Arda Fanfiction

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Allein

von Dairyû

Chapter #4

Die Feuer sind längst heruntergebrannt und die Gespräche verstummt. Der bleiche Mond scheint auf die hellen Mauern der alten Stadt und vor meinem geistigen Auge kann ich sie in all der Pracht sehen, die ihr einstmals innewohnte.
Königshof und Herrschersitz, ein Zeichen für die Macht der Menschen und vielleicht sogar ein schwaches Abbild dessen, was verloren gegangen ist in den Fluten der tobenden See als die Strafe der Erhabenen über Númenor kam.
Wie so oft greift eine tiefe Sehnsucht nach mir, wenn ich an all die Erzählungen denke, die von der Insel im Westen berichten. Wie einen Schatz hüte ich die Bilder, die sich webten und an Gestalt gewannen, wann immer ich in den Tiefen der wundervollen Bibliothek von Minas Tirith auf eine weitere der Schriftrollen stieß, die von Westernis zu berichten wussten, von der Schönheit des Landes, rau und unberührt, lieblich und gepflegt, wild wie die gewaltigen Stürme, die vom nahenden Winter künden und sanft wie ein Frühlingshauch, von der Weisheit der Menschen .. die sich in Narretei verwandelte ...

Begierig, das einmal entdeckte Wissen zu erweitern, begierig, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen suchte ich jede freie Stunde nach den wundervollen und schrecklichen Zeugen der alten Zeiten.
Ich kann es auch jetzt fühlen, das helle Pergament, dessen durchscheinende Zartheit eine vorsichtige Behandlung verlangte. Feine und elegante Buchstaben in einer altertümlich anmutenden Sprache bedeckten es.
Oftmals waren mir einzelne Worte nicht geläufig, doch tat dies meiner Begeisterung keinen Abbruch. Ich verstand, weil ich mit dem Herzen las und mich den Erinnerungen hingab, die aus den Schriften sprachen ... Aufzeichnungen voller Liebe und Ehrfurcht, aber auch Leid und Dunkelheit.
Es ist wohl nur den Sterblichen vorbehalten, das am innigsten Geliebte durch eigene Schuld zu verlieren. Durch die Schwäche unserer Seele, die empfänglich ist für Hochmut und Ehrgeiz, Neid und Gier ...

Ich lasse meine Augen schweifen, so wie meine Gedanken. Und ich finde Trost beim Anblick der schlafenden Gefährten. Mögen wir Menschen auch schwach sein, wir versuchen diesen Makel zu überwinden und es gelingt uns zuweilen, wie mir die Gemeinschaft der Krieger beweist. Ein jeder steht für den anderen ein, führt die Waffe für ein gemeinsames Ziel ... den Sieg des Bösen zu verhindern.
Doch werden wir es vermögen?
Nicht aus eigener Kraft.
Gondor mag stark erscheinen, aber der Feind wird über Heere gebieten die uns durch die bloße Zahl der Krieger überrennen werden. Er wird alles ins Feld führen.
Gondor braucht Verbündete. Rohan, oder gar Saruman. Der Zauberer ist sehr mächtig und weise. Vielleicht würde er helfen.
Die Pferdeherren ... sie würden es ganz bestimmt tun, wenn der Feind sie nicht auch schon bedrängt.
So viele Ungewissheiten!

Die Zeiten für schnelle Boten sind gefährlich geworden und so erhalten wir keine Kunde mehr aus den Landen um uns. Vereint sollten wir gegen Sauron stehen, ein Bündnis schmieden, wie es damals geschah, als der Schatten sich auf Mittelerde legte.
Aber der Herr über Gondor achtet alle anderen gering, er ist stolz und unbarmherzig, nicht abzubringen von seinem Weg und seiner Haltung. So bleibt Gondor denn allein, weil niemand es wagt, gegen den Truchsess zu sprechen.
Nicht einmal Boromir.
Mein Bruder hegt ähnliche Gedanken. Sein Stolz auf die Macht unseres Reiches ist kaum geringer als der unseres Vaters, aber Boromir verkennt die Wahrheit nicht. Und dennoch ... So mag es gut sein, dass er sich nach Bruchtal aufmacht, um bei den Elben um Rat zu fragen. Sie leben unter der Sonne, die auch uns ihre Wärme schenkt. Ihre Zahl wird geringer mit jedem Menschenalter, doch ihre Weisheit kann noch nicht geschwunden sein und die Drohung aus dem Osten sollte auch ihre Herzen beschweren je näher sie rückt und je unüberwindbarer sie sich zeigt.

Sauron wird Gondor vernichten, und Rohan.
Aber dies wird seinen Durst nicht stillen und seine Gier nach dem Blut derer, die ihm Widerstand geleistet haben seit alters her.
Nur ein Narr würde die Gefahr verleugnen in der die Unsterblichen schweben, die die Gestade dieser Welt noch nicht verlassen haben.
Eine feine Wolke schiebt sich vor den Mond, und sein silbernes Licht nimmt einen grauen Schimmer an. Feuchtigkeit hängt in der Luft, herauf getrieben vom Fluss und sie benetzt Haare und Gewänder, trägt den Geruch des Wassers mit sich. Ein leichter Wind kommt auf und jagt mir kühle Schauer über die Haut. Selbst in gewöhnlichen Zeiten sind die Sommernächte in der Nähe des Anduin frisch ... aber wir haben keine gewöhnlichen Zeiten mehr. Da verwundert es nicht, dass es jetzt scheint, als wolle der Herbst schon Einzug halten.

Vorsichtig erhebe ich mich. Im tiefen Schlaf bemerkt man die Kälte in den Gliedern nicht, und deshalb ruhen die Männer friedlich ... und auch der eine oder andere Becher Wein hat für Wärme gesorgt. Ich hingegen habe weder Schlaf gefunden noch dem Rebensaft zugesprochen ... einzig den geforderten Becher musste ich einlösen, und das tat ich mit Freude.
Leise gehe ich zwischen den Ruhenden hindurch und mache mich auf den Weg zur Brücke. Sie ist ein glitzernder Bogen in der Nacht, denn viele Fackeln erleuchten sie und tauchen die starken Steine in ein goldenes Licht, das sich im Fluss bricht und die Brückenpfeiler umschmeichelt wie ein magisches und schützendes Feuer.
Alles scheint friedlich ...
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