Arda Fanfiction

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Wehe euch Sterblichen

von Dairyû

Chapter #4

Langsam betrat der Herr der Neun den Turm und ebenso langsam schritt er die Stufen hinauf denn nun hatte er keine Eile - und seine scharfen Sinne erforschten die Umgebung. Er hörte und spürte das Orkpack, das ihm heimlich folgte und hoffte, ihr Herr würde etwas finden - und vielleicht blieb dabei ein wenig für sie.
Er sah die Geister der Toten, denen eine der verzauberten Klingen ins Herz gefahren war, und die nun auf ewig dem Dunklen Herrscher Untertan sein würden. Ihre Seelen jagten am Ort ihres Todes umher und winselten mit dünnen Stimmchen um Erlösung, aber niemand gewährte sie ihnen, denn es gab kein Entkommen für den, der den Schatten verfallen war; und kein Mitleid.

Der Herr der Nazgûl beachtete keines der Zimmer, welche an der endlosen scheinenden Wendeltreppe lagen, die hinauf führte bis auf die Spitze des Turmes. Sie waren schon seit Jahren kalt und leer, denn sonst hätte er einen Hauch Lebendigkeit wahrnehmen müssen, der lange blieb, auch wenn das Leben fort war.
Aber hier gab es nichts - nur auf den Stufen leuchtete ein Lebensfaden, der immer stärker wurde, je höher man ging.
Die Treppe war breit und hatte Absätze dort, wo Zimmer von ihr abzweigten und ihr Stein war rau und von vielen Füßen ausgetreten, die all die Jahre über sie gegangen waren. Ohne Anstrengung strebte der Herr der Neun voran, denn er kannte keine Mühsal mehr, keine Unzulänglichkeiten eines Körpers aus Fleisch und Blut, er musste keinen Atem schöpfen oder gar mit seinen Kräften haushalten.

Die Orks hatten es schwer ihm zu folgen.
Wie Schatten blieben sie auf seiner Spur, immer fern genug, um nicht gesehen zu werden, aber immer noch nahe, damit ihren Augen und Ohren nichts entging.
Der Fürst ging voran und ließ sie gewähren, sie waren seiner Beachtung nicht wert, wenn sie sich respektvoll zeigten Denn er mochte diese Geschöpfe nicht um sich haben, die zwar von Nutzen waren, aber grob und wenig begabt, eine Beleidigung für das Auge eines Königs, der um seine Einzigartigkeit wusste.

Das höchste Zimmer des Turmes war mit einer starken Falltür verschlossen, auf der das Zeichen des Mondes in Silber eingearbeitet war. Es flammte auf, als sich der Herr der Nazgûl näherte. Er verharrte auf dem kleinen Absatz vor den letzten Stufen zum Turmzimmer.
Aber das Holz war kein Hindernis für einen, der schon als Mensch über mächtige Zauber zu gebieten verstanden hatte und so öffnete sich die Tür nach einer Geste des Dunklen Königs mit einem schaurigen Knarren nach oben, denn das Schloss brach. Die Eisenbeschläge bogen sich unter einer gewaltigen Kraft und das leuchtende Symbol des Mondes wurde matt, das Silber schwarz; so wie der Boden und die Wände des Zimmers es waren, denn man hatte sie mit Obsidian ausgelegt, dessen Glanz selbst das Licht der Feste übertraf, wenn die Sonne an Wintertagen tief stand und ihre Strahlen in den Turm schickte.

Vier Fenster hatte das Zimmer, das sich über die ganze Fläche des Turmes auftat, die in jede Himmelsrichtung zeigten, damit der wachsame Blick weit gehen konnte.
Im Süden und im Norden zogen sich die Höhen des Schattengebirges dahin, sie waren wie ein unüberwindbarer Wall, aufgerichtet von den Händen eines Riesen.
Im Westen lag das Herz Gondors. Stolz der Menschen und der Dúnedain, die als Könige herrschten, und Erben Elendils.
Die Augen des Herrn der Nazgûl blickten weiter als die aller Sterblichen und er sah die weißen Mauern Minas Arnors. Einstmals würde auch der Turm der Sonne den Schatten anheimfallen und dann würde die Dunkelheit über Mittelerde hereinbrechen und jegliche Kreatur musste unter der Herrschaft Saurons erzittern.

Im Osten schließlich lag das verfluchte Reich Mordor und die Ebene von Gorgoroth tat sich auf.
Viel imposanter und zugleich schrecklicher war jedoch der Schicksalsberg, dessen roter Atem manchmal die Nächte erhellte und der die Erde erbeben ließ, als rege sich ein gewaltiger Drache im Schlaf. Und wahrhaftig, der Berg schlief. In früheren Zeiten hatte er Feuer gespieen und gegrollt, damals war der Dunkle Herrscher noch in Mordor gewesen und sein schauriges Lachen hatte sich mit der Stimme des Berges vermischt, wenn er auf den Zinnen Barad-dûrs gestanden und finstere Kräfte beschworen hatte.

Der Herr der Nazgûl schaute einen Moment dorthin und wenn es noch Gefühle in seinem kalten, toten Herzen gab, dann waren sie Triumph und Abscheu zugleich, denn dort würde Er bald wieder hausen und gebieten. Seine Diener waren beständig bestrebt, Ihm einen würdigen Empfang zu bereiten, damit Er wohlwollend auf sie hinab sah und ein feuriges Licht war in ihren düsteren Seelen, die sonst verdorrten.
Vor wenigen Jahren hatten sie alle sich in Mordor eingefunden und auf die Stimme ihres Gebieters gelauscht, der noch verborgen war, aber er wollte bald in sein Reich zurückkehren.
So hatte er seine Diener ausgesandt, ein Ärgernis zu bekämpfen, das an den Grenzen seines Landes stand.

In der Mitte des Raumes befand sich eine Säule aus Obsidian. Kunstfertige Hände hatten sie geformt, so dass es schien, als wachse sie aus dem Boden, sie war wie ein Piedestal aus edlem Stein, dessen obere Hälfte von einem tiefschwarzen Tuch aus Leinen bedeckt worden war. Dies war der einzige Gegenstand im höchsten Zimmer des Turmes und seltsam mutete es an, dass ein solch gewaltiges Bauwerk nicht mehr war als eine Hülle und ein Ort des Weitblicks. Aber so hatten die Menschen Minas Ithils es vor langer Zeit bestimmt und hielten daran fest, bis zum letzten Augenblick - als das Verderben über sie kam.

Die Orks hatte sich nun eingefunden und neugierig streckten sie ihre Köpfe zur Falltür herein.
Als sie sahen, dass ihr Herr sie nicht beachtete, kamen sie langsam und so leise in das Zimmer, wie es möglich war.
Auch dieser Raum war eine Enttäuschung für sie, denn auch hier gab es nichts von Interesse für grobe Hände und trägen Verstand.
Die unschönen Wesen begannen miteinander zu tuscheln - erst leise, dann immer lauter, als einer nach dem anderen in Wut geriet ob der mageren Beute, welche die Eroberung Minas Ithils erbracht hatte.

Nun wollte und konnte der Herr der Nazgûl die Orks nicht mehr mit Nichtachtung strafen.
Verärgert wandte er sich um, sein schweres Gewand wirbelte um ihn wie eine dunkle Wolke und seine Augen blitzten in einem dämonischen Feuer auf, er sah die Orks an, und sie verstummten. Die hässlichen Kreaturen wichen zurück und drängten sich an den Wänden des Turmzimmers entlang auf die Tür im Boden zu, verängstigt und entsetzt.
Nur einer - war er kühn oder töricht? - wagte es neugierig, sich dem Piedestal zu nähern, während sein Herr abgelenkt war. Er streckte einen krummen Arm aus, um unter das schwarze Tuch zu schauen, das die Säule aus Obsidian bedeckte.

Er hatte kaum den Stoff ergriffen, als seine Hand plötzlich in Flammen stand. Das unwirkliche Feuer war blau und es fraß sich weiter, so dass das Fleisch von den Knochen fiel. Der Ork stieß einen erstickten Schrei aus ehe seine Kehle zerstört wurde und er starb - seine Überreste waren ein zuckender Haufen schwelender, geschwärzter Knochen auf dem blanken Boden.
Die Orks starrten wie gelähmt auf ihren Kameraden und dann huschten ihre Augen zu ihrem Herrn. Unverwandt ruhte sein feuriger Blick auf ihnen, während sein Zauber den unglücklichen Ork vernichtete, der es gewagt hatte, seine gierigen Klauen auszustrecken und etwas unendlich Kostbares zu besudeln.

Mit Hast und Grauen stürzten die Orks aus der Tür hinaus und so schnell ihre Füße sie trugen die Treppe hinunter aus dem Turm. Keiner von ihnen dachte noch daran zu murren, weil ihm Beute versagt worden war. Sie dankten vielmehr einem gütigen Schicksal, das ihnen ihr Leben gelassen hatte, während einer von ihnen es verlor. Es würde ihnen eine Warnung sein für alle Zeiten und von nun an fürchteten sie ihren Herrn unendlich - mehr noch, als das Schöne Volk sie in Angst und Schrecken jagte.
Bald machten gar grausige Reden die Runde unter den Orks und sie fürchteten auch die anderen Nazgûl - Dämonen ohne Namen waren sie, aber mit Augen, die den Tod brachten, sie brauchten nur ein Wort zu sprechen, so vergingen Körper und Seele unter unendlichen Qualen.

Als das Getöse auf der Treppe verklang, war es totenstill im Turmzimmer.
Der Fürst der Nazgûl verschwendete keinen weiteren Gedanken an seine niederen Diener, denn sie waren es nicht wert und manchmal lästig. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf das Piedestal und das, was darauf verborgen lag.
Sachte streckte der Herr der Neun eine Hand aus ... Sie war nur noch ein durchsichtiger Schemen in der Form einer dürren Klaue mit langen Fingern und spitzen Nägeln - nur für die Kundigen und Wissenden wahrnehmbar -, denn nun war auch der mächtigste der Nazgûl geschwunden, so wie seine Gefährten vor langer Zeit.

Viele Menschenalter hatte es gedauert, doch niemand war so stark, den Kräften des Einen Ringes zu widerstehen, der alle anderen beherrschte. Und auch der Herr des Einen hatte an Macht gewonnen, bald würde er wieder in Erscheinung treten.
Sein Griff war schon jetzt härter als Eisen und er beherrschte die Neun mit gnadenloser Strenge, damit sie ihm den Weg zurück in sein Land bereiteten.
Der Fürst glitt näher und näher an das Piedestal heran, achtlos fegten seine Stiefel Knochen und Asche davon, die dort lagen, und dann tastete er nach dem schwarzen, schweren Stoff, der ein Kleinod verhüllte, für das schon Königreiche gegeneinander gekämpft hatten, und zog ihn langsam fort.

Ein Palantír war es, der dort auf einem Kissen aus Damast ruhte, einer der größeren, denn er maß fünf Handbreit im Durchmesser. Sein schwarzer Kristall funkelte und glänzte, als er nun vom schwachen Licht des trüben Tages erhellt wurde, das durch die breiten Fenster schien. Viele Menschenalter waren vergangen, in denen der Stein als größter Schatz in der Stadt aufbewahrt worden war. Nur Isildur war es vergönnt gewesen hinein zu blicken - nach ihm tat es niemand mehr; auch in der Stunde der höchsten Not nicht, denn keiner fühlte sich stark genug und es erschien den Menschen nicht richtig, denn es war das Vorrecht eines Herrschers.

Vorsichtig näherte sich eine Schattenhand dem Sehenden Stein und als der Herr der Nazgûl ihn berührte, verlor der Kristall für einen Lidschlag lang all seinen Glanz, so als weiche er vor dem Bösen zurück, das dieser Kreatur innewohnte, die einmal ein Mensch gewesen war und von der nun niemand wusste als Sauron allein, ob sie noch zu den Lebenden zählte oder sich nur weigerte, die Pfade der Toten zu betreten.
Der Dunkle König lachte leise und seine Stimme hallte in dem großen, leeren Raum wider. Endlich ...
Endlich erfüllte sich eine Begierde, die ihn schon Jahrhunderte antrieb - in den Besitz eines solchen Steines zu gelangen. Er würde sich als sehr wertvoll erweisen und er war ein wahrhaftig königliches Geschenk für seinen Herrn.

Sauron würde mit seinem gehorsamen Diener zufrieden sein, der alles daran setzte, um das Wohlwollen seines Meisters zu erlangen, denn es war das Einzige, was noch zählte in einem Leben, das so nicht mehr genannt werden konnte.
Es war ein Dasein in der Schattenwelt, über die das Lidlose Auge wachte und unter seinem Blick verkam die Seele, und es war ein Dasein in der Welt des Lichts; jedoch dieses war noch schrecklicher, brachte es doch auch dem geisterhaften Körper Pein.

Lange Zeit verharrte der Dunkle König bei dem Palantír, denn die Sonne stieg hoch an den Himmel, durchbrach die Wolken, und trübte seinen Geist. Er hasste ihr Licht, denn es tat ihm weh, und erst als sie fern im Westen unter den Horizont sank, regte er sich wieder. Er rief seine Gefährten, die sich ebenso wie er vor den gleißenden Strahlen der Sonne verborgen hatten und sie kamen, und dann hielten sie stumme Zwiesprache. Als der Abend mit seinen düsteren Farben hereingebrochen war, schritt der Herr der Nazgûl aus dem Zimmer und verließ den Turm.

Orkhauptleute warteten dort auf dem Platz vor dem Turm und als ihr Herr erschien, warfen sie sich zu Boden und lauschten auf seine Befehle. Die Orks schwärmten aus, als sie vernahmen, was ihr Gebieter begehrte und schon bald kehrten sie zurück - einen schwankenden Menschen in ihrer Mitte, den sie mehr herbei schleiften, als dass er ging.
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