bocklands oder doch vielleicht etwas ganz anderes?“

„Mein Herr, ich dachte, Ihr nennt mir, was Ihr für mich vorgesehen habt.“

„Das würde ich, wenn ich mich denn entscheiden könnte. Nun, du kommst heute wieder ins Brandyschloss zurück. Dort sprechen wir dann in Ruhe darüber.“

Rasch hatte Saradoc seine Sachen gepackt und sich von seinen Kameraden und dem Hauptmann verabschiedet, und ebenso rasch waren er und Gorbadoc im Brandyschloss. Der Herr des Bocklands führte seinen Enkel ohne Umschweife in sein Arbeitszimmer. Dort warteten sein Vater Rorimac und eine in einen dunklen Mantel gehüllte Gestalt auf Saradoc.

„Meine Herren“ sagte Saradoc und verbeugte sich. Gorbadoc nahm Platz.

„Das, meine Herren, ist mein Enkel Saradoc Brandybock. Er hat heute seine Ausbildung bei der Grenzwache beendet. Saradoc, das ist Herr Halros von den Waldläufern. Herr Halros ist mit Neuigkeiten gekommen, die uns alle betreffen.“

Der Mensch erhob sich. Im flackernden Licht des Kaminfeuers konnte Saradoc die scharfen Gesichtszüge eines Mannes erkennen, der schon lange Jahre in der Wildnis zugebracht hatte und offenbar älter war als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Seine schwarzen Haare waren von grauen Strähnen durchzogen, aber ansonsten schien er noch wenig gealtert zu sein. Er erhob seine Stimme, die erstaunlich tief und melodisch erklang.

„Meine Herren, mir scheint, als ob sich immer mehr Räuber und Gesetzlose um das Auenland zu sammeln scheinen, und in Bree wurden die Stadtwachen bereits verstärkt. Eure Grenzkrieger haben so einiges zu tun, um dieser Räuber Herr zu werden. Dennoch solltet Ihr die Krieger mit frischen Kräften verstärken.“

„Ich werde diejenigen, die im Bockland und im Stockbruch in der Reserve leben, herbeirufen“ erwiderte Gorbadoc. „Weiterhin wird die Grenzwache ebenfalls verstärkt. Habt Ihr Erkenntnisse über die Zahl und die Lager der Räuber?“

„Sie scheinen im Alten Wald zu lagern, aber sonst nirgends. Im Nordviertel gibt es außer den üblichen Problemen nichts Besonderes zu vermelden, und meine Brüder sprechen davon, dass die Lande östlich und nördlich von Bree noch frei von Räubern sind. Aber wir alle wissen, dass sich dies schnell ändern kann.“

„Leider nur allzu wahr“ sagte Rorimac. Dieses Problem hatten wir vor zehn Jahren schon, als Bilwisse, die sich bei Lang- Cleeve herumtrieben plötzlich an der Brücke waren. Wir sollten die Wachen verstärken.“ Er blickte seinen Sohn an.

„Das sollten wir“ meinte Gorbadoc. „Aber ich finde, Saradoc sollte nicht wieder zurück zur Grenzwache gehen. Hauptmann Bolger berichtete von raschen Lernfortschritten, und ich konnte mich selbst erst heute davon überzeugen. Saradoc, du hast bei der Grenzwache alles gelernt, was dort zu lernen ist, und ich bin mir sicher, das wird für dich auf Dauer zu langweilig. Außerdem muss ich bedenken, dass auch du eines Tages der Herr vom Bockland sein wirst. Das, was du dafür wissen und können musst ist viel mehr als das, was du gerade gelernt hast.“

„Was soll ich also tun, Herr? Was wünscht Ihr?“

„Du kennst unsere Sorgen jetzt genau so wie wir alle hier. Aber bevor ich dir diese Wahl auferlege lasse ich Herrn Halros sprechen. Er soll seinen Vorschlag unterbreiten.“

Halros nickte. „Ich sollte eigentlich schon gestern früh hier eintreffen, aber mich hat ein Grenzwächter daran gehindert.“ Halros lächelte. „Das ist gut so, denn dieser Grenzwächter war besagter Saradoc. Ich kam an dir einfach nicht vorbei, mein Lieber. Entweder werde ich alt, oder da schiebt jemand Wache, der mehr als nur das kann. Da ich heute Nacht problemlos an der Nachtwache vorbeikam weiß ich, dass du mehr kannst. Du kennst die Grenzkrieger, Saradoc?“

„Ja. Diejenigen unter den Wächtern, die mehr als nur Wache schieben und Zoll von Zwergen einkassieren können haben die Möglichkeit sich zu den Grenzkriegern freiwillig zu melden. Die werden dann an richtigen Waffen ausgebildet (nicht nur an albernen Knüppeln), werden wie Krieger ausgerüstet und jagen Feinde, die unseren Grenzen zu nahe kommen.“

„Ganz recht, Saradoc. Mein Vorschlag ist allerdings nicht, dass du dich den Grenzkriegern anschließen solltest. Sicher, du führst ein Schwert an Stelle des Knüppels, wirst richtig ausgerüstet und du hast sogar die Gelegenheit, von Zeit zu Zeit in einem Federbett zu nächtigen. Dort, wo ich dich hinbringen möchte wirst du das Federbett nicht haben. Ich möchte dich zu den Dùnedain bringen, die in der Nähe von Bree leben. Dort wirst du nicht nur ein Krieger, sondern auch ein Waldläufer. Du wirst ein Fährtenfinder und Kundschafter. Du wirst dann derjenige sein, der den Grenzkriegern meldet, dass Feinde in der Nähe sind. Du wirst ihnen ihre Art, Stärke und Bewaffnung mitteilen. Und du wirst ihre Schwächen herausfinden und ebenfalls den Kriegern melden.“

„Übrigens war das die Schule, durch die dein Großvater gegangen ist“ sagte Gorbadoc ernst. „Auch ich bin ein Waldläufer. Ich habe in dieser Zeit so unglaublich viel gelernt und erfahren, das nützt mir selbst viele Jahre später noch. Das wäre also die Wahl, die du von mir bekommst, Saradoc: bleibe bei der Grenzwache, gehe zu den Grenzkriegern – oder wähle den Weg, der am härtesten ist. Was sagst du?“

„Großvater, einfach kann jeder und je einfacher, je langweiliger. Ich gehe mit Herrn Halros mit. Wir Hobbits waren doch früher mit den Kriegern des Königs verbündet, sagt man. Auch wenn es keinen König mehr gibt, so möchte ich dieses Bündnis erfüllen.“

„Große Worte, mein lieber Saradoc“ erwiderte Halros. „Es tut gut zu wissen, dass unsere Geschichte noch nicht in Gänze vergessen wurde. Ich freue mich, dich zu meinen Brüdern und Schwestern bringen zu können. Mein Herz ahnt, dass dies für uns alle hier eine größere Bedeutung haben mag als wir es jetzt erahnen können.“

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