Arda Fanfiction

Das neue Archiv für Geschichten rund um Tolkiens fabelhafte Welt!

Der Schatten von Angmar

von Dairyû

Kapitel III - Die Grenzlande

Úzbrúk fluchte und kreischte, um seine Männer anzutreiben, die einen schweren Proviantkarren über einen Hügel schaffen mussten. Die Orks zeterten und murrten, als sie den Wagen ziehend und schiebend auf die kleine Anhöhe brachten. Normalerweise hätte ein solcher Wagen für weniger als die Hälfte Orks keine Mühe bedeutet, aber jetzt lag der Schnee fast hüfthoch, mit einer Oberfläche hart und verkrustet. Sehr zum Leidwesen aller aber nicht hart genug, um einen Ork, geschweige denn einen schweren Wagen zu tragen.
So mussten sich die gedrungenen Krieger durch den Schnee kämpfen, dessen gebrochene Kruste ihnen in die Beine und Füße biss.

Der Ork-Hauptmann hatte seine Leute von der Waldstraße weg ins Gelände geführt, um einen Lagerplatz aufzusuchen. Seine Späher hatten ihm von einer Senke im Wald berichtet, die geeignet war.
Úzbrúk wollte längere Zeit in diesem Gebiet bleiben, es war zwar unwegsam, aber es lebten viele Menschen in kleinen Dörfern im Wald verteilt - auf Lichtungen, die sie selbst gerodet und der Natur abgetrotzt hatten. Der Ork plante, von ihrem zukünftigen Lager aus die hilflosen Menschen zu überfallen. Dabei erfüllten er und seine Männer nicht nur ihren Auftrag, sondern konnten sich zudem an den Gütern der Überfallenen schadlos halten. Eigentlich hätte ihn die Aussicht auf leichte Beute erfreuen müssen, aber die Umstände waren alles andere als gut, wenn man sie näher betrachtete. Der Ork-Hauptmann knurrte zornig, und hegte die Hoffnung, dass sich alles zu seiner Zeit ergeben würde.
Zuvor jedoch musste das Lager aufgeschlagen werden.

Úzbrúk ließ nicht locker. Als Schreien und Schimpfen nichts mehr nützte, zog er eine Peitsche aus seinem Gürtel und trieb die ächzenden Orks damit an.
In diesem Moment hasste der Ork-Hauptmann alles!
Den Schnee, mit seiner eisigen Kruste, seine murrenden Untergebenen, die ihm wütende Blicke zuwarfen und ihn verfluchten, seinen Dienst für Angmar ... und seinen Herrn.
In Eis und Schnee schickte er sie los, um Dörfer zu überfallen und Unruhe zu verbreiten. Und damit nicht genug: Warge begleiteten die Orkhorde. Wer unachtsam war, fand sich eines Nachts im Rachen eines solchen Ungetüms wieder!

Der große Ork schnaubte empört. Sollte sein Herr doch die Menschen aus dem Nebelgebirge schicken, um ihresgleichen zu quälen!
Úzbrúk schaute sich verstohlen um. Er konnte nicht einmal sicher sein, dass er hier, zwischen der Grenze Cardolans und Rhudaurs - über einhundertundfünfzig Meilen von Angmar entfernt - frei denken durfte.
Denn es hieß, der finstere Fürst wisse alles über seine Untertanen.

Úzbrúk erschauerte, wenn er sich das Bild der hochgewachsenen Gestalt ins Gedächtnis rief, auf die er dann und wann einen Blick hatte erhaschen können. Sein Gebieter war kalt wie der wandelnde Tod und seine Augen ließen diejenigen, die er ansah, in namenlosem Grauen erstarren.
Verflucht sollten sie alle sein, die Menschen, die nichts anderes zu tun hatten, als Krieg gegeneinander zu führen! Und wer musste letztlich dafür bluten?
Úzbrúk haderte noch eine Weile mit seinem Schicksal, aber dann nahm ihn das Aufschlagen des Lagers in Anspruch, denn endlich ging es wieder bergab, in die versteckte Senke hinein, die für ein Quartier bestens geeignet war.

Der Ork-Hauptmann sah sich zufrieden um. Die Senke war perfekt. Sie maß ungefähr zweihundert Fuß im Durchmesser, war fast kreisrund und an den Hängen mit Kiefern bestanden. Einige sehr große Bäume befanden sich in der Mitte der Senke. Sie besaßen ausladende Kronen und schützten vor Schnee; sie ermöglichten den Orks gleichzeitig, Feuer zu entzünden, da sie den Rauch auffingen und so vor möglichen Entdeckungen Abhilfe schafften.

Úzbrúk brüllte Befehle und trieb hier und da einen säumigen Krieger an. Nach zwei Stunden war das Lager bereitet. Die Orks verteilten sich an kleine Feuer, über denen sie Fleisch brieten; vieles aus den Häusern unglücklicher Menschen geraubt, die es nie mehr brauchen würden.
Die Orks konnten schon jetzt sehr zufrieden sein. Sie hatten in wenigen Wochen reiche Beute gemacht, und noch immer gab es in den Grenzgebieten genug zu holen.
Allmählich kehrte Ruhe ein.

Úzbrúk schickte einige Wachen an die Ränder der Senke.
Er ermahnte sie nicht sonderlich zur Vorsicht, denn in der Nähe waren keine menschlichen Siedlungen und der Schnee hielt etwaige Wanderer sicher davon ab, sich von den Wegen zu entfernen, die schwer genug zu passieren waren.
Zudem hatte der ununterbrochene Schneefall die Spuren verwischt, die zur Senke führten. Die Orks konnten sich sicher fühlen.
Was die Warge anging, stand auf einem anderen Blatt. Aber in ihrem Fall machte Úzbrúk sich ohnehin keine Gedanken. Orkwächter schreckten sie nicht ab; einzig die Lagerfeuer mieden sie. Sollte doch jeder Ork auf sich selbst aufpassen!

Als die Dunkelheit hereinbrach, begann sich Stille über dem Lager auszubreiten. Selbst Orks merkte man irgendwann die Erschöpfung an, und diese Gruppe hatte sich ganz besonders schwer durch die verschneite Landschaft gequält. Den Schlaf hießen sie alle willkommen.
Das Verschwinden der Orkwächter in der Stunde nach Mitternacht bemerkte deshalb keiner.

~~~

Cevaron spürte Zorn in sich. Schon seit Tagen wühlte dieses Gefühl in seiner Brust und erzeugte eine Spannung, die sich früher oder später entladen musste. Hier nun war die Gelegenheit. Auch wenn es ihm keine Freude mehr bereitete, Orkblut an seinem Schwert zu sehen ... Die Wut in ihm würde wenigstens kurzzeitig abflauen.
Der Anführer der Dúnedain gab ein Handzeichen und einige Krieger machten sich auf, um die Orkwachen an den Hängen der Senke zu beseitigen.

Cevarons Späher waren vor einigen Stunden auf die Orks aufmerksam geworden. Die Dúnedain hatten sich auf die Spur eines Dutzends großer Warge gesetzt und versucht, die Tiere zu erlegen, die unzweifelhaft zu den mordenden Horden gehörten, die das Waldgebiet unsicher machten. Dabei waren sie auf den Tross Orks gestoßen, der in der Senke sein Lager aufschlug.
Cevaron hatte sich mit seinen Männern ein Stück weit zurückgezogen. Er nahm an, dass die Orks sich ihrer näheren Umgebung nicht widmen würden - andernfalls wären sie auf die Spuren der Dúnedain gestoßen.
Der Krieger hatte recht behalten und sie waren unbemerkt geblieben.

Nun, im Schutze der Nacht und des stetig fallenden Schnees, war die Gelegenheit, eine weitere Horde Plagegeister unschädlich zu machen.
Ein Käuzchenruf signalisierte den Kriegern, dass die Wachen nicht mehr auf ihren Posten standen.
Cevaron gab den leisen Befehl zum Vormarsch. Die Dúnedain bewegten sich sehr vorsichtig über den Schnee. Selbst seine verharschte Kruste war für die Männer kein ernsthaftes Hindernis, auch wenn das Vorankommen dadurch schwerer wurde. Die Geräusche, die sie verursachten, konnte nur ein geübtes oder wachsames Ohr vernehmen.
Es dauerte lange, bis die Krieger die Senke erreichten.

Das Lager bot einen friedlichen Anblick - wenn ein Orklager das überhaupt tun konnte.
Zufrieden sahen die Dúnedain, dass sie leichtes Spiel haben würden. Die Orks hielten sich an den Feuern auf, die dicht beieinander unter den gewaltigen Kiefern aufgeschichtet waren.
Einige trugen ihre Waffen bei sich; die meisten jedoch waren unbewaffnet. Ihre Schwerter und Äxte lagen unbeachtet bei den Wagen.
Die Orks wähnten sich in Sicherheit und schliefen.
Cevaron wartete, bis sich seine Männer in Position befanden, dann gab er das Signal zum Angriff.

Úzbrúk schreckte aus dem Schlaf auf, der ihn eingelullt hatte. Von Plünderungen und Morden hatte er geträumt und fetter Beute. Seltsamerweise schien das Kriegsgeschrei aus seinen Träumen seine Ohren auch beim Erwachen zu erfreuen.
Es dauerte einige Augenblicke, bis der Ork bemerkte, was um ihn herum vorging. Er sah das Lager in einem heillosen Durcheinander versinken.

Der gelb-rote Schein der heruntergebrannten Feuer erhellte die Senke nur unzureichend und zunächst glaubte Úzbrúk an einen Angriff der Warge. Aber als er die großen Schatten zwischen den kleineren Gestalten der Orks umherhuschen sah, lange Schwerter schwingend, da wusste er, dass die Dúnedain sie gefunden hatten. Er hatte von anderen Orks gehört, dass die verfluchten, hochgewachsenen Krieger zahlreich in den Osten gekommen waren, um das Land und die einfachen Menschen zu beschützen. Bis jetzt war Úzbrúk jeder Begegnung mit den Dúnedain erfolgreich aus dem Wege gegangen. Aber das Glück hatte ihn und seine Männer nun verlassen ...

Der Ork-Hauptmann versuchte erst gar nicht, Befehle zu geben; seine Leute würden ihn nicht hören. Statt dessen griff er nach seinem Schwert und machte sich verteidigungsbereit.
Wenige Augenblicke später sah er sich zwei Menschen gegenüber. Er konnte ihre Gesichter nicht erkennen, denn sie waren gegen die bittere Kälte mit dicken Schals vermummt und die kräftigen Körper steckten in Fellen, so dass die Männer fast unförmig wirkten.
Aber all das hinderte sie nicht am Kämpfen.
Úzbrúk fiel unter einem geschickt geführten Schwertstreich. Er starb so schnell, dass er keine Schmerzen verspüren konnte, denn die Dúnedain waren gnädig mit ihren Feinden; selbst wenn die Orks es nicht waren.

Cevaron säuberte sein Schwert. Er wurde es allmählich Leid, durch die verschneiten Grenzgebiete zu streifen und Orkbanden aufzubringen. Seine Männer waren müde und eine stille Verzweiflung machte sich unter ihnen bemerkbar. Die Vernichtung einer Orkhorde schien zwei weitere hervorzubringen. Es war ein fast aussichtsloses Unterfangen der Orkplage Herr zu werden, indem man die widerlichen Kreaturen gezielt suchte und zur Strecke brachte.
Schweren Herzens hatten die Dúnedain sich für dieses Vorgehen entschieden.
Sie hatten so viele zerstörte Dörfer gesehen, dass sie jedes unberührte am liebsten mit einer Kriegertruppe geschützt hätten. Aber sie waren einfach zu wenige. Und je weiter sie sich auseinander zogen, desto eher kamen auch sie in Gefahr, denn die kleinen Dörfer waren zahlreich und weit verstreut.

Deshalb machten sie jetzt seit Wochen in größeren Gruppen Jagd auf die Orks und die Warge, die sich überall herumtrieben - und es schien nie ein Ende zu nehmen.
Cevaron rief seine Männer zusammen. Erfreut stellte er fest, sie weitgehend unverletzt zu sehen. Der eine oder andere hatte eine harmlose Wunde erhalten, die schnell heilen würde.
Die Orks waren einfach zu überrascht gewesen, um sich wirkungsvoll zu wehren.

Cevaron befahl, das Lager zu durchsuchen. Wenn sie Glück hatten, dann fanden sich brauchbare Waffen und Proviant, mit dem sich einige Tage auskommen ließ.
Die Dúnedain hofften inständig, dass sie bald wieder an den Hof des Königs zurückkehren konnten.
Irgendwann musste der Strom aus Orks und Wargen doch enden!
Vielleicht würde auch schon ein Wetterumschwung reichen, damit die Orks in ihre Unterschlüpfe im Nebelgebirge zurückkehrten ...

~~~

Der König von Angmar stand wieder auf der Terrasse seines Turmes. Und wiederum hielt er Ausschau. Seine Augen richteten sich auf die zwei verbliebenen Königreiche Arnors. Späher hatten Aran-dûr berichtet, wie es um die Fürstentümer bestellt war, die unter dem Winter litten, der viel zu früh über sie gekommen war, und die den Horden der Orks und Warge ausgesetzt waren.
Alles entwickelte sich so, wie Aran-dûr es geplant hatte.
Nun war es Zeit, dem Winter Einhalt zu gebieten und das Heer in Marsch zu setzen. Dann konnte er fast mühelos über die geschwächten Königreiche herfallen und ihnen ein Ende bereiten ...

~~~

Als urplötzlich Tauwetter einsetzte, war die Erleichterung groß. Die Hungernden konnten wieder auf die Jagd gehen und auch die Kornkammern wurden zu rettenden Orten. Die Menschen in Arnor schöpften neue Hoffnung. Man scherzte und lachte über den Winter, der wenige Tage zuvor noch mit eisigen Klauen den Tod über viele gebracht hatte.
Die Uralten erinnerten sich, von ihren Großvätern Geschichten über vergangene Winter gehört zu haben, die schlimmer gewesen seien, als das Wetter, das jetzt über die Menschen hereingebrochen war. Nun kehre Ruhe ein, das hoffte jeder und beteuerte es lautstark.
Insgeheim jedoch war die Furcht noch lebendig.

Es gab kaum eine Familie, die nicht einen Toten zu beklagen hatte. Das Vieh war in ganzen Herden dem Wetter und den wilden Tieren zum Opfer gefallen. Die Wintersaaten hatten Schaden genommen und manch einer war ohne Behausung.
Aber das Leben ging weiter. Das Schicksal konnte manchmal grausam sein, aber oft war es auch gütig. Und dieses gütige Geschick flehten viele an.
Die Dúnedain an der Grenze waren nicht minder erleichtert, als der Winter sich zurückzuziehen begann. Es wurde merklich wärmer und die Zahl der Orkhorden mit jedem Tag geringer.
Schließlich fanden die Krieger keine Feinde mehr, die es zu bekämpfen galt.

Sie blieben noch eine Weile und hielten Ausschau, aber als kein Ork, kein Warg und auch kein anderes feindliches Wesen ihren Weg kreuzte, beschloss Cevaron, alle Krieger, die nicht im Osten ihre Heimat hatten, zu sammeln und an den Hof König Varahirs zurückzukehren.
Es dauerte seine Zeit, bis die Dúnedain sich an den zuvor verabredeten Treffpunkten einfanden, denn die Gruppen waren weit verstreut gewesen.
Die Krieger hatten etliche Verluste zu beklagen, aber das ließ sich nun einmal nicht ändern. Jeden Kämpfer konnte solch ein Schicksal ereilen und jeder Krieger wusste und akzeptierte es.

Cevaron führte seine verbliebenen Männer am Fluss Mitheitel entlang, der die natürliche Grenze Cardolans zu Rhudaur bildete, um an der Brücke auf die Große Oststraße zu gelangen.
Sie kamen nur langsam voran, denn viele Pferde hatten die Strapazen der vergangenen Wochen nicht überstanden oder sie standen in den einfachen Ställen in den Dörfern verstreut, wo sie von ihren Besitzern zurückgelassen worden waren, als der Schnee zu hoch wurde. Sie zu holen war ein zeitraubendes Unterfangen, das die meisten Männer nicht auf sich nehmen wollten. So ließen sie ihre Rösser bei den Menschen des östlichen Cardolan, wohl wissend, dass die Tiere in guter Obhut waren ...

Rezensionen