Arda Fanfiction

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Vom Leben im Norden - Schwere Zeiten und dunkle Gefahren

von Ethelfara Ceorlred

Ein Emporkömmling im Blick

Roderic hatte die vier Wanderer rasch aus den Augen verloren, aber sie waren auf dem Weg in Richtung Osten. Saradoc hatte ihn angewiesen, die Wanderer lediglich zu beobachten, und er sollte ins Bockland zurückkommen, sobald sie mehr als drei Wegstunden vom Kricklocher Tor entfernt waren. So konnte der Kundschafter noch am Nachmittag seinem Herrn Meldung machen.

„Also sind sie jetzt endgültig unterwegs“ sagte Saradoc. „Nun gut. Sie machen sich nicht direkt zur Oststraße auf. Ich weiß nicht warum, aber darüber bin ich erleichtert. Diese Reiter werden ihnen auf der Straße auflauern und nicht abseits von ihr. Und früher oder später werden die vier die Sttraße benutzen müssen.“ Saradoc seufzte. „Gibt es Nachrichten von Gandalf?“

„Bislang wohl noch keine. Aber ich habe noch nichts von den Kundschaftern in Bree gehört.“

„Nun gut. Lasst die Oststraße weiter beobachten. Roderic, ich brauche dich wieder hier im Brandyschloss. Halte dich bereit: Fredegar soll Besucher von Krickloch ablenken. Ich fürchte, dass er bald unangenehmen Besuch bekommen könnte.“

„Dann, mit Eurer Erlaubnis, werde ich dort in der Nähe Stellung beziehen. Ich werde in der Nähe des Heckentors bleiben: nicht, dass jemand ohne Erlaubnis in den Alten Wald reiten will.“

Saradoc nickte, und Roderic machte sich auf den Weg. Der Abend dämmerte, und langsam wurde es dunkel. Der Herr des Bocklands hatte schon den ganzen Tag über ein seltsames Gefühl wachsender Gefahr gehabt, und er legte seine Rüstung an. Esmeralda tat es ihm gleich, und die Nacht brach herein. Noch war alles ruhig.

Es war nach Mitternacht, als plötzlich das Hornsignal von Bockland erschallte. Saradoc eilte hinunter zu den Ställen, rasch hatte er sein Pferd gesattelt und er galoppierte in Richtung des Kricklocher Tors. Unterwegs traf er auf Roderic. Der Kundschafter zitterte am ganzen Körper.

„Sie waren hier, Herr Saradoc! Schwarze Reiter! Sie waren in Krickloch, und jetzt wissen sie, dass die Wanderer aufgebrochen sind!“

„Wohin sind sie geritten? Was ist mit Fredegar?“

„Die Schwarzen Reiter sind wie der Wind zum Heutor geritten. Es waren fünf, Herr. Fredegar konnte im letzten Moment entkommen, er war es, der das Signal geblasen hat. Er ist nach Steingrube gerannt, und da dürfte er noch sein.“

„Komm.“ Mit einem Ruck hatte der Herr des Bocklands Roderic auf sein Pferd gezogen. Dann ritt er wie der Wind zum Kricklocher Tor: es war fest verschlossen. Und in Steingrube fand der Herr des Bocklands den Ort in Aufruhr. Aber Fredegar schien unverletzt zu sein, und Roderic kümmerte sich um ihn. Saradoc hatte derweil alle Hände voll damit zu tun, die Lage wieder zu beruhigen. Er teilte Wachen ein und wies alle, die Waffen führen konnten an, sich bei der Wache auszurüsten.

Der Herr des Bocklands hatte noch einige Tage zu tun, und die Schwarzen Reiter hatten mit irgendeiner verderbten Kraft das Tor am Heutor zerstört. Aber Saradoc hatte rasch für Ersatz sorgen lassen, und er ließ die Schäden in Krickloch ausbessern. Er überwachte zusammen mit Fredegar und Roderic die Arbeiten.

Saradoc fühlte plötzlich den Griff einer großen Hand. „Was ist mit Frodo?“

„Schon seit vorgestern unterwegs, Gandalf.“ Saradoc antwortete leise. „Die Schwarzen Reiter waren zu spät.“ Er lachte leise. „Sie glauben, er sei auf der Oststraße.“

„Wo ist er?“

„Im Alten Wald. Mit Sam, Merry und Pippin. Fredegar hat derweil Krickloch bewohnt. Kannst du rasch nach Fredegar und Roderic schauen? Beide haben sich diesen Reitern gestellt und sie von der Verfolgung abgelenkt.“

Gandalf sah die beiden verwundert an, die gerade dabei waren, ein repariertes Fenster wieder einzuhängen. „Sie haben sich – ihnen in den Weg gestellt? Mutig, aber töricht. Gegen diese Feinde können sie nichts ausrichten. Oder vielleicht doch: wenn sie sie von einem Ritt in den Alten Wald abgehalten haben… ich kümmere mich um die beiden.“

Bei beiden war alles in Ordnung, und Gandalf machte sich wieder auf den Weg. „Saradoc, wir werden uns jetzt für längere Zeit nicht mehr sehen. Die Welt befindet sich am Scheideweg: entweder obsiegt der Feind, oder er wird niedergerungen. Das Auenland und das Bockland werden nicht frei von Gefahr bleiben, mein Freund. Heerführer Saradoc, du wirst es mit Feinden zu tun bekommen, die grausamer und verschlagener sein werden als alle, mit denen du bislang zu tun hattest. Ich werde mich um die vier kümmern. Lebe wohl!“

Gandalf war wieder fort, und Saradoc blickte ihm nachdenklich hinterher. Dann wandte er sich wieder den Reparaturarbeiten zu. In den folgenden Tagen ließ er das Heutor zusätzlich verstärken und die alte Grenzbefestigung zur Oststraße instandsetzen. Gandalfs Worte beschäftigten ihn noch lange, und er machte sich auf nach Buckelstadt. Thain Paladin sollte über die jüngsten Ereignisse in Kenntnis gesetzt werden, aber der Herr des Bocklands war sich sicher, dass Geheimhaltung jetzt das oberste Gebot für alle sein mußte.

Der Herr des Bocklands war erst nach Einbruch der Dunkelheit in Buckelstadt eingetroffen, aber die Wachen von Groß-Smials ließen ihn sofort zum Thain vor. Saradoc wunderte sich ein wenig darüber, dass schon am Stadtrand von Buckelstadt Wachen zu sehen waren. Und das Tor von Groß-Smials war entgegen jeder Gewohnheit fest verschlossen gewesen.

„Du glaubst nicht, was hier alles in den letzten Tagen vorgefallen ist.“ Thain Paladin sah übernächtigt aus, und Saradoc sah ihm deutlich seine Sorgen an. „Seltsame Reiter haben auf der Oststraße Reisende belästigt und bedroht, Lothos Leute führen sich immer unverschämter auf und dann ist auch noch mein Sohn spurlos verschwunden. Wenn dieser Lotho dort dahintersteckt, dann mögen ihm die Valar gnaden. Ich werde es nämlich nicht tun!“

„Auch im Bockland hatten wir schwere Tage.“ Saradoc seufzte. „Aber Lotho hat wenigstens mit Pippins Verschwinden nichts zu tun. Dafür war Gandalf kurz bei uns.“

„Hat er nicht? Und Gandalf war im Bockland? Saradoc, was ist hier los?“

Saradoc blickte sich um, dann sprach er rasch und so leise, dass nur Paladin seine Worte noch hören konnte. „Können wir ungestört sprechen? Was ich dir berichten kann muss strikt unter uns bleiben.“

„Gehen wir auf den Übungsplatz. Dort sehen wir, wenn sich jemand nähert, noch ehe er uns hören kann. Außerdem kann ich ein wenig Übung gut gebrauchen, fürchte ich.“

So sah es für jemanden, der die beiden zufällig sehen würde so aus, als ob der Herr des Bocklands und der Thain sich im Gebrauch ihrer Waffen übten, aber Saradoc sprach in den einzelnen Übungspausen rasch und leise. „Diese Schwarzen Reiter, die auf der Oststraße ihr Unwesen getrieben hatten sind nicht von dieser Welt. Aber sie haben das Auenland verlassen. Das Ziel ihrer Begierde ist nicht mehr hier.“

„Das Ziel ihrer Begierde?“ Paladin parierte einen Angriff Saradocs. „Was um Himmels Willen kann im friedlichen Auenland Ziel ihrer Begierde sein?“

Auch Saradoc parierte jetzt einen Angriff. „Der alte Bilbo hatte nicht nur Gold, Silber und Edelsteine von seinem Abenteuer mitgebracht.“ Er konterte den Angriff des Thains. „Gandalf warnte schon vor einiger Zeit den Erben, dass er etwas hat, dass für gewisse, mächtige Feinde von Interesse ist. Von sehr großem Interesse.“ Wieder parierte er Paladins Konter. „Merry hatte daraufhin ein Auge auf Frodo, und Pippin unterstützte ihn dabei.“

„Mein Sohn tat das auf meine Bitte. Saradoc, Gandalf sprach auch bei mir deswegen vor. Das ist für mich nichts Neues.“

„Gut. Diese Reiter sind hinter Frodo her, der dieses – Erbstück nach Bruchtal bringt. Gandalf will alsbald zu ihm stoßen. Einstweilen wird er von deinem und meinem Sohn begleitet.“

„Ah ja. Davon hätte ich aber ruhig schon früher erfahren können.“ Paladin startete einen erneuten Schwertangriff mit einem Oberhau.

Saradoc parierte den Schlag. „Sie sind vor wenigen Tagen erst aufgebrochen, und auch ich hatte so einiges im Bockland in Ordnung zu bringen. Ich kam, so schnell ich konnte.“ Jetzt griff Saradoc an.

„Dann bitte ich dich, meine Worte von eben zu vergeben. Also ist wenigstens das geklärt, und ich danke dir dafür. Aber lass uns noch ein wenig üben: reden wir nicht mehr darüber, nachher aber über das, was Lotho offenbar plant. Mittlerweile ist selbst der alte Willi Weißfuß in Sorge.“

Die beiden begaben sich nach ihrer Übungsrunde in die Große Halle, wo bereits ein Bote aus Michelbinge auf sie wartete. Nicht nur dort hatte Lotho von seinen Plänen gesprochen, mit denen er schon den Herrn des Bocklands belästigt hatte, und allen war mit schweren Folgen gedroht worden, sollten sie sich seinen Ideen verweigern.

„Ich frage mich, woher dieser Lotho sich das Recht herausnimmt, so mit Oberhäuptern der großen Familien zu reden. Und erst recht frage ich mich, woher er das Geld hat, mit denen er die vielen Ländereien und Gebäude kauft.“

„Das fragen wir uns im Bockland ebenfalls, Paladin. Ich habe Lotho und seine Kumpane des Landes verwiesen, aber er hat sein Glück wohl auch in Balgfurt und Froschmoorstetten versucht. Und im Nordviertel soll er wohl schon erfolgreich gewesen sein.“

„War er. Wir konnten einen Großteil der Münzen in Michelbinge untersuchen“ warf der Bote ein. „Der Erste Landbüttel hat bei ihnen keine Unregelmäßigkeiten feststellen können. Die Münzen sind vollständig aus den vorgesehenen Metallen geprägt, Größe und Gewicht korrekt und selbst die Prägestätten und Prägejahre werfen keine Fragen auf. Sie stammen allesamt aus dem Auenland oder aus Bree. Nichts Ungewöhnliches.“

„Bis auf die Menge. Irgendwo muss doch Geld fehlen, und das in größerem Ausmaß“ erwiderte Saradoc. „Und genau das macht mich stutzig: keiner der Händler beklagt sich über Münzmangel, und es ist so viel Geld im Bockland im Umlauf wie immer. Soweit ich weiß gibt es überdies weder in Bree noch im Auenland irgendwelche Probleme dieser Art.“

„Dass das Geld über längere Zeit gehortet worden ist kann ich mir noch weniger vorstellen“ sagte Paladin nachdenklich. „Auch das wäre aufgefallen. Entweder hat Lotho Geld nachprägen lassen, oder irgendwer ist einem großen Betrug anheimgefallen. Saradoc, man sagt, dass Frodo für den Kaufpreis, den er für Beutelsend erhalten hatte im Bockland ein Anwesen erworben hatte. Gab es hierbei irgendwelche Auffälligkeiten?“

„Nichts, was den Schatzmeister oder die Wachen auf den Plan gerufen hätte. Aber ich werde die Kiste mit dem Kaufpreis noch einmal genau untersuchen lassen; und zwar den Inhalt und das Behältnis. Und ich werde weitere Maßnahmen ergreifen, um dieser Sache auf den Grund zu kommen. Ich habe noch immer meine Kundschafter im Südviertel. Die sollen sich einmal genauer auf Lothos Ländereien umsehen.“

Saradoc war wieder zurück in Bockenburg, und er rief Roderic zu sich. Der Schatzmeister war noch dabei, die Geldkiste und ihren Inhalt genauer zu untersuchen, aber der Herr des Bocklands wollte sich nicht nur auf diese eine Spur konzentrieren.

„Roderic, ich habe eine besondere Aufgabe. Es kann sein, dass sie für dich besonders gefährlich werden könnte. Und sie ist in aller Heimlichkeit auszuführen.“

„Nun, Herr Saradoc? Als Kundschafter bin ich an unauffälliges Auftreten gewohnt. Was ist es, was ich tun soll?“

„Etwas sehr delikates, und alles, worüber wir hier sprechen muss geheim bleiben.“

Roderic nickte. „So wie immer.“

„Gut. Ich stelle dir dennoch frei, diese Aufgabe zu übernehmen. Es geht darum, dass jemand herausfindet, was Lotho und seine Leute im Südviertel treiben. Woher hat er das Geld, mit dem er hier scheinbar alles an Land kaufen kann, das er haben will? Wie kommt er zu solchem Reichtum, sollte er existieren? Und was planen er und seine Kumpanen noch? Das alles muss auf jeden Fall unauffällig herausgefunden werden. Und ohne Waffengewalt.“

„Ich soll also Herrn Lotho ausspähen? Herr Saradoc, das sollte am besten gehen, wenn ich zum Schein in seine Dienste trete. Wie weit soll ich dabei gehen?“

„In Lothos Dienste eintreten. Roderic, ich fürchte fast, das wird wohl unausweichlich sein. Genau deswegen befehle ich dir das nicht. Wird es dir zu gefährlich oder ist dir das, was sie von dir verlangen zuwider, dann musst du es nicht tun. Jedenfalls nicht für die Erfüllung der Aufgabe; es kann aber gut sein, dass du solche Dinge dennoch tun musst, um dich selbst nicht in Gefahr zu bringen. Im Zweifel lässt du es nicht soweit kommen und findest eben bestimmte Dinge nicht heraus. Berichte mir aber auf jeden Fall von deinen Erlebnissen und Entscheidungen.“

„Gut. Herr Saradoc, ich wage es. Am besten fange ich in Sackheim an: dort hat Lotho seinen Familiensitz. Vielleicht kann ich dort am schnellsten etwas herausfinden.“

Roderic war in aller Heimlichkeit aufgebrochen, und Saradoc wandte sich wieder seinen gewöhnlichen Tätigkeiten zu. Das Leben ging nach den aufregenden Ereignissen der letzten Tage wieder seinen gewohnten Gang, auch wenn viele Bockländer sich jetzt vorsichtiger durch das Land bewegten, vor allem nach Einbruch der Dunkelheit.

Auch der Schatzmeister hatte keine Auffälligkeiten bei dem Geld feststellen können, mit dem Frodo für Krickloch bezahlt hatte. Es war aus Lothos Vermögen gekommen (die Markierung auf der Geldkiste war eindeutig) aber das Holz der Kiste ließ den Herrn des Bocklands stutzig werden. Es war ungewöhnlich hell und grob gemasert. Irgendwo hatte Saradoc diese Art Holz schon einmal gesehen, und es war ganz sicher nicht im Auenland gewesen. Er drehte die leere Kiste hin und her, als ob er seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen wollte. Dann rief er Sithric dazu.

Der blickte nur kurz auf das Holz. „Vater, wo hast du das her? Ist es eine alte Kiste, in der du Dinge aus Rohan mitgebracht hattest? Oder hatten wir das sehr seltene Glück, Waren aus meiner alten Heimat zu bekommen?“

Echte Verblüffung stand in Saradocs Gesicht geschrieben. „Nichts von alledem, Sithric! Das ist die Geldkiste, mit der Frodo den Kaufpreis für Beutelsend erhalten hatte. Und jetzt schau dir das an: die Markierung des ersten Eigentümers!“

„Lotho!“ riefen beide wie aus einem Mund. „Wie um alles in der Welt kommt es dazu?“ stieß Sithric hervor. „Ich kann mir vieles vorstellen, aber dass Lotho ebenfalls in Rohan war ganz sicher nicht!“

„Ich ebenfalls nicht. Aber ich glaube, um dieses Rätsel zu lösen werden wir noch etwas Geduld aufbringen müssen. Und falls du nach Roderic suchen solltest: bemühe dich nicht. Ich habe ihn in das Südviertel geschickt, auf dass er mehr über Lotho und seine Pläne herausfindet. Ich hoffe, dass der Junge erfolgreich ist!“

Roderic war in Langgrund angekommen. Von hier aus würde er sich auf die Straße in Richtung Buckelstadt begeben müssen, um nach Sackheim zu gelangen, aber er wollte dieses Vorhaben noch nicht angehen. Lotho hatte bereits hier jede Menge Land und Einfluss, und Roderic hatte es schwer, eine Unterkunft für die Nacht zu finden. Hobbits aus dem Bockland durften nur noch mit der ausdrücklichen Genehmigung von Lothos Verwaltern ein Quartier in einem der örtlichen Gasthäuser erhalten. Und jeder Reisende hatte sich neuerdings beim Quartiermeister zu melden. Roderic war erschrocken, als er ihn sah: vor ihm stand ganz sicher ein Halbork, auch wenn er nicht ganz so orkähnlich aussah wie die, gegen die er bei den Hügelgräberhöhen gekämpft hatte. Und wer kein Auftragsschreiben von Lotho vorweisen konnte wurde barsch abgewiesen. Zu allem Überfluss blickte er auch noch zu Roderic herüber, der in der Nähe stand.

„Du da! Ja, du. Was hast du da herumzulungern? Hier gibt es keine Geschenke!“

„Ich suche keine Geschenke. Ich wollte fragen, ob es hier Arbeit gibt.“

„Hm“ brummte der Halbork. „Scheinst vernünftiger zu sein als gedacht. Komm her. Was kannst du überhaupt?“

„Ich bin Jäger. Und ich habe als Schreiber gearbeitet.“

„Jäger und Schreiber. Damit kann ich nix anfangen. Aber warte, da kommt der Baas.“

Zu seiner Überraschung sah Roderic jemanden, auf den er von Herrn Saradoc angesetzt worden war. Lotho wurde in einer verzierten Kusche durch Langgrund gefahren (grotesk verziert, fand Roderic) und beim Quartiermeister gebot Lotho dem Kutscher zu halten.

„Gibt es Probleme?“

„Keine, Herr. Ich hab hier nur einen Jungen, der nach Arbeit sucht. Sagt, er wäre Schreiber und könnte jagen. Mit dem kann ich hier nix anfangen.“

Lotho musterte Roderic von oben bis unten. „Schreiber, soso. Das will ich sehen.“ Er ließ Tinte, einen Federkiel und Papier kommen. „So, du schreibst jetzt das Folgende auf: Saradoc Brandybock ist ein Narr und bald tot.“ Roderic tat, wie ihm geheißen wurde (er ließ sich nichts anmerken) und reichte Lotho das Papier. Der nickte anerkennend. „Gut. Du hast eine saubere Handschrift, schreibst nicht allzu verschwenderisch und tust, was man dir sagt. Wie heißt du?“

Roderic war der Ansicht, dass es besser wäre, nicht seinen richtigen Namen zu verwenden. „Rob Gruber, Herr. Ich bin aus Stock, aber dort hat man mich rausgeworfen. Zu aufmüpfig, sagte man mir. Jetzt suche ich nach Arbeit.“

„Hier gibt es mehr als genug zu tun. Als was hast du zuletzt gearbeitet, Rob? Schreiber oder Jäger?“

„Beides. Schreiber war ich für die Zöllner, und als Jäger hab ich mir was dazuverdient.“

„Dazuverdient. Na, ich will es mal glauben. Aber merk dir eines: hier wird nichts dazuverdient. Du wirst bei mir genug Arbeit als Schreiber haben. Ich habe noch jede Menge Rechnungen, die geschrieben werden müssen. Und vielleicht noch Briefe, wenn du dich gut machst. Steig ein!“

Roderic tat, wie Lotho ihm geheißen hatte. „Warte hier. Ich habe noch ein paar Kleinigkeiten zu erledigen, dann bringe ich dich nach Sackheim. Dort hast du dann genug zu tun.“

„Danke, Herr Beutlin.“ Roderic verneigte sich, und Lotho lächelte kurz. Dann warf er dem Halbork einen Beutel zu, in dem Münzen klimperten. „Für deine Dienste als Vermittler“ sagte Lotho im Vorbeigehen, ehe er in einem Haus verschwand.

Nach kurzer Zeit war Lotho zurück, und die Kutsche setzte sich in Bewegung. Rasch hatten sie Langgrund verlassen, und keine zwei Stunden später bogen sie von der Straße auf einen schmalen Feldweg ab. Während der Fahrt hatte Lotho seinen neuen Schreiber darüber ausgefragt, wie die Grubers nach Stock gekommen waren (Roderic erwiderte, dass er dort geboren war), wieso genau die Grenzer einen Schreiber aus ihren Diensten geworfen hatten (Roderic machte eine Andeutung in Richtung seines „Dazuverdienstes“, ohne allzu viel preiszugeben) und er hatte Roderic davor gewarnt, ihn zu hintergehen. „Ich habe viele Bedienstete mit Augen und Ohren, und mir wird alles, was du tust oder sein lässt bekannt werden. Hintergehst du mich, dann wirst du ein sehr großes Problem haben. Machst du aber das, was ich von dir will, dann wird das nicht dein Schaden sein.“ Alles in allem hatte Roderic sich unter den wachsamen Augen seines neuen Herrn sehr unwohl gefühlt. Aber als sie Lothos Landgut erreichten war er froh, sein Glück nicht auf eigene Faust probiert zu haben. Halborks bewachten die Zugänge, und ungesehen kam keiner an ihnen vorbei. Und ohne Lothos ausdrückliche Einladung kam keiner hinein; es sei denn, er wurde von Lotho selbst oder seiner Mutter Lobelia gebracht.

„So, aussteigen, Rob.“ Lotho stieg zuerst aus der Kusche und bedeutete Roderic, ihm zu folgen. In der Tür stand Lobelia – die wohl gefürchtetste Person des Auenlands. Mißtrauisch beäugte sie den Neuankämmling.

„Wen haben wir denn da? Also ich meine: wen hast du da wieder aufgegabelt, Lotho? Hoffentlich nicht wieder so einen Nichtsnutz wie beim letzten Mal.“

„Das ist unser neuer Schreiber. Und anders als der alte kann er schnell und schön schreiben. Hier, schau!“ Lotho hielt seiner Mutter den Zettel hin, den er Roderic in Langgrund hatte schreiben lassen.

„Ah, gut. Ja, stimmt. Der schreibt schön und vor allem kein dummes Zeug“ lachte Lobelia. Roderic zuckte bei ihrem Lachen unwillkürlich zusammen: es klang wie eine krächzende Krähe. Und zu seinem Erschrecken trat sie näher, bis sie unmittelbar vor Roderic stand. „Merk dir eines, und ich sage es nur einmal: Mein Sohn ist auf seinen Landgütern der Chef, aber hier und in Beutelsend bin ich das, dass das klar ist! Haben wir uns verstanden?“

„Selbstverständlich, Frau Lobelia!“

„Gut. Wenigstens diskutiert er nicht. Lotho, wie heißt deine Neuerwerbung eigentlich?“

„Rob Gruber. Er ist aus Stock und dort aus der Grenzwache geflogen.“

„Aha.“ Wieder legte Lobelia ihr krächzendes Lachen auf. „Aus der Grenzwache vom Brandybock geflogen? Na, da kannste uns sicher einiges erzählen, oder? Sicher kannste das, Rob, und dir ein bißchen was extra verdienen. Wenn es mir nützt, natürlich. Lotho, zeig ihm, wo er zu arbeiten hat und wo sein Quartier ist. Und erklär ihm die Regeln hier.“

„Ja, Mama.“ Lotho führte Roderic in ein niedriges Gebäude, das sich an die Haupthöhle anschloß, aber komplett oberirdisch gebaut worden war. „Das hier ist die Verwaltung. Hier wird alles das abgerechnet, was in Sackheim angebaut, hergestellt und verschickt wird, und das ist nicht wenig. Das da“ er öffnete eine Tür, die gleich neben der Eingangstür lag, „ist dein Büro. Hier wirst du arbeiten. Und da“ er klappte ein Bett aus der Wand, „wirst du schlafen, wenn Schlafenszeit ist. Du siehst, es gibt keine unnötigen Wege und keinen unnötigen Grund, draußen herumzulaufen. Dein Nachttopf wird auch tagsüber benutzt. Ist er voll oder brauchst du sonstwas, dann ziehst du an der Kordel hier. Bei den Wächtern wird dann geläutet, und einer kommt und wird dir bringen, was du brauchst. Siehst du die Glocke hier?“ Lotho deutete an die Decke.

„Ja, Herr Lotho.“

„Klingelt sie, dann sollst du zu mir oder meiner Mutter ins Haupthaus kommen. Das ist gegenüber. In unserer Wohnhöhle hast du nichts zu suchen, klar? Also, du gehst dann langsam und für alle gut sichtbar über den Hof und wartest so lange an der Tür, bis du eingelassen wirst. Dann wirst du dahin gebracht, wo du hingehen sollst. Keine eigenmächtigen Spaziergänge und Umwege, klar?“

„Selbstverständlich.“

„Gut. Essen gibt es um acht, um zwölf unf um sieben am Abend, und nichts extra. Es wird dir hier hergebracht. Die einzelnen Verwalter werden dir die Aufträge bringen, die du abarbeiten sollst, oder einer unserer Hausdiener. Die werden dir dann alles Weitere sagen. So. Das hier“ Lotho deutete auf einen Stapel zerfledderter Notizen, „hat dein Vorgänger liegengelassen. Diese Notizen müssen noch bearbeitet werden. Damit kannst du dich schon mal nützlich machen.“

Lotho war gegangen, und Roderic ging den Stapel durch. Er war sich sicher, dass der Neue unter Beobachtung stehen würde, und er beschloß, es auf eine unauffällige Probe zu stellen. Er blickte sich suchend um. Prompt kam eine Halbork-Wache in den Raum.

„Was gibt es?“

„Ich suche das offizielle Briefpapier für die Rechnungen.“

„Das ist weggeschlossen worden. Warte, ich lasse es dir bringen.“

Die Wache ging. „Na, das ging aber sehr schnell“ dachte Roderic bei sich. Die Wache hatte die Tür offen stehen gelassen, und die Wachstube war genau gegenüber. Keine Minute später hatte Roderic sein Briefpapier, und die Wache hatte die Tür wieder sorgfältig geschlossen – und von außen verriegelt. Roderic war klar, dass es auf diesem Weg kein Entkommen geben könnte. Aber er machte sich erst einmal an die Arbeit.

Schon in den nächsten Tagen bekam er mehr zu tun, und Lobelia scheuchte ihn auf dem gesamten Gelände herum. Sie war offensichtlich doch recht angetan von ihrem neuen Schreiber, der seine Arbeit so prompt erledigte. So konnte Roderic viel darüber herausfinden, womit Lobelia ihr Geld verdiente (hauptsächlich mit dem Anbau von Getreide und Pfeifenkraut) und wie die finanzielle Situation auf Gut Sackheim aussah (nicht allzu schlecht, aber auch nicht außerordentlich gut) und vor allem, wie viele Leute für sie arbeiteten. Das schienen nicht mehr und nicht weniger als im Auenland üblich zu sein; nur die Halbork-Wachen wunderten ihn. Sie taten den ganzen Tag über nichts, außer das Landgut bewachen, und es schien, als ob sie regelmäßig ausgetauscht würden. Aber abgesehen von diesen seltsamen Wachen schien es sich um ein ganz normales Landgut zu handeln, so wie viele andere auch.

Roderic arbeitete fleißig und rasch, und schon nach einer Woche schien es für ihn nur noch sehr wenig zu tun zu geben. Lotho kam wieder in seiner grotesk verzierten Kutsche, und nach einer Weile kam er aus dem Haupthaus heraus. Er ließ Roderic kommen.

„Na, Rob, du scheinst deine Arbeit hier ja sehr ernst genommen zu haben. Meine Mutter ist vollauf zufrieden, und das ist wirklich selten! Gut gemacht. Hier gibt es für dich nicht mehr viel zu tun: da habe ich in Langgrund ganz andere Sachen abzuarbeiten! Steig ein!“

Also stieg Roderic wieder in die Kutsche, und Lotho wollte so einiges über die vergangene Woche wissen. Dieses Mal ging es ihm hauptsächlich um die von ihm erledigte Arbeit; aber keineswegs darum, wie er sie erledigt hatte. Lotho interessierte sich vielmehr dafür, wie viel Getreide und Pfeifenkraut produziert worden war, wohin es verkauft wurde und welche Preise zu erzielen waren. Und Roderic schien, als ob Lotho mit den Ergebnissen nicht so zufrieden wie seine Mutter gewesen war. Aber jetzt kamen sie wieder nach Langgrund, und Roderic wurde in ein großes Haus in der Stadt gebracht.

„Mein Hauptsitz“ sagte Lotho stolz. Roderic gefiel das dreistöckige Gebäude überhaupt nicht. Es war in seinen Augen viel zu düster und hatte viel zu kleine Fenster, und anders als die anderen Häuser war es aus Backstein gebaut. Roderic fand, dass es wie ein Fremdkörper in einer Stadt aussah, die vor allem aus Hobbithöhlen und niedrigen, einstöckigen Häusern bestand.

„Beeindruckend“ zwang sich Roderic zu sagen.

„Das freut mich zu hören, Rob. Dein neues Büro ist hier, im ersten Stock.“ Roderic wurde in einen großen Raum gebracht, An den Wänden standen hohe Regale, Öllampen erhellten den Schreibtisch (der monströs groß war) und ein immenser Berg an Zetteln lag auf dem Boden.

„Was um…“ stieß Roderic hervor. „Wer wirft denn die Aufträge einfach auf den Boden?“

„Das ist so eine Unart meiner Leute“ seufzte Lotho. „Die machen das dann, wenn sie glauben, dass sie keiner zur Rechenschaft zieht. Ich werde da wohl wieder mit ihrem Meister sprechen müssen. Dann geht es – für eine Weile jedenfalls.“

„Nun gut. Am besten mache ich mich gleich an die Arbeit, Herr Lotho. Der Haufen wird ja von alleine nicht weniger. Und wenn Zettel fortkommen, dann verliert Ihr Geld.“

„Das ist es ja. Hast du eine Idee, wie sich das ändern läßt?“

Roderic ging einige Zettel durch. „Die scheinen von überall her zu sein. Wie wäre es, wenn Ihr auf Euren Landgütern und in den Werkstätten dafür Kästen aufhängen laßt? So wie Briefkästen, nur eben für die Abrechnungen. Die Kästen könnten dann von Boten hergebracht werden, damit nichts verloren gehen kann.“

„Eine brilliante Idee, Rob! So müssen keine Vorarbeiter mehr hier herkommen. Gut. Du machst dich an diesen Haufen da, und ich lasse Kästen in meinen Betrieben anbringen. Die fertigen Rechnungen unterschreibst du in meinem Auftrag, adressierst sie und bringst sie zur Post. Mach mir täglich eine Aufstellung darüber, wer welche Rechnung mit welchem Betrag bekommen hat.“

„Sehr wohl, Herr.“

Lotho ging, und Roderic machte sich an die Arbeit. Offenbar schien er hier nicht so unter Beobachtung zu stehen wie in Sackheim. Er erkannte es daran, dass er sich das Briefpapier selber holen musste, dafür hatte er sogar eine Portokasse für den Post-Schnelldienst.

Derweil hatte Saradoc einige Münzen von besorgten Händlern vorgelegt bekommen, die mit ihnen nicht allzu viel anfangen konnten. Das Geld hatte eine seltsame Form (die Münzen waren achteckig) und eine seltsame Prägung (darauf war eine Hand, sonst nichts) und sie wogen viel weniger als ein auenländischer Silberpfennig. Aus Rohan stammte dieses Geld mit Sicherheit nicht; Saradoc und Sithric kannten es noch gut und die Münzen waren viel schwerer und größer.

„Was hältst du davon, Sithric?“ Saradoc wog eine dieser Münzen in seiner Hand.

„Nicht viel. Schlecht geprägt, viel zu klein, und ich gehe jede Wette ein, dass die kaum Silber enthalten, wenn überhaupt.“

„Ich habe sie von einem Hobbit bekommen, der aus dem Langgrund gekommen ist“ sagte der Händler. „Ich komme selbst aus Buckelstadt, mein Name ist Longo Lochner und ich handele mit Lebensmitteln aus dem gesamten Auenland. Ich habe solches Geld noch nie gesehen, Herr Saradoc. Und die anderen Händler auch nicht.“

„Seltsam, seltsam. Sithric, tausche das da gegen ordentliche Silberpfennige. Herr Lochner, Ihr müsst dieses Geld nicht annehmen. Es ist hier im Bockland unbekannt, und wenn wieder jemand damit bezahlen will, dann schickt ihn zum Schatzmeister.“

Herr Lochner bedankte sich und ging. „Vater, was meinst du? Kennst du das Zeichen?“

„Und ob! Es erinnert mich an eine unangenehme Zeit. Eine sehr unangenehme Zeit, um genau zu sein. Wie um alles in der Welt ist dieses Geld hier hergekommen?“

„Sharkûs altes Geld? Vielleicht war es im Dunland noch im Umlauf, selbst nachdem Sharkû besiegt worden war. Vielleicht wurde damit einer seiner Söldner bezahlt, und im Lauf der Zeit kam es immer weiter nordwärts. Handel nimmt manchmal seltsame Wege, sagt man.“

„Sagt man. Wir werden trotzdem die Augen offenhalten. Gibt es eigentlich Neuigkeiten von unserem Kundschafter im Südviertel?“

„Er soll wohl in Lothos Dienste getreten sein. Gerüchteweise wurde er sogar in Gesellschaft mit diesem Lotho gesehen. Aber ansonstens haben wir nichts Neues gehört.“

Eben dieser Kundschafter hatte sich durch diesen riesigen Haufen durchgearbeitet, und auch hier in Langgrund arbeitete er rasch. Sogar Lotho hatte ihm bald weitere Aufträge übergeben, und anders als in Sackheim führte einer ihn sogar an die Sarnfurt. Roderic hatte vorher schon so einige Aufträge auf den südlichen Landgütern ausgeführt, und in einer der Schmieden hatte er aufgedeckt, dass Lotho von seinen Halborks um Geld und Stahl betrogen worden war. Lotho war natürlich aufgebracht ob dieser Nachricht – aber Roderic hatte sich offensichtlich Lothos Vertrauen damit erarbeitet. Vor seinem Aufbruch an die Sarnfurt wurde Roderic aber noch einmal von Lotho genau instruiert.

„Wir exportieren mittlerweile viel ins Ausland. Unsere gesteigerte Produktion würde im Auenland nur die Preise kaputtmachen. Du wirst an der Sarnfurt auf unsere Kunden aus dem Süden treffen. Behandle sie mit allem ihnen zustehenden Respekt, hörst du?“

„Selbstverständlich, Herr Lotho! Immerhin verdanken wir ihnen mittlerweile die Hälfte unserer Einnahmen. Sollen wir ihnen vielleicht noch Kostproben weiterer Produkte übergeben?“

„Du willst das Geschäft ausweiten? Meinen Segen dafür hast du! Nimm einige Fässer Pfeifenkraut mit – von dem 1417er Kirschgarten, der sollte eine gute Kostprobe sein. Vielleicht noch zwei Weinkisten vom 1410er Wingert und zwei vom 1415er Stadeler Kater.“

„Das sollte ausreichend sein, Herr Lotho.“

„Gut. Ich gebe dir noch diesen Brief mit: er ist für unsere Kunden bestimmt. Übergib ihn ihrem Anführer, er wird dir eine Nachricht für mich mitgeben. Ich muss wieder aufbrechen: Mutter erwartet mich noch heute Abend in Sackheim. Morgen werden für dich die Begleiter zur Verfügung stehen: sie sollen um acht Uhr vor dem Haupthaus warten. Tun sie es nicht, dann wecke sie mit schönen Grüßen von mir auf und kürze ihnen den Lohn. Bis bald!“

Die Begleiter waren früher da als von Roderic gedacht, und es waren allesamt Halborks der übleren Sorte. Sie erinnerten den Hobbit sehr an den Quartiermeister. Aber sie schienen genau zu wissen, wen sie zur Sarnfurt begleiteten, und sie verhielten sich gegenüber Roderic ausgesprochen höflich. Noch vor Sonnenaufgang waren sie unterwegs, und Roderic überlegte, wie er diese ungewöhnliche Situation nutzen könnte, um sich von Lotho abzusetzen. Er hatte Lothos Brief am gestrigen Abend noch gelesen (eigentlich sollte er ihn nur noch versiegeln) und er hatte genug erfahren.

Sie gingen zu Fuß, und die Halborks schlugen einen raschen Schritt an. Wahrscheinlich wollten sie Roderics Durchhaltevermögen damit auf die Probe stellen – aber als Jäger und Wächter war er an einiges gewöhnt. So war es ab dem späten Vormittag Roderic, der das Tempo vorgab; und er dachte nicht im Geringsten daran, eine Pause einzulegen. „Wir sollen noch heute Abend an der Sarnfurt sein, und wir werden nicht von alleine dort hinkommen“ waren seine Worte gewesen, und murrend marschierten die Halborks weiter. Tatsächlich war die Gruppe bereits am späten Nachmittag an der Sarnfurt, und die Grenzer schienen ob des Besuchs nicht gerade begeistert zu sein. Aber Roderic gab ihnen ein verdecktes Zeichen, und der Hauptmann zwinkerte ihm zu. Saradoc würde bald über Roderics Anwesenheit in Kenntnis gesetzt werden. Einstweilen mussten sie die Furt durchschreiten, denn noch wagten die „Kunden“ aus dem Süden nicht, die Grenze zu überschreiten.

„Na, was ist das denn für eine müde Truppe?“ Ein höhnisches Lachen begrüßte die Gruppe aus Langgrund. Ihnen trat ein großer, kräftiger Halbork entgegen, orkähnlicher als alle, die Roderic bislang gesehen hatte. „Und wo ist dieser nichtsnutzige Lotho?“

„Sei still!“ rief eine andere Stimme aus dem Hintergrund. Sie klang freundlicher, aber trotzdem gefiel Roderic ihr Klang nicht. Ein reich gekleideter Mensch trat Roderic entgegen. „Ich sehe, Euer Herr gibt sich heute nicht die Ehre. Nun gut. Mit wem habe ich es zu tun?“

Roderic verbeugte sich. „Rob Gruber, der persönliche Schreiber von Herrn Lotho. Mein Herr kümmert sich gerade darum, unsere Betriebe zu erweitern, ansonsten wäre er zweifellos hier, um solch einen edlen Gast wie Ihr es seid hier zu begrüßen.“

„Wohl gesprochen, Rob Schreiber“ erwiderte der Mensch und deutete seinerseits eine Verbeugung an. „Euer Herr hat mir von Euch berichtet. Brenin aus dem Dunland, Sharkûs Zeugmeister bin ich, und leider habe ich nicht viel Zeit. Wie sieht es mit den nächsten Lieferungen aus?“

Roderic überreichte Brenin Lothos Brief. „Mein Herr hat Euch den aktuellen Stand in seinem Brief notiert. Ihr werdet sehen, alles ist wie vereinbart. Überdies“ er winkte einem seiner Begleiter, „habe ich Kostproben unserer neuesten Waren dabei, die wir ab Eingang Eurer nächsten Bestellung liefern können, wenn es gewünscht wird.“

Brenin betrachtete das Pfeifenkrautfass und die beiden Weinkisten genau. „Das dürfte Herrn Sharkû sicher interessieren. Allerdings weiß ich nicht, ob…“

„Herr, seht dies als Warenproben unsererseits an“ sagte Roderic (er wußte genau, worauf Brenin hinauswollte) „die wir Euch und Eurem Herrn als Kostprobe überreichen, mit den besten Grüßen von Herrn Lotho und meiner Wenigkeit.“

Brenin verbeugte sich tief. „Ich werde Eure Kostproben sofort nach meiner Rückkehr meinem Herrn übergeben. Habt Dank dafür.“

Anschließend tauschten sie noch die Briefe aus, und Brenin meinte, sie würden sich wieder auf den Weg machen. Aber der große Halbork mischte sich ein.

„Nichts da“ schnaubte er. „Warenproben, schön und gut. Eure Höflichkeiten mögen für Euch ja vielleicht angemessen sein, aber ich habe mich um die Sicherheit meines Herrn und seines Zeugmeisters zu kümmern. Du da“ er zeigte auf Roderic, „kommst mal schön mit. Wer weiß, ob du uns nicht vergiften willst? Ich kenne dich nicht, Brenin kennt dich nicht. Ihr anderen rennt mal schön zu eurem Herrn zurück und heult ihm die Ohren darüber voll, dass ich ihm seinen persönlichen Schreiber konfisziert hab!“

Mit einem einzigen Griff hatte der Halbork Roderic unter seinen Arm geklemmt, und er nickte Brenin zu. Roderic hörte noch, wie seine Begleiter panisch durch den Brandywein rannten, und unwillkürlich musste er lachen.

„Was gibt es da zu lachen, Schreiber?“

„Hört Ihr, wie diese Begleiter rennen? Ich dachte, die wären müde.“

„Sind sie nicht. Ich weiß jetzt aber auch, was es da zu lachen gibt.“

Roderic wurde in das Lager gebracht, das die Reisenden aus dem Süden außer Sichtweite der Sarnfurt aufgeschlagen hatten. Der Halbork stellte ihn wieder auf den Boden. „So. Jetzt kommen wir zur richtigen Prüfung. Deine Proben da“ der Halbork deutete auf die Weinkisten und das Krautfass, „wirst du jetzt selbst probieren. Von jeder Weinflasche mache ich eine auf und du trinkst sie. Dann zeigst du uns, was man mit diesem komischen Kraut da macht.“

Roderic nickte. „Na, wenn das weiter nichts ist, dann los. Ich habe so langsam sowieso Durst. Also, worauf wartest du?“

Brenin wollte entrüstet eingreifen, aber der Halbork hatte schon zwei Flaschen gegriffen und Roderic gegeben. „So, Schreiber. Aufmachen und trinken, und zwar jetzt gleich.“

Roderic grinste, entkorkte die erste Flasche und setzte sie an. „He, halt!“ rief der Halbork und riß Roderic die Flasche aus der Hand. „Du kannst noch stehen? Keine Tricks!“ Mit einem Zug hatte er die Flasche geleert, rülpste, biß den Korken der zweiten Flasche ab, kaute, schluckte ihn runter und trank die Weinflasche leer. „Ich glaube, da ist nichts Schlechtes dran. Jetzt zum Fass!“

„Halt!“ rief Brenin. „Das da ist für Sharkûs persönlichen Gebrauch! Er hat uns allen doch befohlen, nach dem Kraut der Halblinge Ausschau zu halten, oder hat er das nicht? Und welche Strafe hat er demjenigen angedroht, der sich daran vergreift?“

„Wir sollen danach fragen, ja.“ Der Halbork war sichtlich mit Nachdenken beschäftigt. „Haben wir… denn danach gefragt?“ lallte er. Seine Zunge wurde schwerer. Stadeler Kater ist ein Teufelszeug, das wusste nicht nur Roderic. Leicht im Abgang, mitunter reichlich sauer, und verheerend in der Wirkung. „Haben… wir? Na… ischhh… nischhh… hahaha…“ Er lachte wieder. „Ischhh… lasssss… dieee… Finger davon. Issss… Scharkuuhhhsss… Zeuschhhh“ Schnarchend war der Halbork eingeschlafen.

„Das hat er jetzt davon. Na gut.“ Brenin wandte sich Roderic zu. „Herr Gruber, ich muss mich für das Verhalten meines Begleiters bei Euch entschuldigen. Ich werde mit Sharkû über diesen Vorfall ausführlich sprechen. Ihr solltet jetzt wieder in Euer Land zurückgehen.“ Brenin wollte sich nach einem Begleiter für Roderic umsehen, aber der winkte ab.

„Nicht der Mühe wert, Herr Brenin. Ich finde den Weg. Habt eine gute und sichere Reise!“

Rasch war Roderic in den Falten des Landes verschwunden. Und eine Sache hatte er nicht vor: keinesfalls wollte er zu Lotho zurückkehren. Stattdessen nutzte er die Gunst der Stunde.

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