Arda Fanfiction

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Seltsame Schicksale

von Tehta

Nicht der beste Tag

„Oh, er wusste, dass wir es scherzhaft meinten. Solche Späße sind gängig unter Waffenbrüdern.“

„Aber Fürst Glorfindel, wie habt Ihr es aus seinem Haus bekommen, ohne dass es jemand bemerkte?“

„Jetzt lasst mich nachdenken...“ Glorfindel versuchte, sich an die Einzelheiten eines Streiches zu erinnern, an dem er in Wahrheit gar nicht teilgenommen hatte. Aber die erwartungs- und vertrauensvollen Gesichter der neuen Rekruten, die um seinen Schreibtisch standen, lenkten ihn ab und ließen ihn sich schuldig wegen des kleinen Betruges fühlen. Als er sich in dem Versuch, einen größeren Überblick zu erhalten, zurücklehnte, sah er ein weiteres bekanntes Gesicht – und dieses wirkte etwas erschöpft –, das außerhalb der Bürotür lauerte. Was für ein Glück!

„Ah! Salgant!“ Die Vorderbeine von Glorfindels Stuhl knallten wieder auf den Boden, als er seinen Gast hereinwinkte. „Genau der Mann, den ich sehen wollte. Ich habe gerade diesen feinen Kriegern von der Zeit erzählt, als Gelmirs Bett seinen Weg in Tirions größten Fischteich fand. Ihr hattet die ganze Unternehmung geplant; erzählt mir, wie habt Ihr das geschafft, ohne Aufmerksamkeit zu erregen?“

Salgant starrte ihn offenen Mundes an, eindeutig überrascht von dieser Nachfrage. „Nun… Wir haben einen Nachmittag abgewartet, als Feanor und Fingolfin sich im Hof stritten – sie begannen damit, wie Rehfleisch richtig zu kochen sei, glaube ich, und arbeiteten sich hoch bis zu ihren Müttern. Die meisten der Höflinge waren dort und genossen das übliche Spektakel, Gelmir inbegriffen, und so hat niemand gesehen, wie wir das Haus betraten. Aber es war nicht das Bett, sondern sein Lieblingsstuhl, den wir mitnahmen.“

„Richtig, richtig. So war es. Aber ein Bett wäre dreimal so lustig.“ Und würde hoffentlich im Zuge dessen unwiederbringlich zerstört werden. „Doch was führt Euch her, Salgant? Wolltet Ihr mit mir sprechen?“

„Ja, das wollte ich tatsächlich.“ Salgant grinste eifrig, so wie er es tat, wenn er den gerade aufgetragenen Hauptgang bei Palastbanketten betrachtete.

„Sehr schön.“ Obwohl er die Bett-Intrige nur ungern unterbrach, entließ Glorfindel seine Rekruten. Leise gingen sie einer nach dem anderen hinaus, während Salgant sich auf dem Besucherstuhl niederließ.

„Diese herrlichen Zeiten damals in Valinor“, sagte er. „Wir sind seit langem Freunde, Ihr und ich, nicht wahr?“

Für einige Bedeutungen von ‚Freund’ stimmte das wohl, auch wenn Salgants satirische Lieder über Glorfindels Leichtsinnigkeit und Selbstgefälligkeit etwas anderes vermuten ließen. „Ja, doch, auf jeden Fall, Salgant. Erinnert Ihr Euch an all unsere Spiele über Elben und Orks? Wie mutig wir unsere kleinen, geschnitzten Stöcke geschwungen haben!“ Glorfindel lächelte bei der Erinnerung. „Wir konnten nicht ahnen, dass wir eines Tages diese legendären Kreaturen tatsächlich und mit echten Waffen bekämpfen würden.“

„Ja, Spielgefährten der Kindheit. Sie sind niemals vergessen, nicht wahr? Obwohl ich annehme, dass sie in Eurem Fall von späteren Verbindungen überschattet wurden – so wie von Eurer Freundschaft mit Ecthelion.“

Glorfindel fand Salgants Abneigung Ecthelion gegenüber, wie sie sich auf eine einseitige musikalische Rivalität gründete, unwürdig und lächerlich. Aber Künstler tendierten nun einmal dazu, sich selbst ernst zu nehmen. Und wenn Ecthelion sich nur selten von Salgant ködern ließ, dann war es zumindest teilweise deswegen, weil es für ihn Besseres gab, worauf er sein Leben konzentrierte – wie zum Beispiel auf Glorfindel selbst. Glorfindel lächelte angesichts verschiedener Erinnerungen und beschloss, freundlich zu sein.

„Ja tatsächlich, Ecthelion ist jetzt einer meiner engsten Freunde“, sagte er.

„Bestimmt der engste? Eure Freundschaft ist abenteuerlich, legendär… so sehr, dass es mich inspiriert hat, ein Lied darüber zu schreiben. Aber ich dachte, dass ich, in Anbetracht unserer Kinder-Freundschaft, Euch ein privates Konzert geben könnte, bevor ich die Komposition öffentlich mache.“

Oh Elbereth, nicht noch eine Satire. „Nein danke, Salgant. Ich bin nicht in der Stimmung für Musik.“

„Seid Ihr sicher? Das Lied könnte Euch sehr wohl gefallen, ungewöhnlich wie Eurer Geschmack ist. Es trägt den Titel ‚Glorfindel und Ecthelion und ihre Duellierenden Schwerter oder Wie der Tau der Quelle die Goldenen Blumen benetzt’.“

Salgants heimtückisches Grinsen ließ keinen Zweifel zu. Glorfindel spürte sein Gesicht heiß werden. Jetzt so angeklagt zu werden, nach all den Jahren der Sicherheit… was hatte sie verraten können? Vielleicht nichts; vielleicht war das eine haltlose Vermutung.

„Nein danke, ich bin immer noch nicht interessiert“, sagte er. „Um ehrlich zu sein, ich habe mir aus Eurem Gesang nie etwas gemacht.“

„Natürlich nicht. Ihr könnt süßeren Gesang hören, wann immer es Euch gefällt.“

In dem Bewusstsein, dass er seinen Rekruten ein schreckliches Beispiel lieferte, wenn er Salgant hinauswerfen würde, riss Glorfindel sich zusammen. Es fühlte sich an, als würde ein Korken in eine Flasche perlenden Weines zurückgepresst.

„Hört zu, Salgant. Ich weiß nicht, was Ihr – nein, eigentlich weiß ich sehr gut, was Ihr sagen wollt: ich habe Eure Lieder über die Freundschaft von Maedhros und Fingon gehört. Und ich glaube nicht, dass Eure Anschuldigungen eine höfliche Antwort verdienen.“ Salgants Ausdruck hatte sich nicht verändert und deutete an, dass Verteidigung nicht genug war. Glorfindel ging zu einem Ablenkungsangriff über. „Übrigens… Wisst Ihr, für einen verheirateten Mann scheint Ihr jedenfalls viel Zeit damit zu verbringen, über Verlangen unter Kriegern nachzudenken. Als ein ‚Kinder-Freund’ von Euch sehe ich mich gezwungen, Euch zu raten, damit aufzuhören, bevor die Leute sich falsche Vorstellungen machen.“

„Ich danke für Eure Besorgnis.“ Salgant schlug ein Bein über das andere, noch immer unbeeindruckt. „Jedenfalls versichere ich Euch, dass ich nur das natürlichste Verlangen hege. Ich singe über diese Dinge, weil ich es mag, die Leute zu amüsieren, und die Leute amüsieren sich über Verderbtheit – zumindest in der Distanz. Ich bin nicht sicher, wie sie reagieren würden, wenn sie wüssten, dass so etwas sich direkt unter ihrer Nase abspielt. Oh je, vielleicht sollte ich besser Abstand davon nehmen, mein neues Lied überhaupt in der Öffentlichkeit zu singen.“ Er grinste.

Glorfindel beobachtete ihn, wie er mit dem übergeschlagenen, wohlgerundeten Bein auf- und abwippte und fragte sich, ob Salgant mit dem ‚natürlichen Verlangen’ ein Verlangen nach Essen meinte. Er war über seine eigene Bosheit überrascht, aber nicht bestürzt, da er begann, Salgants Absicht zu verstehen.

Erpressung. Ecthelion hatte ihre Anfälligkeit dafür bei verschiedenen Gelegenheiten vorgebracht und jedes Mal hatte Glorfindel seine Befürchtungen mit einem Lachen abgetan. „Wer sollte versuchen, uns zu erpressen? Jeder weiß, dass wir das nicht hinnehmen würden.“ Aber jetzt, da seine Frage beantwortet war, sah er sich weniger rechtmäßig entrüstet als besorgt. Salgants Mund war in echtem Abscheu verzogen; der Gedanke, dass er diesen Ausdruck bald auf jedem Gesicht der Stadt gespiegelt sehen könnte, war albtraumartig.

Nun, Glorfindel wusste wie er mit Furcht umgehen musste: indem er sich der Gefahr stellte.

„Oh, haltet Euch meinetwegen nicht zurück“, sagte er. „Ihr habt schon zuvor schwach erheiternde Spottlieder über uns gemacht. Nun fügt ihr Euer Lieblingsthema der Mischung hinzu. Was macht das schon?“

„Diesmal wird die Wahrheit hinter meinem Lied stehen – und was für eine faszinierende Wahrheit! Ihr beide gebt ein bemerkenswertes, wenn auch störendes Bild ab. Nebenbei, während ich zugebe, dass Ihr diskret gewesen seid, kann ich mir vorstellen, dass verschiedene Kleinigkeiten äußerst verdächtig erscheinen werden, wenn sie in dem Licht meiner Enthüllungen gesehen werden. Ecthelions betrunkener Gesang zum Beispiel. Oder selbst dies – die Tatsache, dass Ihr sein Porträt an Eurer Bürowand hängen habt, genau dort, wo Ihr es ausgiebig betrachten könnt.“

Glorfindel brauchte Salgants ausgestrecktem Arm nicht zu folgen, um zu wissen, welches Bild er meinte. Es war eines seiner gelungeneren Werke.

„Nicht direkt ein Porträt, nicht wahr?“, sagte er. „Eher eine Illustration von Nevrast, belebt durch die Abbildung einiger hochrangiger Gardisten. Es ist Zufall, dass Ecthelion im Vordergrund steht. Und was ist mit dem Rest meiner Bilder? Den Orks, den Spinnen und den anderen exotischen Bestien? Habt Ihr vorgehabt, sie in Eure Anschuldigungen mit einzubeziehen – und vielleicht ein zweites Lied über mich und einen Balrog zu komponieren? Wenn man so darüber nachdenkt, Ihr seid ebenfalls auf den Nevrast-Bild: da, unter dem Apfelbaum. Wollt Ihr andeuten, dass ich Euch gegenüber ebenfalls ein ungesundes Verlangen empfinde?“

Salgant zappelte unter seinem Blick. Dann stellte er beide Beine auf den Boden und setzte sich aufrecht hin. „Ich bin nicht hierher gekommen, um mir perverse Vorschläge anzuhören oder über Unwichtiges zu argumentieren. Ihr täuscht sehr gut, das muss ich Euch lassen – aber ich frage mich, wie lange Ihr das durchhalten könnt. Könntet Ihr mit einer direkten Frage von jemandem, den Ihr respektiert, zurechtkommen: von Turgon zum Beispiel? Könnte es Euer aufrechter, offener Freund Ecthelion?“

Glorfindel erwog dies wirklich ernsthaft. Während er öffentlich als ein schrecklicher Schauspieler galt – seine letzte Darstellung in einer Wohltätigkeitsvorstellung von ‚Der Tod der Zwei Bäume’ hatte einen Kritiker witzeln lassen „Was Finarfin betrifft, hatte er die Ausstrahlung von jemandem, der nicht einen Vater, sondern ein Taschentuch verloren hat“ –, war sein eigentliches Problem nicht armselige Schauspielerei, sondern ein sehr eingeschränkter Bereich davon. Wie eben jener Kritiker bemerkt hatte, konnte er ganz gut heiteres Unverständnis zum Ausdruck bringen. Ecthelion jedoch war eine größere Sorge: obwohl er Schauspielunterricht erhalten hatte, hielten seine Prinzipien ihn normalerweise davon ab, solche Fähigkeiten in seinem persönlichen Leben einzusetzen. Würde er vorsätzlich seinen König belügen?

„Ich bin froh“, sagte Salgant, „Euch so angestrengt nachdenken zu sehen. Ich habe noch eine weitere Frage an Euch: davon ausgehend, dass Ihr es so sehr genießt, allgemein beliebt zu sein, wie werdet Ihr Euch fühlen, wenn Bewunderung sich erst einmal zu Verachtung gewandelt hat? Wenn ich erst einmal … dies hier spiele?“

Mit einem eleganten Schwung hob er seine Harfe und begann zu singen.

Schockiert lehnte Glorfindel sich zurück. Nicht aufgrund der Worte – er hörte sie kaum –, sondern aufgrund der feinen, schönen Melodie, die lebhafte Erinnerungen wachrief: an einen Abend im zeitigen Frühjahr und den Widerwillen, mit dem Ecthelion nachgegeben hatte, ihre kostbare private Zeit mit seiner Musik zu vergeuden; und an den Kampf, dem er selbst ausgesetzt gewesen war, als er zuhörte, zerrissen zwischen dem Verlangen mehr zu hören und seiner Sehnsucht, auch seine anderen Sinne in diese Erfahrung mit einzubeziehen.

„Genug.“ Er hielt sich kaum noch zurück, nach dieser beleidigenden Harfe zu greifen. „Ich erkenne die Melodie.“

Salgant hörte auf zu spielen. „Also teilt Ecthelion seine unfertigen Kompositionen mit Euch? Wie süß.“

Letztendlich hatte Ecthelion natürlich sehr viel mehr mit ihm geteilt. Glorfindel entsann sich noch immer des gewaltigen Glücks, das ihn damals durchflutet hatte, aber Salgants giftige Worte hatten ihm gezeigt, wie zerbrechlich ein solches Glück war. Um es zu schützen, würde Glorfindel praktisch sein müssen. Er dachte an eine beliebte, im nachgemachten Doriath-Stil eingerichtete Taverne, wo grauenhafte Musiker sich den Tischen abwechselnd näherten und spielten, bis ihnen Geld geboten wurde.

„In Ordnung, Salgant“, sagte er. „Ich nehme an, dies hier unterscheidet sich nicht allzu sehr von der Bezahlung der Geiger im ‚Gürtel’, damit ich mein Getränk in Frieden genießen kann. Dort wäre der Preis für ein Bier gewöhnlich ausreichend; wie viel erlangt Ihr?“

„Ihr verletzt mich“, sage Salgant selbstgefällig. „Von einem Kinder-Freund würde ich niemals Geld verlangen. Nein, ich dachte eher so in die Richtung eines Austausches freundschaftlicher Gefälligkeiten.“

„Welche Art von faulen Gefälligkeiten wollt Ihr von mir verlangen?“ Glorfindel schwor sich, dass, wenn diese Gefälligkeiten unmoralisch wären oder Ecthelion schadeten, Salgant sich sehr bald selbst vom Boden draußen aufsammeln würde, was auch immer die Rekruten denken mochten.

„Nun“, sagte Salgant, „zuallererst hätte ich es gern, wenn Ihr einen freundschaftlicheren Ton anschlagen würdet. Und dann… Sicherlich ist es an der Zeit, dass Ihr aufhört, jedem zu erzählen, sich nicht um meine Witze zu kümmern, da ich eine schwierige Kindheit hatte?“

Das klang ziemlich einfach – Glorfindel hatte kein Verlangen danach, Salgant jemals wieder zu entschuldigen. „Abgemacht.“

„Gut.“ Salgant lächelte. „Außerdem will ich, dass Ihr aufhört, nach mir zu rufen, wann immer ich am Übungsplatz vorbeigehe und mich zu bitten, an den Kämpfen teilzunehmen. Ich finde es demütigend, gezwungen zu sein, mit zunehmend verworrenen Entschuldigungen aufzuwarten. Und ja, ich weiß, dass körperliche Betätigung gesund ist, von einer Übungswaffe geschlagen zu werden aber nicht. Nebenbei, Ihr scheint nicht zu bemerken, dass es weh tut.“

„Nun, natürlich tut es weh! Aber von einer echten Waffe getroffen zu werden, tut noch mehr weh und ist noch schlechter für Eure Gesundheit, als der Mangel an körperlicher Betätigung.“

„Sicherlich ist es das. Deswegen haben wir uns entschieden, hier zu leben, in der Sicherheit dieses verborgenen Tals, wo wir uns um solche Dinge nicht sorgen müssen.“

Erpressung oder nicht, Glorfindel konnte das nicht so stehen lassen. „Dem stimme ich nicht zu. Wir sind nicht frei von Gefahr, nicht einmal in dieser friedlichen Stadt. Alles in Arda trägt Morgoths Makel und-“

„Bitte erspart mir das Gerede. Ihr werdet mich nicht davon überzeugen können, dass wir bedroht sind, dass die Wache eine Armee in der Ausbildung ist und ihre Waffen etwas anderes als zeremoniell sind. Obwohl ich zugeben muss, dass Ihr einen sehr schlauen Weg gefunden habt, die Paranoiden, Gelangweilten und Blutdürstigen unserer Bürger zu Euren Gefolgsleuten zu machen – indem Ihr Morgoth auf diese Weise beschwört. Es ist schon ironisch, dass Ihr selbst mehr von dem Makel des Feindes behaftet seid, als sonst jemand.“

Glorfindel hatte dies schon einmal gehört, von Ecthelion. Manchmal, wenn er erschöpft von all den Täuschungen war, hatte er es fast geglaubt. Aber Salgants Benehmen rückte die Dinge ins rechte Licht. „Ich bin sicherlich mit keinem größeren Makel behaftet als Ihr, Ihr Erpresser“, sagte er.

„Seid Ihr doch.“

„Bin ich ni- ich werde mich nicht auf diese lächerliche Diskussion einlassen. Und was ich über Morgoth sage, ist ernst gemeint und nicht irgendein politischer Schachzug.“

„Oh, ich wage zu behaupten, dass Ihr Eurer eigenen Propaganda glaubt. Aus diesen Kinder-Ork-Spielen seid Ihr niemals wirklich herausgewachsen, nicht wahr?“ Salgant wedelte herablassend mit den Händen. „Aber wenn Ihr unseren friedlichen Ansatz zur Stadtplanung langweilig findet, dann würdet Ihr es vielleicht vorziehen, draußen bei all den wahnsinnigen Feanorim zu sein. In diesem Fall hättet Ihr Glück: ich wäre nicht überrascht, wenn Turgon, sollte er mein Lied hören, sich entscheidet, einen von Euch beiden dort hinaus zu schicken.“

Salgants Spitze traf. Hier stand viel mehr auf dem Spiel, als öffentliche Bewunderung und privates Glück: blamiert, vielleicht sogar getrennt hätten Ecthelion und Glorfindel es sehr viel schwerer, damit fortzufahren, die Garde in eine militärische Einheit umzuformen. Glorfindel nickte. „Schön. Ich werde aufhören, Euch zum Kämpfen zu ermutigen. Sind das jetzt Eure einzigen Forderungen?“

„Nicht Forderungen, Bitten. Und ich habe noch eine weitere – für den Moment. Etwas, das Euch sehr am Herzen liegen sollte, wenn man bedenkt, wie sehr Ihr Euch um jene sorgt, die eine schwierige Kindheit hatten.“ Salgant hielt inne, der Trick eines billigen Schauspielers.

„Nun, was ist es?“

„Unser junger Prinz ist zutiefst unglücklich. Er hat seine engste Familie verloren und nun erweisen sich die wenigen verbliebenen Verwandten als kaltherzig. Idril spricht kaum mit ihm. Ihr habt Idrils Gehör; überzeugt sie davon, dem armen Waisen das Gefühl zu geben, willkommen zu sein.“

Glorfindel, der gelegentlich daran gedacht hatte, genau dies zu tun, sah Salgant misstrauisch an. „Was springt für Euch dabei heraus?“ Fast im selben Moment erkannte er die Antwort. „Maeglins Gunst. Ihr wollt die ganze Anerkennung für eine solche Veränderung einstecken.“

Salgant grinste wieder selbstgefällig. „Ich bin froh, dass wir einander verstehen. Versucht bald mit Idril zu sprechen, vielleicht noch vor Morgen. Die Versammlung, mit der der Beginn Eurer lächerlichen Kriegsspiele gefeiert wird, könnte eine gute Zeit für sie sein, ihre kalte Art zu bereuen. Oder alternativ für mich, mein Lied vorzutragen.“

Er schulterte seine Harfe, erhob sich von dem Stuhl und ging.



Sowie Salgant außer Hörweite war, schlug Glorfindel auf den Tisch. Die angespannte Diskussion hatte sein Blut gesäuert, er musste das Gift herausschwitzen. Er ging hinaus in den Hof und stellte sich, mit einem Speer bewaffnet, vor einem herabhängenden Strohsack auf. Als er wieder und wieder zustieß, versuchte er sich nicht vorzustellen, Salgant anzugreifen, obwohl die große Ähnlichkeit zwischen Harfenspieler und Sack das ziemlich schwierig machte.

Nach einigen Minuten fühlte er sich wieder wie er selbst und war in der Lage, darüber nachzudenken, ob so zu handeln wie Salgant forderte – zumindest bis seine Forderungen unvernünftig wurden – der richtige Weg war. Obwohl seine Einwilligung ihm etwas Zeit verschaffen würde, fühlte es sich falsch an, aber er konnte nicht entscheiden, ob seine Abneigung von seinem Stolz oder seinem Gewissen herrührte. Solche verworrenen Gedanken brachten ihn durcheinander. Er griff sein Ziel erneut an.

„Glorfindel?“

Die vertraute klare Stimme veranlasste Glorfindel, sich umzudrehen. Plötzlich sah sein Tag viel besser aus. Er hatte Ecthelions beabsichtigten Mittagsbesuch völlig vergessen.

Ecthelion nickte in Richtung des Speers. „Was bedrückt dich – die neuen Rekruten?“

„Im Moment nichts“, sagte Glorfindel fast wahrheitsgemäß. Wie immer bedingte Ecthelions Gegenwart, dass er sich lebendig und fehlerlos fühlte und sein Körper vibrierte mit dem Bedürfnis zu beweisen, dass jeder Teil davon in perfektem Zustand war. Er unternahm einen letzten gekonnten Speerwurf, brachte seine Waffe zurück zu ihrem Ständer und ging hinüber zu seinem Freund. Erst als er eine Hand hob, um Ecthelion auf die Schulter zu klopfen, erinnerte er sich an Salgant und dessen Lied. Er änderte die Bewegung seiner Hand, um durch sein eigenes Haar zu kämmen und dann in Richtung der Wasserpumpen zu deuten.

„Entschuldige mich. Ich sollte lieber…“, sagte er.

Als er Schweiß, Staub und einige Strohhalme abspülte, versuchte Glorfindel seine Verwirrung zu überwinden. Er hatte lange geglaubt, dass gelegentlich öffentlich gezeigter körperlicher Kontakt mit Ecthelion nicht nur akzeptabel, sondern notwendig war: es wäre merkwürdig, wäre sein engster Freund der einzige, den er niemals berührte. Aber war sein altes System von Täuschungsmanövern noch gültig, jetzt, wo sie entdeckt worden waren?

„Hungrig?“ Ecthelion trat zu ihm und bot ihm ein Handtuch. „Mein Lieblingshändler ist draußen im Hof.“

Glorfindel nickte. „In Ordnung, lass uns gehen.“

Sie kauften die Teleri-Kost, die Ecthelion so gern mochte – rohen Fisch, gewürzt und mit gekochtem Getreide in Kohlblätter gewickelt – und setzten sich an den Rand eines nahen Brunnens. Während sie aßen, sprachen sie über die neueste Helm-Mode, aber Glorfindel empfand es als schwierig, sich auf dieses faszinierende Thema zu konzentrieren. Er sah sich vor ein weiteres Dilemma gestellt: sollte er Ecthelion von der Erpressung erzählen? Ihn darüber im Unklaren zu lassen, wäre wie ein Betrug, aber ihm war nicht zuzutrauen, auf ruhige und pragmatische Weise zu reagieren. Glorfindel würde es versuchen und Ecthelions Gefühle zuerst irgendwie abschätzen müssen.

Ecthelion sprach gerade in dem Moment, als er beginnen wollte. „Weißt du“, sagte er, „ich habe über diese Vanya-Rolle, die du mir gezeigt hast, nachgedacht, diejenige, die du in der Abteilung für Eheliche Gesundheit in der Bibliothek der Heiler gefunden hast.“

„Ja?“ Glorfindel empfand ein angenehm ablenkendes Aufflackern von Lust. „Wieso, möchtest du sie dir noch einmal ansehen?“

„Nein, ich habe mich nur gerade gefragt, was du in dieser besonderen Abteilung getan hast.“

„Forschung.“ Glorfindels Hoffnung, die etwas exotischeren Stellungen zu diskutieren, brach in sich zusammen und er kehrte zu seinem Plan zurück. „Aber darüber werde ich dir ein anderes Mal erzählen. Im Moment möchte ich deine Meinung zu einer delikaten Angelegenheit hören.“

„Aber warum warst du-“ Ecthelion sammelte sich. „Sprich weiter.“

„Ich habe gerade Probleme mit einem meiner Männer gehabt. Ich kann natürlich keine wirklichen Namen nennen, also lass ihn uns Imin nennen. Nun, Imin hat ein Geheimnis, das er zu verbergen versucht hat: eine große Spielschuld. Ein anderer Gardist, lass ihn uns Tata nennen, hat Imins Geheimnis entdeckt und fordert jetzt Gefälligkeiten im Gegenzug für sein Schweigen.“

„Erpressung.“

„Ja. Kein besonders scheußliches Beispiel – alles, was Tata verlangt, ist… nun, unbedeutende Dinge wie der Austausch von Arbeitszuteilungen oder geringere Aufmerksamkeit auf dem Kampfplatz.“ Unfähig es zu ändern, fügte Glorfindel hinzu: „Tata scheint einer von der engstirnigen Sorte zu sein, der nicht begreift, dass eine normale Person wie Imin solche Anfragen sowieso erfüllt hätte, aus Höflichkeit.“

„Er will wahrscheinlich auf größere Dinge hinaus und versucht sein Opfer an die Situation zu gewöhnen.“ Ecthelion zog eine Grimasse. „Aber ich verstehe es so, dass ‚Imin’ das Vernünftige getan und mit seinen Problemen zu dir gekommen ist?“

„Du meinst, es ist vernünftig, das zu tun?“

„Natürlich – willst du damit sagen, dass er es nicht getan hat? Aber warum ist er so verzweifelt darum bemüht, seine Spielschuld überhaupt vor dir zu verbergen? Dir würde es doch sicher nichts ausmachen?“

„Ah. Ja. Nun, es geht nicht nur um mich.“ Glorfindel dachte schnell nach. „Imin ist… Er hofft, dieses Mädchen zu heiraten, dessen Vater – Enel – für seinen Hass auf das Glücksspiel bekannt ist. Und Tata droht, es Enel zu erzählen.“

„Ich verstehe. Also handelt es sich um Heirat?“ Ecthelion rieb sich die Schläfen. „Wenn ich Imin wäre, würde ich es Enel selbst sagen. Es ist der richtige Weg und Enel wird es sowieso herausfinden, wenn man bedenkt, wie schnell Klatsch sich in dieser Stadt verbreitet. Obwohl ich warten könnte, bis ich den Beweis hätte, dass die Zeiten meines Glücksspiels vorüber sind. Aber über was wolltest du meine Meinung hören?“

„Oh, nichts.“ Nach der Ermahnung, alles zu erzählen und der Erwähnung von sich schnell ausbreitenden Klatsch hatte Glorfindel nicht den Wunsch, bei dem Thema zu bleiben. „Du hast mir bereits gesagt, was ich wissen wollte.“

„Habe ich das?“ Ecthelion sah Glorfindel eindringlich an. „Glorfindel, deine Geschichte hat so etwas…Allegorisches an sich. Nun, Maeglin neigt manchmal dazu, in solchen Rätseln zu sprechen, aber du neigst dazu, direkt zu sein. Ernsthaft, was ist los? Du weißt, dass du mir alles sagen kannst.“

„Ich kann darüber im Moment nicht sprechen.“

Ecthelion ließ seinen Blick über die mittägliche Menge schweifen. „Nein, natürlich nicht. Entschuldige.“

Eine der Regeln, nach denen sie lebten, besagte: während öffentliche Gesten der Zuneigung gelegentlich akzeptabel waren, waren ernste Gespräche es nicht, da sie andeuteten, dass etwas Schwerwiegendes auf dem Spiel stand. Glorfindel hatte diese Regel häufig bereut, aber heute war er froh um die Entschuldigung, weitere Diskussion vermeiden zu können.

Ecthelion jedoch schien nicht bereit, das Thema fallen zu lassen. Er sah weiterhin über den Platz, in ernste Gedanken versunken. Glorfindel bewunderte, wie das Licht hinter seinen Augen flackerte wie ein Glitzern auf grauem Stahl; eine passende Widerspiegelung des inneren Kampfes, der zweifellos in Ecthelions Verstand stattfand. Er war daran gewöhnt, solche Kämpfe zu beobachten. Gewöhnlich ertappte er sich bei der Hoffnung, dass Ecthelions niedere Triebe gewinnen würden, aber heute war er nicht so sicher, welche Seite er anfeuern sollte oder welche Seiten es überhaupt waren.

„Nun.“ Ecthelion wandte schließlich seinen Blick wieder zurück. „Vielleicht sollten wir woanders hingehen. Oder uns später treffen.“

Eindeutig hatte der Teil Ecthelions, der ihn gewöhnlich davon abhielt, seine Arbeit zu versäumen, eine ernsthafte Niederlage erlitten. Der Vorschlag war äußerst verlockend: selbst wenn Ecthelions Absicht lediglich eine private Unterredung war, sollte er zu solchen improvisierten Vorschlägen häufiger ermuntert werden. Glorfindel konnte sich mehrere passende, ermutigende Belohnungen vorstellen. Leider war er sicher, dass nichts ihn davon abhalten würde, Ecthelion die ganze Geschichte zu erzählen, wenn er in einem schwachen Moment gefragt würde. Und dann gab es noch Salgants Spione zu bedenken.

„Entschuldige, Ecthelion. Ich habe sehr viel zu tun heute. Ich muss meine Gardisten inspizieren, mit dem Kopieren der Karten für die Kriegsspiele fertig werden, sie zu Idril bringen und ihr helfen, ihr Fest vorzubereiten.“ Der letzte Gedanke heiterte Glorfindel auf: dieser private Besuch würde ihm die Gelegenheit verschaffen, Salgants Forderungen zu erfüllen. Mit etwas Glück wäre die ganze Sache morgen erledigt und dann würde er in der Lage sein, sich darauf zu konzentrieren, seinen Erpresser abzuschütteln. Er lächelte Ecthelion ermutigend zu.

Ecthelion antwortete mit einem Blick aus zusammengekniffenen Augen. „Weißt du, du wirst nach der Feier noch mehr zu tun haben, wenn der Wettbewerb beginnt.“

„Dann werden wir danach sprechen.“

„In Ordnung.“ Ecthelion drehte sich zum Brunnenbecken herum, schöpfte eine Handvoll Wasser und beobachtete, wie es durch seine Finger lief. Sein Gesicht war unnahbar und unbewegt. Er war eindeutig beunruhigt, aber Glorfindel entschied, ihn mit seinen Gedanken allein zu lassen. Wenn so viel auf dem Spiel stand, schien dies ein notwendiges Opfer, das sich nicht so sehr davon unterschied, ein Mitglied einer Kompanie eine schwierige Gegenposition allein einnehmen und eine Verletzung riskieren zu lassen, um die ganze Kompanie vor Übel zu schützen. Glorfindel war entschlossen, ihre kleine Zweier-Kompanie zu bewahren.

„Sorge dich nicht, Ecthelion“, war alles, was er zu sagen wagte. „Alles wird gut werden. Zumindest glaube ich das.“

„Ja, natürlich. Aber ich sollte gehen. Du… Nun, wir werden später sprechen.“ Ecthelion stand auf und schüttelte seine Hände, um sie zu trocknen. „Viel Glück für dein Gespräch mit Idril.“

Glorfindel war beeindruckt, dass er irgendwie die Wichtigkeit dieses Treffens erahnt hatte und nahm dies als gutes Omen. Er lächelte leise in sich hinein, sah aber nicht auf, als Ecthelion fort ging; Freunde tun das nicht, nicht wenn ihr Blick dazu neigt, in einer anerkennenden Weise zu verweilen. Stattdessen lenkte er sich damit ab, mit den letzten Krümeln seines Mittagessens die Brunnenfische zu füttern, in dem Versuch, ihnen Kunststückchen beizubringen. Selbst wenn herkömmlichem Wissen nach Fische als zu dumm dazu galten, blieb Glorfindel hoffnungsvoll.



Der Rest von Glorfindels Tag war der Schreibarbeit gewidmet, den Inspektionen der Wache und gelegentlichen Phantasien über das, was an diesem hypothetischen Treffen mit Ecthelion hätte geschehen können. Als ein Blick aus dem Fenster ihm zeigte, dass die Nachtkerze sich zu öffnen begann, eilte er hinüber zum Palast, um nach Idril zu suchen.

Er fand sie im Herbstgarten, auf einer niedrigen Bank sitzend, mit zwei von ihren Damen an der Seite und umgeben von rot-goldenen Chrysanthemen. Die Blumen und die Damen waren fast, aber nicht ganz so lieblich wie sie. Alle drei Mädchen waren über große Notizbücher gebeugt und runzelten hübsch die Stirn wie Schulmädchen, die ein kompliziertes Sonett aus dem Quenya zu übersetzen versuchten.

„Guten Tag“, sagte Glorfindel. „Haushaltsberichte?“

Die Mädchen sahen auf und lächelten grüßend.

„Getreideüberschuß-Planungen“, sagte Idril.

Glorfindel lächelte zurück. „Ich würde meine Hilfe anbieten, wenn ich der Meinung wäre, es würde etwas nützen. Aber vielleicht würdet Ihr Euch an einem erfrischenden Spaziergang erfreuen, meine Dame?“

„Warum nicht?“ Idril legte ihr Buch beiseite und nahm Glorfindels dargebotenen Arm. Sie gingen einen Pfad hinunter, der gesäumt war von sich gelb färbenden Bäumen und überall um sie her flatterten Blätter herab.

„Also Glorfindel, welcher Angelegenheit verdanke ich dieses Vergnügen?“, fragte Idril. „Du siehst besorgt aus. Wolltest du meinen Rat in etwas erfragen?“

„Besorgt? Ich?“ Obwohl er versucht war, beschloss Glorfindel, Idrils Angebot nicht anzunehmen. Die Imin-Tata-Enel-Geschichte schien nicht zu funktionieren und er konnte ihr die Wahrheit nicht erzählen, ohne das eine Geheimnis zu enthüllen, das er zu schützen versuchte. „Nein, ich habe dir nur die Karten gebracht, die du morgen ausgeben sollst.“ Er blieb stehen und überreichte ihr eine flache, lackierte Schachtel.

„Danke.“ Idril nahm die Schachtel aus seinen Händen und blätterte durch den Inhalt und ihre Fingerspitzen zeichneten die Zeichen der jeweiligen Mannschaften nach, die auf jeden Umschlag gestempelt waren. „Weißt du, Startpunkte aufs Geratewohl zu vergeben scheint so einfallslos. Sollen wir den Wettbewerb festlegen? Wer sollte gewinnen – Vaters Mannschaft? Deine?“ Sie lächelte verschmitzt.

„Könnten wir stattdessen festlegen, dass meine Mannschaft verliert? Und dass die Brunnen-Mannschaft noch schlechter abschneidet? Ecthelion sorgt sich, dass sie zu gut ist, selbst nach all der Mühe, die er aufgebracht hat, um seine besten Männer von einer Teilnahme abzuhalten. Er hat Recht, weißt du; es sieht nicht gut aus, wenn unsere Mannschaften sich gut schlagen.“

„Natürlich.“ Idril schloss die Schachtel. „In diesem Fall wirst du vielleicht mit mir zusammen die Daumen für das Haus des Maulwurfs drücken? Ein Sieg würde Maeglin freuen.“

Dieser Anfang war zu perfekt, um ihn zu ignorieren. „Ja, der junge Maeglin ist ziemlich bedrückt, nicht wahr? Weißt du, ich hatte ohnehin die Absicht, mit dir über ihn zu sprechen. Ich denke, ein wenig freundliche Aufmerksamkeit von seiner lieblichen Cousine würde ihm sehr gut tun.“

„Oh, ich glaube, ich bin freundlich genug.“

In Idrils Stimme klang etwas Sonderbares mit. An jedem anderen Tag hätte Glorfindel das Thema fallen gelassen. Stattdessen entschied er, so diplomatisch wie möglich zu sein.

„Maeglin kann schwierig sein, ich weiß“, sagte er. „Ich habe bemerkt, dass seine Gegenwart dir Unbehagen bereitet. Aber ich glaube immer noch-“

„Du hast Recht. Ich empfand Unbehagen seit dem Tag seiner Ankunft.“ Idrils beunruhigter Ausdruck verlieh ihren Worten Gewicht. „Seit dem Tag von Aredhels Ermordung. Ich bin beunruhigt von dem Rachedurst, der uns mit Eols Hinrichtung alle zu Sippenmördern gemacht hat. Ich glaube immer noch, wir hätten ihm Gnade gewähren sollen.“

Glorfindel runzelte die Stirn bei diesem plötzlichen Wandel in der Unterhaltung. Jedenfalls, wenn Idril über diesen traumatischen Tag reden wollte, würde er ihr den Gefallen tun; rein zufällig hatte er etwas dazu zu sagen.

„Ihm Gnade gewähren?“, fragte er. „Indem wir ihn gezwungen hätten, in einer Stadt zu leben, die er hasste, erfüllt von dem Wissen, dass er die Frau, die er liebte, getötet hatte und dass sein Sohn ihn verabscheute? Vielleicht war es eine freundlichere Tat, ihn in die Hallen von Mandos zu senden, wo er geheilt werden kann, als eine selbstsüchtige Rache; die Schuld für seinen Tod zu übernehmen kann als edles Opfer gesehen werden.“

„Das ist eine sehr nachdenklich stimmende Ansicht.“ Idril lächelte leicht. „Ich kann erkennen, dass du die Angelegenheit gründlich mit jemandem diskutiert hast, der an ethischen Dilemmas interessiert ist. Aber ich wollte damit nicht sagen, dass ich unter theoretischer Schuld leide. Nein, ich verspüre ein sehr greifbares Gefühl von Verhängnis. Seit jenem Tag habe ich merkwürdige Träume gehabt. Vorahnungen von der Zerstörung unserer Stadt.“

Glorfindel zögerte einen Moment, bevor er zugab: „Ich selbst habe einige sehr lebhafte Träume gehabt, solche, in denen ich in verzweifelten Schlachten außerhalb dieses Tales kämpfte. Aber ich bin es leid, meine Träume als Vorahnungen zu bezeichnen, wenn sie ebenso Wunschträume sein könnten. Oder die Auswirkungen von zuviel gutem Essen.“

„Ich verstehe.“ Idril kaute an ihrer Lippe. „Danke, dass du mir das anvertraut hast. Wir sollten noch mehr darüber sprechen, wenn wir mehr Zeit haben. Also – sollen wir zurückgehen?“

Sie nahm wieder Glorfindels Arm. Sie waren bereits den halben Weg zurück zur Bank gegangen, als er feststellte, dass er Salgants Wunsch nicht erfüllt hatte. Er blieb stehen.

„Ja, Vorausahnungen des Schicksals sind beunruhigend“, sagte er. „Aber sicherlich machst du deinen Cousin nicht dafür verantwortlich, sie so indirekt hervorgerufen zu haben. Auch nicht für die Charaktere und Taten seiner Eltern; wenn diese Dinge irgendetwas bedeuten, dann müssen sie ihn entschuldigen. Vielleicht könntest du-“

„Nein, Glorfindel, ich kann nicht.“ Idrils Ton erinnerte an Turgon, wenn er am förmlichsten war. „Überhaupt, warum beharrst du darauf, über Maeglin zu sprechen? Du solltest bemerkt haben, dass ich das Thema gewechselt habe. Ich weiß, dass Ecthelion ihn gern mag; hat er dich gebeten, das zu tun?“

„Nein.“ Die Anklage wurmte ihn. Glorfindel gehorchte Ecthelion nicht so blind, oder wenn er es tat, dann nur unter sehr besonderen Umständen. „Ich dachte nur… du und dein Vater, ihr seid die einzigen verbliebenen Verwandten Maeglins und König Turgon ist zu beschäftigt, um seinem Neffen viel persönliche Aufmerksamkeit zu schenken. Kein Wunder, dass der Junge so einsam ist. Familie ist sehr wichtig“, endete er und ärgerte sich über seine eigene Banalität.

„Ah ja, Familie.“ Idril pflückte eine orangefarbene Chrysantheme von einem nahen Busch. „Das ist natürlich ein großer Teil des Problems.“

„Was meinst du?“

„Es ist nicht wirklich… Oh, es könnte helfen, es jemandem zu erzählen.“ Idril sah hinab auf die Blume und strich über ihre Blütenblätter. „Glorfindel, Maeglin begehrt mich.“

Es dauerte einen Moment, bis die Worte ihn erreichten. „Aber er ist dein direkter Cousin… Sicher hat er… Bist du sicher, dass du seinen Hunger nach Zuneigung nicht falsch interpretierst? Hat er offen darüber gesprochen?“

„Nicht wirklich. Aber mir wurde oft genug der Hof gemacht, so dass ich die Zeichen lesen kann.“

Trotz ihrer Jugend war Idril weise; Glorfindel glaubte ihr. Dies war eine ernsthafte Komplikation. Hatte Salgant davon gewusst? Sicherlich nicht. Sicherlich würde er ein solch unnatürliches Begehren nicht unterstützen, nicht nachdem, was er gesagt hatte-

Sehr zu seiner eigenen Überraschung ertappte Glorfindel sich dabei, mit Maeglin mitzufühlen.

„Ich verstehe deinen Abscheu, Idril“, sagte er. „Und doch… der arme Junge. Mit einem verbotenen Begehren für jemanden zu hadern, der seine Gefühle nicht erwidert.“

„Ja, natürlich. Ich hätte wissen sollen, dass du das verstehen würdest. Aber verschwende nicht dein Mitleid an ihn, Glorfindel. Maeglin besitzt nicht deinen Sinn für Ehre. Er ist nicht glücklich mit der Art von Freundschaft, die ich ihm anbieten kann.“ Idril lief einige Momente weiter. „Er… weigert sich, meine Privatsphäre zu respektieren. Ich glaube, er spioniert mir nach – er spricht über viele meiner alltäglichen Beschäftigungen, als ob er dabei gewesen wäre. Und dann finde ich immer wieder unbekannte Dinge auf meiner Kommode. Unbegreifliche, metallene Geräte. Liebesgedichte, in denen sich mein Name mit Ausdrücken wie ‚Drill’ reimt. Spitze Schuhe. Wer sonst würde mir solche Geschenke hinterlassen? Maeglin ist der einzige, der mir rät, nicht barfuss herumzulaufen. Zu meinem eigenen Besten, sagt er.“

Glorfindel erinnerte sich jener Tage, als Ecthelion, damals nur ein Freund, ihm wiederholt gesagt hatte, er solle sein Haar zurückbinden, aus ähnlichen Gründen. „Hm. Er klingt schon interessiert an dir. Um nicht zu sagen irritierend interessiert. Aber die Geschenke sind eine ernste Angelegenheit; wie erlangt er Zutritt zu deinem Zimmer?“

„Ich vermute, er benutzt einen ausgebildeten Jagdvogel. Wie dem auch sei, das ist nicht alles.“ Idril drehte die Blume zwischen den Fingern. „Kürzlich hat er begonnen, von… Heirat zu sprechen.“

„Heirat mit dir?“

„Heirat im Allgemeinen. Oder eher so etwas in der Art. Oh, Glorfindel! Ich besitze gar nicht die Worte, um das zu beschreiben. Und auch Maeglin besitzt sie nicht. Er spricht immer wieder die Tierzucht an. Er erzählt mir, dass, wenn man bei Hunden eine außergewöhnliche Veranlagung findet, ist es wichtig… die Linie rein zu halten. Wurfgeschwister sind oft zu eng verwandt, sagt er, aber alles, was darüber hinausgeht…“ Idril erschauerte, zerpflückte ihre Blume und ließ die Blütenblätter von ihren Fingern schweben.

Ein Windhauch erfasste die Blütenblätter und einige verfingen sich in ihrem Haar. Als er auf ihren gebeugten Kopf hinab sah, wurde Glorfindel von Beschützerinstinkt überflutet. Sie war so klein und zart und letztendlich so jung – und sie hatte über die Angelegenheiten von Herz und Körper stets mit Ernst gesprochen, als ob diese heilig wären. Er griff hinab und löste sanft die gefangenen Blätter.

„Möchtest du, dass ich mit ihm spreche?“

„Nein!“ Idril sah auf. „Das würde ihn nur ärgern und ihn veranlassen, dich als einen Feind zu betrachten. Ich denke, die einzige Person, auf die er hören würde, ist Vater, aber ich möchte nicht, dass dies zwischen sie kommt. Vater hat nur noch so wenige, die er lieben kann. Nein, das ist ein Problem, das ich selbst lösen muss.“

„Nun, ich habe immer gesagt – wenn es irgendetwas gibt, das ich tun kann… Natürlich abgesehen davon, dich nicht zu drängen, freundlicher zu ihm zu sein.“ Glorfindel schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln.

„Vielleicht gibt es etwas. Maeglin ist immer am schlimmsten auf Festen. Dürfte ich dich darum bitten, mich morgen Abend zu begleiten?“

„Und eine Verteidigungslinie zu ziehen?“ Glorfindel nickte. „Betrachte es als abgemacht.“



Glorfindel ging nach Hause und fühlte sich niedergedrückt, als ob er seine vollständige Kriegsrüstung tragen würde. Nicht, weil er bei Idril gescheitert war, sondern weil sein Scheitern irgendwie zurückgebracht hatte, was er nicht hatte akzeptieren wollen: dass jemand, der ihm Böses wollte, nun Zugang zu seinem Geheimnis hatte.

Die Vanya-Rolle lag auf dem Boden neben seinem Bett. Er trug sie hinüber zum Tisch, stellte sie auf und langte nach seinem höchst privaten Skizzenblock und einem Stück Kohle. Eine leicht veränderte Kopie von „Die reifen Früchte Laurelins“ zu zeichnen beruhigte ihn, zumindest in mancher Hinsicht, und die fertige Skizze ließ ihn lächeln: wie gewöhnlich endete sein Versuch, die idealisierte männliche Gestalt zu zeichnen, damit, dass sie genauso aussah wie Ecthelion. Natürlich war das problematisch. Ob ihr gemeinsames Geheimnis nun eins blieb oder nicht, er konnte sich nicht vorstellen, dass Ecthelion irgendeine dieser Zeichnungen, sollten sie in öffentlichen Umlauf gelangen, gutheißen würde. Glorfindel musste sich andere Modelle überlegen. Maedhros und Fingon hatten einen gewissen Reiz, aber sie würden es sicherlich auch nicht gutheißen… Zuletzt verblieb er bei dem nichtssagend aussehenden Vanya der Original-Rolle, dem er als Partner jemanden gab, der eher wie Maeglin aussah, nur älter und unheimlicher.

Als die neue Version fertig war, brachte er den Skizzenblock hinüber zu seinem Bett. Würde er heute Nacht von Schlachten träumen? Idrils Gespräch über ihre Vorahnung von Ruin war fast wie eine Erleichterung gewesen, denn mit Sicherheit würde niemand sich um etwas so Triviales wie das Privatleben zweier Krieger sorgen, wenn sie erkannten, dass viel wichtigere Dinge auf dem Spiel standen. Er sah auf seine erste Zeichnung hinab und lächelte wieder. Es war schwer zu glauben, dass irgendwer nicht verstehen konnte, warum er Ecthelion gewählt hatte. Und, was weniger zählte, warum Ecthelion im Gegenzug ihn gewählt hatte. Nein, er würde Salgants Machenschaften nicht zwischen sie kommen lassen. Er würde gleich nach dem Fest mit Ecthelion sprechen und sie würden dieser Bedrohung gemeinsam entgegentreten.

_______________ 1. Gelmir ist ein bekannter elbischer Name, den mehrere Noldor-Krieger tragen, einer in Nargothrond und einer von Angrods Leuten. Ich gebrauche ihn, weil ich es hasse, mir neue auszudenken. 2. Imin, Tata und Enel sind die Namen der ersten drei Elben, die in Cuiviénen erwachten. Ziemlich nüchtern, denn die Namen bedeuten „Eins“, „Zwei“ und „Drei“. Sie scheinen mir ein vernünftiger Ersatz für „Person A“, „Person B“ und „Person C“, die ich unter denselben Bedingungen hätte benutzen können.
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