Arda Fanfiction

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Sul Lomin - die geheimnisvolle Schatzkarte

von Celebne

Gandalf

Eine Woche später nach der Entdeckung der geheimnisvollen Leiche im Weißen Turm traf Gandalf in der Weißen Stadt ein. Der Zauberer war sehr gespannt, warum Denethor nach ihm hatte schicken lassen. Normalerweise kam das recht selten vor, denn dem Truchseß war es eigentlich lieber, wenn Gandalf weit weg von Gondor war. Seiner Meinung nach übte der Istari einen schlechten Einfluß auf seinen jüngsten Sohn Faramir aus .
Der graue Zauberer übergab sein Pferd dem Stallmeister im sechsten Festungsring und bewältigte dann zu Fuß den Weg zur Zitadelle hinauf. Die Wachsoldaten grüßten Gandalf, denn sie kannten ihn alle recht gut. Die Bediensteten öffneten für ihn das Portal der Veste und rasch trat der Zauberer ein. Es war selbst für ihn immer ein besonderer Augenblick, wenn er die erhabene Halle der Könige betrat. Denethor wartete bereits auf ihn. Er ließ sich jedoch seine Aufregung und Neugier äußerlich nicht anmerken.

Gandalf verneigte sich höflich vor dem Herrn Gondors und sprach eine Grußformel.
„Ihr werdet Euch gewundert haben, dass ich Euch rufen ließ, Mithrandir“, begann Denethor sofort ohne Umschweife. „Es ist etwas Merkwürdiges geschehen und Ihr seid eigentlich der Einzige, der von dieser ganzen Sache etwas wissen könnte.“
„Ich werde versuchen Euch zu helfen, soweit ich kann“, erwiderte Gandalf bescheiden.
Denethor erhob sich von seinem dunklen Stuhl und geleitete den Zauberer in eines der Nebengebäude der Zitadelle.
Dort lag der mumifizierte Tote aufgebahrt in seinen zerfallenen Gewändern. Der Truchseß berichtete dem Zauberer, dass man die Leiche durch die zufällige Entdeckung einer Geheimkammer in den Kellergewölben des Weißen Turmes entdeckt hatte. Er verschwieg jedoch, dass Faramir den Toten gefunden hatte, denn der Zauberer, welcher dem Jungen stets freundlich gesinnt war, sollte nicht wissen, dass der Junge derart hart bestraft worden war.
Der Zauberer hatte bereits oft genug heftige Diskussionen mit dem Truchseß wegen Faramirs allzu strenger Erziehung geführt.

Gandalf betrachtete den Toten neugierig. Das Gesicht des Mannes war weitgehend skelettiert. Auf dem Kopf befand sich noch ein dunkler Haarbüschel. Er konnte sehen, dass das vermoderte Gewand einst kostbare Bordüren gehabt hatte. Und plötzlich war die Erinnerung wieder da! Er wusste, welcher Mann das gewesen war, der ein solches Gewand getragen hatte.
„Sein Name war Grithnir und er war der oberste Ratgeber Cirions“, sagte der Zauberer leise.
„Hattet Ihr ihn persönlich gekannt?“ fragte Denethor neugierig.
„Natürlich!“ sagte Gandalf fast ein wenig empört. „Ich weile bereits viele Menschenalter auf Arda, auch wenn man es mir nicht ansieht. Oft war ich an Cirions Hofe. Ich gab ihm auch den Rat, sich mit Eorl und seinen Kriegern zu verbünden. Und ich war auch derjenige, der Cirion überredete, den Verbündeten aus dem Norden das Lehen Calenhadhon, welches jetzt Rohan heißt, zu schenken. Cirion war ein edler Mann, doch ein schwacher Herrscher, der sich viel von seinen Ratgebern beeinflussen ließ. In den Geschichtsbüchern wird er als bester Truchseß beschrieben, den Gondor jemals hatte, das ist jedoch falsch!“
„Was erlaubt Ihr Euch!“ stieß Denethor empört hervor. „Die Geschichtsschreiber haben immer Recht.“
„Ach ja?“ machte Gandalf zynisch und stemmte die Hände in die Hüften. „Euere Schreiber haben Cirions Taten erst hundert Jahre nach seinem Ableben aufgeschrieben, und – soviel ich weiß- ziemlich unvollständig. Ich habe Cirions Herrschaft miterlebt. Mir liegt nichts daran, Euere Vorfahren schlecht zu machen. Was hätte ich davon für einen Nutzen?“
„Fahrt nun fort mit Eueren Erzählungen über Cirion und Grithnir“, bat Denethor nun etwas kleinlauter.

„Grithnir ging von Anfang an eigene Wege“, erzählte Gandalf weiter. „Er trachtete nach dem Quell der ewigen Weisheit. Er wollte seinen Herrn übertrumpfen und die Macht in Gondor an sich reißen. Grithnir hatte von Aules berühmten Kelch gehört und er wollte ihn unbedingt finden. Er hatte fast alle Gelehrten Gondors auf seiner Seite und alle halfen sie ihm den Kelch zu suchen. Doch niemals wurde dieser Schatz je gefunden. Vielleicht ist er auch nur eine Legende. Mir selbst ist es nicht bekannt, ob er je existiert hat. Nach einem heftigen Streit mit Cirion verschwand Grithnir eines Tages wie vom Erdboden verschluckt. Niemals wurde er in Gondor mehr gesehen. Viele glaubten, dass er verbittert in den Norden gegangen sei. Doch nun weiß ich es besser. Er wurde im Weißen Turm eingemauert.“
Denethor schluckte, als er das hörte. Das klang nach einer Hinrichtung! In der Altvorderen-Zeit war es oft üblich gewesen, Männer lebendig zu begraben, die Hochverrat begangen hatten.
„Ich würde mir gerne einmal diese geheime Kammer ansehen“, meinte Gandalf eifrig. „Vielleicht finde ich dort noch mehr Hinweise, zum Beispiel auf diesen Kelch.“
„Das könnt Ihr gerne tun“, erwiderte Denethor nachdenklich.
Er lief dem Zauberer nach, als dieser zum Weißen Turm ging. Die Geschichte von Aules Kelch hatte ihn schrecklich neugierig gemacht. Er mußte unbedingt mehr darüber erfahren.

Unterwegs begegneten die beiden Männer Faramir. Der Junge war ungewöhnlich blaß und schweigsam. Doch als er Gandalf erblickte, hellte sich sein Gesicht auf.
„Mithrandir, ich grüße Euch!“ rief er erfreut aus.
Der Zauberer legte lächelnd seine Hände auf Faramirs Schultern.
„Du bist beachtlich gewachsen, mein Junge. Allerdings sehe ich in deinen Augen, dass dich etwas sehr beunruhigt.“
„Mit Faramir ist alles in Ordnung“, unterbrach Denethor den Zauberer ärgerlich. „Komm, Sohn, geh zu deinen Studien zurück!“
Der Junge gehorchte seinen Vater sofort und eilte davon. Gandalf sah ihm kopfschüttelnd nach. Er verstand Denethor einfach nicht, warum er Faramir so streng erzog. Ein Kind, das so sensibel war wie Faramir, brauchte eigentlich viel Liebe und keine harte Hand. Denethor hatte inzwischen den Weißen Turm erreicht und sperrte diesen auf. Er nahm eine der Lampen, die seit dem Fund des Toten dort bereitstanden und entzündete das Öl darin. Gandalf folgte dem Truchseß in den Keller hinab. Denethor stellte die Lampe auf einem Tisch ab und zeigte auf die inzwischen große Öffnung in der Wand.

„Dort in der zugemauerten Kammer wurde Grithnir gefunden“, erklärte er.
Gandalf stieg durch das Loch in den anderen Raum. Mit seinem Stab gelang es ihm die ganze Kammer hell zu erleuchten. Denethor sah ihm staunend zu.
„Auf diesen Stuhl hat der Tote gesessen“, fuhr der Truchseß fort und schob die morsche Sitzgelegenheit zu Gandalf hin.
Der Zauberer interessierte sich aber nicht sonderlich dafür, sondern suchte weiter den Raum ab. Er entdeckte einige Überreste von Speisen und Getränken. Offensichtlich wollte man Grithnir noch eine Zeitlang am Leben lassen. Oder hatte sich der scharfsinnige Berater am Ende selbst einmauern lassen? Gandalf fand einige staubige Bücher und Reste von Kerzen. Er blätterte in den Büchern herum, die ihm fast unter den Händen zerfielen, und warf sie schließlich ärgerlich beiseite.
„Wer hat diese Geheimkammer gefunden?“ fragte er streng.
Der Truchseß senkte plötzlich den Blick und gab eine ausweichende Antwort.
„Das ist jetzt nicht so wichtig. Hauptsache, sie wurde gefunden.“
„Ich muß es wissen, denn derjenige könnte noch mehr wissen“, forderte der Zauberer unnachgiebig.
Denethor aber ging schweigend wieder zurück in den Hauptraum. Er sah Faramirs Zundersteine noch auf einem der Tische, wo auch die Kerzen herumlagen, und steckte sie heimlich ein, doch der Istari sah dies. Hatte der Truchseß etwa jemanden da unten einsperren lassen? Ein schlimmer Verdacht kam ihn.

„Hat Faramir etwa diese Kammer entdeckt?“ fragte er den Truchseß mitten ins Gesicht.
Denethor konnte dem Blick des Zauberers nicht standhalten und er schlug die Augen nieder.
„Mein jüngster Sohn war sehr ungehorsam. Ihr kennt Faramir kaum, Mithrandir. Er ist faul und liederlich. Er vernachlässigt ständig seine Studien und träumt vor sich hin. Ich wünsche mir oft, meine verblichene Gattin hätte mir statt ihm eine Tochter geschenkt. Einem Mädchen kann man Träumereien und Hirngespinste noch eher verzeihen.“
Gandalf lief rot an vor Wut, als er das hörte. Wie konnte Denethor den kleinen Faramir so sehr verachten! Der Junge war hochbegabt und überaus klug – viel mehr als sein Bruder Boromir, der nur in der Waffenkunst glänzte. Faramir würde einen durchaus fähigen Gelehrten abgeben, zum Kriegertum war er womöglich nicht geschaffen. Aber der Zauberer wusste, dass Faramir eines Tages ein Heerführer Gondors sein würde, wie alle anderen Truchsesssöhne vor ihm auch. Das würde ihm niemand ersparen können.
„Ich muß mit Faramir sprechen“, sagte der Istari mit mühsam beherrschter Stimme. „Er weiß vielleicht mehr, als Ihr ahnt.“


Faramir saß unterdessen in seinem Gemach und starrte zum wiederholten Male auf die Schatzkarte. Er mußte eine günstige Gelegenheit abwarten, um den Zauberer in sein Geheimnis einzuweihen. Der Junge war froh, dass seine Studien heute ausfielen, denn der Gelehrte war krank geworden. Da es Faramir ein wenig langweilig war, beschloß er den Kelch der Weisheit zu malen. Er nahm einen Kohlestift und begann zu zeichnen.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Denethor kam hereingestürmt. Hinter ihm kam Gandalf.
„Was weißt du von dem Kelch, Faramir?“ fragte der Truchseß erzürnt.
Der Junge versuchte vergeblich, seine angefangene Zeichnung zu verbergen.
Doch Denethor packte grob den Arm seines Sohnes, den dieser hinter dem Rücken versteckt hatte. In der Hand hielt Faramir das Papier mit der Kelchzeichnung. Bevor der Truchseß sich die Zeichnung nehme konnte, schnappte der Zauberer sie sich.
„Das hast du sehr hübsch gemalt, mein Junge“sagte Gandalf freundlich.
Der verängstigte Junge wurde etwas ruhiger, während Denethors Gesicht jedoch finster blieb.
„Was versteckst du vor mir, Faramir?“ fragte der Truchseß barsch.
Faramir blickte seinen Vater an wie ein Tier, das in die Enge getrieben wurde. Er presste seinen schmalen Körper noch tiefer in den Stuhl und begann heftig zu zittern.
„Das ist der falsche Weg“, sagte der Zauberer ungehalten zu Denethor und schob ihn beiseite.
„Dann bin ich mal gespannt, ob Ihr etwas aus diesem Stockfisch herausbringt!“ rief der Truchseß gereizt und schlug mit der Faust auf Faramirs Schreibpult.
Der Junge zuckte zusammen.

Gandalf ging jetzt in die Hocke und lächelte den Truchsesssohn aufmunternd an.
„Faramir, es ist wichtig, dass du uns das gibst, was du eventuell bei dem Toten gefunden hast“, sagte er mit sanfter Stimme. „Es geht hier um einen sehr wertvollen Schatz.“
„Ich wollte Euch sowieso fragen, Mithrandir, ob Ihr mir das übersetzen könnt“, sagte Faramir leise und öffnete seine Schreibtischschublade.
Er zog das uralte Pergament und das Stück Leder heraus.  Denethor beugte seinen Kopf darüber.
„Das ist Quenya!“ stieß er hervor. „Wer kann das übersetzen?“
„Ich kann es“, erwiderte Gandalf mit ruhiger Stimme und erhob sich wieder.
Denethor nahm sich die lederne Karte und er betrachtete sie aufgeregt.
„Das ist ein richtiger Lageplan, eine Landkarte, die zu Aules Kelch hinführt“, meinte er begeistert.
Gandalf nahm ihm einfach das Stück Leder aus der Hand.

„Das ist alles Unsinn!“ sagte er kopfschüttelnd und fuhr mit seiner Hand über die Zeichnung. „Der Methedras ist ein riesiger Berg und das Kreuz zeigt uns nicht, wo der Schatz genau verborgen ist. Nur ein Narr würde sich auf den Weg machen und geradewegs dorthin reisen. Er würde im tiefen Schnee stecken bleiben und nichts finden. Der Kelch liegt nicht einfach dort auf dem Weg. Er ist irgendwo in den Tiefen des Berges verborgen, fürchte ich. Grithnir hätte sich den Kelch geholt, wenn er  genau gewusst hätte, an welcher Stelle des Methedras er zu suchen hätte. Und anscheinend war er der Meinung, wenn er den Kelch nicht findet, soll ihn niemand haben. Dieses Geheimnis wollte er für alle Zeiten mit ins Grab nehmen. Aber das ist ihm zum Glück nicht gelungen!“
„Wenn ich einige Jahre jünger wäre, würde ich mich auf die Suche machen“, flüsterte Denethor und die Gier leuchtete dabei in seinen Augen.
„Zuerst einmal will ich diesen Quenya-Text in Ruhe übersetzen“, sagte Gandalf streng. „Das will ich hier in Faramirs Gemach tun.“
„Dann komm mit!“ wies Denethor seinen Sohn barsch an.
„Nein, Faramir soll hier bei mir bleiben“, erwiderte Zauberer.
Der Truchseß sah Gandalf wütend an und winkte dann verächtlich ab.
„Macht, was Ihr wollt, aber übersetzt mir dieses Ding so bald wie möglich!“

Faramir stand sofort auf und machte dem Zauberer höflich Platz an seinem Schreibpult.
„Braucht Ihr auch etwas zu schreiben, Mithrandir?“ fragte er aufmerksam.
„Vielen Dank, mein Junge“, sagte Gandalf freundlich. „Aber mir genügt die Feder hier zum Schreiben.“
Faramir setzte sich leise auf einem Stuhl unter dem Fenster. Er blickte ziemlich betrübt drein und seufzte auf.
„Was hast du denn?“ wollte der Zauberer besorgt wissen.
„Vater wird mich bestrafen, weil ich ihm diese Karte so lange vorenthalten habe“, meinte der Junge bedrückt. „Aber ich habe sie doch gefunden und ein Recht darauf, sie zu besitzen!“
„Natürlich hast du das, mein Junge“, sagte Gandalf lächelnd. „Aber sei getrost: im Moment ist dein Vater viel zu aufgeregt wegen dieses Textes, um an eine Strafe zu denken.“
Der Junge nickte schweigend und sah nun stumm zu, wie der Zauberer Wort für Wort auf dem Pergament übersetzte. Als er fertig war, murmelte er etwas unverständliches vor sich hin. Wieder und wieder las er sich den Text durch und runzelte die Stirn.
„Komm, Faramir, wir gehen jetzt zu deinem Vater“, meinte er schließlich aufmunternd zu dem Knaben. „Wir wollen nun endlich seine Neugier befriedigen, aber ich fürchte, er wird nicht so sehr begeistert sein.“

Denethor wartete bereits ungeduldig in seiner Amtsstube. Boromir befand sich bei ihm. Immer wieder ließ der Truchseß neue Schimpftiraden über Gandalf und Faramir los. Boromir konnte es schon nicht mehr hören.
Doch schließlich klopfte es an der Tür.
Der Zauberer trat mit dem Jungen im Schlepptau ein und blieb vor Denethors riesigen Schreibpult stehen.
„Nun, Mithrandir, was habt Ihr herausgefunden?“ fragte der Truchseß gereizt.
„Es handelt sich bei ‚Sûl Lomin’ um ein Gedicht“, erklärte Gandalf gelassen. „Ich will Euch die Übersetzung vortragen:

Der Kelch der Weisheit


Vor vielen Zeitaltern, als die Valar noch in diesen Gefilden wandelten,
und die erstgeborenen Kinder Iluvatars ihre Augen öffneten,
schuf Aule das Volk der Naugrim, doch deren Zeit war noch nicht gekommen.
Voll Ungeduld erwartete er auf die Ankunft der jüngeren Kinder und so formte
er den Kelch der Weisheit aus güldener Rinde, in der Hoffnung ihn den Menschen
eines Tages überreichen zu können.
Dieser Kelch verleiht seinem Besitzer Weisheit und Macht,
denn Aule wollte, dass die jüngeren Kinder auf diese Weise den Lockungen Morgoths besser widerstehen könnten.
Doch der Böse bekam rasch Kunde von dem Kelch und er versuchte, Aule diesen zu entreißen,
bevor die jüngeren Kinder erwachten.
Aule verbarg den Kelch unter dem Altar des Schattens und umgab ihn mit einem mächtigen Schutz, den nur ein reines Herz überwinden kann.
Er schuf die Karte, die den Wanderer zu dem mächtigen Berg geleiten soll.
Doch soll die Suche nur derjenige antreten, welcher auch die Karte gefunden hat.
Ansonsten geht ein uralter Fluch in Erfüllung.


„Was, das soll alles sein?“ stieß Denethor ärgerlich hervor. „Das ergibt für mich alles keinen Sinn! Wer sagt mir denn, dass der Kelch inzwischen nicht schon gefunden wurde?“
„Lest es Euch selbst durch und Ihr werdet merken, dass es kein Unsinn ist“, erklärte Gandalf ungehalten. „Derjenige, der seinerzeit den Kelch versteckt hat, aus welchem Grund auch immer, wollte nicht, dass er so leicht gefunden wird. Selbst ich wusste davon kaum bis heute. Das Wissen um den Kelch scheint schon ziemlich früh verloren gegangen zu sein. Vermutlich ist das auch Morgoths Werk, der wahrscheinlich nicht wollte, dass jemand den Kelch findet.“
Inzwischen war Faramir neugierig an den Tisch herangetreten und verglich die lederne Landkarte mit Gandalfs Übersetzung.
„Wie soll diese Karte den Wanderer leiten, wenn man aus ihr fast nichts lesen kann?“ fragte er plötzlich  mit seiner hellen Stimme.
„Das ist richtig, mein Junge“, sagte der Zauberer sanft. „Es muß noch eine andere Karte geben, fürchte ich. Aber mehr hast du ja nicht dort unten gefunden, oder?“
Alle blickten Faramir erwartungsvoll an.

„Nein, ich habe wirklich nicht mehr gefunden“, erklärte dieser mit fester Stimme. „Ich schwöre es.“
„Am besten, ich schicke Boromir los, dass er nach diesem Kelch sucht“, meinte Denethor grübelnd. „Er hat mich noch nie enttäuscht.“
„Boromir ist noch ein halbes Kind, mein Herr“, sagte Gandalf kopfschüttelnd und tippte mit dem Zeigefinger auf die letzten Zeilen der Übersetzung. „Da steht geschrieben, wer den Schatz heben soll.“
„Doch nicht etwa Faramir!“ sagte der Truchseß halb belustigt, halb verärgert. „Er ist  ja erst recht ein Kind, und dazu ein unnützes.“
„In einigen Jahren wird das anders aussehen“, erklärte der Zauberer streng. „So lange werde ich  gewiß brauchen, um mir Klarheit über den Ort des Schatzes zu verschaffen, denn der Altar des Schattens und der Methedras sind nicht ein und derselbe Berg. Der „Altar des Schattens“ ist der Berg Bunduschatûr. Ich werde in ganz Mittelerde herumreisen und die Weisesten der Weisen befragen müssen. Allerdings habe ich auch noch andere Geschäfte zu erledigen, deswegen wird das alles dauern. Ob der Kelch jetzt oder in zehn Jahren gehoben wird, ist völlig gleich. Ihr werdet warten müssen, bis ich zurückkomme. Die Karte und den Text nehme ich mit, falls es erlaubt ist.“
Denethor hatte keine andere Wahl: er mußte grollend nachgeben. Es lag ihm viel daran, diesen Kelch in die Hände zu bekommen, denn er vermutete, dass dieser Kelch nicht nur Weisheit, sondern womöglich auch Unsterblichkeit verlieh.

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