Arda Fanfiction

Das neue Archiv für Geschichten rund um Tolkiens fabelhafte Welt!

Der Greve von Grimslade

von Ethelfara Ceorlred

Ein schlechter Stand der Dinge

Roderic und Ardwyn hatten einen ereignislosen Ritt nach Grimslade gehabt. Es war ein warmer Spätsommertag gewesen, sonnig, aber nicht heiß und sie waren auf guten Straßen rasch vorangekommen. In Grimslade versperrte eine gelangweilte Wache ihnen eher lustlos den Weg.

„Wer reitet nach Grimslade?“

„Marschall Roderic Céorlred auf Geheiß des Königs.“

„Seid uns willkommen, Marschall! Der Verwalter hat für Euch in der Methalle ein Lager bereiten lassen. Folgt einfach der Straße hier.“

Der Wächter gab ihnen den Weg frei, und Roderic ließ sein Pferd nicht allzu schnell zur Methalle traben. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er die Leute rechts und links der Straße, die von ihm keine Notiz zu nehmen schienen. Ihm fiel auf, dass die Wohnhäuser im Ort nicht gerade im allerbesten Zustand waren. Türen waren schief, auf manchen Dächern fehlten Schindeln. Fast überall war Verfall zu sehen.

„Das kann ja heiter werden“ brummte er leise vor sich hin.

An der Methalle angekommen schwang er sich aus dem Sattel, noch ehe Diener seiner Ankunft gewahr worden waren. Er öffnete die Tür zur Halle. Es dauerte einen Moment, bis sich seine Augen an das fahle Dämmerliche gewöhnt hatten, dann sah er ein vertrautes Gesicht.

„Léofward! Dich suche ich!“

„Céorlred! Du bist schon hier? Ich habe mir dir ja nicht so bald gerechnet. Der König hat mir vor einer Woche geschrieben, dass du hier herkommen wirst, aber nicht mehr. Lass dich umarmen!“

Roderic umarmte seinen alten Waffengefährten. „Mir scheint, dass so einige der Veteranen vom Khandfeldzug nach Grimslade abkomplimentiert worden sind. Aber so sehen wir uns wieder. Wie ist es dir so ergangen?“

„Na, frag nicht. König Éomer konnte mich ja nicht schnell genug loswerden, glaube ich. Du durftest in den Norden reiten, und ich konnte mich währenddessen hier verausgaben. Na ja, jetzt bist du glücklicherweise ja da. Komm, ich zeige dir dein Quartier!“

Roderic folgte Léofward in den rückwärtigen Teil der Halle, wo es einige abgetrennte Räume gab. In einem davon hatte er zwei Betten aufstellen lassen, und eine Truhe stand für ihre kleineren Habseligkeiten bereit.

„Ich hoffe, das geht fürs Erste einmal. Wie lange sollst du bleiben?“

„Ich fürchte, für länger. Der König will, dass ich die Lande hier verwalte. Du bist nicht der Einzige, der aufs Land hinausgescheucht worden ist. Ich hoffe doch, du wirst mir erhalten bleiben?“

„Wenn es nach mir geht schon. Ich fürchte ja nur, der König wird mich wieder woanders hinschicken, jetzt wo ich scheinbar wieder versagt habe. Aber das solltest du beurteilen, glaube ich, wenn du das alles hier mal gesehen hast.“

„Ich schau es mir mal an. Nur eines kann ich mir nicht vorstellen: dass du versagt hast, mein Freund. Ich glaube eher, es ist für einen alleine einfach zuviel zu tun. Aber nun komm! Zeige mir, was mir hier blüht!“

Léofward zeigte Roderic den Ort Grimslade und die angrenzenden Felder. Es war bald Erntezeit, und Roderic sah sofort, wieso immer weniger Lebensmittel nach Edoras kamen. Wo andernorts das Getreide dicht und hoch stand schien hier kaum noch etwas zu wachsen.

„Du meine Güte, was ist hier denn los? Sind das hier magere Böden?“

„Eigentlich nicht. Es sind aber die vielen Verwalter und Unterverwalter, die nach dem Tod Greve Grimbolds das Land heruntergewirtschaftet haben. Aber allzu laut darfst du das nicht sagen, wenn du mit ihnen keinen Ärger haben willst. Die Bauern hier wagen jedenfalls schon lange kein offenes Wort mehr.“

„Und das mitten in Rohan. Aber nicht mit mir! Wenn ich das Ganze hier verwalten und in Ordnung bringen soll, dann mache ich das auf meine Weise. Sag diesen Verwaltern und Unterverwaltern und was weiß ich noch wer hier gegen wen herumwirtschaftet, sie sollen sich heute Abend um sechs Uhr in der Methalle einfinden. Und zwar alle, ohne Ausnahme! Ich werde ihnen dann so manche offene Worte um die Ohren hauen, ob es ihnen paßt oder nicht.“

„Na wenn du meinst. Ich wünsche dir gutes Gelingen mit diesen Dickköpfen.“

Roderic setzte seinen Rundgang über die Felder fort, und ihm fielen etliche Dinge auf, die nicht in Ordnung zu sein schienen. Er holte ein Blatt Papier und seinen Federkiel aus der Tasche und machte sich an der einen oder anderen Stelle Notizen.

„Herr, Ihr entschuldigt?“ Ein Bauer wandte sich zaghaft an ihn.

„Aber natürlich. Was gibt es?“

„Seid Ihr der neue Herr, von dem alle im Dorf sprechen? Es gibt die wildesten Gerüchte über Euch. Dass Ihr die Erntemenge verdoppeln wollt und so.“

„Die wildesten Gerüchte? Nun, der König hat mich geschickt, die Verhältnisse hier zu ordnen, das stimmt. Und wenn wir die Erntemenge steigern können, dann ist es gut. Aber um zu sehen, wie das gemacht werden soll muss ich mich erst einmal umschauen. Dann werden wir sehen, ob sich da was machen lässt und wie das angegangen werden kann.“

„Bauer! Zurück an die Arbeit!“ Eine barsche Stimme unterbrach die beiden. „Und wer seid Ihr, der meine Leute von der Arbeit abhält?“

„Einer, der Euch ganz gewaltigen Ärger bereiten wird, wenn man seine Befehle nicht befolgt“ erwiderte Roderic gereizt. Ihm gefielen weder die Art noch der Ton des Mannes. Dieser baute sich drohend vor dem Marschall auf.

„Passt auf, was Ihr hier sagt, Fremder. Ich werde Euer Tun dem Verwalter von Grimslade melden. Der wird Euch hart bestrafen.“

„Tut das. Und zwar rasch. Na los. Worauf wartet Ihr?“ Der Mann schaute Roderic daraufhin mit offenem Mund an, wie er ungerührt dastand.

Léofward konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Du bist und bleibst nicht nur ein Grobian, sondern auch ein ausgemachter Blödmann, Béoward. Du stehst vor dem neuen königlichen Verwalter von Grimslade, der sich ein erstes Bild von der Situation hier macht. Er hat jedes Recht der Welt, alle Bauern hier zu befragen, und zwar mit allen Fragen, die ihm einfallen. Los, nur zu und mach deine Meldung, Herr Céorlred wartet nicht gerne.“

„Na? Was ist? Ich höre?“

„Herr...ähm...ja...wir haben hier einige schlechte Ernten gehabt und die Bauern müssen härter arbeiten, um das einzuholen. Wir können keinerlei Unterbrechungen ihrer Arbeit brauchen, Herr, ich hoffe, Ihr versteht das...“

„Nicht im Geringsten!“ schnaubte Roderic. „Aber ich habe für meinen Teil genug gesehen und gehört. Ich erwarte alle Verwalter dieser Gutshöfe um sechs Uhr in der Methalle. Um sechs Uhr, verstanden? Die Bauern sollen sich um acht Uhr einfinden.“

„Ja, Herr. Ich schicke die Boten los.“ Béoward verneigte sich und lief los. Roderic sah ihm kopfschüttelnd nach.

„Sind die Verwalter alle so? Léofward, das wird lustig. Ich werde den König um die Entsendung geeigneter Leute bitten. Oder noch besser, ich frage Herrn Merry um Hilfe.“

Sie gingen zurück zur Methalle, und Roderic machte sich daran, seine Notizen in ein Buch zu übertragen. Léofward sah ihm interessiert zu.

„Was machst du da, Céorlred?“

„Ich notiere meine Beobachtungen. Der Herr des Bocklands hatte mich vor einer halben Ewigkeit gelehrt, dass man im Landbau vieles aufzeichnen muss. Was wann wo geerntet wurde, welche Pläne man für die nähere Zukunft hat, welche Kosten entstanden sind und mit welchen Einnahmen diese ausgeglichen wurden und so weiter. Ich werde nachher die Verwalter und die Bauern mal befragen, was sie in der Vergangenheit wo angebaut haben und wie oft. Ich vermute fast, dass die Böden hier zu einseitig belastet wurden und deshalb ausgelaugt sind. Deswegen die schlechten Ernten.“

„Das klingt nach einem Plan. Endlich. Bislang haben die Verwalter vor allem den Bauern Druck gemacht, wenn zuwenig von den Feldern kam.“

„Und die haben dann noch mehr angebaut, was die Böden nur noch schneller ausgelaugt hat. Ein großer Fehler, ich hoffe, das leuchtet ein. Wir werden hier so einiges ändern müssen, fürchte ich. Und ich fürchte, das wird nicht leicht werden.“

„Du hast mich an deiner Seite. Und ich glaube, mindestens mal die meisten Bauern, wenn nicht sogar alle. Viele haben schon vor Jahren gesagt, dass das der falsche Weg ist. Aber nachdem einige deswegen im Kerker gelandet sind halten die lieber still.“

„Im Kerker? Sag mal, geht es noch? Ich glaube, heute Abend wird es ein gewaltiges Donnerwetter geben. Kannst du herausfinden, wer wegen Widerworten alles im Kerker sitzt?“

„Das habe ich bereits heimlich getan“ meinte Léofward leise. „Aber sieh dich vor, viele der Verwalter sind schon eine kleine Ewigkeit hier.“

„Und wenn sie gegen mich rebellieren, dann können sie für die nächste kleine Ewigkeit die freiwerdenden Plätze im Kerker einnehmen“ knurrte Roderic. „Dann werde ich dem König Anklagen wegen Verrats schicken. Genau das ist es nämlich, wenn man die Lebensmittelversorgung der Hauptstadt sabotiert, nichts anderes ist es, was sie gemacht haben. Das werde ich diesen feinen Herren nachher gleich mal klarmachen, und wer nachher nicht spurt, der brummt. Im Kerker natürlich.“

„Na, du gehst aber gleich ordentlich zur Sache“ grinste Léofward. „Glaube mir eines: so einen haben wir hier lange vermißt!“

Es war sechs Uhr, und die Methalle füllte sich langsam. Roderic war schon seit einer halben Stunde da und betrachtete die Gesichter der Eintretenden genau. Manche waren abgehärmt, ganz so als ob sie lange Zeiten der Not erdulden mussten, anderen sah man aber die gute Ernährung und ein Leben im Überfluss an. Und von letzteren waren längst nicht alle pünktlich. Um halb sieben platzte Roderic der Kragen.

„Wachen! Verschließt die Eingangstür! Wer jetzt noch nicht in der Methalle ist verliert seine Stelle als Verwalter und muss mit dem leben, was wir hier beschließen!“

So geschah es, und Roderic erhob seine Stimme. „Ihr Damen und Herren von Grimslade, ich bin Roderic Céorlred, Vierter Marschall der Riddermark und von König Éomer beauftragt, die Lande und Güter von Grimslade in seinem Namen zu verwalten. Die Gründe für einen Verwalter aus Edoras liegen klar auf der Hand: von Jahr zu Jahr werden weniger Güter in die Hauptstadt geschickt, und der König will dem auf den Grund gehen. Einiges habe ich heute bei einer ersten Begehung schon gesehen.“ Dann las der Hobbit eine lange Liste an Mängeln vor, die ihm aufgefallen waren.

„So, das war es – fürs Erste. Was haben die einzelnen Verwalter dazu zu sagen?“

Es herrschte betretenes Schweigen im Saal. „Céorlred, die für die Wohnhäuser und den Landbau Zuständigen sind nicht im Saal“ meinte Léofward leise.

„Ich höre, dass die zuständigen Verwalter nichts zu sagen haben, weil sie dieser für sie offenbar unwichtigen Veranstaltung ferngeblieben sind. Wachen, findet heraus, wo sie sind und bringt sie her! Ich nenne so etwas Verrat. Und zwar Verrat am eigenen Volk!“

Es dauerte einige Zeit, bis die Verwalter in die Methalle kamen. Und keiner von ihnen tat das freiwillig. Die Wachen hatten alle Hände voll zu tun, und Roderic wurde immer ungehaltener.

„Ihr habt hier nichts zu sagen, Marschall! Das hier sind die Güter von Grimbold, und wir sind seine Verwalter. Was Ihr macht ist gegen jedes Recht!“

„Grimbold ist schon länger gefallen, wie Ihr sehr wohl wißt. Er hatte keinen Erben, damit sind die Güter wieder an den König gefallen. Ich bin von König Éomer persönlich beauftragt worden, mich um seine Güter zu kümmern, und was ich hier vorfinde wird ihn nicht gerade freundlich stimmen. Das, was ich hier vorgefunden habe läßt sich mit einem Wort umschreiben: Verrat. Und wegen Verrats am König setze ich Euch hiermit fest. Wachen! Führt sie in den Kerker!“

Die Wachen führten sie ab, und Roderic ließ die zu Unrecht festgesetzten Bauern aus den Verliesen holen. Als nächstes wurde das einfache Volk von Grimslade in die Methalle gerufen, wo Roderic bekanntgab, dass es die Trennung zwischen Verwaltern und einfachem Volk ab sofort nicht mehr gibt. „Das hat es in Rohan vorher nie gegeben und das soll auch jetzt so nicht sein“ sagte er. Die Bauern staunten nicht schlecht, als sie die lange vermißten Gefangenen in der Halle stehen sahen. Laute Hochrufe brandeten auf, als Roderic bekannt gab, dass sie ab sofort frei seien. „Es gibt in den Gesetzen des Königs kein Verbrechen, dessen ihr euch schuldig gemacht habt. Aus diesem Grund könnt ihr ab sofort als Freie diese Halle verlassen.“

„Du meine Güte, du hast ja mal gewaltig aufgeräumt“ staunte Léofric. Die letzten Grimsladener hatten die Methalle verlassen, und Roderic war ermattet in seinen Sitz gesunken. „Dass du so schnell mit den Verwaltern gebrochen hast hätte ich nicht gedacht.“

„Die haben damit gerechnet, dass ich erst einmal zaudern und mir eine Zeitlang die Verhältnisse hier anschauen würde. Das hätte denen Zeit zum Handeln gegeben und ich wäre genau so schnell gescheitert wie meine Vorgänger. Nein, ich wußte, ich würde sofort handeln müssen. Das war mir mit dem Moment meiner Ankunft schon klar. Nur wird die Zeit weisen, ob ich damit richtig liege oder ob ich auch scheitern werde. Nun, ich habe es dann wenigstens versucht.“

„Einen Unterschied zu deinen Vorgängern gibt es: du hast mit diesem schlimmen Unrecht aufgeräumt, unter dem die Menschen hier gelitten haben. Hast du den Jubel gehört, mit dem die Leute dich hier heute Abend verabschiedet haben? Das hatten deine Vorgänger nicht.“

„Ja, sicher. Trotzdem muss ich den König alsbald über das Vorgefallene in Kenntnis setzen. Und dafür muss ich einen zuverlässigen Boten noch heute nach Edoras schicken. Einen, auf den ich mich absolut verlassen kann.“ Er sah Léofward an.

„Ich werde eilen, wenn du das meinst. Und wenn ich heute Nacht noch aufbrechen muss, dann mache ich das.“

Roderic hatte seinen Brief an den König rasch verfaßt, und Léofward war noch in der gleichen Stunde aufgebrochen. Jetzt galt es, abzuwarten wie der König über seine raschen Taten urteilen würde. „Na, entweder bin ich in einer Woche auf dem Grünweg und kann mich in Rohan nicht mehr blicken lassen oder ich bin in zehn Jahren noch hier.“ Achselzuckend ging Roderic in sein Gemach.

Rezensionen