Arda Fanfiction

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Familienbande

von Luminella

Allein unter vielen

Entschuldigt bitte die lange Pause seit dem letzten Kapitel. Meine Gesundheit hat es mir leider nicht ermöglicht eher zu posten. Ich hoffe, dass mir noch ein paar treue LeserInnen geblieben sind.


Das Brandygut war eines der wenigen Großsmials des Auenlandes, indem ein jeder Familienzweig seine eigenen Räume besaß, die durch eine Art Tunnelsystem mit dem zentralen Haupteingang verbunden waren und trotzdem hatte jede Familie noch einen eigenen, kleineren Eingang. Das Familienoberhaupt, in diesem Fall Gorbadoc und seine Frau Mirabella, bewohnten die größten und ältesten Räume, die im Mittelpunkt des Bockberges lagen. Ihre Kinder bewohnten die jeweils angrenzenden Räumlichkeiten, so auch Asphodel, zusammen mit ihrem Mann und den Kindern.

„Wie geht es ihm?“, fragte Gorbadoc flüsternd und sah sich in der Wohnstube seiner Tochter um. Ihre drei Kinder saßen spielend vor dem Kamin, scherzten und lachten miteinander. Frodo war jedoch nicht unter ihnen.

Asphodel hob und senkte seufzend die Schultern. „Wie soll es ihm schon gehen, Vater? Er trauert und kommt nur selten aus dem Kinderzimmer.“

„Er begreift also was geschehen ist?“

Seine Tochter wandte sich wieder dem Brotteig zu, den sie im Begriff war zu kneten, als ihr Vater sie besuchen kam. „Natürlich hat er das Unglück begriffen. Er ist ein kluger Junge.“

„Vielleicht wird es ihm nach dem Begräbnis besser gehen. Wenn er sich verabschieden konnte.“

Asphodel schüttelte innerlich den Kopf über ihren Vater. „Das bezweifle ich. Seine Eltern sind tot, wie sollte es ihm dann nach ihrer Beerdigung besser gehen? Mir scheint, dass du die Situation verkennst, in der wir alle uns derzeit befinden.“ Sie hatte bereits drei eigene Kinder zu versorgen, aber das hielt sie nicht davon ab, einem weiteren ein Zuhause zu bieten. Frodo war ein so lieber Junge und sehr umgänglich. Sie wusste, dass er ihr keinen Ärger machen würde. Sie würde sehr viel Geduld mit ihm haben müssen und sie konnte nur hoffen, dass sie neben ihren eigenen Kindern noch genug Zeit und Kraft aufbringen konnte, um sich so um Frodo zu kümmern, wie er es brauchte.

Gorbadoc sah sie betreten an und kratzte sich den Hinterkopf. „Falls ich irgendetwas tun kann …“ Er legte seiner ältesten Tochter eine Hand auf die Schulter.

Asphodel bestäubte den Brotteig mit Mehl, knetete ihn weiter und zwang die Tränen zurück, die ihren Blick zunehmend verschleierten. Schließlich nickte sie und sah ihren Vater an. In seinen Augen fand sie den gleichen Schmerz, den sie selbst empfand. Sie war ihrer kleinen Schwester beraubt worden und wusste nicht, wie es fortan weitergehen sollte. Drei Kinder waren mehr als genug für sie und Rufus, aber sie fühlte sich verpflichtet, Frodo bei sich zu behalten.

„Dann sehen wir uns morgen“, sagte Gorbadoc zum Abschied und küsste seine Tochter auf die Stirn.

„Ja, Vater. Bis morgen.“ Sie sah ihm nach, als er den Haupttunnel betrat und ihre Räume hinter sich ließ.

Asphodel wandte den Blick ihren Kindern zu, die Kastanienmännchen bastelten und dabei sichtbar Spaß hatten. Sie waren noch zu jung, um zu verstehen und sie musste stark für sie sein. Nichts war so wichtig wie eine unbeschwerte Kindheit. Von ihren Kindern schweifte ihr Blick hinüber zum Kinderzimmer, wo Rufus am Tag zuvor in aller Eile ein viertes Bett für Frodo aufgestellt hatte. Der Raum war damit vollkommen überladen, so dass die Kinder nicht mehr in ihrem Zimmer spielen konnten, aber vorerst ging es nicht anders.

Der Brotteig hatte inzwischen die perfekte Konsistenz. Und so teilte sie ihn in vier gleichmäßige Stücke und tat jedes davon in ein reichlich bemehltes Brotkörbchen. Anschließend bedeckte sie die Körbchen jeweils mit einem Tuch, um den Teig gehen zu lassen.

„Kann ich euch drei einen Augenblick allein lassen?“, fragte sie ihre Sprösslinge und sah dabei insbesondere ihren Sohn Milo an, der mit seinen zehn Jahren der älteste der Geschwister war.

„Ja, Mama“, nickte dieser und half seiner kleinen Schwester dabei, einen Zahnstocher in eine Kastanie zu stecken, als es ihr an Kraft und Geschick mangelte.

Die Kinder waren so beschäftigt, dass sie ihre Mutter kaum beachteten. Und so wagte Asphodel sich ins Kinderzimmer. Es war düster in dem Raum, da keine Laterne brannte und das kleine Fenster kaum noch Tageslicht hereinließ. Draußen dämmerte bereits der Abend. „Du bist ja im Dunkeln“, sagte sie daher und holte ein Streichholz aus der Schürze, um zumindest eine Kerze im Wandhalter anzuzünden.

„Ist mir nicht aufgefallen“, murmelte Frodo. Er lag auf seinem improvisierten Bett und starrte an die Zimmerdecke.

Asphodel setzte sich zu ihm auf die Bettkante, legte einen Arm um seinen Kopf und folgte seinem Blick nach oben. „Was siehst du da?“

Er zuckte die kleinen Schultern. „Eigentlich nichts …“ Licht und Schatten des Kerzenscheins tanzten inzwischen an der Zimmerdecke. „Willst du nicht mit den anderen basteln? Sie machen Kastanienmännchen.“

„Ich hab keine Lust.“

„Das verstehe ich“, sagte Asphodel einfühlsam und schmiegte eine Wange an Frodos Stirn. „Deine Eltern würden sicher nicht wollen, dass du dich so zurückziehst.“

Tränen sammelten sich in Frodos Augen und verschleierten seinen Blick. Er wandte sich von seiner Tante ab, damit sie ihn nicht weinen sah.

„Ach Frodo“, flüsterte sie sanft. Und dann kuschelte sie sich noch enger an ihn, wärmte ihn. Und für einen kurzen Moment fühlte es sich nicht nur an als wäre sie seine Mutter, ihre Stimme klang sogar fast genauso. Und dann überwältigte ihn der Verlust noch viel mehr und er begann hemmungslos zu weinen. „Ich bin bei dir, meiner Lieber. Lass es raus. Du musst dich nicht zurückhalten. Weine nur, es ist in Ordnung.“

Als ihre Mutter nicht aus dem Kinderzimmer zurückkam, begann Milo neugierig zu werden und spähte durch den Türspalt. Er beobachtete, wie seine Mutter Frodo streichelte und ihm beruhigende Worte zusprach. Und dann holte er seine beiden Geschwister und ging mit ihnen ins Kinderzimmer und sie alle legten sich zu Frodo ins Bett, in dem Bemühen ihn zu trösten.

Aspodel war von der Warmherzigkeit ihrer eigenen Kinder überrascht. Sie wussten nicht warum Frodo so traurig war, aber sie wollten dennoch für ihn da sein. Und so blieben die fünf eine lange Zeit kuschelnd beieinander, bis Rufus von der Arbeit kam und versehentlich die Tür zu laut ins Schloss fallen ließ.

„Jemand zuhause?“, fragte der Hausherr und sah sich in der leeren Stube um.

Plötzlich rannten ihm seine Kinder entgegen und fielen im freudig lachend in die Arme. Aspodel folgte ihnen mit einem traurigen Lächeln und begrüßte ihren Gatten mit einem Kuss. „Guten Abend, mein Schatz.“ Sie wollte nicht, dass Rufus sich ihretwegen grämte. Daher atmete sie einmal tief durch, zwang die Trauer zurück und frischte ihr Lächeln auf.

„Guten Abend, meine Lieben.“ Rufus war einer der Büttel Bocklands und war deshalb oft viele Stunden unterwegs auf Streife. Wenn er abends heim kam, insbesondere in dieser kalten Jahreszeit, freute er sich daher auf die warme Stube, ein schönes Fußbad und einen heißen Tee.

An diesem Tag hatte Asphodel jedoch vergessen all die Annehmlichkeiten für ihn vorzubereiten. Daher setzte sie in Windeseile einen Kessel mit Wasser auf den Herd. „Ich habe die Zeit vergessen“, sagte sie entschuldigend zu Rufus. „Zeigt eurem Vater derweil, was ihr heute gebastelt habt.“

Die Kinder fühlten sich angesprochen und folgten ihm Vater an den Kamin, nachdem er Hut, Schal und Stock ablegt hatte. Rufus nahm in seinem Ohrensessel Platz und streckte sie kalten Füße in Richtung des warmen Kaminfeuers.

Während er sich von seinen Kindern ablenken ließ, trat Frodo schüchtern aus dem Kinderzimmer. Er blieb weitestgehend unbemerkt, bis er zu Asphodel in die Küche ging. „Kann ich dir zur Hand gehen? Es ist meine Schuld, dass Onkel Rufus nicht sein gewohntes Fußbad und den Tee bekommen hat.“

„Mach dir keine Sorgen, Frodo. Er versteht das, wenn ich es ihm später erkläre. Fühlst du dich jetzt etwas besser?“

Frodo nickte langsam. Er wollte nicht, dass seine Tante seinetwegen so viel Kummer hatte. Also zwang auch er sich zu einem Lächeln. „Ja, es geht mir etwas besser.“

Und so half er seiner Tante mit den Vorbereitungen für den Abend. Er schob vorsichtig die Brotkörbchen in den Ofen, die alsbald ihren würzigen Duft in der Wohnstube verbreiteten und unterstützte sie dabei, das Abendessen zu richten. In der Zwischenzeit bekam Rufus sein Fußbad und den Tee, so dass alles seinen gewohnten Gang nahm.

~

Am nächsten Tag fand sich die Gemeinde trotz strömenden Regens am südwestlichen Rand von Buckelstadt ein, wo der örtliche Friedhof angelegt war. Dieser grenzte sowohl an den Alten Wald als auch an den Brandyweinfluss. So ziemlich alle Hobbits der Stadt waren anwesend, um den Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Es waren sogar einige Hobbits aus Stock und Balgfurt anwesend.

Frodo fühlte sich trotzdem vollkommen allein unter den bekannten und unbekannten Gesichtern. Er wagte es kaum die Leute anzusehen, da er in ihren Blicken nichts als Traurigkeit und Anteilnahme sah. Er wollte ihr Mitleid jedoch nicht, er wollte heim zu seinen Eltern gehen können. Er wollte abends den Bettkantengeschichten seines Vaters und den Gute-Nacht-Liedern seiner Mutter lauschen.

Niemals wieder. Er würde keine dieser Geschichten je wieder hören, keines der Lieder. Dieser Teil seines noch so kurzen Lebens gehörte für immer der Vergangenheit an. Und es spielte keine Rolle, wie gut sich seine Familie um ihn kümmerte, er würde nie wieder die Geborgenheit und bedingungslose Liebe seiner Eltern spüren. Niemals wieder …

Während der Begräbniszeremonie wurden viele schöne Erinnerungen von den Leuten geteilt. Es wurden Lieder des Abschieds gesungen, der Vergänglichkeit, aber auch des Neubeginns und der Hoffnung. Frodo fühlte sich trotzdem wie betäubt und konnte an diesem Tag nicht mal mehr weinen. Er stand reglos bei seinen Großeltern mütterlicherseits und sah stumm in das große gegrabene Loch in der Erde hinab.

Nach und nach warfen die Anwesenden Blumen und Erde auf die schlichten Särge und verabschiedeten sich mit Beileidsbekundungen bei den Hinterbliebenen. Frodos Wange wurde unzählige Male getätschelt und gestreichelt, manche Leute gaben ihm einen Kuss auf das durchnässte Haar. Und er stand einfach nur da und ließ es über sich ergehen, während unaufhörlich der Regen auf ihn niederprasselte. Der Himmel schien für ihn zu weinen, als er es nicht mehr konnte.

„Lass uns zurück nachhause gehen“, sagte seine Tante irgendwann zu ihm. Und als Frodo zuerst sie ansah und sich dann umblickte, bemerkte er, dass sie inzwischen allein auf dem Friedhof waren. Jemand hatte das Grab bereits zugeschüttet. Es war mit einem schlichten Stein versehen, auf dem die Namen seiner Eltern eingraviert waren, sowie Geburts- und Sterbedatum. Er hatte nicht bemerkt, dass die anderen längst gegangen waren. „Du wirst dich noch erkälten“, drang erneut die sanfte Stimme seiner Tante zu ihm durch.

Ihm war vollkommen gleichgültig, ob er sich erkälten würde. Aber zum Wohle seiner Tante nickte er dennoch und ließ sich wortlos von ihr zurück zum Brandygut führen. Es war nicht sein Zuhause und würde es niemals sein. Es war ihm allgemein zu laut dort, zu belebt. Mehrere Generationen lebten im selben Großsmial beisammen.

Seine Eltern hatten ihre Privatsphäre stets geschätzt und so war Frodo in einem deutlich kleineren Smial abseits des Brandyguts aufgewachsen, wo er ein Zimmer für sich allein gehabt hatte. Wo er Ruhe hatte, wenn er für sich sein wollte. Ihm war bisher nie bewusst gewesen, wie sehr er die Möglichkeit des Rückzugs genossen hatte. In dieser Hinsicht war er nicht wie die meisten Hobbits, die gerne in der Gesellschaft vieler weilten. Und und wieder brauchte er die Stille, die Zeit für sich und seine Gedanken.

~

Asphodel legte den Kopf auf Rufus’ Oberkörper, als sie abends im Bett lagen. Er streichelte ihren Rücken und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf den Kopf.

„Bist du sicher, dass du dir nicht zu viel zumutest, meine Blume?“

Sie liebte es, wenn er sie so nannte. Es war sein Spitzname für sie, seit ihrer ersten romantischen Verabredung. Asphodel schlang einen Arm um seine Mitte. „Meine Eltern sind zu alt, um sich angemessen um Frodo zu kümmern. Und Amaranth hat mit ihrem Säugling gerade mehr als genug zu tun. Du weißt doch noch, wie wenig Schlaf ich in den ersten Lebensmonaten unserer Kinder hatte.“ Amaranth war ein paar Jahre jünger als Asphodel und ihre Schwester. „Ich möchte einfach sicher sein, dass Frodo jetzt ein Zuhause hat, das ihm Geborgenheit gibt und die Aufmerksamkeit, die er braucht. Ich kann ihn in seiner Trauer nicht sich selbst überlassen.“

Rufus nickte. „Das verstehe ich. Aber wenn es dir doch zu viel wird, musst du es mir sagen. Dann lassen wir uns etwas einfallen. Ich kann dich mit der Erziehung der Kinder nicht allzu sehr unterstützen und du weißt wie wichtig mir die Zeit ist, die ich neben der Arbeit mit unseren eigenen Kindern und mit dir habe.“

„Meine Eltern haben sieben Kinder großgezogen, ich denke dass wir mit vieren zurecht kommen werden.“

„Ich vertraue deinem Urteil, meine Blume.“ Er legte Zeige- und Mittelfinger unter ihr Kinn und brachte sie mit sanftem Druck dazu den Blick zu heben, um ihr in die Augen zu sehen. „Wie geht es dir nach diesem Tag?“

Im Schutz seiner Arme fühlte sie sich endlich frei genug, um über ihren Verlust zu weinen. Tagsüber ließ sie die Tränen nicht zu, aber in Rufus liebevoller Umarmung konnte sie sich fallen lassen und wusste, dass er sie halten und trösten würde.

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