Arda Fanfiction

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Fehlerhaft und Makellos

von Tehta

Der Zwischenfall

Die Nachtluft war erfüllt von raschelnden Geräuschen. Einige rührten von den Blättern über ihnen her, während andere aus dem Tal hereinwehten, wo die Spinne sich jetzt versammelten, gleich hinter dem Saum des Waldes. Ecthelion war erstaunt darüber, wie ähnlich sich all diese Geräusche waren; irgendwie hatte er erwartet, dass die Blätter weniger übel als die Spinnen klingen würden. Er beäugte die Bäume argwöhnisch. Hinter ihm startete Egalmoth einen weiteren Versuch, Aredhel zum Handeln anzustacheln.

„Es ist unbestreitbar, dass Riesenspinnen ein besseres Verständnis von Taktik haben als panische Orks.“ Egalmoth sprach wie ein Gelehrter, der sich an einen schwierigen Schüler wendet. „Wie auch immer, ich würde wirklich gern wissen, wo in dieser Hierarchie Elben hineinpassen. Ich will gern glauben, dass wir ein wenig weiser als Spinnen sind, doch unser momentanes Verhalten lässt mich vermuten, dass wir dümmer sind als Orks. Zumindest haben die Orks sich zurückgezogen, solange sie die Gelegenheit dazu hatten.“

„Es sind die Spinnen, die töricht sind, indem sie diejenigen, die über ihnen stehen, anzugreifen trachten.“ Aredhels Stimme klang nicht überzeugt; in dem Moment, wo sie zu Ende gesprochen hatte, verschwand sie im Wald.

„Da geht sie dahin und besucht die Pferde“, sagte Egalmoth. „Hin- und herlaufen ist ein sicheres Anzeichen von Stress. Ich glaube, die Tapferkeit von Finwes Enkelin schwindet letztendlich.“

„Vielleicht ist sie nur durch unsere rebellischen Anwandlungen verstört“, sagte Glorfindel.

„Warum sollte sie das sein?“, fragte Ecthelion. „Es ist ja nicht so, als ob wir im Begriff stünden, sie zu überwältigen und in einem Sack nach Gondolin zurückzubringen.“

„Vielleicht weiß sie das nicht“, meinte Egalmoth. „Es klingt genau so wie das, was sie tun würde, wären die Umstände umgekehrt.

Ecthelion musste zustimmen. „Und wenn sie einen genügend großen Sack hätte.“

„Nun, angesichts dessen, dass wir eigentlich keine körperliche Gewalt anwenden können, gleichgültig, wie verlockend das klingt“, sagte Glorfindel, „sollten wir es vielleicht wieder mit Höflichkeit versuchen. Höflichkeit und List. Wir könnten Aredhel sagen, dass wir nur in die Stadt zurückkehren wollen, um uns neu auszurüsten: um mehr Pferde mitzunehmen, mehr Pfeile, vielleicht sogar mehr Krieger. Und wenn sie sagt, dass König Turgon kaum eine zweite Expedition unterstützen wird, wenn er erst einmal von den Gefahren gehört hat, dann, nun, ich denke, wir könnten ihr sagen, dass wir bereit sind, die Gefahr vor König Turgon zu verbergen. Sicherlich…“ Er wandte sich in Richtung des Tales. „Sicherlich ist es ein geringeres Übel, sie anzulügen.“

„Es ist einen Versuch wert“, sagte Egalmoth. „Ecthelion, sie scheint dich gerade am liebsten zu mögen. Würdest du unser Sprecher sein?“

Ecthelion hielt viel davon, unangenehme Aufgaben schnell zu erledigen. Seine Schritte waren forsch, als er sich der Lichtung näherte, welche die Pferde verbarg.

Oder genauer, das Pferd.

Egalmoths Pferd sah ziemlich einsam aus, als es auf Ecthelion zukam und ihn an der Schulter stupste. Ein Streifen schwarz-weißer Seide war um seinen Hals gebunden: einer von Aredhels Schals, merkwürdig beschriftet. Als Ecthelion ihn gelöst hatte, sah er, dass die Zeichen kunstvolles, aristokratisches Tengwar waren, im Mondlicht kaum lesbar. Er lief zu den anderen zurück.

„Aredhel ist fort“, sagte er. „Sie hat ihr Pferd genommen. Doch sie hat uns diesen Abschiedsgruß hinterlassen“

Er schüttelte den Schal aus und begann laut vorzulesen.

„Lieber Bruder.“

Ecthelion hielt inne. Einen Brief zu lesen, der für jemand anderen bestimmt war, war eindeutig falsch, aber er war viel zu zornig, um sich darum zu kümmern. „Nun, sie hat uns ihre Waffenbrüder genannt“, sagte er. „Ich lese weiter.

Das Tal des Abscheulichen Todes stellt sich als gefährlich heraus. Ich habe nicht den Wunsch, das Leben deiner Männer weiter zu riskieren; außerdem kann einer allein schneller und sicherer reisen als vier. Ich habe mich daher entschieden, die Gardisten zu entlassen-“

„Was?“ Egalmoth griff nach dem Stoff. „Erwartet sie wirklich, dass wir umkehren und unserem König dieses… Mode-Accessoire… übergeben? Sie allein weitergehen lassen?“

Ecthelion ließ ihn die Nachricht nehmen; ihr übriger Inhalt war nicht weiter wichtig und die drei mussten schnell handeln. „Einer von uns muss das Pferd nehmen, hinter Aredhel herreiten und jede mögliche Unterstützung anbieten“, sagte er. „Die anderen zwei sollten zusammen folgen, in größtmöglicher Geschwindigkeit.“

„Nein.“ Glorfindels Ton war uncharakteristisch schroff. Er sah hinaus in das Tal. „Seht, die Spinnen laufen in östliche Richtung. Sie müssen sie bemerkt haben. Vielleicht lenkt sie sie sogar absichtlich ab, um uns eine bessere Chance zu geben, in der Hoffnung, ihnen zu entkommen. Wir müssen Aredhel schützen und die Spinnen ablenken. Wir müssen angreifen.“

Und das taten sie, ohne Verzögerung. Während Egalmoth auf einen Baum kletterte, rannten Glorfindel und Ecthelion hinaus in das Tal und stießen Kampfschreie aus. In der Dunkelheit war es schwer zu erkennen, wie viele der Spinnen die Herausforderung annahmen, doch einige taten es tatsächlich, denn bald standen die beiden einer stinkenden Horde dunkler Gestalten gegenüber.

Zunächst kämpften sie gemeinsam, so effizient wie zuvor und die Erfahrung war noch immer berauschend. Ecthelion stellte fest, dass er regelrecht geschickt darin wurde, die kleineren Kreaturen aufzuspießen und seinen Speer schnell und mit einem Minimum an Blut herauszuziehen. Dennoch blieben die größeren Spinnen problematisch: ihre dickere Haut war schwerer zu durchstechen und ihr Todeskampf wilder. Ein umherruderndes Bein traf Ecthelion am Kopf und schlug ihn zu Boden. Als er dort lag, hängte sich etwas Kleines an seinen linken Ellbogen. Er musste mehrmals auf das Ding einschlagen, bis es ihn losließ.

Der Rest der Schlacht verlief wie im Nebel. Ecthelion ging umher, das Schwert in der Hand und stieß auf Gestalten ein, wenn sie erkennbarer wurden und damit auch abstoßender. Die Dämmerung setzte ein, jedes Bisschen Licht ebenso willkommen wie seine gelegentlichen flüchtigen Eindrücke von Glorfindel – noch immer kämpfend, noch immer am Leben. Das neue Licht enthüllte, dass die meisten der übrig gebliebenen Spinnen in weitaus schlechterer Verfassung waren. Er fragte sich kurz, ob irgendeine von ihnen ein unnatürliches Verlangen für eine andere Spinne empfunden hatte oder vielleicht für einen Ork, doch er ging herum und stach sie trotzdem ab.

Als alle Spinnen aufgehört hatten zu zucken, ging Ecthelion hinüber zu Glorfindel, der eine Wunde an seinem Schenkel untersuchte. Das Blut, das hervorquoll, schäumte auf merkwürdige Weise. Gift also. Ecthelion wäre sehr besorgt gewesen, aber glücklicherweise hatten seine Träume ihn auf genau diese Situation vorbereitet. Vielleicht wusste Lórien letztendlich doch, was er tat.

„Wir müssen das Gift herausbekommen“, sagte Ecthelion. „Es aussaugen.“

Glorfindel sah hinab auf die blubbernde Schweinerei. „Ich kann nicht… Oh, du meinst, du.“ Er sah sich um, auf den Boden, auf die Spinnenkörper. „Ich muss mich hinsetzen.“ Der große Körper, den er sich als Sitz wählte, gluckste, als er sich darauf niederließ. Er lehnte sich leicht vor und ließ seine Hände quer über den Schoß fallen.

„Nun, wie machen wir das?“, fragte er.

Ecthelion kniete sich neben ihn. Die Verletzung selbst sah nicht sehr gefährlich aus – sie ähnelte einer sehr oberflächlichen Pfeilwunde – aber ihre Ränder begannen sich in ein ungesundes Gelb zu verfärben. So sanft wie er konnte, drückte Ecthelion auf das umgebende Fleisch, in der Hoffnung, die Ausbreitung des Giftes aufzuhalten. Dann legte er seine Lippen über die Wunde und sog einen Mundvoll Blut heraus. Es ließ seine Lippen und seine Zunge kribbeln, bevor er es auf den Boden ausspuckte und sich vage nach den Sindar Doriaths zurücksehnte. Alles in allem war die Situation weit weniger erotisch, als seine Träume ihm vorgegaukelt hatten, trotz des angenehmen Gefühls des Muskels unter seinen Fingern.

Er hatte den ganzen Vorgang ein Dutzend Male wiederholt, als er bemerkte, dass Glorfindel vor sich hinmurmelte.

„Der Platz des Königs, der Platz der Götter, der Platz des Brunnens.“

Hatte das Gift schon zum Delirium geführt? Ecthelion leerte seinen Mund. „Glorfindel, geht es dir gut? Du scheinst die Hauptplätze Gondolins aufzulisten.“

„Ja, das tue ich“, sagte Glorfindel. „Siehst du, ich finde, dass es mich ablenkt.“

Ecthelion empfand einen Stich Besorgnis. „Tue ich dir weh?“

„Nein. Es ist nur, dass ich mich ein bisschen... merkwürdig fühle“, sagte Glorfindel. „Es muss das Gift sein.“

Als er sich das so recht überlegte, fühlte sich Ecthelion selbst ein wenig merkwürdig. Sein Körper schien ein wenig taub zu sein, bis auf seinen Mund, der juckte. Zerstreut rieb er ihn, bevor er zu seiner Aufgabe zurückkehrte.

„Was in Arda tut ihr zwei da?“ Egalmoths Stimme klang von sehr weit entfernt.

Glorfindels Bein verlagerte sich leicht. „Ich habe einen Spinnenbiss“, sagte er. „Ecthelion versucht, das Gift herauszubekommen.“

„Indem er es in seinen Mund nimmt? Aber Gift ist, nun, giftig. Ist er am Kopf getroffen worden? Oh, schon gut, ich kann die Beule in seinem Helm von hier sehen.“

Die Sätze trieben an Ecthelions Ohren vorbei wie Flecken von Unlicht über ein felsiges Tal. Dann schienen die dunklen Flecken direkt in seinen Geist zu treiben und dort zu einem dichten Nebel zu verschmelzen, so wie Unlicht es tat. Bald war alles dunkel.



Ecthelion träumte, dass Arme um ihn lagen, stark wie Bande von Mithril, doch viel wärmer. Er wusste es war ein Traum, weil er keine Verwirrung und keine Scham verspürte, selbst als er bemerkte, dass die Arme Glorfindel gehörten. In seinem Traum waren sie wieder in dem Jagdunterschlupf, aber es war nicht Nacht: Sonnenlicht filterte durch die Blätterwände herein. Trotz des Lichts fühlte Ecthelion sich kalt und war sehr dankbar für die Körperwärme in seinem Rücken. Seine Brust war jedoch kalt. Er drehte sich herum.

„Du bist wach.“ Glorfindels Lächeln war dasjenige, das Ecthelion mit Aredhel zu verknüpfen gelernt hatte, dasjenige mit einer Spur von Traurigkeit. Im Traum war es natürlich für Ecthelion gedacht, und nur für Ecthelion. Doch Glorfindel zog sich jetzt zurück, selbst als Ecthelion auf seine Umarmung antwortete.

„Du musst etwas trinken“, sagte Glorfindel.

Der unerträgliche Traum-Glorfindel mit seinen lächerlichen Spielen. Waren das Hinweise auf das Gift, das Ecthelion geschluckt hatte? Glorfindels Schenkel, ordentlich verbunden genau dort, wo die wirkliche Wunde gewesen war, wies schon darauf hin. Oder war es eine von diesen tollpatschigen versteckten Traum-Andeutungen? Ecthelion sah erwartungsvoll auf den Bereich über dem Verband und wartete darauf, dass Glorfindel sich auszog, aber seine Hoffnungen wurden zerschlagen, als ihm stattdessen eine Flasche gereicht wurde. Er nahm einen Schluck. Die kühle Flüssigkeit ließ ihn erschauern, obwohl er, wie er jetzt bemerkte, warm angezogen und in zwei Umhänge gehüllt war.

„Ist dir noch immer kalt?“ Glorfindel berührte seine Hand. „Du warst fast erfroren, als wir dich hierher brachten – wir vermuteten, dass es eine Auswirkung der lähmenden Giftes war, aber es war sehr beunruhigend. Deswegen bin ich… bin ich hier bei dir. Wir haben das während der Helcaraxe-Überquerung getan, die Wärme unserer Körper geteilt.“

„Ja, ich erinnere mich daran, dass wir uns um Wärme zusammengedrängt haben.“ Ecthelion setzte die leere Flasche ab. „Obwohl, niemals mit dir; ich kannte dich kaum zu jener Zeit. Aber jetzt kennen wir uns.“ Er rückte zu Glorfindel und schlang wieder einen Arm um ihn. Glorfindel verspannte sich für einen Moment, dann erwiderte er die Geste. Ecthelion fühlte sich sofort wärmer.

„Ich erinnere mich daran, dein Lager besucht zu haben, um dich singen zuhören.“ Glorfindel sprach in Ecthelions Haar. „Ich weiß jetzt, dass du schrecklich geklungen hast nach deinen jetzigen Standards, aber dein Gesang hat mich aufgeheitert. Es war aufmunternd, nur zu wissen, dass einige von uns noch immer gewillt waren, Energie für etwas anderes als bloßes Überleben aufzuwenden. Ich erinnere mich daran, dass ich dachte, wie kalt du ausgesehen hast… und… Natürlich war uns allen kalt damals.“

Der wirkliche Glorfindel schwatzte niemals derart. Wie dem auch sei, das Reden über jene unglücklichen Tage auf dem Eis klang sehr merkwürdig, da es von jemandem kam, der so warm, so offensichtlich gesund, so… gut gebaut war. Ecthelion ließ eine Hand über Glorfindels Rücken gleiten. Die Muskeln unter seinen Fingern waren zu fest, um wirklich zu sein. Glorfindel schien aus sonnengewärmten Metall gemacht zu sein, hart und unbeweglich.

„Jetzt fühlst du dich nicht kalt an“, sagte Ecthelion. Sein Mund lag an Glorfindels Hals, die Lippen bewegten sich gegen die erhitzte Haut Er zog sich näher heran. Das Gefühl des festen Körpers, der gegen seinen eigenen gepresst war, ließ seinen Kopf vor Erregung schwirren, trotz seines Verdachtes, dass er in Wirklichkeit lediglich wieder auf hartem Boden schlief. Zumindest war es ein besonders vorteilhaft gewähltes Stück Boden, mit größeren Steinen an all den anatomisch passenden Stellen.

„Ecthelion.“ Glorfindel zuckte zurück. „Wenn dir noch immer kalt ist, sollten wir wohl nach draußen gehen, wo du beim Feuer sitzen kannst.“

Ecthelion fühlte sich nicht danach, Haufen von singenden Spinnenkörpern, die das äußere Traumland wahrscheinlich beinhalten würde, gegenüberzutreten. „Ich mag es hier“, sagte er.

„Nun, ich muss auf jeden Fall hinausgehen.“ Glorfindel setzte sich auf.

Dieser Traum-Glorfindel war eindeutig launischer als gewöhnlich. Allerdings war er auch beeindruckender gebaut als gewöhnlich: diese anatomisch zweideutigen Steine hatten es angedeutet und jetzt, als Ecthelion Glorfindels Hosen studierte, fand er die sichtbare Bestätigung – und fühlte sich selbst fast gleichermaßen beeindruckend anschwellen. Ihm wurde bewusst, dass, wenn er Glorfindel gehen ließ, dieser Traum sich als noch schmerzlicher frustrierend herausstellen würde, als der letzte. Nun, er würde das nicht geschehen lassen und würde keine dummen Zählspiele mehr spielen. Es war sein eigener Traum und er konnte so geradeheraus sein, wie er wollte. Ecthelion sah Glorfindel direkt in die Augen, die Augenbrauen hochgezogen.

„Damit kannst du dich draußen nicht befassen.“ Er wandte den Blick nach unten. „Lass mich dir hier drinnen helfen.“

Es war absolut erstaunlich, dass jemand, der ohne einen weiteren Gedanken Orks enthauptete, noch immer ohne guten Grund rot werden konnte. Glorfindel schüttelte stumm seinen Kopf, das Haar gegen seine geröteten Wangen schwingend, und schreckte zurück gegen die Zeltwand.

„Du willst, dass ich es tue.“ Ecthelion stützte sich auf seinen Ellbogen und ignorierte ein merkwürdig schmerzhaftes Stechen.

„Dann weißt du es also.“ Glorfindel blickte fort. Eine Haarsträhne war über seine halb geöffneten Lippen gefallen; sie zitterte leicht, als er erschauerte. „Ich gebe zu, dass ich es möchte, aber-“

Ecthelion brachte ihn zum Schweigen, indem er den Verband berührte und dann seine Hand aufwärts gleiten ließ. „Leg dich wieder hin“, sagte er.

Ihre Blicke trafen sich wieder. Glorfindels Augen sahen fast grün aus in dem Blätter-gefilterten Sonnenlicht – oder sie bildeten einfach nur einen Kontrast zu seiner geröteten Haut. Seine Pupillen waren riesig, und unstet. Ohne weiteren Protest ließ er sich wieder auf dem Boden nieder.

Wie Ecthelion sich danach sehnte, den wirklichen Glorfindel in diesem Zustand zu sehen: atemlos fügsam und seiner selbstgefälligen Gelassenheit beraubt. Zumindest in diesem Traum konnte er ihn noch weiterer Dinge berauben. Er zerrte an Glorfindels Kleidern und entblößte ihn vom Schenkel bis zu Brust. Ja, dieser Traum-Glorfindel war auf jeden Fall beeindruckend. Ecthelion langte hinüber, um über seinen eindrucksvollstes Teil zu streichen, das mit einem Zucken in höchst erfreulicher Weise antwortete. Er schloss seine Hand.

Glorfindel fühlte sich warm an gegen seine Hand und veranlasste ihn zu bemerken, dass ihm selbst nicht länger kalt war. Aber wie konnte er sich anders als überhitzt fühlen, wenn er auf all die entblößte Haut blickte und die Muskeln darunter sich mit dem Bemühen, still zu halten, anspannen sah? Ecthelions Hand bewegte sich mit der geübten Leichtigkeit der einsamen Nächte, in denen er sich nicht anders hatte helfen können, und trotz seines Wissens, dass das, was er tat – und schlimmer noch, was er sich vorstellte zu tun – falsch war. Doch nun war es an seinem Peiniger, gegen das Verlangen anzukämpfen und zu verlieren. Der lange Muskel in Glorfindels Schenkel bewegte sich, als seine Beine leicht auseinander glitten und seinem angespannten Körper gestatteten, sich empor zu wölben. Diese neue Haltung, der Gegensatz zwischen offensichtlicher Stärke und Verletzlichkeit, berührte Ecthelion wie eine intime Zärtlichkeit. Plötzlich war er sich seiner Erregung unangenehm bewusst, der hemmenden Kleider, die sich so falsch auf seiner Haut anfühlten. Doch als er innehielt, um sich zu befreien, stöhnte Glorfindel verzweifelt auf. Diese einzige traurige Bitte zerrte an Ecthelions Herz. Er konnte sie nicht abweisen.

„Ecthelion, wenn du… ich…“ Glorfindel sah an sich selbst hinunter, auf Ecthelions sich schnell bewegende Hand, mit einer Art erschrockener Faszination: so könnten die frühen Elben ausgesehen haben, als sie das erste Mal das Meer erblickt hatten. Sein Mund war halb geöffnet, Ecthelion fühlte sich versucht, ihn zu küssen, auf die Lippen oder wohin auch immer, doch das hätte bedeutet, diese Traumvision aus den Augen zu verlieren, die so wundervoll detailliert und inspirierend war, dass er es kaum ertragen konnte, während er es nur beobachtete. Und dann war es zu spät, denn Glorfindel wandte sein Gesicht zur Wand, zitterte und ergoss sich über seinen Bauch.

Ecthelion, der einen lauten Aufschrei erwartet hatte, war so überrascht, dass er seinen Arm zurückzog. Für einen Moment sah er nur auf Glorfindels gerötete Brust, bespritzt mit heller Flüssigkeit, und auf sein wirres Haar. Dann rückte er näher, um zu küssen und zu streicheln und seine eigene Erleichterung einzufordern – aber im selben Moment griff Glorfindel eine Handvoll Blätter und wandte sich ab.

Die Schnelligkeit, mit der er sich säuberte und seine Kleidung richtete, erstaunte Ecthelion. Er fühlte sich zurückgewiesen und betrogen, war aber nicht sicher, wie er protestieren sollte. Als Glorfindel sich wieder zu ihm umdrehte, vertiefte sich Ecthelions Verwirrung, denn Glorfindels Ausdruck war sehr merkwürdig. Er ließ Ecthelion an junge Offiziere denken, direkt nach ihren ersten Siegen auf dem Schlachtfeld.

„Sag mir, warum du das getan hast“, sagte Glorfindel.

Die einfachsten Antworten – ‚weil du wolltest, dass ich es tue’ und ‚weil ich es wollte’ – schienen zu offensichtlich, um von Nutzen zu sein. „Ist das eine Fangfrage?“, fragte Ecthelion.

„Es war keine Frage.“

Nein, es war ein Befehl gewesen. Ecthelions erster Eindruck war falsch gewesen. Dies war kein junger Krieger, sondern ein erfahrener Hauptmann, der einer plötzlichen Umkehrung gegenüberstand, überrascht, aber nicht überwältigt und voller Vertrauen in seine verbliebenen Reserven.

„Nun, denn, ich tat es, weil du wolltest, dass ich es tue“, sagte Ecthelion.

„Aber viele Leute wollen dich und ich bezweifle ernsthaft, dass du immer so… freundlich bist. Solche Dinge sollten nicht leichtfertig getan werden.“

Diesem ernsten, würdigen Glorfindel gegenüber, der so sehr wie der wirkliche war, wurde Ecthelion von Scham überflutet. Dies war alles falsch – er hatte niemals auf diese Weise in seinen Träumen empfunden. Die Scham war vermischt mit einer dunklen Furcht. War er wach oder schlief er? Hatte er einen unaussprechlichen Akt begangen oder ihn sich nur vorgestellt? Er kniff sich in den Arm. Als dies doch ziemlich schmerzte, versuchte er etwas anderes: er kroch zum Eingang und sah hinaus. Der Wald sah normal aus. Aredhels Unterschlupf war genau dort, wo er hätte sein sollen; sein Speer und sein Schwert lehnten dagegen. Es waren keine singenden Spinnen in Sicht. Nein, seine Träume waren niemals so wirklich.

Ecthelion sank zurück und starrte hinab auf seine Hände. Es konnte Glorfindel nicht ansehen. Selbstekel lähmte ihn.

„Was habe ich getan?“, flüsterte er.

„Ja, ich dachte mir, dass du so empfinden würdest. Wie ich sagte, werden solche Dinge nicht leichtfertig getan, nicht von jemandem wie dir. Es tut mir leid, dass ich dir keinen Trost bieten kann. Ich bezweifle, dass du ihn überhaupt von mir annehmen würdest.“ Glorfindel klang in keiner Weise wie er selbst. „Jetzt entschuldige mich. Ich sollte gehen.“ Er schlüpfte an Ecthelion vorbei und hinaus in den Wald.

Sobald seine Demütigung ihn sich wieder bewegen ließ, folgte Ecthelion.



Er fand Egalmoth und Glorfindel am Rande des Tales neben einem brennenden Haufen von Spinnenkörpern.

„Ich habe Glorfindel gerade erzählt“, sagte Egalmoth, „dass ich Aredhels Spuren gefunden habe. Als wir die Spinnen angegriffen haben, ist sie direkt nach Osten gegangen. Wir können ihr folgen, sobald ihr beide euch kräftig genug fühlt, um zu laufen; gerade jetzt seht ihr zwei etwas wackelig aus.“

Ecthelion versuchte, sich auf die Logistik des Ganzen zu konzentrieren. „Glorfindel sollte das Pferd nehmen“, sagte er. „Er hat diese Wunde an seinem Bein.“

„Du meinst, ich sollte euch vorausreiten?“, fragte Glorfindel. „Ich würde es gern tun, aber wir haben schon entschieden, dass wir zusammenbleiben sollten, jetzt, da wir mehr über das Gift wissen. Ein einzelner Reiter läuft eher Gefahr, gebissen und eingewickelt zu werden.“

„Zumindest ist das unsere Hoffnung.“ Egalmoth lächelte. „Stellt euch nur die Freude vor, Aredhel in einen Spinnen-Kokon verpackt zu finden. Wir würden dann nicht einmal einen Sack brauchen.“

Ecthelion fühlte sich so elend, dass er sich an diesem Gedanken nicht erfreuen konnte.

Bald darauf brachen sie auf und folgten den Hufspuren von Aredhels Pferd den Weg hinunter, der den Wald vom Tal trennte. Sie hatten gerade erst ihre Geschwindigkeit gefunden, als sie die ersten Spinnen bemerkten, die in der Ferne umherkrabbelten. Es war ein zermürbender Anblick – oder zumindest wäre er es gewesen, wäre Ecthelion nicht mit viel zermürbenderen Gedanken beschäftigt gewesen.

Zunächst konnte er an nichts anderes als an die Scham und Erniedrigung seines Sündenfalls denken. Seine Selbstachtung war von dem Glauben abhängig gewesen, dass es einen wirklichen Unterschied zwischen Gedanke und Tat gab; jetzt, da der Zwischenfall im Unterschlupf bewiesen hatte, dass dieser Unterschied eine Illusion war, fühlte Ecthelion sich schlechter als die Spinnen waren, die ihnen jetzt zu folgen schienen, wenn auch in einiger Entfernung.

Als die Sonne hoch in den Himmel stieg, wandten seine Gedanken sich praktischeren Dingen zu. Er begriff, dass er die Sache mit Glorfindel richtig stellen musste – aber wie? Ihm fiel keine vernünftige Entschuldigung für seine Handlungen ein. Seine erste Idee ‚Ich habe die ganze Zeit an Idril gedacht’ war in vielerlei Hinsicht falsch. Zum einen war es Glorfindel gegenüber beleidigend. Dann war es vage beleidigend Idril gegenüber, die zufällig Glorfindels Cousine war. Und letztendlich war es offensichtlich die größte Lüge seit Melkors Reden in Valinor. Ecthelion war kein Experte, wenn es um Mädchen ging, aber selbst er wusste, dass dieser Zwischenfall nicht übertragen werden konnte.

Erst als das Sonnenlicht weicher und die Schatten auf dem Boden vor ihnen länger wurden, kam es Ecthelion in den Sinn, dass Glorfindels Benehmen ebenso eigenartig wie sein eigenes gewesen war, und ebenso schwer zu entschuldigen. Denn wen konnte er an Ecthelions Stelle gesehen haben? Er hatte Aredhel erzählt, dass er an niemandem in der Stadt interessiert war, und er war auf jeden Fall nicht an Aredhel selbst interessiert.

Die Schlüsse, die sich daraus ziehen ließen, waren beunruhigend.

Er betrachtete die Sache von einem anderen Winkel aus. Glorfindels jüngste Aussagen machten es ziemlich deutlich, dass leidenschaftliches Verlangen ihm nicht fremd war. Und dass das Ziel seiner Gefühle ein Krieger sein müsste, jemand, der hochgeistig und edel war. Oder zumindest ein Krieger, der hochgeistig und edel erschien.

Ecthelions Gedanken kreisten um eine merkwürdige Schlussfolgerung, die ihn sich ziemlich schwindelig fühlen ließ. Er überdachte all die Beweise: Glorfindels warme Aufmerksamkeit, die jüngste Verlegenheit und Anspannung, und der Name ‚Ecthelion’, der ziemlich deutlich während des Zwischenfalls ausgesprochen worden war. Es schien wirklich als ob-

Doch nein, das konnte nicht richtig sein – nicht nur, weil Ecthelion zutiefst unwürdig war, sondern weil er, wenn seine Schlussfolgerung richtig war, dann noch weniger würdig war, als er angenommen hatte. Denn es würde bedeuten, dass mehr als nur seine eigene Seele auf dem Spiel stand, dass er jemandem Kummer bereitet hatte, der nur Glück verdiente. Als er sich der angespannten Stimme erinnerte, die Glorfindel in dem Unterschlupf gebraucht hatte, seine abgehackten Sätze, fand Ecthelion es schwer zu atmen.

„Ecthelion?“ Egalmoth stand vor ihm. „Warum bist du stehen geblieben? Bereitet dein Spinnenbiss dir Schwierigkeiten?“

„Spinnenbiss?“ Ecthelion folgte Egalmoths Blick und bemerkte, dass sein Unterarm sauber verbunden war. „Nein, ich habe ihn nie bemerkt. Ich… scheine dieser Tage sehr schlecht darin zu sein, irgendetwas zu bemerken.“

Glorfindel schloss zu ihnen auf. „Vielleicht hat Ecthelion doch eine Gehirnerschütterung“, sagte er zu Egalmoth. „Er hat sich gar nicht wie er selbst benommen.“ Er wandte sich zur Seite und beschäftigte sich mit dem Pferd.

Ecthelion wollte mit ihm sprechen, sich entschuldigen, erklären – aber er wusste nicht, was er sagen sollte, oder wie er es jemandem sagen sollte, der ihn nicht einmal ansah. So sagte er einfach, es ginge ihm gut und die drei zogen weiter, die zunehmende Menge Spinnen draußen im Tal ignorierend.



Bei Sonnenuntergang kamen die Spinnen näher und brachten ihr schützendes Unlicht mit sich. Bald trieben kleine Wolken über den Weg der Gardisten, so dass sie hin und wieder halb blind dahergingen. Ein Angriff schien bevorzustehen. Egalmoth stieg auf sein Pferd und sie drängten sich alle zusammen.

„Ecthelion.“ Glorfindel war eine gespenstische Gestalt an Ecthelions Seite. „Ich denke… ich hoffe, wir können Seite an Seite kämpfen, wie zuvor.“

„Natürlich.“ Ecthelion rang um weitere Worte – jene, die alles zurechtrücken würden, aber bevor er sie finden konnte, schlugen die Spinnen zu, indem sie aus der Dunkelheit um sie herum losstürmten.

Ecthelion verdrängte alles aus seinen Gedanken: die Schuld, den Zweifel, den wahrscheinlichen Tod. Zu seiner großen Erleichterung schien Glorfindel dasselbe zu tun, denn zumindest arbeiteten sie zusammen so gut wie immer, die gegenseitigen Bewegungen vorhersehend und einander ohne Einschränkung vertrauend. Es fühlte sich großartig an, diese Harmonie wieder zu entdecken und Ecthelion fand, dass Seite an Seite zu sterben nicht allzu schlecht wäre – zumindest bis Glorfindel aufschrie und gegen ihn taumelte, den Schild in Stücke gehauen. Dann vergaß er all diese leichtsinnigen Einbildungen; alles was blieb, war der Gedanke, dass er verteidigen musste, was ihm lieb war, was gut war in der Welt und dass Glorfindel dessen leuchtende Offenbarung war. Die Welt verengte sich zu einem wirbelnden Durcheinander von leuchtenden Augen, Speeren und Spinnenklauen. Ecthelion kämpfte weiter ohne nachzudenken.

Als er wieder zu sich kam, lehnte er an einem Baum und alle seine Gegner waren tot. Glorfindel kniete ein paar Schritte entfernt und hielt seinen linken Arm, nicht länger ein Symbol, sondern offensichtlich ein Wesen aus Fleisch und Blut und Schmerz. Überall um ihn herum waren Spinnen und einige zuckten noch. Als Ecthelion versuchte, zu ihm zu gehen, um ihm zu helfen, setzte er sich stattdessen augenblicklich wieder hin und keuchte selbst vor Schmerz: sein rechtes Bein war übel aufgerissen.

Sie sprachen nicht; sie waren zu schwach, um das zu bewältigen. Schweigend verbanden sie einander die Wunden, so gut sie konnten und aßen einige Lembas, um die Heilung zu unterstützen. Dann bewegten sie sich fünfzig quälende Yards weiter in den Wald hinein und entzündeten ein kleines Lagerfeuer.

„Egalmoth?“, fragte Ecthelion, sobald er sich ein wenig besser fühlte.

„Ich glaube, sein Pferd ist durchgegangen“, sagte Glorfindel. „Vielleicht ist er Aredhel gefolgt.“

„Mir wäre es lieber, er käme hierher zurück. Ich könnte dann sein Pferd reiten und wir könnten ihr alle gemeinsam folgen.“

Glorfindel lächelte schwach. „Verwandelst du dich in Finwes Enkel? Ich weiß, dass deine Kampfeswut beeindruckend ist, aber selbst du kannst nicht darauf hoffen, auf einem Bein gegen die Spinnen zu kämpfen.“

„Ich dachte, du wärest Optimist.“

„Ich bin Optimist. Deswegen glaube ich, dass wir hier ausruhen können. Und dass du morgen in der Lage sein wirst, dich auf mich zu stützen und zu laufen, ohne dass einer von uns bei jedem Schritt halb ohnmächtig wird. Und dass nicht viel mehr uns angreifen wird und dass wir lebend aus diesem Tal herauskommen.“

Solche Überzeugungen waren wirklich optimistisch, wie Ecthelion sich wohl bewusst war. „Ich habe eine weitere Hoffnung für deine Liste: dass König Turgon verständnisvoll sein wird und uns zumindest Lebewohl zu unseren Freunden sagen lässt, bevor er uns zu dauerhafter Abwasserkanalreinigung einsetzt.“

„Vielleicht kannst du deine Verbindungen nutzen, um für uns einen besonders bequemen Abwasserkanal zu finden?“

Der Humor war matt, aber dass er zurückkam, zeigte, dass sie begannen, über mehr als grundsätzliches Überleben nachzudenken. Andere starke Bedürfnisse kehrten ebenfalls zurück. Glorfindel kämmte sein Haar mit einer unbeholfenen Hand aus, und, als er ihm zusah, fühlte Ecthelion die ersten Regungen seines gequälten Bewusstseins.

„Du solltest ruhen“, sagte er. „Ich übernehme die erste Wache.“

Glorfindel stimmte zu. Er streckte sich auf dem Boden aus und drehte sich zu den Flammen, doch seine Augen blieben wachsam, selbst als die Zeit, versinnbildlicht durch den pulsierenden Schmerz in Ecthelions Bein, verging. Dachte er über den Zwischenfall nach? Ecthelion entschloss sich zu sprechen, um herauszufinden, ob er irgendeinen Trost anbieten könnte, selbst wenn die perfekten Worte ihm noch immer nicht einfielen.

„Glorfindel, es tut mir leid“, sagte er. „Wegen heute morgen, meine ich.“

„Mir tut es auch leid.“ Glorfindel drehte sich auf den Rücken, das Gesicht den Sternen zugewandt. „Mehr als ich sagen kann. Ich hätte vorsichtiger sein sollen, wo ich doch wusste, wie du über solche Dinge empfindest. Ich möchte dir für dein Verständnis danken, für das Mitleid, dass du mir gezeigt hast. Aber ich denke noch immer, du hättest es nicht tun sollen, nicht um diesen hohen Preis für dich selbst. Nicht um diesen Preis für…“

Ecthelion starrte auf dieses im Sternenlicht ruhige und beherrschte Gesicht. Ein viel beobachtetes Gesicht, jetzt zutiefst fremd und sehr merkwürdige Worte sprechend. Eins war klar: es gab eine Kluft zwischen ihnen und sie zu überbrücken lag in seiner Verantwortung. Sein Bein ignorierend begann er, sich um das Lagerfeuer herum zu ziehen.

„Ecthelion? Du solltest dich nicht bewegen.“ Glorfindel setzte sich auf und hob seine gesunde Hand, als ob er ihn hindern wollte.

„Doch, das sollte ich. Es gibt etwas, das ich dir sagen muss.“ Ecthelion wusste, dass seine Worte keinen Sinn ergaben. Es ergab auch keinen Sinn, nach Glorfindels Hand zu greifen, aber er tat es dennoch. Sein Geist wurde leer bei der Berührung. Alles, was er sagen konnte, war, „Es ist nicht einfach, diesen Dingen gegenüberzustehen oder sie zu erklären.“

Glorfindel sah auf ihre verschlungenen Hände, das Gesicht noch immer gelassen. „Nun, wir sollten beide sehr mutig sein.“

„Das ist wahr.“ Ecthelion nahm seinen Mut zusammen. „Hier ist, was ich dir sagen möchte: ich dachte, dieser Morgen wäre ein Traum. Ein guter Traum. Ich habe solche Träume häufig. Ich…“ Er schloss seine Augen. „Mir sind deine vornehmeren Qualitäten sehr wohl bewusst, und dann habe ich diese… unnatürlichen Neigungen. Ich reagiere auf die sehr stark, Zu stark.“

Glorfindels Hand glitt aus der seinen, und für einen langen Moment wusste Ecthelion, er wusste mit absoluter Sicherheit, dass er die Situation falsch eingeschätzt hatte. Doch dann spürte er eine leichte Berührung in seinem Gesicht.

„Dann war es weder Giftfieber noch kühles Mitleid?“

Ecthelion konnte nur seinen Kopf schütteln; er hatte seinen Vorrat an Heldenmut erschöpft. Nun war es an Glorfindel, mutig zu sein. Glorfindels Finger schoben sich in Ecthelions Nacken und zogen ihn heran zu einem Kuss.

Nicht darauf zu antworten wäre eine vollkommene Lüge gewesen; Ecthelion lehnte sich an Glorfindel und ließ sich nur für diesen einen Moment in seinem Leben gehen. Er versuchte, Glorfindels Wärme zu trinken, seine Freundlichkeit, seinen strahlenden Mut und selbst seinen Schmerz. Er spürte, wie Glorfindel ihm gleichkam, fühlte Glorfindels Hand sich in seinem Nacken anspannen, eine Ermahnung von Stärke. In diesem Moment schienen sie einander perfekt zu verstehen, wie auf dem Schlachtfeld.

Sie trennten sich und atmeten einstimmig für eine Weile, bis ihr Atem wieder langsam und gleichmäßig war.

„Kein Mitleid also“, sagte Glorfindel.

„Nein“, entgegnete Ecthelion. „Fühlst du dich jetzt erleichtert? Wirst du ruhen können?“

„Ich fühle mich erleichtert, ja, aber auch ziemlich durcheinander.“ Doch Glorfindels Stirn war ganz klar und er zeigte ein heiteres Lächeln. Ecthelion bemerkte, dass er selbst grinste wie ein Idiot. Als er seinen Mund dazu zwang, sich zu entspannen, fiel ihm auf, dass sein Kiefer in einer ungewohnten Weise schmerzte, ob von dem Lächeln oder dem Kuss, konnte er nicht sagen.

Der Kuss. Es war schwer zu glauben, dass er geschehen war und schwerer noch, sich davon zu überzeugen, dass es nie wieder geschehen könnte. Aber natürlich änderten Glorfindels unvorhergesehene Gefühle nichts; richtig und falsch war genau so, wie es immer gewesen war. Als Ecthelion spürte, wie Glorfindels Hand die seine berührte, zuckte er zurück.

„Du hast einst von tugendhaften Kriegern gesprochen, die ihre Ehre gemeinsam verfeinern“, sagte er. „Wir werden das probieren müssen, denke ich, Dies hier ist falsch.“

„Ich verstehe. Oh, ich verstehe.“ Glorfindels Gesicht nahm ein weiteres Mal einen militärischen Ausdruck an: er sah aus wie ein geübter Stratege, der eine komplizierte neue Situation analysiert. Dann lächelte er wieder. „Ja, ich kann dein Argument verstehen, aber ich bin jetzt zu müde, um zu reden. Wir werden das später diskutieren.“

Ecthelion kroch zurück zu seinem Posten und beobachtete, wie Glorfindel einschlief. Er fühlte sich ängstlich; nicht weil ihre Situation gefährlich war, hoffnungslos sogar, sondern weil er wusste, dass der Krieg mit seinem unnatürlichen Verlangen dabei war, härter zu werden als der andauernde Kampf gegen die Spinnen.



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Anmerkungen:

1. Ich bin mir dessen bewusst, dass meine Version der Ereignisse nicht völlig der des Silmarillion entspricht. Aber wartet ab bis Kapitel Sieben!

2. Die Gift-Aussauge-Szene betreffend: die meisten modernen Autoritäten stimmen darin überein, dass dies eine schlechte Idee ist, da der Mund voller Keime ist. Aber abgesehen von den Keimen ist es wahrscheinlich noch immer eine schlechte Idee. Einige Quellen argumentieren, dass es unmöglich ist, auf diese Weise eine wesentliche Menge des Giftes herauszubekommen (ich habe eine Studie gesehen, die besagt, man erreiche gewöhnlich 6%), während andere Quellen die ganzen Gift-in-den-Mund-bekommen-Angelegenheit vorbringen.

3. Direkt vor dem Zwischenfall spricht Glorfindel von der Überquerung des Eises. Auf diesem Weg kamen die nicht-Feanorischen Noldor nach Mittelerde: indem sie das, was der Nordpol gewesen wäre, überquerten, wäre die Welt damals schon rund gewesen.
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