Arda Fanfiction

Das neue Archiv für Geschichten rund um Tolkiens fabelhafte Welt!

Vom Leben im Norden - Ein langer Frieden

von Ethelfara Ceorlred

Der Rat von Bockenburg

„Es ist an der Zeit, uns über die nötigen Veränderungen im Brandyschloss im Besonderen und für das Bockland im Allgemeinen zu machen.“ Rorimac blickte Saradoc, Sithric und Esmeralda ernst an. „Dein Großvater, Saradoc, hat sich ein für allemal vom Amt des Ersten Hauptmannes der Grenzwache zurückgezogen; egal ob als Strellvertreter oder in der Hauptsache. Wir müssen dieses Amt jetzt neu besetzen. Es ist allgemein üblich gewesen, dass der älteste Sohn des Herrn vom Bockland und sein Nachfolger es übernimmt.“

„Das war seit alters her so“ erwiderte Saradoc. „Und ich hatte das Amt dereinst inne, wie dir sehr wohl bekannt ist. Die Gründe, weswegen es nicht mehr so ist kennst du ebenfalls.“

„Was das alles nicht einfacher macht. Und nein, Herr Heerführer der Westfold, ganz so einfach wirst du dich aus dieser Sache nicht davonstehlen können. Du weißt ganz genau, was ich von dir erwarte, und der Rat erwartet dasselbe!“

Saradoc lachte. „Derselbe Rat des Bocklands, der mich seinerzeit nicht schnell genug loswerden konnte? Bei allem Respekt – das will ich sehen! Und hören: dass ausgerechnet Saradoc Brandybock, der Falschmacher vom Dienst dieses Amt übernehmen soll! Dieses Amt des Ersten Hauptmannes der Grenzwache, in dem er in seiner ersten Amtszeit nach derer Ansicht alles falsch gemacht hatte, was nur falschzumachen ging. Woher kommt dieser plötzliche Sinneswandel?“

„Der kommt aus purer Notwendigkeit, Saradoc! Dein angenommener Sohn hat sich als Hauptmann und Anführer bestens bewährt, aber…“

„Na also“ unterbrach Saradoc. „Sithric hat sich bestens bewährt: ich schließe aus deinen Worten, dass er das auch in den Augen des Rats hat. Und wieso um alles in der Welt soll Esmeralda nicht mehr dafür geeignet sein?“

„Weil – ach, das solltest du den Rat am besten selbst fragen.“ Rorimac musste ein aufflackerndes Grinsen unterdrücken. „Weil diese feinen Herren sich jetzt darüber mokieren, dass der offensichtlich allgeschätzte und bewährte Sohn des Herrn vom Bocklands, der sich einen Namen als Hauptmann und Heerführer gemacht hat (und noch immer macht) seiner scheinbaren Verpflichtung nicht nachkommt. Und ja, ich weiß genauso gut wie du, wer dereinst vom genauen Gegenteil gesprochen hatte. Ich habe den Rat des Bocklands für morgen zusammengerufen. Ich möchte aber, dass wir uns vorher darüber einig werden, wer welche Funktion übernehmen soll.“

„Ich werde ganz sicher nicht mehr das Amt des Ersten Falschmachers vom Dienst -aus Sicht der Hohen Herren des Rats- übernehmen“ erwiderte Saradoc ruhig. „Gorbadoc sagte seinerzeit zu Recht, dass man nur einmal in seine Leben davon zurücktritt. Ich werde diese feinen Herren morgen gerne daran erinnern.“

„Nun? Und wer soll es stattdessen werden?“

„Ich schlage Esmeralda Tuk vor. Esmeralda, du hast das Amt des Ersten Hauptmannes schon länger inne, und ich sehe keinen Grund, das zu ändern. Des weiteren habe ich mit Freuden zur Kenntnis genommen, dass mein angenommener Sohn sich als Stellvertreter des Ersten Hauptmannes bewährt hat. Sithric auch du solltest diese Funktion weiterhin innehaben.“

„Ich würde sehr gerne da weitermachen“ antwortete Esmeralda. „Es war immer ein Grund zur Freude und ein noch besserer Grund, der Langeweile von Groß-Smials fernzubleiben. Aber ob der Rat da so einfach zustimmen wird? Ich bin nicht die künftige Herrin des Bocklands, Saradoc!“

„Nicht?“ grinste Saradoc, dem ein plötzlicher Einfall kam. „Wie wäre es denn mit der Gemahlin des künftigen Herrn des Bocklands?“

„Also Saradoc!“ Esmeraldas Gesicht wurde sehr rot. „Ich mag dich wirklich sehr gerne in meiner Nähe, und ich bin nicht wirklich abgeneigt, aber,… aber meinst du nicht… dass du immer gleich mit der Tür ins Haus fallen musst?“

„Ja, und? Was ist?“

„Also wirklich Saradoc!“ Jetzt war Esmeraldas Kopf puterrot. „Ja, ich kamm es mir prima vorstellen, übrigens schon seit deinem ersten Besuch in Buckelstadt, damals mit den Menschen aus Rohan, aber meinst du nicht, dass du ein wenig sehr rasch damit kommst?“

„Nö. Meine ich nicht, Esmeralda.“ Saradoc sprach es und drückte ihr einen langen Kuss auf den Mund. „Gerade in den letzten Monaten waren wir beide ja wohl lange genug zusammen, um zu wissen, dass es mit uns beiden klappen wird.“

„Ich gebe auf. Ja, mit der Gemahlin des künftigen Herrn des Bocklands bin ich einverstanden. Aber unter einer Bedingung: ich überbringe meinem Vater diese Botschaft persönlich, von Angesicht zu Angesicht. Ich will mit eigenen Augen sehen, wie er vom Stuhl kippt!“

„Wir werden dich begleiten“ meinte Rorimac ernst. „Mit „wir“ meine ich Saradoc und Sithric. Und ich natürlich. Wir brechen auf, sobald morgen diese Sache mit dem Rat geklärt ist.“

Es war so wie vor etwas mehr als zehn Jahren: Die Ratssitzung hatte gleich nach dem ersten Früstück begonnen, aber Saradoc würde hinzugerufen werden, wenn die Sache mit der Besetzung des Amtes des Ersten Hauptmannes der Grenzwache auf der Tagesordnung stehen würde – und auch da erst, wenn es den Damen und Herren Räten so einfiele. Esmeralda und Sithric waren bereits in der Sitzung: Rorimac hatte darauf geachtet, dass beide einen Sitz im Rat bekamen. Es hatte sich in der Vergangenheit mehr als nur einmal als ungünstig erwiesen, dass der Erste Hauptmann und der Stellvertreter bei wichtigen Angelegenheiten erst dazugerufen werden mussten. So war einmal (während Saradocs Abwesenheit) wertvolle Zeit verloren worden, als Räuberbanden die Oststraße unsicher machten und weit genug vor den Grenzkriegern fliehen konnten, um nicht mehr von ihnen behelligt zu werden. Allerdings konnte Saradoc sich so in aller Ruhe seinem zweiten Frühstück widmen, und vielleicht würde er noch einen kleinen Ausritt ansetzen. Die Räte kamen sehr selten schnell zum Punkt.

„Ich sehe, der große Heerführer von Bockenburg läßt es sich gutgehen.“ Sein ehemaliger Ausbilder ließ sich neben Saradoc nieder. Sebastian Brandybock war eine Zeitlang Hauptmann am Heutor, jetzt war er einer der Ausbilder in Bockenburg.

„Warum sollte ich nicht?“ Saradoc lachte. „Ich kann doch schon die knurrenden Mägen der Räte hören – ganz zu schweigen vom Magen meines Vaters. Und trotzdem werden die kein Ende finden, sie werden sich noch nicht einmal so bald auf eine Pause einigen.“

„Da hast du sicher recht“ grinste Sebastian. „Letztes Mal musste ich die Wachen anweisen, den Damen und Herren Räten einen Imbiss in den Ratssaal bringen zu lassen. Und frage nicht, wie da drinnen die Stimmung war.“

„Kann ich mir denken“ meinte Saradoc und nahm einen herzhaften Bissen von seinem kalten Braten. „Die Stimmung ist da drin irgendwie immer schlecht, also ich meine, ich kenne das jedenfalls nur so.“

„Du warst ja auch nicht allzu oft da drin. Übrigens meinte dieser Ermenric Bolger gleich nach dieser Sache mit den Menschen aus Rohan, dass du dich in Wirklichkeit ja nur vor deiner Verantwortung geflüchtet hättest. Wie dem auch sei: er sitzt immer noch im Rat, und deinem Sohn hat er mehr als nur einmal zugesetzt. Und frage nicht, was Esmeralda Tuk sich schon alles von ihm anhören durfte.“

„So wie damals dieser – wie hieß der noch gleich? Golo? Der sogar aus der Ratssitzung damals entfernt wurde. Was ist eigentlich aus dem geworden?“

„Dein Vater hatte ihn recht bald nach deiner Abreise aus dem Bockland werfen lassen, Saradoc. Er hatte Ausrüstung der Grenzwachen aus der Wache von Bockenburg holen lassen und diese mehr oder weniger an Zwerge verschenkt. Nicht genug damit: diese Zwerge hatten dann sogar die Posten am Heutor und der Brandyweinbrücke angegriffen. Golo war später übrigens erschlagen unweit der Oststraße gefunden worden – auf der ausländischen Seite.“

„Na gut, wenigstens kann der dann keinen Ärger mehr machen. Ich hatte in meinem Leben schon genug mit diesen verräterischen Zwergen zu tun, diesen Grimmhands. Übrigens hat der König der Zwerge einen Preis auf ihre Ergreifung ausgesetzt.“

„Na, da dürftest du ja wohl so einiges an Geld haben, wenn man den Gerüchten Glauben schenken kann“ erwiderte Sebastian. „Sogar die Waldläufer loben deine Taten in den höchsten Tönen – und den Respekt eines General Glóin zu haben ist mir Beweis genug. Deswegen wundere ich mich ja darüber, dich hier und nicht im Ratssaal zu sehen.“

„Egal was ich getan habe, den Damen und Herren Räten ist es mit Sicherheit nicht genug, um vor der Zeit in ihren erlauchten Kreis aufgenommen zu werden. Und für mich sind deren Themen ohnehin nicht wichtig genug, um mich vom Frühstücken abzuhalten.“

Die beiden lachten und wandten sich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe zu: das Frühstück zu verzehren, ehe es Zeit für das Mittagessen wurde. Natürlich wurde Saradoc auch dann noch nicht zum Rat gerufen, also sattelte er sein Pferd und meldete sich mit den Worten „wenn der Rat mich suchen sollte: in einer Stunde bin ich wieder zurück. Die brauchen mir nicht hinterherzureiten, die werden mich eh nicht einholen“ bei der Schlosswache ab. Er lenkte sein Pferd hinunter in Richtung Hagsend; dort, wo er damals die Orks gestellt hatte, die ins Bockland eingedrungen waren. Nichts mehr erinnerte an diesen unglückseligen Tag vor mehr als zehn Jahren. Die Spuren der damaligen Kämpfe waren längst beseitigt worden. Nachdenklich hielt Saradoc inne. Schon vor zehn Jahren war es ihm vorgekommen, als ob der Rat ihn so schnell wie möglich als Ersten Hauptmann der Grenzwache loswerden wollte. Wieso dann die heutige Sitzung? „Na, vielleicht wollen der eine oder andere es mir nochmal so richtig zeigen“ brummte er. „Na, egal: sollen doch der feine Herr Bolger oder der ach so mutige Herr Labkraut sich mal damit herumplagen.“ Adegar Labkraut hatte sich in Balgfurt zum Gespött des Stockbruchs gemacht, als er vor den Mastschweinen der dortigen Bauern geflüchtet war. An jenem Tag waren die Schweine übrigens allesamt in ihren Ställen gewesen. Mit einem Grinsen ritt Saradoc weiter: hinunter zum Fluss und nicht zum Hohen Hag.

Ziemlich genau eine Stunde nach seinem Aufbruch war er wieder zurück im Brandyschloss. Saradoc versorgte sein Pferd, dann begab er sich wieder in den Speisesaal: der Mittag kam.

„Nanu? In Reitkleidung?“

„Ja sicher, Sebastian: ich habe mein Pferd ein wenig bewegt. Das tut meinem Dicken nämlich nicht gerade gut, wenn man ihn den ganzen Tag über im Stall stehen lässt, dann setzt er Fett an. Der braucht Bewegung, und ich auch.“

„Und wenn die Räte dich jetzt rufen haben sie wieder was zum Aufregen. Na, ich bin mir sicher, dass dich das kalt lässt.“

„Ganz genau. Zum einen habe auch ich meine täglichen Aufgaben, und zum anderen können die jetzt rufen wie sie wollen. Jetzt ist Mittagszeit und selber schuld, wer seine Sitzungen nicht unterbrechen will oder kann.“

An den Anblick des gestiefelten und gespornten Saradoc hatten sich die Wachen schon längst gewöhnt. Zur Mittagszeit war er meistens sogar noch gerüstet im Speisesaal: dann hatte er die Ausbilder bei der Ausbildung neuer Wächter unterstützt oder mit den alten Hasen geübt. Aber in einer Sache hatte Sebastian recht: den Räten würde das (mit Ausnahme von Esmeralda und Sithric) nicht passen.

Saradoc war gerade beim Nachtisch angekommen, als ein Bote in den Speisesaal hereinplatzte. „Herr Saradoc, Euch soll ich holen: Ihr möget alsbald beim Rat erscheinen.“

„Alsbald, Guntram. Alsbald. Haben die Räte noch immer nicht genug davon, sich selbst beim Reden zuzuhören?“

„Nein“ brummte der Bote. „Ihr glaubt nicht, bei wie vielen von ihnen der Magen schon seit Stunden knurrt. Aber dann kommt „nur noch eine Anmerkung“ oder „einen Einwurf hätte ich noch“ und es geht über weitere Stunden weiter mit dem Geschwafel. Ihr seid ja wenigstens satt, aber auch ich musste mir das Drama seit heute früh antun.“

„Dann wirst du jetzt was essen“ bestimmte Saradoc. „Keine Widerrede: ohne eine Stärkung verlässt du diesen Saal nicht. Du kannst mich währenddessen ja in aller Kürze darüber informieren, was denn so alles so beredenswert war.“

Der Bote berichtete in kurzen Worten davon, dass es lediglich um den Unfang und den Preis der ersten Lieferungen zum Erebor ging: eine Sache, die Saradoc den Händlern und Kaufleuten überlassen hätte. Esmeralda hatte versucht, in aller Kürze von der Reise zu berichten – aber das hatte sich wie erwartet dann doch dank vieler Rückfragen zu allem möglichem sehr in die Länge gezogen. Dafür war bei Sithric alles ruhig geblieben, so dass er sich der Verfolgung von Räubern widmen konnte: eben jenen Räubern, die dank der Diskussionsfreude des Rates von Bockenburg seinerzeit einen wichtigen Vorsprung bekommen hatten. Diese Räuber waren von einigen wenigen Kriegern unter Sithrics Führung mit Leichtigkeit besiegt worden – was mit Sicherheit so einige Räte wurmte.

Guntram hatte sein Essen beendet und brachte Saradoc wie befohlen in den Ratssaal. Es war eine heiße Diskussion über die Frage im Gange, welche Gegenleistung denn das Bockland als erstes von den Zwergen einfordern sollte: die Lieferung an Rohstahl oder doch eher eine Lieferung an Kupfer. Saradoc setzte sich leise und bedeutete dem Boten augenzwinkernd, ihre Ankunft nicht zu melden. Die Diskussion lief noch eine Zeitlang weiter, ehe Rorimac sich dem Platz zuwandte, an dem sein Sohn Platz genommen hatte: dem für Anklagen und dringende Anhörungen – genau jener Sessel, der für Saradoc vor über zehn Jahren aufgestellt worden war.

„Ich sehe, Saradoc weilt schon seit Längerem unter uns“ meinte der Herr des Bocklands. „So viel dazu, dass die Frage nach der ersten Gegenlieferung schnell abgehandelt wäre.“

„Euer Herr Sohn hätte sich wenigstens angemessen kleiden können“ beschwerte sich Herr Labkraut. „Falls es Euch entfallen sein sollte, edelster Herr Saradoc Fastred-Brandybock: dies hier ist nicht das Land der Pferdeherren, wo Euer Aufzug vielleicht angemessen sein mag. Außerdem riecht es im Hohen Saal mittlerweile nach Pferdestall.“

„Immer noch besser als wenn es nach Schweinestall riecht“ tönte es aus dem Hintergrund. Saradoc konnte beim besten Willen nicht sagen, von wem dieser Zwischenruf gekommen war: jegliche empörte Reaktion ging im allgemeinen Gelächter unter.

„Soll das etwa bedeuten, allerwertester Herr Labkraut, dass Ihr etwa auf Schweinen reitet?“ Für den Moment hatte sich der Sitzungssaal beruhigt. Aber schon nach Saradocs anschließendem „Was um Himmels Willen habe ich verpaßt?“ brach erneutes Gelächter los.

„Wie dem allem auch sei, wir haben jetzt ein ernstes Thema auf unserem nächsten Tagesordnungspunkt“ meinte Rorimac ernst, als erneut Ruhe eingekehrt war. „Es geht darum, dass verschiedentlich gefordert wurde, die Besetzung des wichtigen Amtes des Ersten Hauptmannes der Grenzwache vom Bockland zu regeln. Aus diesem Grund habe ich dich rufen lassen, Saradoc Fastred-Brandybock von Bockenburg, Heerführer und Hauptmann der Westfold und des Nordens. Du weißt genau, dass du als mein Nachfolger dieses Amt antreten musst.“

„Dessen bin ich mir im Klaren. Aber die anwesenden Räte sollten sich genauso darüber im Klaren sein, weswegen ich auf genau diesem Stuhl Platz genommen habe, und auf keinem anderen. Dies hier war mein Platz, als der Rat mich vor zehn Jahren eben jenes Amtes enthob.“

„Auf dem Stuhl des Angeklagten? Nach allem, was Ihr für unser aller Wohl getan und erreicht habt, Saradoc? Hier im Bockland, im Breeland und im fernen Rohan?“

„Genau hier, Erster Hauptmann Esmeralda. Damals waren die Herren Ermenric Bolger und Golo Lochner die Wortführer bei der Anklage des Rates, die nur diesen einen Zweck hatte: den Nachfolger des Herrn vom Bockland vom Amt des Ersten Hauptmannes zu entheben. Das ist den beiden Anklägern bekanntermaßen hervorragend geglückt. Mich wundert nur eines, und diese Frage stelle ich an denjenigen, der noch in dieser Runde sehe. Herr Ermenric Bolger, mich wundert, was aus Eurem Unterstützer Golo Lochner geworden ist. Sagt, ist er unpäßlich? Oder hat er etwa Wichtigeres zu tun als sich seinen Pflichten beim Rat zu widmen?“

Ein Raunen ging durch den Saal. Rorimac fiel siedendheiß ein, was er vergessen hatte: seinen Sohn über eine gewisse Entwicklung zu unterrichten. Und die anderen Räte fragten sich, wieso ausgerechnet Hauptmann Saradoc von diesem Vorgang nichts wußte. Saradoc hatte hingegen seine Worte mit Bedacht gewählt, und er wollte vor allem Sebastian Brandybock aus der Sache heraushalten. Und ein gewisser Herr Bolger saß mit hochrotem Kopf in der Runde.

„Nun, Herr Ermenric? Ihr schuldet mir noch immer eine Antwort.“ Saradoc hatte beschlossen, die (ihm bereits bekannte) Antwort aus Ermenrics Mund persönlich hören zu wollen. Und die anderen Räte waren sich sicher: Herr Saradoc wußte tatsächlich noch nicht Bescheid. Schließlich erhob sich Ermenric Bolger langsam und scheinbar widerwillig.

„Golo Lochner wurde vom Herrn des Bocklands des Verrats schuldig gesprochen, nachdem der damalige Erste Hauptmann ihn überführt hatte. Er wurde des Bocklands verwiesen, und der Thain wiederholte dieselben Worte für das Auenland. Später haben Grenzkrieger ihn erschlagen in der Nähe der Oststraße gefunden.“

„Sicher ein unwürdiges Ende für den so ehrenhaften Herrn Lochner“ erwiderte Saradoc mit einem spöttischen Unterton. „Nun gut. Ich frage mich dennoch, welchen Platz ich erneut in den heiligen Hallen des erlauchten Rats von Bockenburg haben soll, wenn nicht auf dem Platz des Angeklagten? Anders kann ich mir nicht erklären, weshalb ich ohne jede weitere Erklärung zur unmöglichsten Uhrzeit des Tages (dem Mittagessen) dringlich beim Rat zu erscheinen habe. Mit Sicherheit nicht, um über die Ergebnisse einer Reise zu sprechen: das dürfte der Erste Hauptmann schon längst erledigt haben. So etwas steht einem einfachen Hauptmann nicht zu; nicht wahr, Herr Labkraut?“

„Das fragt ein Hauptmann Saradoc, der sich nicht einmal angemessen kleiden kann“ empörte sich der Angesprochene. „Es ist im zivilisierten Bockland nicht egal, wie man im höchsten Kreise des Landes zu erscheinen hat. In Rohan mag man das anders sehen, hier ist es nicht so.“

Sithric holte tief Luft, aber Rorimac bedeutete ihm, zu schweigen und sich zu entspannen. Dennoch würde er ab diesem Tag mit Herrn Labkraut nur noch die nötigsten Worte wechseln.

„Auch im zivilisierten Bockland muss der Rat hinnehmen, dass jemand, der in seinem Tagwerk unterbrochen wird dann so erscheint, wie er eben erscheint. Herr Adegar Labkraut mag vielleicht derart gut situiert sein, dass er scheinbar gar keinem Tagwerk mehr nachgehen muss, aber ich weiß sehr wohl, wo meine Aufgaben und Pflichten liegen. Wenn der Rat nichts Besseres zu tun hat, als mich auf längst vergangene Fehler erneut hinzuweisen, ganz zu schweigen von der vermeintlich fehlenden Zivilisiertheit Rohans zu sprechen, dann lasst mich dieses eine sagen: ich bin noch immer ein Hauptmann Arnors, nicht nur Rohans; ich diene dort, wo die freien Bewohner des Nordens Hilfe brauchen, um weiterhin in Freiheit leben zu können. Schon als ich vor elf Jahren zu den Waldläufern gegangen bin hörte ich auf, ein Wächter des Bocklands zu sein. Der erlauchte Rat des Bocklands braucht sich daher nicht dazu herabzulassen, mich mit einem Titel anzusprechen. Ich bin hier kein Hauptmann mehr, seit ich vom Amt des Ersten Falschmachers vom Dienst zurücktreten musste.“ Rorimac zuckte bei diesen Worten, sagte aber nichts. Also fuhr Saradoc mit seinen Ausführungen fort. „Dank der Großzügigkeit des Herrn vom Bockland habe ich hier mein Obdach gefunden – aber wenn der Rat diesbezüglich etwas anderes wünscht, dann werde ich selbstverständlich das Bockland unverzüglich verlassen. Ist es das, weswegen ich so dringlich hergerufen wurde?“

Betretenes Schweigen. Die Räte waren sich bis auf eine Ausnahme darin einig gewesen, Saradoc Brandybock dazu aufzufordern, das Amt des Ersten Hauptmannes der Grenzwache wieder zu übernehmen – aber ausgerechnet der eine, der dagegen war, war von Saradoc gleich als Erstes angesprochen worden (und es war nicht Herr Labkraut). Und jetzt schien es so, dass keiner der Anwesenden den ersten Schritt machen wollte, nachdem besagter Saradoc das, was er zu sagen hatte gesagt hatte.

Schließlich erhob sich der Herr des Bocklands. „Meine Herren, bis vor einer Stunde waren wir uns über eine Sache einig: dass mein Sohn hier im Bockland wieder mehr Verantwortung übernehmen muss. Auch die Herren Labkraut und Bolger haben mir darin zugestimmt. Gerade Herr Ermenric Bolger sollte sich jetzt genau überlegen, was er sagt: es wart Ihr, der einen gewissen Saradoc Brandybock zum Rücktritt förmlich gezwungen hattet – zusammen mit Golo Lochner, über den ich keine weiteren Worte verlieren werde.“

„Hauptmann Saradoc, Ihr solltet Euer altes Amt wieder übernehmen, dass Euch rechtmäßig zusteht“ erwiderte Ermenric nach einem kleinen Moment. „Bei den Beratungen vorhin zweifelte ich noch, aber eines ist mir klar geworden: wenn einer für unsere Sicherheit garantieren kann, dann Ihr. Und ja, ich werde Euch mit Eurem Titel ansprechen, ob Ihr das wollt oder nicht. Ich finde, wer es mit diesen verräterischen Zwergen aufnehmen kann und wer in der Lage ist, vollwertige Krieger auszubilden, dem steht das zu. Ich hörte doch richtig, dass Ihr in Buckelstadt zehn berittene Krieger ausgebildet habt, die bislang hierzulande ihresgleichen suchen?“

„Ich und Sithric, das mag ja nach der Ansicht des Thain stimmen“ erwiderte Saradoc. „Und ich hörte, dass Sithric eine Vertretung für den Ersten Hauptmann war, mit der alle zufrieden waren? Ach ja, falls Zweifel über meine Rolle bei der Reise zum Einsamen Berg aufkommen: ich war lediglich der bewaffnete Begleitschutz mit Wegekenntnis für den Ersten Hauptmann der Grenzwache. Frau Esmeralda Tuk war die Abgesandte des Bocklands. Nicht ich, wie der Rat sehr wohl weiß.“

„Euer Ruhm und Eure Taten öffneten uns die Tore vom Erebor“ erwiderte Esmeralda. „Eure Worte kann ich daher nicht so stehen lassen, Saradoc Brandybock, Sohn des Rorimac. Ihr mögt keinen Auftrag des Rats von Bockenburg gehabt haben – aber auch mit Auftrag hätte sich für mich dort nichts getan, wäre der Heerführer der Westfold und Fluch der Grimmhands nicht mein Begleiter gewesen.“

„Mag sein. Dennoch stelle ich dem Rat jetzt nur eine Frage: Was soll meine Anwesenheit hier bezwecken? Das ist mir noch immer nicht klar. Es gab bislang weder einen klar ausformulierten Auftrag noch eine klare Frage.“

„Herr Saradoc, Ihr sollt wieder den Platz des Ersten Hauptmannes der Grenzwache einnehmen“ erwiderte Ermenric. „Das ist zugleich der Auftrag und die Frage des Rates.“

Saradoc erhob sich. „Herr Rorimac, Frau Esmeralda, die Herren Fastred-Brandybock, Bolger, Labkraut, Lochner und natürlich die Brandybocks, ich fühle mich durch Eure Anfrage geehrt. Dennoch werde ich diese ablehnen, und zwar ein für allemal. Diese Entscheidung ist endgültig.“ Ein Raunen ging durch den Saal, das dieses Mal lauter war als zuvor. „Zur Begründung möchte ich anführen, dass ich bereits zum Heerführer und Hauptmann Arnors bestimmt worden bin, durch feierlichen Auftrag des Oberhaupts der Dùnedain. Ich werde im gesamten Norden meine Aufgaben finden, wie sich erst vor Kurzem weit im Westen gezeigt hatte. Ich kann dann nicht zeitgleich im Bockland sein, was meine andere Pflicht wäre. Schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit, wie uns allen klar sein dürfte.“

„Ihr seid ein erfahrener Heerführer, geht das Gerücht“ erwiderte Marcho Lochner. Er vertrat die Bewohner von Hagsend, die vor Jahren schon einmal gesehen hatte, wie dieser Brandybock kämpfte. „Saradoc, Ihr habt fern im Süden den Rang eines Hohen Herrn, sagt man. Ein Heerführer, der vom König von Rohan geehrt wird. Auch ich sehe Eure Aufgaben wohl eher dort, wo es Euren Fähigkeiten entspricht: und das ist nicht das Bockland. Seit alters her sagt man, dass der Nachfolger des Herrn dieses Landes deswegen zum Ersten Hauptmann ernannt wird, damit er seine Erfahrungen als Kämpfer und Anführer machen kann. Ich glaube kaum, dass ein Heerführer und Hauptmann Saradoc Fastred-Brandybock von Bockenburg dies noch nötig hat.“

„Ihr nehmt mir die Worte aus dem Mund“ rief Sithric. „Mein Vater ist in Rohan tatsächlich vom König geehrt worden, und vom Herrn der Westfold, und man hält seinen Namen dort noch immer in Ehren. In Rohan führt man ihn in der Liste der Krieger des Königs, und er hat jederzeit Zutritt zu Land und Königshof.“

„Nun, dann ist Herr Saradoc tatsächlich ein Edler Rohans. Natürlich liegen Eure Pflichten dann woanders, und Ihr wißt am besten, wo. Aber sagt, Herr, wen sollen wir für das Amt des besagten Ersten Hauptmannes benennen? Wen schlagt Ihr vor?“

„Werter Herr Marco Lochner, ich schlage vor, dass alles erst einmal so bleibt, wie es ist und sich bereits bewährt hat. Frau Esmeralda Tuk verbleibt im Amt, und Herr Sithric Fastred-Brandybock von Bockenburg übernimmt die Vertretung. Und er wird über die Zeit in dieses Amt hineinwachsen und von Frau Esmeralda eingearbeitet werden.“

„Auch ich möchte dem noch etwas hinzufügen.“ Esmeralda erhob sich und sprach mit feierlicher Stimme. „Saradoc hat um meine Hand angehalten, und ich gebe sie ihm gerne. Noch steht nicht fest, wann wir uns verloben und verheiraten, denn zuerst müssen noch die Eltern über diese Entwicklung in Kenntnis gesetzt werden. Dieses werden wir alsbald tun: sobald die Ratssitzung beendet ist und keine weiteren Aufträge anstehen.“

Wieder ging ein Raunen durch den Saal. Die anwesenden Räte nickten anerkennend: wenigstens schien Saradoc sich auch in diesen Belangen darüber im Klaren zu sein, was er tun wollte – und mit dieser Aussage ersparten Esmeralda und Saradoc dem Rat mindestens eine weitere Sitzungsrunde, in der es dann mit Sicherheit um genau diese Frage gegangen wäre. Rorimac erhob sich daher und blickte in die versammelte Runde.

„Wenn es dann von Seiten der Räte keine weiteren Fragen, Anmerkungen oder Einwände mehr gibt, dann würde ich die heutige Sitzung beenden.“ Der Herr des Bocklands blickte in die Runde, und dieses Mal hob niemand mehr die Hand. „So erkläre ich kraft meines Amtes diese Sitzung für beendet. Über Neuerungen werde ich die Runde wie gewohnt in Kenntnis setzen.“

Rezensionen