Arda Fanfiction

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Schattenland

von Lalaith21

Zu früh

Lager der Waldelben, irgendwo vor dem Morannon, 3434, Zweites Zeitalter

 

Obwohl die glänzende, mit Runen und Ornamenten beschlagene Rüstung leicht und beweglich an seinen Körper angepasst geschmiedet worden ist, fühlt es sich zunehmend so an, als würde sie Thranduil immer tiefer in einen bodenlosen Abgrund ziehen.

 

Wie gerne hätte er sich ihrer entledigt, das Dunkel dieses Landes hinter sich gelassen, Blätter und Gras unter seinen Fingerspitzen gespürt und die frische Luft der Wälder eingeatmet … Fast ist es so, als hätte er vergessen, wie sich der lauwarme Wind anfühlt, der nun, im Spätsommer, um die Bäume seiner Heimat streicht, seine Wangen kühlt, sich in seinem Haar verfängt. 

 

Doch die Heimat liegt fern; und der Schrecken der Welt ist nah.

 

Laute Rufe reißen Thranduil aus seinen Gedanken und er besinnt sich zurück auf die Gegenwart, das in Hast errichtete Zelt, das man für ihn, den Prinzen, inmitten eines riesigen Feldlagers aufgeschlagen hat. Seit Tagen besteht ihre einzige Beschäftigung darin, zu warten und dabei nicht die Hoffnung und den Mut zu verlieren.

 

Tage … oder sind es Wochen? Er weiß es nicht mehr, erinnert sich bloß verschwommen an den Abschied vom Großen Grünwald, an die Tränen jener, die zurückgelassen wurden. Nur die Gesichter der Soldaten kann er klar vor seinem inneren Auge sehen, das unausgesprochene Grauen und die Furcht, die sie trotz all ihrer Liebe für ihr Land, ihren König und das Gute befällt, je näher sie dem Schattenland kommen. Und nun, nach einem langwierigen Marsch, sind sie da, inmitten dieser Ödnis aus brachliegendem Boden, schwerer Luft und Dämmerung, die sich selbst bei Tage nie vollständig zurückzuziehen scheint. Sie warten auf die Ankunft Gil-galads und ein Zeichen, endlich vorzurücken und dem bösen Abschaum die Stirn zu bieten. Irgendwo in der Schwärze vor ihnen lauert das Grauen, und dessen Gier nach Vernichtung scheint bereits jetzt zum Greifen nahe.

 

Die Rufe vor dem Zelt werden lauter, von fern dringt das Geräusch in Eile gepackter Schwerter und Speere an seine Ohren, Pferde wiehern, Hufe donnern. Irgendwo tönt ein Horn mit vollen, lauten Stößen. Noch einen kurzen Moment, so beschließt Thranduil, das eigentümliche Signal missachtend; noch einen Moment wird er verweilen und die dünnen Zeltwände zu den Rändern seiner eigenen Welt machen, in die kein Ork, kein Schattenland und kein dunkler Herrscher eindringen kann. Zumindest jetzt noch nicht. Selbst Môrgalad, der in diesen Zeiten des Schreckens nur selten von der Seite seines Freundes und Herrn gewichen ist, hat sich aufgemacht, um im Lager nach dem Rechten zu sehen und bei seiner Kompanie zu verweilen. Obwohl der Prinz das lebensfrohe Gemüt seines Freundes gern an seiner Seite weiß, fühlt er sich dennoch wohl in der Stille und dem Schweigen seines eigenen kleinen Reiches.

 

Schließlich richtet Thranduil sich langsam auf seinem Lager auf, seine Hände graben sich in das weiche Fell, das ihm als unmittelbare schlichte Liegestatt dient. Auch der Rest des Zelts ist nur spärlich eingerichtet. Neben zwei Kohlebecken, deren Glut die Umgebung in rötliches Licht taucht, sind eine reich verzierte hölzerne Truhe mit seiner Habe und ein kleiner Tisch mit einem Krug voll Dorwinion und einem Teller mit Speisen die einzigen Gegenstände in seinem näheren Umfeld. Neben dem Zelteingang befinden sich außerdem ein nun leerer Holzständer für die Rüstung und seine Waffen, ausgebreitet auf einem Tuch. 

 

Der Blick des Prinzen bleibt an seinem leicht geschwungenen, schimmernden Langschwert hängen und schweift über die Runen, die im schwachen Schein der Glut die königliche Herkunft seines Trägers ausweisen. 

 

Aegnor, Flamme des Waldes, unbezähmbar und unbarmherzig gegen seine Feinde, kalt und glitzernd wie ein Wintermorgen. Obwohl Thranduil das Schwert hervorragend zu führen weiß und dies in längst vergangenen Tagen und den wenigen Scharmützeln, die den Weg des Heeres vor die Tore Mordors gesäumt haben, bewiesen hat, wagt er nicht daran zu denken, durch welch dunkle Stunden diese Klinge ihn noch begleiten wird.

 

An jedem einzelnen Morgen, seit sie in diesen Landen ihr Lager aufgeschlagen haben, ist Thranduil auf den Beinen und an der Seite des Königs gewesen; rasch zur Hand mit Unterstützung oder tatkräftiger Hilfe für die Soldaten andernorts im Lager. Hilfe, die sein Vater in Anbetracht dringlicherer Angelegenheiten nicht bieten kann. Immerhin gilt es ein Heer zu führen, den Kampfgeist und Willen zum Sieg zu stärken und aufrecht zu erhalten, die nächsten Schritte zu planen und raschen, sicheren Kontakt zu Gil-galad zu halten, dessen Heer noch viele Wegstunden zurückliegt … 

 

Erneut dringt das eigentümliche Hornsignal an seine Ohren, drängender als zuvor. Sein Klang überspannt das gesamte Lager, weckt eilige Rufe und Waffengeklirr, und wäre des Prinzen Kenntnis der weiteren Vorgehensweise seines Vaters nicht so sicher gewesen, hätte er das Signal als Zeichen zum Aufbruch gedeutet, als  Vorbote des unmittelbaren Kampfes … doch das kann nicht sein … 

 

In einer fließenden Bewegung erhebt Thranduil sich von seinem Lager, und wo noch vor wenigen Augenblicken Ruhe geherrscht hat, beginnt nun ein Sturm der Beunruhigung in seinem Inneren zu erwachen. Seine kleine, vor dem Grauen Mordors abgeschirmte Welt verblasst, als er das Zelt verlässt und hinaus in die sich kaum lichtende Dunkelheit tritt. Die Schatten wirken länger und finstrer als noch vor wenigen Stunden, und überall im Feldlager der Waldelben prasseln Feuer in kleinen Eisenkörben, um die Trostlosigkeit zu vertreiben. 

 

Die in die Luft stiebenden Funken vermischen sich mit dem schwarzen, nebligen Dunst, der diesem Ödland zu eigen ist und tauchen die Umgebung in merkwürdig verschwommenes Zwielicht, als Thranduil sich zielstrebig seinen Weg durch die Reihen aus kleineren Zelten und Lagerstätten bahnt. Eine Vielzahl von Elben begegnet ihm, sie verneigen sich bei seinem Anblick hastig und eilen schließlich alle in Richtung Truppensammelplatz davon. 

 

Noch ehe der Königssohn Zeit hat, sich darüber zu wundern, entdeckt er inmitten all der Soldaten Môrgalad, der in voller Rüstung eilig auf ihn zuläuft. In seiner Hand hält er bereits sein Langschwert, seinen Helm hat er achtlos unter den Arm geklemmt. Ohne Frage, er ist gerüstet für den Kampf, und die Unruhe in Thranduils Herz erwacht von neuem. 

 

„Môrgalad! Was hat das zu bedeuten? Wohin gehen sie?“

 

Obwohl Môrgalads Gesichtszüge sonst heiter und unbekümmert erscheinen, kann Thranduil nun wenig anderes als Unsicherheit und Bestürzung in ihnen lesen.

 

„Hast du das Signal nicht gehört?“

 

„Natürlich“, erwidert der junge Prinz ungeduldig und erforscht mit zunehmender Unruhe den Blick seines Gegenübers. „Aber was soll dieser Aufruhr?“

 

Môrgalad wirft einen raschen Blick zur Seite, als sich einige andere an ihnen vorbeidrängen – fast schon scheint es, als wünsche er, sich ihnen anzuschließen und diesem Gespräch zu entkommen, mochte die Freundschaft zwischen ihm und dem Prinzen auch noch so aufrichtig sein. Schließlich neigt er den Kopf und strafft die Schultern, seine Hand umklammert den Schaft des Langschwerts.

 

„Sie rüsten auf. Alle Hauptmänner haben den Befehl, ihre Truppen drüben am Sammelplatz zusammenzuziehen, die Pferde zu bemannen und die Streitmacht aufzustellen. Dann werden wir wohl zum ersten Schlag gegen die Orks ausholen.“

 

Verwirrt hebt Thranduil eine Augenbraue, ohne auf die Kälte zu achten, die in seine Brust zu kriechen beginnt. „Meines Wissens nach liegt Gil-galad noch einige Wegstunden nördlich von uns. Sein Bote hieß uns, zu warten. Wieso sollte er –?“

 

Môrgalad hält noch immer den Blick gesenkt, und diese Geste lässt Thranduils Worte verstummen. Erneut eilt eine Vielzahl von Elben an ihnen vorbei, doch der Prinz beachtet sie nicht. Die unausgesprochene Antwort auf seine unvollendete Frage und die Kälte in seiner Brust brechen im selben Moment über ihn herein und drohen seine Selbstbeherrschung wie eine Welle davonzutragen. 

 

„Es war sein Befehl?“, verlangt er schließlich mit betont ruhiger Stimme zu wissen, obwohl es kaum nötig ist, diese Frage zu stellen. Sein Freund hat den Blick noch immer auf seine Stiefel gerichtet, seine Worte gehen in ihrem lauten Umfeld beinahe unter.

 

„Ja. Es war deines Vaters ausdrückliche Anordnung, mellon-nin.“

 

Einen Moment lang bildet der Aufruhr im Lager die einzige Geräuschkulisse, senkt sich wie ein schwerer Mantel auf Thranduil herab. Mit einem Mal scheint sich alles, was er in den letzten Wochen gefürchtet hat, zu bewahrheiten. Nur von Ferne dringt Môrgalads Stimme in seine Gedanken.„Wir mögen zwar stark sein, doch nur Eru weiß, was hinter diesem Tor auf uns wartet. Wenn wir unseren Angriff überstürzen, fürchte ich großes Unheil. Du musst ihm Einhalt gebieten, Thranduil!“

 

„Ich weiß, ich weiß“, erwidert der Prinz fahrig und lässt seinen unruhigen Blick durch das Lager schweifen. „Und doch ist es nicht an mir, Befehle nach meinem Gutdünken auszugeben und die seinen wirkungslos zu machen. Geh jetzt zu meinen Leuten und sieh zu, dass alles bereit und gerüstet ist. Ich stoße zu euch, nachdem ich mit dem König gesprochen habe.“

 

„Ich wünsche dir Glück. Kein einfaches Unterfangen ist es, das du da im Sinn hast, und doch kann es über unser aller Schicksal entscheiden“, antwortet Môrgalad, und ein schwaches Lächeln teilt seine Lippen. Thranduil erwidert es, so gut er es in seiner Unsicherheit vermag. 

 

„Darum muss ich es versuchen.“

 

Mit vollendeter Ehrerbietung verneigt Môrgalad sich vor seinem Prinzen und schließt sich rasch einer weiteren Gruppe von Soldaten an, die in Richtung Sammelplatz laufen. 

 

Thranduil bleibt zurück, und nun brandet die Gegenwart vollends über ihn hinweg. Die Geräusche des aufkommenden Krieges schmerzen in seinen Ohren, ebenso wie das Unverständnis, das er seit den Worten seines Freundes in seinem Herzen empfindet. Wie von selbst beginnen seine Beine ihn zu tragen, fort von diesem Ort und gegen den Strom von heraneilenden Soldaten tiefer in das Feldlager hinein, bis er zu einem großen Zelt gelangt, das dem König und seinen Hauptmännern als Ort der Zusammenkunft und in weiterer Folge dem Treffen von Entscheidungen dient. 

 

Entscheidungen wie dieser. 

 

Er kann nicht umhin sich zu fragen, wieso sein Vater sie im Alleingang getroffen hat, doch tief in seinem Inneren muss er sich eingestehen, die Antwort längst zu kennen. Wenn es darauf ankommt, vertraut Oropher, König der Waldelben, nur auf sein eigenes Urteil – so ist es immer gewesen, und so wird es auch immer sein. Daran können wie schon so häufig auch seine Ratgeber nichts ändern, und schon gar nicht sein eigener Sohn, dessen Zweifel der König von Anbeginn dieser Reise gespürt haben muss.

 

Wie schon an jenem verregneten Tag an den Hängen des Grünwaldes klammert sich etwas Kaltes um Thranduils Brust und zerrt an ihm, als er tief durchatmend die Hand nach der Zeltplane ausstreckt, sie in einer hektischen Bewegung zurückschlägt und das Zelt betritt. 

 

Im dämmrigen Halbdunkel, das von der Glut in einem ausladenden Kohlebecken durchdrungen wird, kann er seinen Vater sofort entdecken – beide Hände auf der Platte eines provisorisch errichteten Tisches abgestützt hat er Karten, Waffenauflistungen und Truppenstärken studiert und in seinem Kopf für den bevorstehenden Kampf zu einer Strategie zusammengefügt. Seine reich verzierte Rüstung schimmert im Zwielicht, ebenso wie der einfache Stirnreif aus silber- und rotgoldgetriebenen Blättern, der anstelle der Waldlandkrone nun auf seinem edlen Haupt sitzt. Als er das Rascheln der Zeltplane vernimmt, sieht er auf; keineswegs überrascht, so als hätte er ihn erwartet. 

 

„Thranduil –“

 

„Was hast du getan?“, unterbricht der Jüngere ihn schärfer als beabsichtigt und tritt raschen Schrittes näher. Er hat alles vergessen – alle Regeln, alle Höflichkeit, fortgeschwemmt von aufkeimendem Unmut und all dem Unverständnis und der Last des Zweifels, die er seit ihrem Aufbruch mit sich herumträgt. Mit aller Standhaftigkeit begegnet er dem eisigen Gesichtsausdruck seines Vaters, doch bevor er weitersprechen kann, vernimmt er ein leises, verlegenes Räuspern aus einer spärlich beleuchteten Ecke des Zelts. Zwei der ranghöchsten Hauptmänner des Heeres stehen dort, in voller Rüstung, den Oberkörper bei der Ankunft des Prinzen leicht nach vorne geneigt, und vermeiden es tunlichst, weder ihn noch den König direkt anzusehen. 

 

„Ihr könnt gehen.“ Orophers Stimme, begleitet von unterschwelliger Missbilligung über den ungebührlichen Auftritt seines Sohnes, richtet sich an die beiden Hauptmänner, die – ohne von ihrem König weiter beachtet zu werden – unter hastigen Verbeugungen eilig das Weite suchen. Als das Zelt bis auf Vater und Sohn leer ist, richtet Oropher sich zu seiner vollen Größe auf und wirkt dabei ehrfurchteinflößender denn je. Tatsächlich stellt sein Anblick Thranduils Standhaftigkeit auf die Probe, doch der Prinz hat nicht vor, wie üblich unter dem strengen Blick des Vaters nachzugeben. 

 

„Wie kannst du es wagen, dich vor meinen Hauptleuten so anmaßend zu verhalten?“, grollt der Elbenkönig leise und unheilverkündend. „Was soll dieser Auftritt, Thranduil? Soll man sich im Lager hinter vorgehaltener Hand darüber unterhalten?“

 

„Bald wird niemand mehr die Zeit dazu finden, adar“, erwidert Thranduil ungerührt und dem Zorn des Vaters standhaltend. „Es lässt sich schwerlich über den missratenen Prinzen sprechen, während einem die Orks das Schwert in die Kehle bohren.“ 

 

Er hat ganz zu Oropher aufgeschlossen, wie zwei feindliche Heere stehen sie einander in dem kleinen Zelt gegenüber. „Wieso ruft Ihr zur Schlacht, Herr, obwohl die Köpfe voller Zweifel und die Umstände unglücklich sind?“ Nun, da kein anderer mehr anwesend ist – und vielleicht auch, weil er die größer werdende Distanz zwischen ihnen spürt –  bereitet es ihm bittere Genugtuung, jene respektvolle Anrede zu benutzen, auf die sein Vater vor seinen Hauptleuten so viel Wert gelegt hätte. 

 

„Niemand hier zweifelt an unserer Stärke. Du bist der Einzige, in dem ich Zögern und Zweifel finde!“, entgegnet Oropher harsch und übergeht den anmaßenden Tonfall seines Sohnes, und doch glaubt Thranduil zu sehen, wie ein Schatten seinen Blick verdunkelt. „Nur wenige Meilen liegen zwischen uns und dem Morannon und die Stärke des Heeres, das Sauron zur Verteidigung vor dem Schwarzen Tor hält, scheint uns ebenbürtig. Wieso sollten wir nicht den Vorstoß wagen und den Feind in die Knie zwingen?“

 

„Weil wir nicht mit Sicherheit wissen, wie und in welcher Stärke Sauron seine Truppen hinter dem Tor aufgestellt hat. Und weil es nicht in Eurer Macht liegt, das zu entscheiden“, antwortet Thranduil ungeduldig. „Ich weiß, es gefällt Euch nicht, jemand anderes Befehl zu unterstehen, und schon gar nicht dem der Noldor. Doch Gil-galads Bote hat sich deutlich ausgedrückt, weder Ihr noch ich waren mit Taubheit geschlagen, als er die Botschaft überbrachte. Er hieß uns, zu warten!“

 

Oropher schnaubt verächtlich. „Warten! Darauf, dass Sauron den ersten Schlag ausführt, wenn wir unvorbereitet sind?“

 

„Warten auf Gil-galad, Elendil und seine Söhne. Ihr Heer ist bei weitem stärker als unseres und das wisst Ihr, auch wenn Ihr es nicht wahrhaben wollt. Sie liegen viele Wegstunden nördlich, vor dem Mittag werden sie nicht hier sein. Was soll geschehen, wenn wir nun angreifen und in Bedrängnis geraten? Wer soll uns helfen? Hört auf mich und haltet ein, denn es ist zu früh!“

 

Der König verfällt für die Dauer eines Atemzuges in tiefes Schweigen und mustert sein Gegenüber mit abschätzendem Blick, dann teilt ein schwaches, bitteres Lächeln seine Lippen. 

 

„Es schmerzt mich, dass mein einziger Sohn so töricht ist, an der Stärke seines eigenen Volkes zu zweifeln.“

 

Die Kälte dieser Worte trifft Thranduil hart, und doch findet er in seinem Inneren noch genügend Kraft und Willen, um den Vater zur Vernunft zu bringen. 

 

„Sagtet Ihr nicht einst, es wäre nicht töricht, Entscheidungen zu hinterfragen? Denn nichts Törichtes sehe ich daran, in die Zukunft zu schauen und auf die Worte jener zu hören, die genügend Weitsicht besitzen.“

 

„Und zu jenen zählst du dich also?“ 

 

Orophers zuvor gefährlich leise Stimme ist lauter geworden, bis sie auf bedrohliche Art das Zelt auszufüllen scheint. „Dich, oder gar deinen Freund Môrgalad, der stets so leichtfertig spricht, als läge alle Weisheit ihm zu Füßen? Sag mir, Thranduil – was verstehst du vom Krieg und allem, was ihm zugrunde liegt? Wie viele große Schlachten hast du an der Spitze eines Heeres ausgetragen? Wie viele deines Volkes hast du unter deiner Verantwortung sterben sehen?“ Für einen Moment scheint es, als trüge ihn die Bedeutung dieser Worte in eine andere Zeit und an einen anderen Ort, doch dann wird des Königs Blick erneut unerbittlich. „Viele Jahre magst du in Gil-galads Reich verbracht und von ihm gelernt haben, Nützliches wie Törichtes, doch erinnere dich daran, iôn-nin, dass nicht du es bist, der die Krone des Waldlandreiches trägt und das Recht besitzt, Dinge wie diese zu entscheiden.“

 

Ein leiser, verächtlicher Laut entwischt Thranduils Lippen. „Sorgt Euch nicht, Vater, denn dessen entsinne ich mich sehr wohl; und möge Eru es verhindern, dass Entscheidungen wie diese, sollte der Tag je kommen, meinem Geist entspringen!“

 

Schweigen breitet sich wie ein undurchdringlicher Mantel über sie. Die Geräusche derbevorstehendenSchlacht scheinen nun noch lauter durch die dünnen Zeltwände zu dringen und sie in ihrem Disput daran zu erinnern, was dort draußen im Schattenland vor sich geht. Nichts an Orophers Haltung hat sich verändert, sein Gesicht ist noch immer voller Groll und Kälte, und doch glaubt Thranduil, noch eine andere Regung darin zu entdecken; etwas, das er nicht genau bestimmen kann, und in seinem Inneren beginnt er die harten Worte der letzten Minuten zu bedauern. 

 

„Adar …“ Langsam macht er einen Schritt auf ihn zu, doch noch bevor er weitersprechen kann, steckt ein Soldat vorsichtig den Kopf zur Zeltplane herein. Als er den König und den Prinzen entdeckt, erscheint er zur Gänze im Zelt und neigt seinen Kopf. Mit einem kurzen Wink fordert Oropher ihn auf, zu sprechen. 

 

„Hauptmann Eilian schickt mich, aran-ninEs ist alles bereit.“

 

„Gut.“ Der König nickt knapp und ordnet rasch die Papiere auf dem provisorischen Tisch, dann geht er zu einer reich verzierten Holzkonstruktion, die sowohl seinen Bogen und Köcher als auch seinen mächtigen Speer verwahrt. Während seine Finger wie von selbst die Verschlüsse seiner Rüstung prüfen, richtet er sich an seinen Sohn, jedoch ohne ihn dabei anzusehen. 

 

„Du wirst wie geplant die rechte Flanke befehligen, Eilian die linke. Sobald das Hauptheer den ersten Vorstoß gewagt hat, rückst du vor und ziehst gemeinsam mit ihm eine Schlinge um ihren Hals.“ Sein stechender Blick flackert einen Moment zu Thranduil. „Habe ich mich deutlich ausgedrückt?“

 

„Vater, ich bitte dich –“

 

„Tu, was ich dir sage!“, unterbricht Oropher ihn so scharf, dass selbst Eilians Bote verwundert den Kopf hebt, nur um daraufhin die Stimme zu einem gefährlich leisen Flüstern zu senken. „Verhalte dich wenigstens ein einziges Mal wie der Prinz, der du bist und gehorche!“

 

Worte schneiden zuweilen tiefer als jedes Schwert. Thranduil wagt nun nicht mehr, gegen seinen Vater aufzubegehren. Stumm und mit dem Gefühl schrecklicher Hilflosigkeit sieht er dem König dabei zu, wie er den Speer packt und sich anschickt, an der Seite des Soldaten das Zelt in Richtung Sammelplatz zu verlassen.

 

 „Wie Ihr wünscht, mein Herr.“

 

Kurz hält Oropher bei diesen Worten inne, und für einen Moment scheint es, als würde er kehrtmachen, jedoch - 

 

„Du solltest dich beeilen. Wir brechen auf.“ 

 

Es sind die einzigen Worte, die er noch an seinen Sohn richtet; und ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, lässt er ihn alleine im Dämmerlicht des Zelts zurück. 

 

Kälte hat Thranduils Herz erfasst und hält es fest umklammert. Sein Blick liegt auf der Zeltplane, hinter der sein Vater soeben verschwunden ist; und vielleicht, so nistet sich ein hoffnungsvoller Gedanke in ihm ein, vielleicht waren die letzten Minuten fern aller Wirklichkeit, vielleicht wird Oropher gleich wieder eintreten, den Argumenten gegen einen Angriff wohlgesonnen sein und seinen Befehl zurücknehmen, endlich nach den Vorahnungen fragen, die seinen Geist quälen …

 

Doch die Realität ist unerbittlich, und die Gestalt des Vaters ein Schatten des eben Vergangenen. 

 

„Es ist zu früh …“ Die Worte kommen wie von selbst aus Thranduils Mund und zerstören die letzte Hoffnung auf diese Illusion. Noch während er wie betäubt zu seinem eigenen Zelt zurückkehrt und das nun leere Lager durchquert, hallen und dröhnen sie in seinem Kopf. 

 

Es ist zu früh. 

 

~*~

 

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