Arda Fanfiction

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Vom Leben im Norden - Die Heimkehr der Brandybocks

von Ethelfara Ceorlred

Die Aufgaben der Heimat

„So, wir sind jetzt unter uns.“ Fortinbras schloss die Tür hinter sich. „Halros und Saeradan haben sich für heute oder morgen angekündigt. Es scheint Probleme im Wilderland zu geben. Lange hatten wir relativen Frieden dort, und nur wenige Räuber mussten in Schach gehalten werden. Etwa ein halbes Jahr nach deinem Aufbruch ließen die Angriffe nach, und Orks wie Grimmhands waren auf einmal wie vom Erdboden verschluckt. Selbst die Räuber ließen in ihrer Anzahl nach. Aber seit etwa einem Jahr scheint sich das wieder zum Schlechteren zu ändern.“

„Als wir in Rohan angekommen waren, waren wir in einem Kriegsgebiet angekommen. Und diese Grimmhands waren mittendrin: als Minenbauer, als Hauptleute, aber vor allem als Verräter.“ Saradoc holte hörbar Luft. „Wir hatten in Rohan so einige Mühen mit den Grimmhands und diesem Anführer, der sie wohl in ihre Dienste genommen hatte.“

„Dieser angebliche Sharkû?“

„Dieser Sharkû hat uns in der Westfold und darüber hinaus viel zu wirkliche Probleme bereitet, als dass er nur ein Hirngespinst wäre“ erwiderte Saradoc. „Selbst Gandalf ist von seiner Existenz überzeugt, selbst wenn er ihn keiner Art und keinem Gesicht zuordnen kann. Was diese Grimmhands angeht: die haben wir vor einem halben Jahr als Gefangene zu König Dáin vom Erebor gebracht.“

„Und da scheinen die Probleme anzufangen, Saradoc“ brummte Fortinbras. „Noch sind es Gerüchte: man sagt, dass einige oder viele Grimmhands aus den Verliesen des Erebor freigelassen worden wären. Andere sprechen von einem Entkommen. Wieder andere sprechen von einem Gefangenenaustausch. Wie man es nimmt, nimmt es keine gute Wendung. Und genau deswegen wollen Halros und Saeradan dringend mit uns sprechen. Nur habe ich mit so einigen Dingen, über die die Dùnedain sprechen so meine liebe Not. Ich meine, ich kenne noch nicht alle Begebenheiten der letzten Jahre unten im Süden.“

„Bei einigen können wir beide Abhilfe schaffen, hoffe ich“ sagte Saradoc und blickte Sithric an. „Am besten beginnen wir mit einem Reisebericht von dem Tag an, an dem ich mit Éomund und Elfmar vom Brandyschloss aufbrach.“

Fortinbras nickte, und Saradoc begann mit seinem vollständigen Reisebericht, der dann und wann (vor allem in der zweiten Hälfte) von Sithric ergänzt wurde. Als Saradoc dann bei seiner Ankunft in Bockenburg geendet hatte, seufzte der Thain.

„Eine lange, aber aufschlußreiche Erzählung, zweifellos. Mich wundert vor allem die Vehemenz, mit der König Dáin die Herausgabe der gefangenen Grimmhands von König Thengel gefordert hat. Vor allem, wenn ich an die Gerüchte der letzten Zeit denke: dass eben diese Grimmhands von eben diesem König Dáin auf freien Fuß gesetzt wurden und so weiter. Ich frage mich so langsam tatsächlich, ob bei Bilbo Beutlins Fahrt zum Einsamen Berg vielleicht nicht doch Dinge vorgefallen sind, wegen derer jemand unter den Zwergen Rache üben will. Nun, das dürfte keine Sache sein, die ein Saradoc Brandybock herausfinden sollte. Ich sollte Gandalf befragen: wenn, dann weiß er etwas darüber. Bilbo hält sich in dieser Frage sehr bedeckt.“

„Gandalf kam mit uns vom Erebor und weilt im Brandyschloss“ erwiderte Saradoc. „Ein schneller Bote sollte ihn hier herrufen können. Noch ist er da, aber bei Zauberern weiß man nie.“

„Ich sehe, du hast da so deine Erfahrungen gemacht“ grinste Fortinbras. „Ich werde die Gelegenheit nutzen und am besten gleich einen Boten losschicken. Kein Grund, euch beide zu bemühen: ich gehe doch recht in der Annahme, dass ihr beide euch noch nicht wirklich von eurer Reise ausruhen konntet? Dann werdet ihr das eben hier tun.“

„Gandalf fragte mich im Brandyschloss, ob er mir eine Minute meiner Zeit stehlen könne“ lachte Saradoc. „Ich glaube, wir alle wissen, was das heißt. Nicht zuletzt deswegen sind wir voll gerüstet, beritten und für Lager im Freien ausgestattet.“

„Noch ein Grund mehr, dass ihr euch hier ausruht“ bestimmte Fortinbras. „So, der Abend war lang, und ihr seid heute rasch geritten. Geht jetzt zur Ruhe. Paladin wird euch zu eurem Gästezimmer bringen. Ich schicke noch den Eilboten los, dann mag der Rest morgen kommen, wie er kommt.“

Ein sichtlich aufgeregter Paladin Tuk brachte Saradoc und Sithric zu ihrem geräumigen Gästezimmer in Hobbitgröße. Für Sithric war es das erste Mal, dass er in einem Raum übernachtete, der in einen Hang hineingegraben worden war. Das Gang befand sich innerhalb des Hangs, so dass große, runde Fenster bei Tag einen Ausblick über die Stadt und das Umland boten. Ihr Zimmer ging nach Westen, und unter ihnen breitete sich ein großer Wald aus. Es war das westliche Ende eben jenes Waldes, dessen Ostrand man von den westlichen Fenstern des Brandyschlosses aus sehen konnte, jenseits des Flusses. Eine runde Tür führte sie hinaus auf eine kleine Terrasse, auf der zwei Bänke und ein Tisch standen.

Zu seiner Überraschung konnte Sithric sich in den Gängen von Groß-Smials aufrecht gehend fortbewegen, ohne sich irgendwo den Kopf anzustoßen. Elfmar hatte ihn in der Westfold gerne damit aufgezogen, dass er im Auenland stets auf seinen Kopf aufpassen müsste, aber hier war es nicht so. Saradoc warnte ihn aber vor dem einen oder anderen Gasthaus abseits der großen Straßen: dort konnte es tatsächlich vorkommen, dass die Gänge sehr niedrig waren. Aber hier, wo die Hobbits offensichtlich schon immer mit Besuch von außen rechneten war alles bestens, und Sithric hatte in seiner ersten Nacht geschlafen wie ein Stein.

Ohnehin gingen die beiden den nächsten Tag ruhiger an als sonst, und nach einem ausgiebigen Frühstück saßen Saradoc und Sithric noch lange mit Thain Fortinbras und seinem Neffen Paladin zusammen. Jetzt hatten die Brandybocks die Muße, ausführlich von ihren Erlebnissen in der Westfold zu berichten, und sie fanden vor allem im Neffen des Thains einen immer interessierteren Zuhörer. Saradoc wunderte sich ein wenig darüber: Esmeralda war seine Schwester, die noch immer die felsenfeste Ansicht vertrat, dass ihr Bruder nicht das geringste Interesse daran habe, den Umgang mit Waffen zu erlernen, geschweige denn sich in Abenteuer zu stürzen. Eben dieser Paladin Tuk stellte jetzt eine schüchterne Frage.

„Bitte, Herr Saradoc, eines würde mich ja brennend interessieren: wie war es eigentlich so als Hobbit inmitten der vielen großen Krieger? Und wie ist es, ein Pferd zu reiten?“

„Oh, inmitten der Westfoldinger habe ich mich eigentlich zu keiner Zeit als Hobbit gefühlt – oder als hol-bytla, wie sie uns nennen“ lächelte Saradoc. „Wir waren alle Krieger, die eine Aufgabe zu erledigen hatten. Und das war es, was uns einte.“

„Genau so ist es“ ergänzte Sithric. „Wenn Ihr zusammen mit den anderen Kriegern, Euren Gefährten in einer Reihe oben auf einer Anhöhe steht, im Tal unter Euch seht Ihr die vielleicht doppelt oder dreifach so hohe Anzahl von Feinden, vor Euch Euer Anführer, der Euch seine letzten Anweisungen vor dem Befehl zum Angriff gebt, dann schert es niemanden Eurer Gefährten, wer Ihr seid oder wo Ihr herkommt – Ihr alle erwartet diesen einen Befehl zum Angriff, und sonst nichts.“

„Genau das haben wir immer wieder so erlebt, stimmt es, Sithric? Egal ob Erbe des Herrn vom Bockland oder Vollwaise, wir waren alle Gleiche, als Krieger. Nicht mehr und nicht weniger. Übrigens haben lange Übungsstunden schon im Bockland und bei den Waldläufern schon dafür gesorgt, dass ich mit Pferden besser zurechtkomme als mit unseren Reitponys. Da war es keine allzu große Umstellung mehr, ein rohirrisches Kriegsross zu reiten, glaube ich.“

„Das klingt nach Abenteuern“ seufzte Fortinbras ein wenig wehmütig. „Ich sollte mich nicht beklagen: immerhin war ich in meiner Jugend im Grünfeld bei den Nordtuks. Aber was ist mit dir, Paladin? Du hast noch keine allzu großen Verpflichtungen: für eine grundgescheite Ausbildung an Waffen würde ich auf meinen Hausdiener verzichten.“

„Ich weiß nicht“ seufzte der Angesprochene. „Ja, sicher würde ich auch einmal gerne auf einem Pferd reiten, so wie der alte Bandobras. Aber ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie ein Schwert in der Hand, und mein Vater ist ja sogar der Meinung, dass es für mich zu gefährlich wäre, ein Pony zu reiten.“

„Und dann schickt Adalgrim ausgerechnet deine Schwester zur Grenzwache von Bockenburg“ lachte Saradoc. „Aber du sollst kein Pony reiten dürfen? Ich habe da eine Idee: wenn der Thain es gestattet, dann würde ich dich als Krieger ausrüsten, und dann wollen wir doch einmal sehen, ob dir das behagt oder ob nicht, mein lieber Paladin! Na, wie wäre es?“

Paladin blickte fragend zu Fortinbras. Der erhob sich. „Da diskutieren wir jetzt nicht lange: ich habe hier zwei erfahrene Krieger, die sich als Hauptmänner ihren Namen gemacht haben. Eine kleine Waffenkammer haben wir hier in Groß-Smials. Sie mag vielleicht nicht mit denen von Helms Klamm oder Edoras mithalten, aber um zwei Krieger zu rüsten reicht es allemal. Meine Herren, dann wollen wir mal.“

Die vier erhoben sich, und in der erstaunlich gut ausgestatteten Waffenkammer des Thains (der ja auch der Hauptmann der auenländischen Landwehr war) fand sich für Paladin eine gut sitzende, leichte Rüstung, die aus einem wattierten Wams, einem leichten Kettenhemd und einem Helm bestand. Saradoc wählte für ihn einen Schild und ein einhändig zu führendes Übungsschwert. Dazu nahm er noch einen Speer und einen Jagdbogen mit.

In Groß-Smials gab es sogar einen Übungshof, auf dem ganze Abteilungen ihre Waffenübungen absolvieren konnten – oder einzelne, berittene Krieger ihre Übungen zu Ross. Fortinbras hatte ebenfalls seine Rüstung angelegt, und zufrieden musterte er Paladins Rüstung.

„Ich sehe, du wurdest bereits ausgerüstet. Und, wie fühlst du dich?“

„Etwas ungewohnt, alles ist ein wenig schwerer als gewöhnlich, aber keinesfalls eingeschränkt“ erwiderte Paladin sichtlich aufgeregt. „Nur weiß ich nicht, was ich jetzt tun soll.“

„Am besten ist es, wenn Sithric sich deiner annimmt, Paladin“ sagte Saradoc. „Wie wäre es mit einer kleinen Überprüfung Eurer Fähigkeiten, Thain Fortinbras?“ fragte der Heerführer der Westfold dann mit einer angedeuteten Verbeugung.

„Aber mit dem allergrößten Vergnügen“ erwiderte der Thain. Anschließend begannen die beiden mit einer leichten Fechtrunde als Einstieg und zum Aufwärmen.

„Lasse dich von zwei erfahrenen Kämpfern nicht blenden“ meinte Sithric zu Paladin. „Auch die beiden haben mal ihren ersten Tag in Waffen gehabt. So wie du jetzt: ich sehe, mein Vater hat dich das Übungsschwert vollkommen richtig an die linke Seite des Gürtels hängen lassen.“

Paladin griff nach dem Schwert. „Ja, aber warum ist das so? Ich benutze für meine täglichen Verrichtungen fast immer die rechte Hand. Sollte das Schwert dann nicht auf der rechten Seite hängen?“

„Wenn du mit der rechten Hand kämpfen willst, du dein Schwert aber von der rechten Seite ziehen willst, dann wirst du bei langer Klinge bald ein Problem haben. Siehst du: ich ziehe mein Schwert ausnahmsweise mal mit links.“ Sithric zog es mit der linken Hand, und bald reichte sein Arm nicht mehr aus, die Klinge komplett aus der Scheide zu ziehen. „Es würde viel zu lange dauern, dich der Angreifer zu erwehren.“ Sithric zog das Schwert dann mit der rechten Hand – es ging so schnell, dass Paladins Augen der Bewegung fast nicht folgen konnten.

„Das ist beeindruckend, und das möchte ich auch können!“

„Dann mach es einfach mal.“

„Wirklich?“ Paladin packte den Schwertgriff, und mit einem Ruck hatte er die Waffe gezogen.

„Siehst du? Du kannst das auch“ meinte Sithric zufrieden. „Ich zeige dir jetzt ein paar Grundlagen. Standardangriffe, Paraden, Konter, nichts Schwieriges. Nachher wirst du deinen ersten richtig heftigen Muskelkater in beiden Armen haben. Wenn das so ist, dann werden ich und Saradoc dir ein paar Tricks zeigen, dass der nicht so schlimm ausfällt. Und am besten üben wir dann weiter.“

Die vier waren so in das Übungsgeschehen vertieft, dass sie die Ankunft eines Waldläufers und eines Hobbits nicht bemerkten. Die beiden waren in schwere, graue Umhänge gehüllt, und sie sahen den Waffenübungen belustigt zu.

„Na, da kam wohl der Herr Saradoc keine Minute zu früh, möchte ich sagen“ grinste der Hobbit.

„Wahrlich nicht. Und in einer Sache lag Lothrandir richtig: er hat tatsächlich einen angenommenen Sohn. Der wohl gerade dabei ist, jemanden an den Waffen auszubilden, Ferdinand!“

„Wo du es sagst, Halros. Und – ich fasse es nicht! Der Grund, wieso uns niemand einen heißen Willkommenstee gereicht hatte ist, dass Paladin ernsthaft gerade voll gerüstet im Schwertfechten ausgebildet wird! Na, wenn das mal keine Wendung der Dinge ist!“

„Wir wollten beim Thain doch um Verstärkung im Grünfeld ersuchen? Nun, das sieht doch gut aus? Da verzichte ich gerne mal auf einen heißen Tee.“

Die beiden setzten sich auf die angrenzende Mauer. „Ich bin durchaus gespannt, wann einer der vier endlich unsere Ankunft bemerkt“ meinte Halros.

„Mein lieber Halros, ich weiß schon längst, dass du uns zusiehst! Und dein Begleiter könnte sich ruhig mal unserer Runde vorstellen. Außerdem: seit wann schauen Waldläufer bei einem Übungskampf nur noch zu?“

„Du hast es so gewollt, Hauptmann Saradoc!“ Halros sprach es, griff sich ein Übungsschwert und griff Saradoc ohne Umschweife an. Fortinbras (der schon ein wenig aus der Puste war) glaubte, er könnte sich unauffällig zurückziehen – aber da hatte er die Rechnung ohne den Westfoldinger und den Waldläufer gemacht. Paladin und Sithric hielten inne und sahen den dreien fasziniert zu.

„So sieht das schon eher nach Schlachtgeschehen aus“ lachte Sithric. „Nur waren bislang bei uns die Fronten klar und es ging nicht jeder gegen jeden. Außer beim Stockball. Da geht das.“

„Oh. Ich sehe da nur ein großes Durcheinander“ meinte Paladin.

„Das sehe ich auch. Jetzt auf dem Übungshof und nachher bei den blauen Flecken.“

Bei den Kämpfenden kristallisierte sich allmählich heraus, dass Saradoc derjenige mit der meisten Übung und Erfahrung war: der Thain gab als erster auf, aber Halros folgte nicht viel später. „Was im Namen aller guten Geister hat dich zu so einem zähen Brocken gemacht, Bruder Saradoc?“

„Frage Lothrandir. Oder noch besser: frage Thorongil, wenn er zurück ist. Es waren Orks, Bilwisse und Grimmhand- Zwerge. Und davon zu viele auf einem Haufen.“

„Du meine Güte“ keuchte Halros. Fortinbras war noch immer außer Atem, aber so langsam ging es wieder. „Mir war ja klar, dass ich ein wenig aus der Übung bin, Saradoc: aber dass es so weit ist, das hätte ich nicht gedacht! Ich glaube, der alte Bullenrassler hätte jetzt so einiges zu sagen!“

„Du hast dich wacker gehalten, mein lieber Fortinbras!“ Saradoc (der so gut wie gar nicht außer Atem war) deutete eine Verbeugung an. „Du hast so gut wie keine Fehler beim Fechten gemacht, mur bist du ein wenig schnell aus der Puste gekommen. Ich sehe das als reine Übungssache an; genauso wie bei Halros. Im Nordviertel ist alles ruhig?“

„Fast alles. Immer wieder einmal versuchen Räuber, in den Dörfern an der Grenze Beute zu machen, und immer wieder zeigen wir ihnen, wo ihr Nachhauseweg entlangläuft.“ Halros holte tief Luft. „Nein, deswegen sind wir nicht hier. Es ist vielmehr so, dass uns so langsam die Krieger ausgehen. Aus Grünfeld, Lang-Cleeve und Nachtschatten sind viele junge Hobbits weiter ins Landesinnere gezogen, und die fehlen uns jetzt. Wir sind hier, um den Thain um Verstärkung zu ersuchen.“

„Da komme ich ins Spiel, glaube ich“ sagte der Hobbit, der noch immer oben auf der Mauer saß. Mühsam erhob er sich. „Ferdinand Tuk von Grünfeld bin ich, Hauptmann der Nördlichen Grenzwache.“ Er verneigte sich vor Saradoc. „Saradoc Brandybock, nehme ich an? Die Waldläufer haben uns Grenzkriegern viel über Euer Können berichtet.“

„Der bin ich, zu Eurer und Eurer Familie Diensten“ erwiderte Saradoc. „Und hier“ er deutete auf seinen Sohn, „ist Sithric Brandybock, mein angenommener Sohn. Er ist ein Hauptmann, so wie ich, und erfahren im Kampf gegen allerlei Feinde.“

„Das ist gut.“ Ferdinand lächelte gequält. „Beim vorletzten Angriff hat so ein vermaledeiter Angmarim-Räuber mich am Knie erwischt. Zum Glück herrscht im Norden im Moment Ruhe, aber wir haben da oben nur einen Anführer für die Grenzwache.“

„Das ist gar nicht gut“ meinte Fortinbras. „Na ja: lasst uns hineingehen! Ich glaube, wir haben uns jetzt einen kleinen Imbiss redlich verdient, und dabei können wir in Ruhe über das sprechen, was euch beide nach Buckelstadt geführt hat.“

„Ein kleiner Imbiss? Werter Thain, es ist halb eins! Lasst uns zur Mittagstafel schreiten!“

„Dieser Protest aus dem Munde eines Waldläufers!“ lachte Saradoc. „Dass ich das noch erleben darf! Dann wollen wir uns eilen: Sithric, Paladin, kommt! Wir räumen noch das Übungsgerät beiseite, dann kommen wir zu Eurer erlauchten Runde nach.“

„Ein Heerführer, der den Übungshof aufräumt? Dass ich das noch erleben darf!“ lachte Halros.

Sithric wartete, bis Fortinbras, Halros und Ferdinand wieder in Groß-Smials waren, dann blickte er Paladin ernst ins Gesicht. „Nun? Wie sieht es aus? Können wir auf dich als Krieger zählen?“

„Das könnt ihr – hoffe ich. Also, wenn mich der Thain läßt, und wenn ich jemanden mit ausreichender Geduld finde, der mich weiter ausbildet. So sollte ich mich nicht an die Grenze wagen, fürchte ich.“

„Finde ich nicht“ erwiderte Saradoc. „Du hast doch heute wacker geschlagen. Natürlich wird deine Ausbildung Zeit brauchen, das ist normal. Das meiste wirst du sowieso im Einsatz lernen: selbst ich lerne noch immer dazu. Den Thain und Halros mit stumpfer Übungswaffe in Schach halten, ohne einen zu verletzen – das war eine Herausforderung, glaubt es mir!“

„Und was die Erlaubnis des Thains angeht: da kommt es vor allem darauf an, wie bald neue Krieger gebraucht werden“ ergänzte Sithric. „Außerdem sind wir ja auch noch da, was ein mögliches Beschwatzen von Oberhäuptern angeht“ grinste er.

Saradoc war der Meinung gewesen, dass die drei ihre Rüstungen zum Mittagessen nicht ablegen sollten. Zum einen würde es zuviel Zeit kosten, und zum anderen war er der Ansicht, dass sie nach Essen und Besprechungen vielleicht eine kleine Runde an Bewegung gebrauchen konnten. Fortinbras schien das genauso zu sehen, und so saßen sechs Gerüstete an der Tafel des Thains.

Nach einem guten Essen ergriff der Thain das Wort. „So, Ferdinand: jetzt erwarte ich einen Bericht über die Ereignisse der letzten Monate von dir!“

„Den ganzen Sommer über hatten wir an der Nordgrenze Ruhe, und die schlimmsten Feinde waren Wölfe und wilde Bären, die immer wieder einmal von den Wäldern von jenseits der Grenze zu uns herüberkommen. Nichts, was unsereins beunruhigen würde. Aber vor etwa einem Monat änderte sich das. Es war eine mondlose Nacht, als wir fackeltragende Räuber auf uns zumarschieren sahen: es waren viele fackeltragende Räuber. Ich schätze, es werden wohl so an die siebzig gewesen sein, und sie waren außerordentlich gut bewaffnet. Und sie marschierten in halbwegs erkennbarer Ordnung, was bei diesen Leuten an sich schon ein Wunder ist. Wir konnten ihrer Herr werden, jedenfalls vorerst. Sie hatten einige Verluste, und sie zogen sich wieder zurück.“

„Wir hatten nur einige Verwundete“ sagte Halros. „Und wir vertraten die Meinung, dass das noch nicht alles gewesen sein konnte: diese Räuber hatten sich für meinen Geschmack viel zu rasch zurückgezogen, als dass es endgültig gewesen wäre. Wir sollten Recht behalten.“

„Drei Tage später kamen die Räuber wieder. Dieses Mal ohne Fackeln, ohne Gesänge und ohne jede Ordnung. Sie hatten sich ins Land hineingeschlichen, Nachtschatten umgangen, und dann griffen sie an: auf dem zwei Meilen weiter südlich gelegenen Grünfeld überfielen sie einen Bauernhof, töteten die Bewohner und zündeten die Gebäude an. Dann wandten sie sich gen Schären. Und wir hatten alle Mühe, unsere Leute rechtzeitig zusammenzubekommen. In einem Nachtmarsch kamen wir in Schären an: die Bevölkerung war in Aufruhr, aber wir waren vor den Räubern eingetroffen. Keine drei Stunden später, im ersten Licht der aufgehenden Sonne sahen wir dann die Feinde. Ich beschloß, sie noch vor dem Ort anzugreifen. Es gelang uns, sie in den Steinbruch zu treiben und dort einzuschließen. Wir boten ihnen an, sich zu ergeben, ihre Waffen abzugeben und dann sollten sie über die Grenze hinausgeleitet werden. Sie lachten uns aus, und wir griffen an. Es dauerte nicht lange, und alle Räuber waren niedergemacht.“

„Und Ferdinand kam zu mir, humpelnd.“ Halros seufzte. „Es war dieser Anführer der Räuber, der ihm noch im Fallen diesen Hieb versetzt hatte. Er bräuchte jetzt vor allem Ruhe. Aber wir befürchten, dass Feinde erneut angreifen könnten – und uns sind gerade die Hauptmänner ausgegangen.“ Halros sah zu Saradoc hinüber.

„Eine seltsame Fügung des Schicksals“ lachte dieser. „Ausgerechnet jetzt komme ich zurück ins Auenland. Als Hauptmann, der ganz anders als im Bockland richtige Heere in einem richtigen Krieg angeführt hat. Noch besser: ich bringe einen Sohn mit, der ebenfalls mit Fug und Recht seinen Rang und seinen Ruhm als Hauptmann erworben hat. Gebt mir zweihundert gestandene Krieger, und wir beide werden diese Feinde bis weit in den Norden scheuchen!“

„Das will ich dir glauben! Nur fürchte ich, dass dein Vater und ich dir höchstens zwanzig gestandene Krieger geben können, und auch das nur mit dem Risiko, unsere Kräfte im Bockland und im Tukland zu schwächen! Saradoc, wir Hobbits sind nur selten geborene Krieger, so wie du. Je weiter du ins Binnenland kommst, um so weniger Freiwillige wirst du finden. Ja, du wirst noch nicht einmal Ansehen genießen.“

„Das ist mir bekannt, mein lieber Fortinbras. Und glaube mir eines: Wir haben Erfolg, wenn keiner weiß, dass wir erfolgreich sind. Dieses alte Motto der Grenzwachen und Grenzkrieger vom Bockland gilt noch immer. Aber eines bin ich: bereit, ins Nordviertel zu gehen, wenn es Not tut. Und nicht nur ich bin bereit dazu.“

„Ich ebenfalls“ sagte Sithric. „Allerdings kenne ich mich im Auenland bei Weitem noch nicht so gut aus wie mein Vater oder Hauptmann Ferdinand. Ich erachte es als sinnvoll, wenn ich meinen Vater ins Nordviertel begleite. Und auch ich werde nicht alleine gehen, glaube ich.“

Paladin schien fast zu aufgeregt, um sprechen zu können, aber dann fing er sich. „Ich würde gerne mitkommen, wenn… wenn ich mitgenommen werde. Und ich darf!“

„Von meiner Seite aus darfst und sollst du das, Paladin!“ Thain Fortinbras erhob sich. „Du willst also Krieger werden, Paladin Tuk? Dir zahllose Nächte beim Wacheschieben im Regen um die Ohren hauen? Auf Baumwurzeln schlafen? Und ganz nebenbei die Grenzen deines Landes schützen, und unter der Anleitung zweier bewährter Recken vielleicht mehr werden als nur ein Krieger? Bist du dir sicher?“

„Ich bin mir absolut sicher, Thain Fortinbras!“

„Saradoc, Sithric, könnt ihr in dieser Lage überhaupt jemanden gebrauchen, der erst noch zum Krieger ausgebildet werden soll?“

„In der momentanen Lage? Noch ist es ruhig, sagte Ferdinand.“ Saradoc lächelte. „Aber meine ersten Tage als Krieger waren alles andere als ruhig, und ich lebe noch. Also, wann sonst, wenn nicht jetzt? Wir können immer gute Leute brauchen, die diesen Weg beschreiten wollen. Und ich wäre dafür, möglichst bald mit der Ausbildung fortzufahren!“

„Dann ist es beschlossen, Krieger Paladin: du gehst mit Saradoc und Sithric mit. Beide sind Hauptleute, dir also vorgesetzt. Aber ich bin mir sicher, dass dir die beiden schon das Richtige beibringen werden.“

„Ich danke euch allen!“ rief Paladin. Dann setzte er sich neben Sithric.

„Einen Krieger zur Verstärkung hätten wir“ meinte Saradoc dann. „Wir sollten dennoch weitere Gedanken dafür aufwenden, woher wir weitere Verstärkung bekommen könnten, sollte das notwendig werden. Gandalf ist auf dem Weg zu uns (hoffe ich) und es wäre womöglich sinnvoll gewesen, entweder den Herrn des Bocklands oder seinen Ersten Hauptmann der Grenzwache nach Buckelstadt zu rufen. Nun gut, vielleicht zieht mein Vater ja die richtigen Schlüsse. Und wenn nicht, dann tut es eben ein weiterer Eilbote.“

„Das sollte er womöglich so oder so. Nur, um auf Nummer Sicher zu gehen. Ich werde eine entsprechende Nachricht aufsetzen und noch heute losschicken. Und dann bitte ich den Heerführer der Westfold, dem Thain des Auenlands die Ehre einer weiteren Übungsstunde zu gewähren.“

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