Arda Fanfiction

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Der Fluch des Palantírs

von Celebne

Cair Andros

Jubelnd streckten die Soldaten ihre Waffen zum Himmel: die Schlacht war gewonnen und die Orks aus Ithilien vertrieben! Auf der Inselfestung Cair Andros sollte an diesem Abend ein großes Freudenfest stattfinden. Boromir und seine berittene Abteilung hatten die Insel bereits erreicht. Der schwarzhaarige Feldhauptmann des Weißen Turmes wurde begeistert von den Soldaten der kleinen Festung begrüßt.
"Ist Faramir schon hier?" fragte Boromir Hauptmann Anborn sofort.
"Nein, Mylord," erwiderte Anborn demütig. "Aber wir rechnen damit, dass Euer Bruder mit seinen Waldläufern in den Abendstunden hier erscheinen wird."
"Ich habe gehört, dass auch er siegreich war," sagte Boromir lächelnd und schlug Anborn freundschaftlich auf die Schultern.

Währenddessen bereitete man sich im Soldatenfort auf das Fest vor: frischgeschlachtete Schweine wurden an Spießen über großen Feuern gebraten und unzählige Fässer Bier und Brotlaibe wurden zum Tor hereingeschafft.
Boromir lief geschäftig zwischen den Soldaten herum und feuerte sie an, damit die Vorbereitungen für das Fest möglichst bald beendet waren.
Keinen Augenblick zu früh, denn nun endlich passierte Faramir mit seinen Waldläufern das Tor.
Als Boromir seinen kleinen Bruder sah, lief er sofort lächelnd auf ihn zu und schloß ihn in die Arme.
"Ich habe gehört, dass ihr Waldläufer einen  großen Sieg in der Nähe von Henneth Annûn errungen habt, Faramir," sagte er schließlich.

Faramir legte  seinen Pfeilköcher und den grünen Mantel mit der Kapuze ab. Er schob sich eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn und blickte dann seinen Bruder ernst aus seinen grauen Augen an.
"Wir haben ziemlich viele Männer verloren, Boromir," sagte er schließlich leise. "Es war ein teuer erkaufter Sieg. Mablung wurde schwer verwundet."
Er sah sich in der Festung um und erblickte die vielen fröhlichen und lachenden Männer.
"Mir ist eigentlich nicht nach Feiern zumute, Bruder," meinte er zu Boromir. "Aber die Männer haben es sich verdient, endlich einmal wieder nach Herzenslust zu essen und zu trinken - und zu lachen."
"Du bist ein guter Feldhauptmann, kleiner Bruder," flüsterte Boromir ergriffen. "Jetzt weiß ich, warum dich deine Männer so lieben und achten."
Faramir lächelte seinen älteren Bruder verzerrt an und ging dann in eines der Gebäude der Festung, um sich zu waschen und umzuziehen.
Boromir sah ihm liebevoll hinterher: er dankte den Valar, dass sein Bruder wohlbehalten von diesem Feldzug in den Wäldern Ithiliens wieder zurückgekehrt war. Es war eine undankbare Aufgabe, dieses schmale Grenzland Gondors gegen Mordors Truppen zu verteidigen. Doch auch Denethor, der Truchseß, wusste es. Und er geizte nicht mit Lob, wenn sein jüngerer Sohn Faramir erfolgreich aus Ithilien zurückkehrte.

§

Kurz vor Beginn des Festes erschien Faramir wieder im großen Hof der Festung. Er trug jetzt eine einfache grüne Tunika und einen dunklen, wollenen Umhang darüber. Er war noch immer betrübt über den Verlust seiner Männer bei der Schlacht in Ithiliens Wälder. Mit ernster Miene setzte er sich an eines der Feuer und ließ sich einen Zinnkrug mit Bier reichen. Boromir erhob sich nun und hielt eine leidenschaftliche Rede:
"Einst war dieses Land das Juwel von ganz Mittelerde. Doch Mordor hat versucht, uns in den letzten Jahren immer wieder Angst und Schrecken einzujagen. Aber heute haben wir gezeigt, dass Gondor seinen Glanz noch lange nicht eingebüßt hat. Anórien und Nord-Ithilien sind wieder frei! Laßt uns nun die Bierkrüge erheben und anstoßen: auf Gondor!"

"Auf Gondor!" riefen die Soldaten leidenschaftlich und erhoben ebenfalls ihre Krüge.
Boromir grinste breit und bevor er trank, sah er zu seinem Bruder hinüber und sah endlich mit Erleichterung, dass dieser auch leicht lächelte.
Jetzt wurden gegrilltes Schweinefleisch und weißes Brot verteilt. Die Männer griffen alle begeistert zu und ließen sich das gute Essen und das Bier schmecken. Während die Meisten das Essen in sich gierig hineinschlangen und miteinander aufgekratzt schwatzten und herumwitzelten, saß Faramir schweigend da und aß bedächtig. Seine Gedanken weilten immer noch bei seinen erschlagenen Männern und bei Mablung, den man mit Pfeilgift in den Adern sofort nach Minas Tirith geschafft hatte. Nachdem sich Boromir sattgegessen und mit seinen Hauptmännern gutgelaunt Konversation betrieben hatte, ging er hinüber zu seinem Bruder und setzte sich neben ihm.
"Dir geht das wohl alles nicht aus dem Kopf, hm?" fragte er leise.
Faramir seufzte leise.
"Was wäre ich für ein Mensch, wenn ich solche bitteren Verluste so einfach hinnehmen könnte?"
"Wir sind im Krieg, kleiner Bruder," murmelte Boromir bedrückt. "Es werden vielleicht noch schlimmere Zeiten auf uns zukommen. Es werden noch mehr Männer ihr Leben für Gondor lassen müssen. Es werden noch mehr Menschen aus Gondor ihren Vater, Sohn oder Bruder verlieren."
Bei dem Wort "Bruder" lief es eiskalt über Faramirs Rücken und eine dunkle Vorahnung stieg in ihm hoch. Doch rasch versuchte er, diesen düsteren Schatten aus seinen Gedanken zu vertreiben. Er stand auf, da er nicht länger bei dieser Feier verweilen mochte.

"Wo gehst du hin?" fragte Boromir leise.
"Ich will hinauf auf den Wachturm steigen und alleine sein," meinte Faramir nachdenklich.
"Wie du willst," murmelte sein Bruder.
Faramir stieg auf den verlassenen Turm und blickte nach Osten, wo Mordor lag. Der Nachtwind verwehte sein langes, schwarzes Haar. Die Ephel Dúath lag friedlich im Mondlicht, als ob alles verlassen wäre. Doch der junge Feldhauptmann wusste es besser: hinter dem Schattengebirge lauerten unzählige Heerscharen von Orks, die nur auf den Befehl des wiedererstarkenden, dunklen Herrschers warteten.

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